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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.10.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-10-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041029022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904102902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904102902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-10
- Tag1904-10-29
- Monat1904-10
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Anzeigen-Preis die 6gespattene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4gespalten) 75 nach den Fainiliennach. richten (L gespalten) 50 -H. Tabellarischer und Kiffernsay entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ofsertenannahine 25 Slnnavmcschlutz für Auir»,en: ?ldend-Ausgabe: vormittag- lO Uhr. , Morgen-Ausgabe: nachmittag- 4 Uhr. « «rtra-Bötlagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesörderung 60.—, m' t Postbeförderung 70.—. Anzeigen sind steis an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Berlag von E. Pol; in Leipzig (Ir.h. l)r. H„ R. L W. Klinkst ardt). Nr. 554. Sonnabend den 29. Oktober 1904. 98. Jahrgang. Var Aichligrte vom rage. * Dom preußischen Landtag wird bereits im nächst jährigen Etat die Regierung finanzielle Mittel fordern, welche eine Entschuldung des bäuerlichen Grundbesitzes ermöglichen. * Der Ministerpräsident v. Koerber hat erklärt, daß er gegen die Aufstellung eines deutschenLands- mannschaftsministers nichts habe. (S. Ausl.) * Die Rede Lord Balfours in Southampton schließt mit der Ankündigung, daß von der Unter suchungskommission alle Personen, die für schuldig be funden würden, bestraft werden sollen. Die rus sische Regierung habe in der Angelegenheit den Beweis geliefert, daß sie von dem Wunsche beseelt sei, die Wahrheit fest zu st eilen und Berechtig- keit walten zu lassen. pletoria-sazcboSa-viM. Am 3. Januar 1896 richtete der deutsche Kaiser sein Telegramm an den Präsidenten der südafrikanischen Republik und beglückwünschte ihn, daß er, „ohne an die Hülfe befreundeter Möchte zu appellieren", den Tr. Jameson, Ritter des Bathordens und Verwalter des Maschonalandes, und seine „bewaffneten Scharen" aufs Haupt geschlagen habe. Am 1. Januar hatte der Premier Lord Salisbury versichert, er erkenne vollauf an, daß ein solcher Einbruch für die europäischen Interessen in Süd- afrika sehr schädlich sein würde, und er mache die größten Anstrengungen, die den Transvaalstaat bedrohenden Ge walttätigkeiten abzuwendcn. Ter deutsche Staatssekretär v. Marsckfall erkundigte sich in einer sehr verfänglichen Antwortnote, welche Schritte die englische Negierung zu tun entschlossen sei: denn die englische Presse drohe, daß England keine Einmischung dulden werde. Der Sieg der Buren bei Krügersdorp und das Telegramm nach Pretoria schnitten den Haden ab. Tic Zeitungen, vor denen Freiherr v. Marsclfall geivarnt hatte, tobten. Die „Morning Post" fragte, welche Verbündete denn die deutsche Marine habe, und dränte, daß die richtige Ant- wort an Wilhelm ll die Vereinigung des Mittelmecr- geschwadcrs mit der Kanalflottc wäre. Der „Daily Tele graph" sprach von einem internationalen Affront. In den Docks und der City non London randalierte der Mob. Deutsche und holländische Matrosen wurden belästigt, man zertrümmerte die Schaufenster deutscher Kaufleute, und eine Masse von Schmähbriefen wurde an den Enkel der Königin Viktoria adressiert. Tie offiziöse Preßaktion der deutschen Regierung war durchaus nicht überhastet, eher schlug sic ein zögerndes Tempo ein. Am 9. Januar, drei Tage, nachdem Krügers „sehr inniger und tiefst ge fühlter Tank" gemeldet worden rvar, führte die „Nord deutsche Allgemeine Zeitung" halbamtlich den Nachweis, daß die englische Oberhoheit über Transvaal, der Vertrag von 1881, durch einen Vertrag vom Jahre 188-1 wieder aufgehoben worden sei. Am 15. hatte dasselbe Regie rungsorgan darzulegen, Wilhelm II. habe keinerlei Ent schuldigungsbrief au seine