Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.08.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040819026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904081902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904081902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-08
- Tag1904-08-19
- Monat1904-08
- Jahr1904
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Be-ustS-PreiS i» b«r Hauptrrp«dttw« oder deren Anrede, pellen a»geholt: vlerteliährlich ^ll 8.—, bel twetmaliger täglicher Zu siel lo na iu« Hau« ^l 8.7k. Durch dir Poft bezogen für Deutsch, land u. Oesterreich viertrliädrlich 4.Ü0, sür die übrigen Länder laut ZeitunqSpretSliste. Diese Kummer kostet aus allen vaduhvseu und bet den Aeituug-.verkäufen, " ^f, «rsotttO, »ad Wrstetztttonr 1KS Fernsprecher SW JohanutSgafle 8. Haupt-KUiale Dresden. MarieustrahrSälFernsprecherSintlNr. 1718). Haupt-Atltole Berlin: EarlDuncker, Herzgl.Baqr.Hofbuchbandlg., Lützowsirahe lOtgernivrecherAuitVI Nr.4M3'. Abend-Ausgabe. np.ngtr TllgMM Anzeiger- Amtsblatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Rolizeiamies der Ltadt Leipzig. Anzetgen-PretS die 6gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RrdaktionSslrich (4grspalte»> 7Ü nach den Famüieonach- richten (6 gespalten) KO -H. Dabellorischer uud Ziffrrniatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenannahme Lö -H. Snnnhmeschlutz sür Anzeigen: «bend-Au-gabr: vormittag« 10 Uhr. Morgen-AuSgab«: uachmtttag« 4 Uhr. Extrn-Betlagrn «gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrsörderung ^4 60.—, mit Postbrsörderung 70.—. Anzeigen sind stet« an dir Ezpevitton zu richten. Dir Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abend« 7 Uhr. Druck und Berlag von E. Polz in Leipzig (Inh. Ur. R. L W. «ltnkhardt». 88. Jahrgang. Nr. 422 Freitag den 19. August 1904. Var Wchtigrie vom Lage. * Der Oberkommissar von Kreta, Prinz Georg von Griechenland, wird demnächst eine Reise nach Rom, Paris, Kopenhagen und Petersburg antreten. * Die Vereinigten Staaten werden bei Panama eine F l o t t e n st a t i o n errichten, welche die größte auf der westlichen Halbkugel jein wird. (S. Ausland.) * Am 14., 15. und 17. d. M. haben bei Port Arthur wieder bedeutende Kämpfe statt gefunden, in denen die I apanerüber20 000 Mann verloren haben sollen. (S. russ.-jap. Krieg.) * Halls die russischen Kriegsschiffe „ÄSkold" und „Grosovoj" nicht bis zum 23. dieses Monats Shanghai verlassen haben, werden sie dort entwaffnet werden. (S. russ.- jap Krieg.) F«cd eine prerrriinär. Manchen Instituten und Verbänden und Leuten wäre recht dringend ein journalistischer Beirat zu wünschen. Man denke dabei, bitte, nicht an die be rühmten Pressekommissionen, welche bei Wahlen. Aus stellungen und Kongressen in die ebenso berühmte „Er scheinung" treten und sich dadurch auszeichnen, daß kein Mensch von der Presse drin sitzt. Gemeint ist vielmehr ein Mann, der von der Presse etwas versteht und weiß, wie man eine Sache öffentlich zu vertreten hat, um ihr zu nützen. Man könnte meinen, dazu brauche es keines eigentlichen Journalisten. Aber die Journalistik muß doch wohl eine Art Kunst sein, sogar eine Kunst, die das Beherrschen einer großen Anzahl von Hurtigkeiten zur Voraussetzung hat, denn sonst wäre es schier unerklärlich, wie grenzenlos ungeschickt selbst Minister ihre Aktionen öffentlich vertreten lassen. Man nehme einmal Herrn Möller an, den Handels minister von Preußen. Dieser Herr, dessen ministerielle Laufbahn wirklich noch