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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.12.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-12-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190112152
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19011215
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19011215
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- S. 8922 fehlt
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-12
- Tag1901-12-15
- Monat1901-12
- Jahr1901
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.12.1901
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Vezugs-Vre» Di, W«ßn>-*n«aab» erschaut am '/,7 Uhr, di« Ld«»d-*»H,«b, Yoche,ta-S am. L Uhr. Urdorti», und LrveLittoar Tod«»«,affe 8. Filiale«: Akfted Laß» vor«. 0. Klemm'« Sortd». ÜnwersitLtSftraß« 8 (PaaltaumX »out« Lösche, Kathariu^istr. >4, pari, «ad KorfigSplatz 7. Nr. 838. MpMerTagMatl Anzeiger. Ämtsölatt des Hörügkichen Land- und Ämtsgerichles Leipzig, des Rathes und Neüzei-Ämies der LladL Leipzig. Sonntag den 15. December 1901. Anzeigen »Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reelame» auter dem Rrdaetion-strich (4grfpaUeu) 78 vor den Familiennach- richten (S gespalten) bO Tabellarischer und Kiffernsatz entsvrechevv höher. — Gebühr«» für Nachweisungen und Offerlenaunahme SS H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Marge». St uSoabr, vH», Postbesördernng SO.—» mit PostbesSrderung » ro>—» Annahmeschlnß flr Än^igen: Abrud«Au«gabe: vormittag» 10 Uhr. Morge»-Nu-gabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei de« Filialen und Annahmestellen je «in» halb« Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Di« Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh S bi- Abend» 7 Uhr. Druck und Verlag vou E. Polz in Leipzig. 95. Jahrgang. Aus -er Woche. Die letzte Haudlung de« Reichstag« vor dem Abgang in di« Wrchoachltferien war die Wahi der Mitglieder der Zolltariscommtssion. Tie Zusammensetzung ist insofern nicht uninteressant, al« die 13 Telegirten der National liberalen und de« Centrum« entschiedene Freunde von Zoll erhöhungen sind und unter den entsandten Centrumomit- gliebern sich Herren befinden, dir Geneigtheit verrathen haben, über die Regierungsvorlage rum Theil weit hinauszugeben. Die Cooservativen und die Rcich»partei haben, vielleicht mit einer einzigen Ausnahme, nur ebenso gerichtete FractionSgenossen bezeichnet. E» fragt sich nun, ob, diese Zusammensetzung der EomrnisflonStnebrheil nicht mehr Einfachheit al« Fruchldarlett der CommissionSarbeil verspricht. Wenn dir Einzelverhaudlungen von Fraktion zu Fraktion die CommiffionSthärigkeit nicht bei jedem Punkte dirigirend begleiten, so steht zu befürchten, daß dr« CommisstonS- deichlüffe einige für einen schließlichen positiven Erfolg unentbehrliche Fraktionen spalten werden und die eigen: licht Mühseligkeit erst beginnen wird, wenn die Commission ihr Geschäft erledigt hat. Es kann nicht ost genug gesagt werden: die Minoritäten in den wirthschaftlichen Mittel parteien sind weder gesonnen, noch auch in der Lage, eine etwaige cavuUvrowont bewerkstelligt« „frische und fröhliche" Steigerung der vorgeschlageuen Zollsätze oder gar eine Er weiterung des Doppeltarifs hinzunehmen. Bei den National- lideraleu dürfte sich eine Minderheit gegen solche