Großmutter gesandt, wie das auf den Londoner Straßen mit kreischender Heftigkeit in sinuiert wurde: durch ähnliche Vermerke schloß die „Kölnische Zeitung" sich an. Am 11. Januar war das Telegramm Chamberlains an Sir Robinson, Gouverneur der Kapkolonie, erfolgt, worin eine Regelung der Trans- vaalangelegenheit „gesucht" wurde, und worin es heißt: „Ich erinnere daran, daß die Annahme, Deutschland denke an eine Einmischung, in England einen ein stimmigen, noch nie dagewcsenen Ausdruck der öffent lichen Meinung hervorrief. Um für alle Fälle vorbereitet zu sein, hat die Regierung ein fliegendes GesckMider mit zwölf Torpedobooten in Dienst stellen lassen, außerdem liegt eine Anzahl anderer Schiffe bereit." Als Balfour am 15. in Manchester über Wilhelm II. redete, ertönte Zischen und Pfeifen. Am 25. Februar begann Saun vor dem Polizeigericht in Bow Street, London, der heuchle rische Prozeß gegen Jameson und Genossen. Die Süd afrika-Affäre wurde den Faktoren überlassen, die seitdem in Rhodes' und der Charteret» Compagny Sinne sie er ledigt haben. Ter Acheron schloß sich, die grelle „aus- wärtige Politik" Hans Cades, des shakespearischen Ge sellen, und seines treuen Gefolges hatte ihr wesentliches Ziel erreicht, die Beziehungen zu uns, den kontinentalen Vettern, wurden wieder möglich. Toch die Lektion über das „wahre England", das England der „Morning Post", vergaß sich nicht so rasch, um so weniger, als die politische Geschichte schon im Jahre 1898 die in der „Morning Post" zeternd herbeigewünschte Konstellation wiederholte. Genau die gleichen Injurien, welche den Kaiser getroffen hatten, der ani 5. Septcniber zu dem „herrlichen Siege" von Khartum und zu der Sühne für des „arman Gordon" Tod gratulierte, wurden nun gegen Frankreich ge- schleudert. Am 10. Juli war der Major Marchand in Faschoda erschienen, Kitchcner hatte an diesem Platze, den er einen „stinkenden Sumpf" nannte, das Banner Groß britanniens neben dem französischen und dem ägyptischen aufgepslanzt, und am 4. November hatte man am Quai d'Orsay nachgcgcben. Dessenungeachtet verstummten die Mitglieder des Kabinetts Salisbury, unter denen Rose bery am 12. Oktober geschworen hatte, die Nation werde jedes Opfer bringen, um Frankreich zu schlagen, nicht. Am 4, November, beim Festmahl für den neuen Lord Kitchener von Khartum und Aspall, den Sieger von Ondurman, nachdem Frankreichs Rückzug schon noti fiziert war, setzte der Premierminister hinzu, es sei noch keineswegs aller Grund zu Meinungsverschiedenheiten beseitigt. Nachdem Frankreichs Rückzug notifiziert war, wurden die Ausrüstungen der britischen Flotte in den Häfen von Plymouth, Portsmouth und Devonport eiligst betrieben, und am 9. November, beim Lord Mayors Fest mahl, äußerte der greise Cecil, die englische Regierung wolle sich nicht überraschen lassen, „wenn plötzlich irgend eine Gefahr eintreten sollte"; die allgemeine Weltlage sei zu betrachten. Am 157 November ergänzte Chamberlain, die Rüstungen bedrohten nicht eine bestimmte Macht, doch schon vor Faschoda seien die Beziehungen zu Frankreich unbefriedigend gewesen. Es sind dies die beiden Fälle in denen, wie im Fall von Hüll, die britische Seediktatur vor der Alternative stand, den Krieg zu entfesseln oder sich langsam zurückzuziehen. Sie hat jedesmal noch dieses letzte Mittel gewählt. Wie die nunmehr wohl fertige Entwickelung im Oktober 1904 sich gliederte, ist bekannt: das Typische wird durch die historischen Reminiszenzen, die nötig schienen, schärfer hervortrcten. Heber den ..un^vn, i nntndla net^ des unglaublichen Herrn Roschdjcstwcnsky, über die un glaubliche Taktik der verantwortlichen Petersburger Funktionäre kann das Urteil nicht irren, und sie bleiben in den vielen schimpflichen Etappen des Krieges, der Nuß- land zerrüttet, die schimpflichsten. Aber Pretoria und Faschoda zeigen, daß die „Morning Post" und die Minister auch bei einem fürRußland unglimpflicheren Ab lauf so sich benommen hätten, wie sie sich benehmen. Nicht Gerechtigkeit, sondern