nicht lang genug ist, um für bureaukratische Verknöcherung einen Milderungsgrund abzugeben, möchte die Hibernia verstaatlichen, und setzte sich zu diesem Zwecke mit Herrn Guttmann von der Dresdener Bank in Verbindung. Die stellenweise recht kitzlichen Fragen, wozu eigentlich die sonst so poussierte Seehandlung da sei, und wie man das Draufgeld für die Aktien zu rechtfertigen vermöge, sollen uns hier nicht interessieren. Aber wie in aller Welt kommt der Herr Minister dazu, sich ohne Not bei der Gelegenheit öffentlich so bloßstellen zu lassen? Das garantierte Recht jedes Privatmannes, sich so gut zu blamieren, wie er kann, hat ein Minister nicht, denn er vertritt den Staat und ist diesem für Ruf und Ansehen verantwortlich. Herr Möller aber hat es fertig gebracht, sogar seine traditionellen Freunde so zu verblüffen, daß sie sich in bindendster Weise gegen ihn, sogar gegen ihn persönlich, fcstgelegt haben, wobei cs nicht an bösen Worten gefehlt hat. Man braucht nur an die scharfen persönlichen Attacken in der „Nationalliberalen Korrespondenz" zu denken, um die Größe der Ungeschicklichkeit zu begreifen. Es scheint auch in der Umgebung des Ministers keinen Menschen zu geben, der weiß, daß man in solchen Hallen das Prävcnire spielen muß, und sich nicht erst in der Presse den Vorwurf der Unzuverlässigkeit machen läßt. Es war ziemlich un verblümt gesagt worden, auf die Angaben des Ministers sei nichts mehr zu geben, und es werde auch in Zu- kunft nichts auf sie gegeben werden, denn Herr Möller habe schon einmal „erklärt", es sei Schluß mit den Verstaatlichungen, und nun wolle er doch die Hibernia kaufen. Aber selbst das mag noch hingehen, denn unter diesen Vorwürfen hat der Minister selbst immer noch mehr zu leiden als der Staat. Tas Schlimmste aber, was geleistet worden ist, sind die Noten, mit denen das „Wolffsche Bureau" die Aktion verkünden und später erläutern mußte. Anstatt gleich die erste Note so vollständig und klar wie möglich in die Welt zu schicken, auf daß jeder mann sich einen Vers auf die Gründe und Absichten des Ministers machen konnte, anstatt auch von vornherein auf die tatsächlich erfolgte Sinnesänderung des Ministers über Verstaatlichungen hinzuweiken, sie durch die ver änderten Verhältnisse zu rechtfertigen und so allen Vor- würfen die Spitze zu nehmen, kamen tropfenweise unvoll- ständige und direkt verwirrende CommuniguckS, auS denen niemand klug wurde. Da wurden Kohlen felder und Kohlenzechen durcheinandergeworfen, jeder Tag machte eine Erläuterung oder Ergänzung des tags- vorher Gebrachten notwendig und die Börse kam nicht aus der Aufregung heraus. Viel zu spät aber, und das ist das Allerschlimmste, wurde der in der Tal wesentlichste und annehmbarste Grund zur Diskussion ge stellt, die drohende Husionierung im Bergbau. Das alles hätte am ersten Tage präzise und knapp aus geführt werden müssen, wenn der Minister sich eine günstige Position in dem heißen Jnteressenkampfe sichern wollte, und nichts von alledem ist geschehen. Der Minister hätte sich durch die energische Betonung der Husionsgefahr sofort alle sozialpolitisch interessierten Kreise gesichert, während er so absolut schutzlos dem Kreuzfeuer ausgesetzt war, das die paar Offiziösen, die jedermann kennt und niemand beachtet, nicht von ihm abhalten konnten. Alles in allem: ein Muster, wie es nicht gemacht werden soll. Und Herr Möller befände sich heute in weit günstigerer Position und manche Zeitungen und Korrespondenzen brauchten heute nicht den Schlangen menschen