Hochschutz» zölluerische Auwaudlungen gar nicht zu wehren haben; ihr Mitglied Paasche, gewiß ein .Agrarier", hat schon in der ersten Lesung Bedenken wegen der Höh« gewisser beantragter Sätze geltend gemacht und selbst den von der Regierung io Aufsicht genommenen kleinen Doppeltarif mit dem Gegen- theil von Enthusiast«»« und unter Abwälzung der Ver antwortung für diese Beschränkung der deutschen Handels- vertrag«uv»erhäudler auf die Regierung acceptirt. Im Centrum liegt v»e Sache ander«; hier wirb vornehmlich die starke, durch Nachgiebigkeit der Gesammtpartei verwöhnte bayerische Gruppe nicht grundsätzlich, aber energisch „nach oben zu reigen" versuchen und die Rücksicht auf dir Einbrüche in« CbutrumS-Hüu», die der Budd der Laudwirthe in Rheinland und Westfale« imnier wieder prodirt, wird den Laad«leute» de« Herrn Dr. Hö«n zu Statten kommen. Diese B«sorgmß regt sich schon seit längerer Zeit in Centrums- kreisen und prompt bei Schluß der ersten Plenarberatbung beginnt sie auch laut zu werden. Die „Schief. BolkSztg.", da« Organ der Partei in der landwirthschaftlich wie industriell hochwichtigen Provinz, warnt vor Zollerhöhung in der Commission, wir vor Erweiterung des MlndesttarifS, indem sie darlegt, daß in diesem Falle zweifellos bei dem bedäch tigeren und gemäßigtere» Theile der schuyzöllnerischen Mehr heit eine gewisse Verstimmung eintreten würde, und zwar zerave in demselben Augenblicke, wo die kampflustige Linke mit aller Kraft von Neuem loSbrechen würde: „Dena darüber dürfen wir un» doch nicht täuschen, daß dir Verschärfung der sogenannten „Wucherzülle" sicherlich als Signal für den AuSbruch einer rücksichtslosen Obstruktion wirken würde. Die Abwehr eine« solchen Vorstoßes würde noch weiterhin erschwert durch die Haltung der Regierung. Die Vertreter von Baver« und Württemberg haben mit unverkennbarer Absicht öffentlich entschiedenen Einspruch gegen eine wettere Erhöhung der LornzollsSv« erhoben, und von den Berliner Herren ist deutlich aus den Vesicht-puuct hiagrwiefen worden, daß der Miudesttarif so gehalten werdrn muß, um den Abschluß von Handel». Verträge» noch zu ermöglichen. Daran« ergiebt sich, daß dir Ver treter de« schärferen Lgrarzolle« eine sehr gefährlich« Lage herbei» führen würden, wenn sie vou ihrem etwaigen Uebergrwicht innerhalb der schutzzüllarrilcheu Mehrheit ohne gehörig« Rücksicht auf di« be dächtigere» Genossen uud auf die Regierung Gebrauch machen wollten." Wir fürchten die Obstruktion nicht sehr, halten aber im Uebrigea diese Auslassung für verständig uud für beherzigen«- Werth. Der Hinwei« auf die Haltung der Regierungen ist zwingend. Nicht nur Bayern und Württemberg: keine einzig« Regierung wird für beträchtliche weitere Erhöhung zu haben sein. Uud ließe sich die eine oder di« andere überreden — deic BunveSrath al« solcher kann eine irgendwie erhebliche Verschärfung der landwirthschastlicheu Zolle gar nicht bewerkstelligen. Die Einigung, di» er in seinem Schooße herbeigrführt hat, war kein« leicht« Arbeit. Da« beutet — von den gestern von un« eitirten -Verl. Pol. Nachr." abgesehen — die badisch-osficiöse, in diese« Falle aber ganz gewiß im Einklang auch mit der Reichs- rrgierung befindliche „Südd. Corr." sehr verständlich an. Sie nennt den Tarifentwurf, ohne natürlich jede Einzelheit für unantastbar zu erklären, die