Macht ist das Schlagwort, und sollte jetzt England gepriesen werden, weil cs auf die Schlichtung nach den Statuten der Haager Konferenz sich cinlätzt, dann sollte inan zur Berichtigung auch Heinrich von Treitschkes wilden Protest gegen die „barbarische Seerechtslehre" Englands nachprüfen, der eineweit tacitei- rischere Forin, einen ineit rauheren Nachhall besaß, als die Antirussen der Gegenwart für ihre Sache aufbringen Nichts ist für uns verderblicher, als die Vorstellung, durch Hüll sei ctrvas wie die Gelegenheit zur Austilgung Ruß lands als Angelegenheit der „Knltur", wie sic die Redak tion des „Vorwärts" begriff, entstanden; denn selbst der metaphysische Glaube an einen immanenten russisch-eng lischen Tualismus ist hohler Wahn. Man l>at das Preß- ichlagwort von Rußland, dem „Fatum Englands", ver breitet; aber so apokalyptisch ist die Londoner Stock- Eckxinge in der Broad Street nicht gestimmt. Noch Aberdeen har seine Ministerwcisheit dahin zusammen gefaßt: „Ich halte Rußland durchaus nicht für stark; ich halte Frankreich für stärker als Rußland und Oesterreich zusammen." Und wie einst Elisabeth es war, die „Seine Hoheit" Iwan den Schrecklichen herzlichst begrüßte, so hat jetzt die Unterredung Balfours mit der Königin Alerandra eine Rolle gespielt. Der Weg ging über die dänische Verwandtschaft, er war viel glatter, als nach der bei Pretoria, Faschoda und Hüll mit demselben Aufwand lärmenden englischen Ncgisseurpolitik zu vermuten war. VV. ver lilttircd-enMche Konflikt. Die Zustimmung de» Zaren zum SchieösgeriHt, die beute nacht von uns gemeldet wurde, ist unzweifelhafte Tatsache. Es bestätigt sich nach einer Petersburger Depesche, rie jetzt vollständig vorliegt, daß der Zwischenfall in den Gewässern von Hüll durch ein internationales Schiedsgericht entschieden werden wird und daß die in Betracht kommenren russischen Seeoffiziere zu diesem Zw.ckc aus geschifft werden. Mehrere der Londoner Avcne- blätter sagten bereits, die Haltung des Zaren beweise, raß er ein Freund des Frierens sei. Nur der Peters burger Korrespondent des „Petit Journal" tut so, als ob man noch immer nicht mit der Möglichkeit kriegerischer Ver wicklungen rechnet und kabelt, es sei Befehl gegeben worren, die afghanische Grenze stärker zu überwachen. In militäri schen Kreisen werde hinzugefiigt, daß im Kriegsfälle Rußland nur in Indien vorgeben werde. 200 000 Russen überwachen die Grenze von Afghanistan. Dem Akabinetrrat im Auswärtigen Zimt wohnten, wie aus London gemeldet wird, sämtliche Minister bei; er endete früher als sonst. 3 Minuten vorher war Graf Benckendorff in größter Eile nach dem Auswärtigen Amt gekommen; es heißt, taß er eine neue Mitteilun'g seiner Regierung brachte, aber die Entscheidung oeS Kabinets nicht mekr zu beeinflussen vermochte. Der Bot schafter lonserierle darauf eine halbe Stunde mit Lord Lans- downe, worauf sich dieser zum Premierminister begab. Der Anteil Frankreich». Bevor gestern noch die Losung bekannt gegeben wurde, ließ der „Hamb. Corr." sich aus Paris depeschieren, die von Frankreich angebotenen guten Dienste beschränkten sich darauf, in Petersburg ein beschleunigtes Tempo anznraten unr in London Geduld zu erbitten. Es scheine, daß die Niederlande aufgeforderl werben sollten, als unparteiische Macht an ter Aiigensckieinkommission teilzunebnien. Keineswegs bestehe die Absicht, da es sich lediglich um eine Tatfrage bandele, ein Gut achten von Seerechtsautoritäten eiuzuholen. „Borläufig sind wir", so sagte eine Pariser Seerecbtsautorilät, in dieser Lache unzuständig. Man würde uns vielleicht befragen, falls über das Ausmaß der Entschädigungen Differenzen entständen, wären wir doch erst so weit, trotz aller Schwierigkeiten brauchbare Präzedenzfälle herauszufiuden! Die bisher als solche erwähnten sind absolut unzulässig." Jetzt sagt „Daily Mail", Frankreich habe viel dazu beigetragen, den Zwischen fall zu erledigen. Das Blatt meint, daß die Intervention Frankreichs eine sehr glückliche