in Verrenkungen Konkurrenz zu machen, um sich zu Herrn Möller wieder zu „stellen", wenn der Herr Minister sich besser auf die Presse verstanden hätte. Sintemalen aber auch ein Minister nicht alles verstehen kann, so wäre ihm ein erfahrener journalistischer Beirat sehr zu empfehlen gewesen. tznock erst ckemomütrsackum. Der sllrrircb-japanirche Weg. Der Duvehbruchsvepsuch -«» rirssifchen fport Arthur-Geschwader». Ueber den mißglückten Durchbruchsversuch des russischen Gejäftvaders von Port Arthur am 10. d. Mts. hat jetzt Kontreadmiral v. Reitzenstein, der seine Flagge auf dem „A s k o l d" gesetzt hatte und mit diesem Schiffe in Shanghai hat einlaufen müssen, von dort aus folgenden telegraphischen Bericht an den Kaiser erstattet: Am 10. August begann das Geschwader aus Port Arthur um 5 Uhr morgens auf die äußere Reede aus zulaufen. Uni 8V2 Uhr morgens gingen die Schiffe, indem sie sich in Kiellinie formierten, mit minenfischen den Sch'ffen an der Spitze, in folgender Reihenfolge in See: „Zaesarewitsch" unter der Flagge des Chefs des Geschwaders Witthoeft, „Retwisan", „Pobjeda", „Pecesowjet" unter der Flagge des Chefs der Panzer- schiffabteilung Uchtomskl, „Seewastopol", „Poltawa", „Askold" unter der Flagge des Chefs der Kreuzerabtei- lüng v. Reibenstein, „Pallada", „Diana". Der Kreuzer „Nowik" sirhr dem Geschwader voraus. Die Torpedo- boote der ersten Abteilung hielten sich in der Nähe des ersten Panzerschiffes: zwei Kanonenboote und die zweite Lorpedobootsabtcilung begleiteten das Ge schwader, um die Minen fischenden Schiffe auf dem Rückwege zu schützen. Ter Dampfer „Mongolin" unter der Flagge des Roten Kreuzes hielt sich seitwärts. Die Reede, auf der sich Minen befanden, wurde ohne Unfall passiert doch nahm dies zwei Stunden in Anspruch. Um 9 Uhr morgens signalisierte der Geschwaderchef: Nach Wladiwostok fahren Von dem Augenblick, wo das Geschwader auslief, begannen die feindlichen Schiffe von verschiedenen Seiten her sich zu vereinigen. Um 1014 kehrten die mincnfischendcn Fahrzeuge um, während das Geschwader mit einer Geschwindigkeit von 8, später 10 Knoten die Fahrt fortsetzte. Die Kanonen- boote und Torpedoboote der zweiten Abteilung gingen, indem sie die mincnfischendcn Boote schützten, nach Port Arthur zurück. Von 12 Uhr mittags an fuhr das Ge- schwader mit einer Geschwindigkeit von 13 Knoten. Das feindliche Geschwader näherte sich von links. Es bestand aus den Linienschiffen „Asaki" und „Mikasa", je einem Schiff vom Typ „Fuji" und vom Typ „Schikischima", sowie den Panzerkreuzern „Nissin und ...Kassagna". Außer ihnen waren am Horizont noch 3 Kreuzer vom Typ „Matsuschima", ein Panzerkreuzer vom Typ „Iwate", 3 Kreuzer vom Typ „Takasago" und 44 Torpedoboote zu sehen. Die Schiffe des feind- lichcn Geschwaders kamen plötzlich alle auf uns zu. Wir wandten unS daher nach rechts. Gleich darauf be gann der Kampf, und nun wendeten sowohl wir, wie das japanische Geschwader wieder um. Dann schlug das feindliche Geschwader denselben Kurs ein, wie unser Geschwader. In dem ersten Kampfe fuhr „Askold" hinter „Poltawa". Ein Geschoß traf den vordersten Schornstein des „Askold" und beschädigte den vorderen Kessel. Die Kreuzerabteilung verließ die Kiellinie. Das japanische Geschwader näherte sich uns bis auf 40 Kabellängen (etwa 7)4 Kilometer), worauf der zweite Kampf begann. Um 5^4 Uhr nachmittags kehrte „Zaesarewitsch" um, fuhr längs der Kiellinie und signalisierte: Der Kommandant übergibt das Kommando dem ältesten Offizier: das war