korwal» oonoor«U»e, deren Herstellung nur unter Berzichtleistungen auf allen Griten den Regierungen möglich war. Steine werden sich au« diesem mühsam errichteten Baue nicht heran« nehmen lasten, höchsten« daß an der Fa?ade kleine Veränderungen vorgenommen «erden können. Die Regierungen haben da« Beispiel opferwilliger Einigung gegeben und die Erwerbsgruppen, die Fraktionen »ad die „Einspänner" werden e« befolgen müssen. Der Reichstag hat sich di« Vertagung der Verhandlung her Interpellationen über di« Versorg»»« der Znvalid«» bi« nach Weihnachten gefall«» laste». Ul« sachlich noth- wendig kann die Verzöge rang nicht anerkannt werden. Der erkrankt, Reich«schatzsekretär Frhr. von Ltzielmann ist kein verantwortlicher Beamter im Gian« der Ver fassung, er kann uur im Name» d«« Reichskanzler« sprechen. Daß er in diesem Falle vermöge einer nur tbm innewohnenden Kenntatß de« Vachverhalt» nicht durch einen andern Beamten de« Ressort« hätte ersetzt werden können, Muß sür ganz anSgeschloflea gelten. Hat sich der Herr Reichskanzler nicht beeilt, weil di« Sag« ging, der Abg. Or. Hast« wolle bei der G«l»»«tchM dt« Ebamberkain'sch«» HrbeaSwürdigteitea gegen Deutschland znr Sprach« bringe»? Oder hat er sich nur rvnhi Her üd«i d». Wünsch«- ,d«S EentrantS gefügt, da» mit seiner Verschlq»h»ngStakt» jeden- fall« nicht» Andm» »steckt, al» i, tzN stwM M MM» der Wiederaufnahme der parlamentarischen Arbeiten und Ostern «ine Ueberfülle von BerathungSstoff zusammen- zudrängen, welche die Regierung nötbigi, die ausschlaggebend« Fraktion durch allerhand entgegenkommende Schritte arbeits willig zu machen? In diesem Falle würkc brr Reichskanzler nicht allein, tonbern mit ihm der ganze BunveSrath und der zu selbstloser Tbätigkeit entschlossene Theil deS Reichstag« unter der Fügsamkeit de« Grafen Bülow schwer zu leiden haben und überdies würde für den Letzteren die Galgenfrist doch nur etwa drei Wochen auSmacben. Beim Etat wird Lieser Zwischenfall, wie Dr.Hasse schon angekündigt, seine Würdigung finden und noch manche« Andere, worüber Graf Bülow sich begreiflicherweise nicht gerade gern unterhalten wird. So werben z. B. die Pekinger astronomischen Instrumente auch bi« dahin nicht zu ollen Kamellen geworden sein. Die widerwärtige Gewohnheit, erfundene Aussprüche de« Kaisers in die Presse zu dringen, gewinnt wieder Verbreitung. Ein Mittel, dem Gewerbe freien Elfinben« zu steuern, giebt eS nicht. Dagegen müßt» die gleichfalls florirende Verbreitung halbwahrer Mittdetlungen als kaiserlicher Aus sprüche doch wenigstens dort zu verhindern sein, wo die Zu hörer ausschließlich Militär« sind. Zn solchen Fällen ist Vie Quelle wahrscheinlich niemals ein bezahlter Horcher, sondern bre Indiskretion eines Zugrlassenen ober Befohlenen, nicht journalistische Erwerbösucht, sondern jene Klatsch gewohnheit, die gerade in solchen Kreise» verbreitet ist, die am pharisäischsten auf die „Schmocks" herabzublickeu pflegen. Der Krieg in Südafrika. Die schärfere Tonart. Wie bereits gemeldet, hat der Kriegsminister Brodrick vor gestern Abend in Glasgow in längerer Rede den Zeitpunct als nahe bevorstehend hingestellt, an welchem den Boeren von Eng land nicht mehr die Rechte und die damit verbundene „rücksichts volle Behandlung" einer kriegführenden Partei zugestanden wer den würden, und diese Verkündigung hat, wie natürlich