war. Die Liniaungsk-mmission. Nach einer Londoner Depesche bestände die Spezialkom mission zur Untersuchung des Zwischenfalls aus französischen und anderen fremtlänkilchcn Offizieren. Bis zur Beendigung der Untersuchung, die höchsten Falls 3 Wochen in Anspruch nehmen wird, bleibt das russische Geschwader in der Arosa- Bai. Die streitenden Teile verpflichten sich, den Urteilsspruch der Kommission anzunehmeii. Rußland hat überdies im Voraus zugcstanden, welche Entschädigungen an die Betroffenen zu zahlen sind. Die Ae-e Balfour» in Southampton, die, wie von uns angekündigt wurde, gehalten worden ist, har den Charakter großer Politik angenommen, der sich ihr zusprechen ließ. Der Text wurde zu zwei Dritteln von uns an anderer Stelle milgeteilt; der Schluß ist anzusügen. Er lautet: Auch hat Rußland Befehle gegeben, die die Wiederholung eines solchen Falles verhüten sollen. Tie russische Flotte befand sich 30 Meilen außerhalb der Route, die sie Hütte verfolgen müssen. Es ist absurd, anzunehmen, daß der Kommandant der angeblichen Torpedoboote zum Angriff auf die Russen sein« Ecellung inmitten der Fischerflotille gewählt haben sollte. Rein, es war kein javanisches Schiff da, das nächste war lloOO Seemeilen von jener Stätte entfernt. Die von dem russischen Admiral erzählte Feuilleton. Die heilige Caecilie. 131 Roman von M a r i e B e r n h a r d. * Nachdruck verboten. Oswald Mentzel ist viel hübscher, und er soll ja so genial sein! Ich würde gern seine Kompositionen kennen, ihn auch gern spielen hören! Ich bade natürlich kein ein gehenderes Gespräch mit ihm gehabt, ich sah ihn nur während der Mittagsmahlzeiten in feiner Familie und neulich bei Brückner?, wo er gerade zufällig hinkam, als ich dort „meinen Tag" hatte; da? Wort hat er nicht oft an mich gerichtet, wohl aber hat er einen sonderbar de- harrlichcn Blick, — eine Art, mich anzusehcn. als wolle er mein Gesicht auswendig lernen: es machte mich ein wenig verlegen, als ich es neulich merkte. Einmal, als ich etwas gesagt hatte, hörte ich ihn für sich murmeln: „Süße Stimme?" — Aber ich hatte ja nichts gesungenI Sein Vater, Tirektor Mentzel, mein „Entdecker", ist gewiß sehr väterlich wohlwollend zu mir, .... aber so lange braucht er darum doch nicht jedesmal meine Hand in seinen beiden Händen zu halten, beim Kommen und beim Gehen, — und daß er mich immer seine „liebe Kleine" nennt, will mir auch nicht gefallen! Ich will niemandes „liebe Kleine" sein, .... hier nicht! — So? Nun habe ich mir einmal alles vom Herzen heruntergeschrieben! Mir ist etwas leichter zu Sinn. Gott helfe mir weiter! Achtes Kapitel. In unbequemster Stellung, den Kopf zurückgesunken, die langen Beine über die Sofalehnc gestreckt, eine er loschene Cigarette zwischen den Lippen, beide Hände mit einen, offenen Buch lwth gehoben, — so lag Hans Kühne nun schon eine ganze Welle da und achtete nicht darauf, daß cs ihm leise in den Extremitäten zu kribbeln begann, — ein Zeichen, daß dieselben im Begriff waren, abzu- sterben. Es hatte ihn wieder einmal „gefaßt". Er hatte nur etwas nachlesen wollen, — jawohl! Aus diesem Nachlesen war ein Studium geworden, ganz hingcgcben, ganz intensiv, mit völligem Außerachtlassen von Zeit, Umgebung, Bequemlichkeit! Des jungen Arztes Zimmer bot einen ähnlichen An- blick, wie dasjenige seines elterlichen Hauses: eine Stätte der Wissenschaft. Auch hier in der Ecke am Fenster neben dem Schreibtisch ein Skelett, — das einer Frau — den Mantel des Doktors um die knochigen Schultern ge worfen, seinen weichen Filzhut schief auf den grinsenden Schädel gedrückt, Leuchter und Cigarcttenkistchen in den Totenhänden. Ueberall Glasgehäuse, Bischer, Präpa rate, — ein sckmrfer Säuregeruch in der Luft. „Herr Doktor Kühne daheim?" fragte draußen im Korridor eine wohlklingende Männerstimme, — die Betonung des Deutschen klang etwas fremdartig. „Ick soll et doch denken!" kam es im reinsten Berliner Dialekt zurück. „Ausjch'n hab' ich ihm nich jesehen! Kloppen Se man dreiste an, und jeh'n