Kontreadmiral Uchtomski. Da er sah, daß der Feind unser Geschwader von allen Seiten einzuschließen bemüht war, so beschloß er, keine Zeit zu verlieren und durch den Ring des Feindes an einer Stelle, wo der Widerstand am geringsten war, durch- zubrechen. Ich gab meinem Gcschnxwcr das Signal: Wir folgen! und fuhr mit dem „Askold" voraus. Gleich hinter mir fuhr „Nowik", in einiger Ent- fernung „Pallada" und „Tiana". Die Kreuzerab- teilung halte sich beim Durchbruch gegen vier Kreuzer zweiter Klasse und mehrere Torpedoboote zu ver teidigen und rechts befanden sich drei Kreuzer vom Typ „Matsuschima". Alle diese sieben Schiffe über schütteten den Kreuzer mit Geschossen. Als ich mich dem Ringe näherte, bemerkte ich, daß einer der vier Kreuzer ein Panzerkreuzer vom Typ „Asama" war. Er legte sich um 7 Uhr in den Weg. Das scharfe Feuer des „Askold" auf die feindlichen Schiffe richtete auf drei Kreuzern zweiter Klasse sichtlich Beschä digungen an und veranlaßte auf „Asama" eine Feuersbrunst, der sich hieraus seitwärts wandte und „Askold" freigab. Vier feindliche Torpedoboote näherten sich und griffen „Askold" an; sie feuerten vier Torpedos ab. die alle fehlgingen. Durch eine wohlgezielte sechszöllige Granate des „Askold" wurde e.nes von den Torpedobooten in Grund ge bohrt; die übrigen entfernten sich schnell. Der Kampf war heiß. 20 Minuten lang hagelten Geschosse auf den „Askold" nieder und richteten viele Be schädigungen an. Der Ring der feindlichen Schiffe wurde aber durchbrochen. „Askold" und „Nowik" brachen durch, ihnen folgten „Pallada" und „Diana". Tie japanischen Kreuzer verfolgten „Askold" und „Nowik". Wir steigerten die Fahrt aber auf 20 Knoten und entkamen rasch. Inzwischen war es dunkel geworden; ich sah „Pallada" und „Diana" nicht mehr. Ta ich nicht mehr verfolgt wurde, 'fo ver ringerte ich die Fahrgeschwindigkeit, um auf die anderen Schiffe zu warten und weil Schornsteine und Kessel beschädigt waren. „Askold" hatte auch Be schädigungen unter der Wasserlinie erhalten. B's Tagesanbruch fuhr ich langsamer und hielt den Kurs in der Mitte von beiden Küsten, um mich nicht bei Schantung Torpedoangriffen auszusetzen. Ten Kreuzer „Nowik" ließ ich allein weiterfahren, damit er, der ein schnell gehendes Schiff ist, Zeit gewinnen konnte, falls er später verfolgt werden würde. Dies entsprach auch dem vorher festgestellten Durchbruchs- plane der jedem Kommandanten bekannt war. Bei Tagesanbruch beschleunigte ich die Fahrt, ohne die Maschinen anzustrengen. Es stellte sich heraus, daß „Askold" ernstliche Beschädigungen er litten hatte. Da zwei Schornsteine zerstört waren, so war der Kohlenverbrauch sehr groß. Der Beschä digungen und des Kohlenmangels wegen mußte ich den Plan, sofort durch die Koreastraßc nach Wladiwostok zu geben, ausgeben. Der Kreuzer mußte ins Dock gebracht werden. Ich beschloß, den neutralen Hafen Shanghai anzulaufen. Am 12. August ging ich bei der Insel Budolu um 3 Uhr früh zu Anker. An dem- selben Tage lief ich bei Hochwasser in Wusung ein und gelangte am 13. August in den Wanpufluß, wo ich Anstalten traf, ins Dock zu gehen. Die Haupt- beschädigungcn des „Askold" sind folgende: Zwei Schornsteine zertrümmert, drei durchlöchert, ein Kessel beschädigt, zwei Spanten gebrochen. Das Schiff hat ferner vier Lecke unterhalb und sechs oberhalb der Wasserlinie. Die Kommandanten, Offiziere, Mecha niker und Mannschaften beider Kreuzer verhielten sich mutig und kaltblütig und erfüllten ihre Pflicht. Die Aerzte waren unter dem Hagel der