nicht anders zu erwarten war, bellen Jubel im Jingo-Lager hervor gerufen. Seit beinahe Jahresfrist ist e« der sehnlichste Wunsch der britischen KriegSpartet o»r srewUsoev, daß die Regierung und ihre Militärbehörden in Südafrika sich endlich dazu -nt- schließen möchte», mit den Boeren, soweit man ihrer habhaft werden kann, mir noch kurzen Proerß zu machen und sie einfach ganz officiell außerhalb des Kriegsrechtes zu stellen. Dieser Wunsch ist natürlich um so lebhafter geworden, I« länger die für England in jeder Hinsicht ruinöse Campagne sich in die Länge zog und je weniger sich die empfindlichen Nacken schläge verringern wollten, welche die tapferen Burghers immer aufs Neue den britischen Truppen beibrachten. Es ist jetzt das erste Mal, daß ein Vertreter der englischen Regierung die Er füllung dieses häufig und energisch genug auSgedrückten Ver langens in nahe Aussicht stellt und sogar sofort mit einem an geblich sehr reichhaltigen und unwiderlegbaren BeweiSmatecial dafür bei der Hand ist, daß die Boeren, oder die Boeren- banditen, wie er sie officiell nennt, vermöge ihrer Schand- thaten gar keine andere Behandlung mehr verdienen. ES ließ sich voraussehen, daß die Regierung ihr Möglichstes thun würde, derartiges Ärweismaterial mit viel Mühe und Sorgfalt zu sammeln, um auf dieser Basis dann vor dem britischen Parlament und vor der civlliürten Welt demnächst den jetzt von Herrn Brodrick in nahe Aussicht gestellten Schritt recht fertigen zu können. Der Krieg-Minister zählte bereit- eine ganze Reihe von angeblich kaltblütigen Mordthateu der Boeren auf, begangen an „oedauernswerthrn Eingeborenen", die daran verhindert werden sollten, den erwlischen Colonnen Infor mationen über die Bewegungen der LoerrncommandoS zu geben. Heute nun giebt daSLondonerKriegSamt einen längerenRapport des LordKitchener bekannt, in welchem der britischeGeneralissimuS die unter Eid aufgenommenen Aussagen englischer Officiere und Mannschaften über das Verhalten der Boeren gegen ihre ver wundeten Feinde nach den Niederlagen der. Brigade Benson bei Brakenlaagte zusammenstellt. In diesem Gefecht fielen 93 Mann in die Hände der Boeren (damals hieß e« ganz officiell, die Boeren hätten überhaupt keine Gefangenen gemacht), und von diesen gaben 18 dem examinirenden Major die Erklärung ab, daß sie sich während der Gefangenschaft über nichts zu beklagen gehabt hätten und sogar sehr freundlich behandelt worden seien. Merkwürdiger Weise hatten aber die anderen 75 von den Boeren wieder freigelassenen Kriegsgefangenen schwer« Klagen vorzu bringen, und behaupteten, daß die Boeren ihnen ihr ganzes Geld, ihr« Uhren und Privaivapttre und sogar ihre Stiesel und Uniformen fortgenommen hatten, wobei speciell den Verwun- beten grausamer Weise viele Schmerzen bereitet worden seien. Dir schlimmste Anklage aber befkht darin, daß behauptet wird, die Boeren hätten verwundete enalischeKanoniere, die bei den beiden eroberten Geschütz«» lagen, todtge- schossen, nachdem sie dieselben lange vorher schon entwaffnet hatten und al« von britischer Seite längst nicht mehr gefeuert wurde. Sobald sich nur ein verwundeter noch bewegte, sei auf ihn geschossen worden, und auf diese Weise hab« u. A. der StabScapitän Lloyd, der vorher nur einen Schuß in« Bein er halten hatte, seinen Tod gefunden. Ein« ganz« Reihe von Offi- cieren, Unkeroffirirren und Mannschaften schilderten ähnlich« an gebliche Vorkommnisse, und Lord Kitchener kommt in seinem Rapport z» dem Schluss«, e« sei zweifellos, daß, wenn auch viel leicht die Lommandanten der voeren den guten Wissen hätten, fie doch längst die Macht verloren haben müßten, derartige SchaNdthaten und kaMütigea Morde ihrer Untergebenen zu verhindern. Da» KrieaSamt stesst di« Veröffentlichung weiterer Aulsagen Aber sRch« Vorkommnisse in Aussicht, und s« wird also wohl ganz offirlell allmählich die vaß> f»r die kommenden „schärfe ren Maßregeln" in Südafrika aufgebaut. * Lantzan, 14.'December. Ein, Depesche Kitchener'- auS -rewria vom iS. December meidet! Vene« -musst«, »verfiel Piet Viljoen'« Lager bei Witkranne; 16 voeren wurde» getödtet, 70 ge- faage» genommen. Da« GeschiiHtz da« die Haeeev leiuer Aett vbrrst Pen so« «dß^ommeo hat««, MSd« «Itzentit. Mackenzie, der mii HantMaa operirt«, Pilchkb sechs Orfnngrnr, dNrmkter die Fetdcdrnet« Badsuhorst und Twainpool» Deutsches Reich. -4-Berlin, 14. December. (Spahn's „Großer Kurfürst" auf Grund klerikaler Be irr t Heilung.) Politische Weihnachtsstimmung ist es nicht, in der das Centrum sich gegenwärtig befindet. Folgt doch für unsere Klerikalen «ine Enttäuschung auf die anorrc. Soeben erst in national-politischer Beziehung durch den Reichskanzler aus den polnischen Locken gestürzt, muß jetzt das Centrum aus einem Aufsatze eine» führenden Organs ersehen, daß es auch in seinem Confessionalismus durch Herrn Professor Spahn's „Großer Kurfürst" eine bittere Enttäuschung erlebt hat. Professor Spahn schreibt nämlich in seinem citirten Buche, daß „die den schc Religiosität" im „echten Lulherthunw noch etwas früher cus „in der katholischen Bevölkerung ihren männlich kräftigen, ergreifend vertrauensvollen Ausdruck wiederaefunden" hat. Zu diesem für den Klerikalis- mus höchst peinlichen Urtheile könnte Spahn nach einem Brief wechsel mit dem Grafen Hoensbroech gelangt sein! Indessen die „Köln. Volksztg." entschuldigt Herrn Spahn mit den klassischen Worten: „Vielleicht ist'S nicht so gemeint, wie's va steht — gleich darauf hören wir von „wackeren Manern, die in ihrem redlichen Glauben an die menschheitsheiligende Kraft der neuen Lehre enttäuscht" worden seicn." Diese Ent schuldigung mag für das rheinische Centrumsorgan tröstlich, für den Straßburger Historiker aber wird sic nicht gerade er baulich sein. Doch die nicht abzuleugnendc Enttäuschung der „Köln. Volksztg." durch Spahn's Schrift tritt nicht nur nach der kirchlichen, sondern auch nach der wissenschaft lichen Seite zu Tage. Schon die Kluft zwischen Titel und Inhalt erregt den Anstoß des klerikalen Kritikers. Spahn's „Großer Kurfürst" ist ein Band der „Weltgeschichte in Charakterbildern" und in seinem „Geleit wort" stellt sich das Buch die Aufgabe, „seinen Lesern einerseits eine umfassende Uebersicht über die Entwickelung der deutschen Nation von 1555—1713 . . zu geben, andererseits die Per sönlichkeit des großen Kurfürsten als die kräftigste und erfolg reichste innerhalb dieses Zeitraumes deutlich zu machen". — Wie wenig wir es jedoch hier mit einer Monographie über Friedrich Wilhelm zu thun haben, zeigt — nach dxn Worten der „Köln. Volksztg." — die trockene Feststellung, daß der große Kurfürst auf Seite 86 zuerst auffaucht und auf Seite 126 stirbt; von diesen 