Sc rin, — is er nich da, müssen Sc sich schon jefälligst rückwärts be- wegen!" Es klopfte an die Tür. „Herein!" sagte Hans Kühne ganz mechanisch. Er sah nicht auf, er las weiter. „Servus, Külme!" sagte die wohlklingende Stimme neben ihm. Ter Leser drehte maschinenmäßig den Kops herum. Seine Augen blickten noch ganz wissenschaftlich vertieft, es kostete ihren Besitzer Mühe, sich in die Außenwelt zurückzufinden. „Ach, du, Holbein! Seit wann bist du denn in Europa?" Es kvar eine etwas merkwürdige Anrede und ebensolche Begrüßungsart, wenn man bedachte, daß der Ankömmling fast ein rundes Jahr jenseits des Ozeans gewesen war und daß die beiden Männer einander in der Tat Freunde nannten! Eben darum aber schien der Gast weder erstaunt noch verletzt zu sein. Er kannte seine Leute! Ohne weiteres nahm er dem Liegenden das Buch aus der Hand, fegte mit einer kraftvollen Bewegung die beiden Beine von der Sofalehnc herunter und richtete seinen Freund mit einen: geschickten Ruck empor. Hans Kühne dehnte Arme und Beine und schnitt eine etwas schmerzhafte Grimasse. „Ganz steif bin ich geworden!" „Wundert mich ganz und gar nicht. Welcher Mensch liest überhaupt in solcher verrückten Stellung? Wirf das ausgebrannte Kraut weg. und sag mir guten Tag!" In Hansens Augen kehrte langsam einiges Verständnis für die gegebene Situation zurück. Er nahm die angc kohlte Cigarette ans dem Munde, betrachtete sie einen Augenblick und drückte sic dann in die auf dem Tisch stehende Aschenschale. „Guten Tag!" sagte er vorschriftsmäßig und lächelte. Frank Holbein, der Deutsch-Amerikaner, lächelte auch. Für diesen langen Kerl da batte er „eine Schwäche", wie er das nannte? Er war zur Zeit seines Berliner Aufent haltes, al? er abwechslungshalber mal die Kliniken be suchte und „tot, als ob er Medizin studierte", so ost als möglich mit Hans Kühne zusammen gewesen, batte mit ihm disputiert, ost stundenlang, häufig wgar sich er zürnt, — sie waren zu selten einer Meinung über den selben Gegenstand. Er hatte während seines Aufent halte? in Amerika ost an den jungen Arzt gedacht, batte ihm sogar — unerhörte Tatsache! — zweimal geschrieben, beiläufig bemerkt, ohne eine Antwort erhalten zu baben, — mit einem Wort, er hatte ihn einfach lieb, obschon er nicht für notwendig hielt, ibn: dies jemals zu sagen. „Setz dich zu mir, — nimm eine Cigarette. Ich denke, Lisettchen hat noch welche!" Lisettchcn war der Name des weiblichen Gerippes rn der Ecke beim Fenster. Holbein sah sich flüchtig um „Lisettchen auch noch immer da?" Er nickte dcmSkeletr gemütlich zu, wie einer guten Bekannten. „Werde mich gleich bedienen! Was hast du denn so blind und toll studiert? Physiologie von Haller, — beseelte und ver gleichende Anatomie. Ueber den Standpunkt noch nicht weg?" Hans sah seinen Freund unter zusammcngezogenen Brauen sckiarf au. „Kennst du das Buch? Hast du es jemals gelewn? Aufmerksam gelesen?" „Gar nicht gelesen, — aber gehört davon." — „Tann lobnt es nicht, nut dir drüber zu reden. Ge hört! Jeder sagt was anderes! Deine Meinung will ich hören, nicht die von Hinz und Kunz!" Frank trug den Haller zum Schreibtisch, setzte ibn dort auf das oberste der beiden an der Wand angebrachten Regale in die äußerste Ecke links und tat damit für den Augenblick die „beseelte und vergleicbendeAnotomic" ener gisch ab. Er grift aus Liscttchcns Vorrat eine Handvoll Cigaretten, zündete sich eine davon an und kam, das dampfende weiße Stengelchen im Munde, zu seinem Freunde zurück. „Auch gefällig?" „Tanke, ja! Tu siebst sehr gut ans, Holbein der Füugere!" Tiewu Spitznamen mußte sich der Deutsch Ameri kaner, da er noch einen Vater besah, unweigerlich gefallen lallen! Er sah gut ans, der blonde, helläugige, elegante Herr, — nichts gigerlhaftes, protziges au ihm, nrchts, was an die Millionen erinnerte, die fein Vater notorisch belaß! „Tanke' Kann dir die Schmeichelei oder Wahrheit nicht zuruckgcben. Steh mal aus!" „Ich? Warum?"
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