Geschosse tätig. Feuilleton. »er Fall Sklotti. Roman von Waldemar Urban. Nachdruck verbat«. „Je nun, Herr Portier, Paris ist wie eine alte Liebste. Es läßt einen nie ganz wieder los. Haben Sie ein hüb sches, ruhiges Zimmer?" „Selbstverständlich, Herr Meunier. Für unsere Freunde wird immer gesorgt. Für längere Zeit?" „Das weiß ich noch nicht. Einige Tage oder Wochen." „Schon gut. Bitte, Herr Meunier, im zweiten Stock. Ist Ihnen das recht?" Es war Herrn Meunier recht und der Portier nahm seinen kleinen Reisekoffer und schritt damit voran. Im zweiten Stock gingen sie einen langen Korridor ent lang, an einer Anzahl Türen vorbei, vor denen meist ein oder zwei Paar Stiefeln standen, die Herr Meunier, viel leicht aus alter Gewohnheit, vielleicht auch aus neugie- rigem Interesse an den Bewohnern der Zimmer, sehr aufmerksam betrachtete. Diese Stiefelreihen in einem solchen Pariser Hotel garni haben für den Kundigen mehr kulturelles und soziales Interesse, als viele dickleibige gelehrte Bücher. Sie erzählen mit ungeschminkter derber Wahrheit die intim sten Verhältnisse ihrer Besitzer, während diese ahnungslos in ihren Betten liegen. Da stand zum Beispiel ein schon etwas breit und formlos ausgetretenes leichtes, hellgelbes Stutzerstiefelpaar, lvas in der schon vorgeschrittenen käl teren Jahreszeit laut und gebieterisch nach einem solideren Winterersah rief und seinen Herrn als einen unordent lichen leichtfertigen Menschen anklagte, der nicht zur rech ten Zeit für das Rcxbte sorgte. Wem konnten die zier lichen, mehr koketten als haltbaren Tamenichnürstiefelchen vor Nr. 11 sonst gehören, da» zwei Fran« pro Lag kostete, wenn nicht einem auf bedenklichem Wege befind- lichen Dämchen, einer Gouvernante ohne Stellung, einer zugereisten Glücksritterin oder ähnlichem? Einzelne Damenstiefelchen gehörten nicht ins Hotel d'JSly. Und vor der nächsten Tür stand ein derbes, solides PaarSchaft- stiefeln, in Paris ein unbekannter Artikel. Also ein Herr vom Lande und daneben wieder ein früher einmal elegant gewesenes Damenknopfstiefelpaar. Man soll von seinen Mitmenschen nur Gutes reden, aber die Stiefeln waren von einer unerbittlichen und rücksichtslosen Wahrheits- liebe und erzählten die fürchterlichsten Geschichten. Auf der andern Seite von Nr. 27 stand ein Paar Herrenstiefel und in der etwas mangelhaften Beleuchtung bemerkte Herr Meunier, daß an der Zugstrippe der reklamebedürf tige Schöpfer der Schuhe seine Firma angebracht hatte, er glaubte sogar daß Wort „Marseille" auf der Strippe zu erkennen. Der Teufel sollte die Schuster holen. Wozu haben sie nötig, ihren Namen und ihren Wohnort auf das Eigentum anderer Leute zu heften? Herr Meunier war es ja unter diesen Umständen angenehm zu wissen, daß er im Hotel auch engere Landsleute hatte, aber ob es dem Stiefelbesitzer angenehm war, das war doch zweifelhaft „Wer wohnt in Nr. 27, Herr Portier?" fragte Herr Meunier, als er endlich auf seinem Zimmer angekommen war. „Ich weiß wirklich nicht, aber ich will nachsehen, wenn sie befehlen." „Es eilt nicht. Ein Herr auS Marseille?" „Jedenfalls auS dem Süden, feinem Dialekt nach." „Wie sieht er aus?" „Wie alle Südfranzosen: dunklen Teint, scharfe Augen, starke buschige Brauen, dicken Schnurr- und Knebelbarl und kurzen Backenbart." „Hm! Künstliche Zähne?" „DaS weiß ich nicht, Herr Meunier. So genau habe ich ihn nicht angesehen. Suchen Sie hier jemand? Oder kennen Sie den Herrn?" «Ich müßte ihn erst sehen." „Nun, dazu wird sich ja die Gelegenheit geben. Er wohnt schon längere