40 Seiten ist nur ein Theil ihm gewidmet, vom Rest des Buches sind es nur wenige Zeilen. Auch für diesen Tadel hat das rheinische CentrumSorgan eine eigenartige Entschuldigung. „Natürlich kommt wenig darauf an", so meint cS, „ob Inhalt und Titel sich decken." — Mit Verlaub, es ist doch wohl ein nicht unbeträchtlicher Mangel, falls die Kluft zwischen Titel und Inhalt so groß ist. Die ganze Serie soll überdies eine „Weltgeschichte in Charakterbildern" sein. Ein eigentliches Charakterbild aber hat Professor Spahn nach kleri kaler Auffassung nicht geliefert; wählte er trotzdem den irre führenden Titel, so geschah es jedenfalls dec buchhändlerischen Spekulation zu Liebe, die gerade bei der Schrift eines katho lischen Autors über den großen Kurfürsten auf protestantische Leser in den weitesten und — höchsten Kreisen rechnete. Aber vielleicht hat Professor Spahn wenigstens die zweite Seite der in seinem Geleitworte aufgestellten Aufgabe besser gelöst als die erste? Nach der „Köln. Volksztg." muß die Antwort auch hier verneinend lauten. Denn Spahn hat die religiösen Ideen „auffallend" zurücktreten lassen, sie nur in ,sparsamen An- > deutungen" behandelt. Für ein Buch, das die Entwickelung der I deutschen Nation vom Augsburger Religionsfrieden bis zum I Frieden von Utrecht darstellen will, in der That recht seltsam. Doch die Reihe der Ausstellungen de» führenden Centrums organs an Spahn's Schrift ist auch hiermit noch lange nicht erschöpft. Neben Bemängelungen, die in das Gebiet der Kunst geschichte gehören, ist eS besonders die Häufung widerspruchs voller Epitheta bei der Charakteristik Ferdinand's II., die von der „Köln. VolkSztg." eingehend nachgewiesen wird. Dafür wird andererseits die Charakteristik sonstiger markanter Per sönlichkeiten als „meist woblgelungen" bezeichnet und Spahn's Stil, sowie seine Belesenheit gelobt. Aber zum Schluffe muß sich Spahn wieder sagen lassen, daß seine Auffassung vom Jahr hundert des Dreißigjährigen Kriege« durchaus nicht so weit von früheren Auffassungen abweicht, wie er nach seinem „Geleit worte" glaubt. Die ganze Kritik klingt dann zwar wohlwollknd in die Worte auS: Spahn'S Buch sei die sehr beachtenswertste Leistung eines jungen Talents, biete nicht wenig und verspreche mehr für die Zukunft; aber die herbe Enttäuschung über die wissenschaftliche Bedeutung der Schrift Spahn's zieht sich durch die Kritik von Anfang bis zu Ende hindurch. Auf das Urthctl von anderer, fachmännischer Seite über diesen „Großen Kur fürsten" darf man hiernach besonder» gespannt sein. Berlin, 14. December. (Der artige und diplo matische Bernstein.) »Hübsch ordentlich und fromm" im Sinne de» Lübecker Parteitag« und diplomatisch zugleich erweist fick „Genosse" Bernstein. Er bat seine Bewerbung um da« Breslauer ReichStagSmanvat mit einem Ausflugs nach Eibflorenz begonnen, wo bekanntlich unter dem längeren Commando der feuerrotden „Genoisin" Rosa Luxemburg die Socialvemokratie streng marxistisch rinexercirt ist. „Genosse" Bernstein sagte sich offenbar: wenn ich bier in der Höble der Löwin aut abschneide, dann kann c» mir auch öri den Wähler» Schönlanss« nicht fehlen. Und Bernstein darf von seinem Dresdener Auftreten rühmen: veni, vlcki, vlci! „Bernstein schien heut« wie um- aewaavell", sagte laut der „Tächs. Arbeiterztg." nach Bernstein'» Vortrag rin älterer Parteigenosse.^ „DaS war Ed« sicher nicht", rntaegnet bieranf die „Glieds. Arbeiterztg.", „aber er hat in seinem Vortrage diesmal weniger hervor- gekehrt, was ihn von Marx scheibet." — Dieselbe Diplomatie dal dem ^Genoss,»" Bernstein in Bretlau »u noch größerem Er folge verholfen. DaS BreslauerSocialistenblatt schreibt nämlich: „Bernstein halte sich offenbar dir Lufgade gestellt, vor aller Welt klar zu legen und zu betonen, daß er als ein strammer Socialdemokrat gewählt zu sein wünscht, al« ein Social demokrat, der sich im Punkte der UeberzeugungStreue und Prineipien ein« weiß mit der ganzen deutschen Partei. Bernstein verlangt auf politischem Gebiete die volle Selbst- tzetzlmmung de« Volkes — die ausgebildete Demokratie, die Repndlik — und aus wirthschaftlichem, al« natürliche« Gegrn- HSMfcht goß!» Misere solidarische Abhängigkeit von der tzon- tigen Gesellschaft, unser solidarisches Mitbestimmungsrecht im WirlhschaflSproces; — den SocialiSmuS. Schars bebl Redner hervor, welche Kluft uns von jeder bürgerlichen Parlei, auch der liberalen, trennt, und stellt die Social demokratie, die Arbeiterbewegung in Gegensatz zu den bürgerlichen Parteien." — Für die MauicruiigSpolilikcr, die von der Wirksamkeit Bernstein'» in Deutschland sich so viel versprachen, ist das Auftreten Bernstein'S in Dresden und in Breslau sehr lehrreich oder sollte cS wenigstens sein. Die Tactik aber der socialLemolratischen Parteileitung, Bernstein durch die lleberlassung eine» ReickSlagSmandalcS mehr oder weniger unschädlich zu machen, scheint sich durchaus zu bc- bewährcn. Es wäre sehr interessant, wenn man er führe, ob dem „Genossen" Bernstein schon vor seiner Unterwerfung auf dem Lübecker Parteitage von der svc ia ld c IN okr ati s ch e n Parteileitung Aussicht auf einen Reichstags sitz gemacht worden ist. * Berlin, 11. December. (Vom Arbeitsmarkt.) Die fortgesetzte Knappheit an Beschäftigung hat im November an den öffentlichen Arbeitsnachweisen Deutschland« die Zahl der Arbeitsuchenden noch über die hdhe Ziffer des Oktober hinaus, wo auf 1 offene Stelle schon 2 Be werber kamen, vermehrt. Auf 100 offene Stellen laiiien im November 223,9 Arbeitsuchende. Im November vorigen IabrcS war die VergleickSziffer 169,3. Gegenüber dem Vorjahre ist an den Arbeitsnachweisen, soweit sie an die Berichterstattung des „Arbeitsmarkt" angrscklossen sind, die Zahl der offenen Stellen um 2277 ge fallen, die der Arbeitsuchenden dagegen um 12 447 gestiegen. Wenngleich sich in diesen Zahlen auch nicht etwa daö wirliche Verhältniß am „offenen Markt" ausdrückt, sondern uur die gesteigerte Intensität deS Suchens nach Arbeit, so ist doch auch diese ein Zeichen für die Lage des städtischen und insbesondere des großstädtischen Arbeitsmarktes. Die Zahl der Beschäftigten nach den Mitgliederlisten der Krankenkassen ging im Laufe des Monats um ein Proccnt zurück, während sie in dem entsprechenden Monat eis Vorjahres sich aus unveränderter Höbe erhalten hatte. Beson ders stark war die Abnahme der Beschäftigten in Stuttgart (— 2,5 Procent), München (— 3,6 Proccnt), Mannheim (— 1,6 Prvcent); Berlin dagegen verzeichnet in den bis jetzt bekannt gewordenen Casscn eine durchschnittliche Ab nahme von uur 0,2, Leipzig 0,3, Cbarlottenburg 0,5, DrcLdeu sogar eine Zunahme von 0,7 Prvcent, Cbemnitz von 0,5 Proccnt. Den nolhlcidenden Gewerben (Metalle und Maschinen, Elektricität, theilweife Tcxtilgewerbe) stehl in einigen kleineren Erwerbszweigen eine etwa« lebhaftere Nachfrage nach Arbeitskräften gegenüber; so in einigen Zweigen des HolzgewerbeS, nament lich der Möbel- und Kistcnfabrikativn, in der Handschuh- macherci und (mit dem WeibnachtS-VerpackungSgcschäft zusam menhängend) in der Cartonnagen-Herstellung. II. Berlin, 14. December. (Privattelegramui.) Die „Nat.-Ztg." schreibt: AuS Anlaß der Berufung deS fran zösischen Professors Hagnenin au die Berliner Universität soll Professor Mommsen sich einem Corre- spondcntcu des Pariser „Temps" gegenüber in dem Sinne geäußert haben, „eine Ernennung sür eine be stimmte Zeit lasse den Launen der Ereignisse und der RegicrungSgewalt viel zu viel Einfluß." Richtig ist, das; der Lehrauftrag für ncuere französische Sprache und Literatur Herrn Haguenin sür drei Jahre ertheilt worden ist. Dies entsprach jedoch durchaus nicht einem Verlangen der preußischen Unterrichtverwaltung, sondern ganz im Gegentheil dem ausdrücklichen Wunsche deS Berufenen, der aus der Erfüllung dieses Wunsches eine unumgängliche Be dingung sür die Annahme deS LebrauftrageS machte. Daß der bisherige Professor in Nancy ebenso wenig bereit war, auf die französische Staatsangehörigkeit zu verzichten, bedarf keines besonderen Hinweises. Man wird kaum bei der Annahme fehlgehen, daß Herr Haguenin, der seine Berufung auf Zeit zur unerläßlichen Bedingung machte, seiner späteren Laufbahn in Frankreich nicht prä- judiciren wollte. Die Voraussetzungen des „TempS"-ArtikelS sind also durchaus hinfällig. ErwäbnenSwerth ist, daß die Wiener „Neue Freie Presse" gerade in der heute eingetroffenen Nummer einen Artikel veröffentlicht, in dem sie die Berufung der Professors Haguenin an die Berliner Universität als ein Symptom der „Unbefangenheit" der preußischen Regierung rühmend hervorhebt und zu dem Schlüsse gelangt: „Nun wird inan jelbst in Frankreich immer weniger sagen dürfen, daß Deutschland die klust offen halte, je mehr in Berlin, wie in dem Falle der Berufung Hagucnin's gezeigt wird, daß dort keine Absicht und kein Gefühl der nationalen Feindseligkeit gegen Frankreich besteht. Und ein Gewinn ist auch das schon, daß in Berlin ein Beispiel gegeben wird, worüber die Franzosen ein wenig zu erröthen Grund haben. Ihnen traut Niemand die Unbefangenheit zu, welche in Berlin bewiesen wird; genug, wenn sie begrelsen, daß Deutschland im Zuge ist, sie vor der llultur ins Unrecht zu setzen, .ofern sie nicht, anstatt unausgesetzt nach dem Loch in den Vogesen zu starren, sich endlich mit dem Gedanken ver traut machen, daß von Rcvanche-Verlangen allein ein großes Volk auf die Dauer nicht leben kann." So weitgehende politische Betrachtungen sind wohl auf Seiten der preußischen Universitäts-Verwaltung nicht im Spiele gewesen, als Herrn Haguenin der zeitweilig« Lehr auftrag ertheilt wurde; aber die dabei drthätigtc „Un befangenheit" sollte gerade französische Blätter abhalien, an der Berufung zu mäkeln. (-) verlin, 14. December. (Telegramm.) Der „EtaatS- anzciger" veröffentlicht eine königliche Verordnung vom i2. December, durch die beide Häuser de« Lan»«g» »er Monarchie auf den 8. Januar 1902 einberufen werden. (Fortsetzung in der ersten Beilage.)
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