Zeit hier." Damit war zunächst das Gespräch zu Ende. Der Portier empfahl sich und Herr Meunier, der sehr müde war, legte sich zu Bett. Als er am nächsten Morgen wie der an der Portierloge vorüberging, fragte er nochmals nach dem Herrn auf Nr. 27, der ihn sehr zu interessieren schien. „Der ist fort", antwortete der Portier. „Wieso fort? Abgcreist?" „Vermutlich. Ich sagte ihm, daß Sie sich nach ihm erkundigt hätten und fragte, ob er Sie kenne. Ec sagte nein, ließ sich seine Rechnung geben und fuhr mit einer Droschke fort." „So eilig? Wie nannte er sich?" „Warten Sie. Ich will gleich nachjehen, der Teufel behalte alle die Namen. Nr. 27. Ja richtig, hier. Carlo Benoni, aus Porto Ferraio. Also vermutlich ein Italie ner, der aber das Südfranzösische sehr gut sprach." Bei der Nennung des NamenS machte Herr Meunier eine heftige Bewegung, als ob er rasch irgend wohin müsse oder irgend was Haschen oder greifen wolle. Dann aber beruhigte er sich wieder und sagte zu dem Portier: „Sie nannten ihm meinen Namen?" „Ja, natürlich, weil ich glaubte, er sei ein Bekannter von Ihnen." „Herr Portier", sagte .Herr Meunier ernst, „Sie haben mir einen sehr bösen Streich gespielt, den Sie vielleicht nie wieder gut machen können." „Ich bedauere unendlich, Herr Meunier, aber ich konnte nicht wissen " „Es ist gut. Geschehen ist geschehen. Jetzt hören Sie zu. Wenn dieser sogenannte Signor Carlo Benoni auS Porto Ferraio sich noch einmal hier blicken läßt, woran ich allerdings nicht glaube, so halten Sic ihn jeden- fallt und wenn nötig mit Gewalt fest, bis ich komme, oder übergeben Sie ihn der Polizei auf meine Verantwortung. Verstanden?" „Mein Gott, hätte ich das auch mir ahnen können —" „Genug. Was geschehen, läßt sich nicht ändern. Im übrigen halten Sie aber reinen Mund und lassen Sie sich nichts merken." Herr Meunier wußte von Herrn Lejeune, daß Antoine Belotti seiner Zeit unter dem Namen Carlo Benoni aus Porto Ferraio an verschiedenen Orten in der Gegend von Marseille gelebt hatte. Die Kombination, daß dieser Name auf Jean Baptist Belotti übergcgangen, war also leicht und der junge Rechtsanwalt war über das uner wartete Zusammentreffen zunächst so überrascht, daß er nicht wußte, was er tat. Es ärgerte ihn, den vielgesuchten Mann so nahe bei sich gehabt zu haben, ohne ihn fest genommen zu haben. Er hatte in demselben Hanse, in demselben Stockwerk mit ihm geschlafen, ohne cs zu wissen allerdings, aber welcher Erfolg wäre das gewesen, wenn er nach Marseille hätte telegraphieren können: Er ist gefaßt! Und nun war die Sache schwieriger als je. Belotti war gewarnt. Er hatte vielleicht im Vertrauen darauf, daß man ihn in Marseille noch immer für tot, für doS beklagenswerte Opfer des Panamaschwindels hielt, hier sehr ruhig und sicher gelebt. Nun konnte er aber wissen oder wenigstens vermuten, daß man hinter sein« Schliche gekommen und er verfolgt wurde, und Herr Meunier konnte es sich nicht vergeben, daß er nicht sofort gestern abend festgestellt hatte, mit wem er es zu tun hatte! Wer konnte aber auch beim bloßen Anblick von ein paar Stiefeletten- Strippen auf einen solchen Zusammenhang kommen? Sein nächster Gang war nun zur Staatsanwaltschaft, wo er dem betreffenden Beamten eine genaue Darlegung des Halles mit allen zu diesem Zwecke zusammenge- brachten Beweisen und Dokumenten vorlegte und wo auch sofort die erforderliche» Maßnahmen getroffen wurden. Aber diese Geschäfte hielten ihn den ganzen vormittag
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite