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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.07.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-07-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040721021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904072102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904072102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-07
- Tag1904-07-21
- Monat1904-07
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Anzeigen» Preis die «gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RedaktionSflrich («gespalten) 7Ü -L, nach den Jennilienaach- richten (6 gespalten) 50 4^. Tabellarischer und Mernsatz entsprechend höher. — v-ebührrn für Nachweisungen und Ossertenannahme 2ö Ertra-Betlagea (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesvrderung 60.—, mit Postbefärderung ^l 70.—. Nunahmeschlus, fvr Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag» lO Uhr. Morgen-AuSgabe: aachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abends 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Pols tu Leipzig (Inh. vr. R. L LL »lt-khardtX Nr. 388. Var Mchligrtr vom Lage. * ES schwrben Berhandlunaen zwischen Deutschland einerseits und Oesterreich-Ungarn, Holland und Luxemburg andererseits über den Abschluß zur inter nationalen Regelung der Unfallversicherung. (S. Polit. TgSschau.) * Eine von 2000 Studenten, Bürgern und Damen be suchte Protestversammlung in Heidelberg nahm ein stimmig eine Protestresolution an gegen den geplanten Wiederaufbau des Schlosses. (S. AuS aller Welt.) * Bei der heutigen zweiten Beratung deS Militäretats in der bayerischen Kammer erklärte Kriegsminister v. Asch, von einem Abschiedsgesuch des Präsidenten des bayerischen Senates des Reichsmilitärgerichts sei ihm dienstlich nichts bekannt, ebensowenig davon, daß bei der Besetzung der Stellen dieses Senates eine Aenderung des bisherigen Modus eintreten solle. * Eine Reutermeldung aus Port Said besagt: Der von den Ruffen beschlagnahmte englische Dampfer Malakka ist von hier abgegangen; der Bestimmungsort wird nicht angegeben, wahrscheinlich ist es Cherbourg oder Libau. Lenttum «na ffliegrminirlrr in vavern. Das bayerische Zentrum kann die Angelegenheit Eras nicht verwinden; es sucht Krakchl um jeden Preis mit dem Kriegsminister. Dabei ist es absolut nicht wählerisch in seinen Mitteln — der Zweck heiligt sie ja — und scheut sich auch nicht, amtliche Geheimaktenstücke, die ihm auf Gott weiß welchen Wegen zugänglich geworden sind, nicht allein an die Oeffentlichkeit zu ziehen, sondern auch so zu „exzerpieren", wie es ihm gerade für den einzelnen Fall dienlich erscheint. So stellte am Dienstag in der Abgcord- netenkammer der Abg. I)r. Heim die Anfrage, ob es richtig sei, daß in einem Ehrenhandel zwischen zwei Ossi zieren, welcher durch Intervention des betreffenden Regi- meutskommandeurs beigelegt war, ein Duell herbei- geführt wurde durch einen Erlaß des Kriegsministeriums. Ein solcher Erlaß würde undenkbar sein, weil ein derartiges Vorgehen ja vom Gesetz mit erhöhter Strafe bedroht sei. Der Kriegs minister Freiherr von Asch erwiderte zunächst, er wisse nicht, lvelchen Fall Abg. Heim im Auge habe, könne aber im allgemeinen die Versicherung abgeben, ein solcher Erlaß sei nicht ergangen. Daraufhin erklärte vr. Heim weiter, er meine den -Erlaß des Kriegsministcriums Nr. 17 417 vom 5. Dezember 1898, betreffend das Zu rückdrängen eines Zweikampfes zwischen Major Seitz und Oberleutnant Pfeiffer. Die Sache war beigelegt durch den Regimentskommandeur, infolge des kriegsministe- riellcn Erlasses kam cs doch zu einer Duellforderung, einer wurde erschossen, der Oberst und der Oberleutnant wurden pensioniert. Solche Erlasse vergesse man nicht, sie seien mit Blut geschrieben. (Es handelt sich um einen 98. Jahrgang. Donnerstag den 21. Juli 1904. 1898 in Augsburg beim 4. Chevaux-legers-Regiment vorgekommenen Fall. Der Major Seitz hatte unerlaubte Beziehungen zur Gattin des Oberleutnants Pfeiffer und forderte diesen auf ein derbes Schimpfwort hin. Der Kommandeur und der Ehrenrat verhinderten das Duell, und nach diesen Vorgängen ist der Erlaß erfolgt. Der Erlaß war wahrscheinlich an den Kommandeur gerichtet. Der Kriegsminister bezeichnete den Erlaß als die dienst liche Erledigung eines gegen Major Seitz anhängigen ehrengerichtlichen Verfahrens. Tas Duell fand nun statt. Major Seitz wurde erschossen, der Regimentskommandeur wurde Pensioniert, ebenso Oberleutnant Pfeiffer. Major Seitz war schon vorher mit ehrenvollem Abschied entlassen worden.) Der Abg. vr. Heim gab sich dabei den Anschein, als ob er den ganzen Erlaß verläse, während der Kriegsminister v. A s ch am folgenden Tage (Mittwoch) in der Kammer feststellte, daß vr. Heim aus dem Erlaß nur einen einzigen Punkt herausgegriffen hat, der nach der — plausiblen — Ansicht des Kriegsministers nicht außerhalb des Zusammenhanges vorgetragen werden durfte, ohne daß der ganze Inhalt und die ganze Tendenz wesentlich verändert würde. Der Erlaß selbst lautet voll- ständig: „Das Zurückdrängen des Ztveikampefs zwischen Major Seih und Premierleutnant Pfeiffer durch den Regimentskomman deur entspricht wohl den Bestimmungen der Beilage 11 zur Druckvorschrift Nr. 31. Der erste Absatz dieser Beilage legt jedoch die höchste Willensmeinung darin fest, daß Zweikämpfen der Offiziere mehr als bisher vorgcbeugt werde, und im Sinne des zweiten Absatzes soll die zur Versöhnung gebotene Hand angenommen werden, soweit die Standesehre und gute Sitte eS zulasse. Hierauf erscheint die Folgerung Wohl berechtigt, daß auch heute noch Fälle denkbar sind, in welchen der Austrag mit den Waffen unvermeidlich erscheint. Ein derartiger Fall dürfte hier vorliegen, wo es sich um intime Beziehungen eines Offiziers zu der Frau eines Kameraden handelt. Hätte Pre- micrlcutnant Pfeiffer einen Zweikampf ernstlich gewollt, wie dieser in der Lage vom Standpunkt des Offiziers aus nur natürlich gewesen wäre, so wäre dieser auch zu stände gekommen. Das Kriegsministerium glaubt, seins Anschauung über diese Angelegenheit unter Hinweis auf die Erlasse vom 14. und 18. v. M. Nr. 1579 und Nr. 10'366 mit voller Klarheit aus sprechen zu sollen. Gezeichnet Freiherr von Asch." Der Kriegsminister fügte hinzu: Der Wortlaut dieses Erlasses enthält durchaus keinen Auf trag, daß die beteiligten Offiziere die Angelegenheit mit der Waffe auszutragen hätten; vielmehr wollte das Kriegsministerium lediglich seine Anschauung dahin ausdrücken, daß im vorliegenden Falle es vom Stand- punkte des in seiner Familienehre aufs schwerste be leidigten Oberleutnants Pfeiffer erklärlich gewesen wäre, wenn er zur Waffe gegriffen hätte. Dieser Er laß war jedoch für keinen der beiden Offiziere bestimmt, und Oberleutnant Pfeiffer hat auch eine Forderung an Major Seitz nicht gelangen lassen. Dagegen hat Major Seitz nach seiner Verabschiedung Oberleutnant Pfeiffer gefordert, der nach den bestehenden Vorschriften ohne vorgängige Meldung an den Ehrenrat zur An nahme dieser Forderung nicht berechtigt war. Ach muß es somit mit Bestimmtheit zurückweisen, daß der von dem Abgeordneten Heim verlesene Erlaß die Ursache zu dem darauf stattgefundenen Zweikampf war. Im übrigen bemerke ich, daß die Allerhöchste Willens meinung, wonach dem Zweikampf mehr als bisher vor gebeugt werden soll, in weitestgehender Weise Rechnung getragen wird und daß hierdurch eine be- trächtliche Zahl von Zweikämpfen in den letzten Jahren verhindert werden konnte." Es ist bemerkenswert, daß die bayerischen nicht klerikalen Blätter in den schärfsten Ausdrücken gegen vr. Heim vorgehen, dessen Verfahren in der Tat auch schwerlich zu rechtfertigen sein dürfte. Aber nach den Erfahrungen der letzten Zeit wird wohl der Ver söhnung Pichler-V. Asch die Versöhnung Heim-V. Asch folgen, wenn cs nicht schließlich Freiherr v. Asch vor ziehen sollte, sich dieser Aera der gewaltsamen Ver söhnungen durch seinen Rücktritt zu entziehen. Dann hätte das Zentrum endlich seinen Willen. ver Humana der Herero. Die Landungeverhältnisse in der Swaksx« niündung. Mit Besorgnis verfolgen neuerdings Behörden und Kolonialfreunde die Verschlechterung der Landungs verhältnisse an der Swakopmündung. Die im Februar 1903 fertiggestellte Mole hat nach Mitteilung eines in Si dwestasrika bekannten Herrn an die „Dtsch. Kol.- Zlg." in der Zwischenzeit so bedeutenden Schaden er litten, daß vor kurzem Kapitäne der Woermann- Dampfer telegraphisch ihre Befürchtungen geltend ge macht haben. Wie verlautet, ist bereits früher der Molentopf mit 12 bis 15 Meter Molenkörper stark be schädigt worden und demnächst cingestürzt, während späterhin — un Frühjahr dieses Jahres — noch etwa 8 Meter Molenkörper weggewaschen sein sollen. Wie Augenzeugen versichert baden, ist ferner auch die übrige Molcnstrecke an einzelnen Stellen stark unterspült. Wenn dieser Zustand nun bereits in Friedenszeiten für das Schutzgebiet traurig genug wäre, so gewinnt er heute, wo in kurzem 7000 deutsche Soldaten in Süd westafrika versammelt sein werden, einen geradezu be drohlichen Charakter. General v. Trotha hat denn auch in Erkenntnis der Schwierigkeit der Lage telegraphiert, daß Herstcllungsarbciten an der Mole demnächst in An griff genommen werden würden. Diese Absicht dürfte jedoch jetzt gerade — in der Zeit der schwersten Bran dung, Juni bis August — besonders schwierig durchzu führen, wenn nicht unmöglich sein. Man wird sich da- her beizeiten nach Hülfslandungsplätzen umsehen müssen, — für den Fall, daß durch schwere See weitere Zerstörungen der Mole herbeigeführt werden sollten. Sehr ungünstig ist der Umstand, daß die vor dem Molen- bau benutzte alte Landungsstelle südlich der Mole, an der aus Brandungsbooten gelöscht wurde, durch Ver sandung vollständig unbenutzbar geworden ist. Hiervon ist sogar auch die Molenspitze mitbetroffen worden, so daß in absehbarer Zeit nur noch zur Flutzeit ein geregelter und ordnungsmäßiger Verkehr an der Mole möglich sein wird. Es ist in Fachkreisen bereits des öfteren darauf hin gewiesen worden, aber bisher wenig in die Oeffentlich- keit gedrungen, daß alle Faktoren, die bei der natür lichen Bildung und Entwickelung der südwestafrika nischen Küsten in Frage kommen, auf eine allmähliche Versandung der Hafenbildungen Hinweisen. Eklatante Beispiele hierfür geben Sandwich - Hafen, Walfischbai und Ogden-Hafen. Der letztere ist bereits vollständig Versckstvunden, und nur eine Salzwasserlagune gibt noch Zeugnis von seinem früheren Vorhandensein. Am Sandwich-Hafen liegen die Verhältnisse ähnlich. In der Walfischbai endlich ist ebenfalls ein dauerndes An wachsen der die Südgrenze der Bucht bildenden Sand landzunge, des „Pelikan-Points", zu bemerken. Eine allgemeine Verflachung des Fahrwassers ist auch hier eingetreten und macht sich überall dort besonders be merkbar, wo die nach ergiebigen Regenzeiten in das Meer mündenden Flüsse diesem ungeheure Sandmassen zuführen. Das eingehende Studium dieser Einflüsse an den Küsten des Schutzgebietes wird man auch in Zu kunft mit Eifer betreiben müssen, zumal da es sich zweifellos in nächster Zeit darum handeln wird und muß, die Swakopmunder Mole um 300 bis 400 Meter zu verlängern. Vorläusig aber wird man sich, um einem etwaigen weiteren Unglück an der Mole mit weiser Vorsicht und für alle Fälle zu begegnen, nach einigen Hülfslandungsplätzen umsehen müssen. Da man einer Nutzbarmachung der englischen Walfischbai regierungsseitig keinesfalls nähertreten zu wollen sch-sint, kommen lediglich die Küstenstriche nördlich der Swakcpmündung in Frage. Kap Kroß scheint das Nächstliegende, aber auch nördlich dieser von der Damaraland Guano Co. bereits benutzten geschützten Landungsstelle werden sich geeignete Punkte finden lasten. Tie zu diesem Zweck anzustellenden Unter suchungen sind jedoch ebenso schwierig wie zeitraubend und müssen daher sobald wie möglich in die Wege ge leitet werden. Daß endlich die Erschließung des Ovambolandes auch die Ocffnung einer im Norden ge- l-aenen Landungsstrecke mit sich bringen muß, bedarf keiner weiteren Erörterung. ver rurrirch-japanizche Krieg. Angebliche Beschlagnahme eine» deutschen Dampfer». Aus Berlin meldet der „N. Hamb. Börsenhalle" ein Privattelegramm, daß ein Dampfer „Gambia" im Roten Meer von den Russen beschlagnahmt worden sei. Hierzu bemerkt das genannte Blatt: Einen Dampfer Namens „Gambia" gibt es nicht, vielleicht liegt eine Verwechslung mit dem Dampfer „Sambia" der Hamburg- Amerika-Linie vor, der auf der Ausreise am 17. Juli von Suez abgegangen ist. Auf eine Anfrage bei der Direktion der Rhederei erhalten wir indes die Mitteilung, daß von einer derartigen Be schlagnahme bei ihr keinerlei Nachricht vorliegt. Von fachmännischer Seite wird uns hierzu geschrieben: „Einen deutschen Dampfer „Gambia" gibt es allerdings nicht, wohl aber einen englischen dieses Namens, der zur Reederei Elder, Dampster L Co., Liverpool, gehört und in der Fahrt zwischen Hamburg und Südwestafrika beschäftigt ist." Es könnte sich alko wohl eher um die Beschlagnahme eimS weiteren englischen Dampfers handeln. Sollte sich diese Ver- mutnna bestätigen, so ist mit einer Steigerung der Erregung gegen Rußland in England zu rechnen, die einer Kriegs erklärung gleichkommende Maßregeln gegen russische Ueber- griffe zur Folge haben kann. Feuilleton. Der Füll Lclotii. Roman von Woldcmar Urban. Nachdruck verboten. „Wann gehst du mit hinaus, um die Wohnung anzu sehen, Großpapa?" „Es hat keinen Zweck." „Aber das Ansehen kostet doch nichts. Bitte, bitte! Großpapa, du wirst doch deiner kleinen Saintine diese erste große Bitte nicht abschlagen. Nein, nein, sage noch nichts. Siehst du, eine hübsche Wohnung ist das halbe Leben. Tas, was uns täglich und stündlich umgibt, bildet unser Glück. Eine hübsche Wohnung läßt uns vieles vergessen, was wir sonst für unentbehrlich halten, macht häuslich, sparsam, zufrieden, eine hübsche Wohnung ist der wirk- liche und eigentliche Hafen der Ehe. Wle willst du, daß ich Thomas des Abends zu Hause behalte, wenn es ihm zu Hause nicht gefällt? Wenn ihm seine Wohnung nicht behagt? Und wenn er ausgeht und nur jeden Abend einige Francs ausgibt, so ist das mehr im Laufe des Jahres als die ganze Wohnung kostet! Bitte, bitte Groß papa. Wann willst du die Wohnung besehen?" Sie ließ nicht nach. Immer neues Lob der hübschen Wohnung ertönte schmeichelnd von ihren dunkelroten, frischen Lippen, immer neuer Zauber eines behaglichen Familienlebens leuchtete aus den verliebten Augen und Herr Meunier ging fast stumm nebenher. Er hatte, als er seine Braut verstohlen bei ihren Anstrengungen be obachtete, seine eigenen Gedanken. Daß ihr die Neber- redung des Obersten auch in diesem Falle glücken werde, war ihm fast sicher, sei es mit oder ohne Hülfe ihrer Mutter, von der Herr Meunier wußte, daß sie noch weniger Widerstandskraft gegen Saintine entwickelte, als der Oberst. Aber was würde aus ihm, aus Thomas Meunier selbst, unter dem Kreuzfeuer solcher Blicke, unter dem Drängen und Schmeicheln und Betteln, unter dem halblauten, heißen Geflüster, wenn es einmal gegen ihn losgelassen würde? Wenn Oberst Villeneuve als ein alter, kalter Herr nicht dagegen ankommen konnte, wie sollte er, Thomas Meunier, als junger, verliebter Ehe mann das können? Seine Zukunft erschien ihm unter dem Zeichen eines kleinen, reizenden und zierlichen Gegenstandes und wenn ihn dieser Gegenstand auch noch so sehr begeisterte und bezauberte, so war es eben doch — — ein Pantoffel! Vor ihrer Wohnung angelangt, trennte sich Herr Meunier von seiner Braut und ihrem Großvater, um in sein Bureau zu gehen, und Saintine stieg mit dem Oberst langsam und vorsichtig die drei stellen und etwas unge mütlichen Trepven nach seiner Wohnung hinauf. Noch ehe sie hinaufkamen, hörten sie schon die erregte Stimme der Frau Doktor Villeneuve, die in etwas konfuser Art vor sich hin raisonnierte. „Sie sind da!" sagte sie, „also wirklich wieder da? Hm! Ich dachte schon, er wäre unter einen Pferdebahnwagen geraten oder in den neuen Kanal gestürzt. Wie leicht hätte ihn bei dem heißen Wetter der Schlag treffen kön- nen, gar nicht zu reden von dem schlechten Pflaster in den engen Gassen, wo man Hals und Beine brechen kann. Gestern ist ein Mann verunglückt, dem von dem Gerüste eines Neubaues ein Kalkkasten auf den Kopf gefallen ist. Es stand in der Zeitung. Ich habe es gelesen und aus meinen Kinderjahren — Frau Doktor Villeneuve war in den Fünfzigern — erinnere ich mich, daß eine Frau, die in anderen Umständen war, wahnsinnig geworden, weil sie einen wildgewordcnen Stier sah " „Aber Mama, das ist doch schon lange her", unter brach Saintine heiter lachend diese endlosenKassandrarufe, „und was vorbei ist, ist vorbei und kommt nie wieder." „Kommt nie wieder, hm, ausgenommen saures Bier, fuhr Frau Doktor Villeneuve fort. Dein seliger Vater, Saintine, hatte einen Magen, der nicht zu den besten ge- hörte, und mein fortwährendes Gebet war, trinke kein saures Bier! Und welche heilige Angst habe ich all' die Jahre unserer Ehe ausgestanden vor saurem Bier. Ich wußte, daß er es nicht vertragen konnte und ...Oberst Villeneuve und Saintine schritten, ruhig in ihrem Ge spräch fortfahrend, an ihr vorüber und ließen sie unge stört weiterreden. Sie kannten das schon. Seit dem Tode ihres Gemahls, der den jungen hoffnungsvollen Arzt in so grausamer und rascher Weise betroffen, galt Frau Doktor Villeneuve für nicht ganz richtig nn Kopf. Ihre Krankheit, — wenn es eine war, war nicht gefähr lich und äußerte sich besonders dadurch, daß sie wahllos und ziellos und ohne jeden vernünftigen Zusammenhang — wie man gewöhnlich sagt, aus dem Hundertsten ins Tausendste erzählte. Stundenlang arbeiteten sich ihre Sprechwerkzeuge mit nervöser Hast ab und ihre Phantasie suchte mit Eifer die entlegensten und unwahrscheinlichsten Unglücksfälle zusammen, um ihren Angehörigen vor allen möglichen eingebildeten Gefahren angst und bange zu machen. Kaum hatte Frau Doktor Villeneuve gehört, um was es sich handelte, als sie auch schon die fürchterlichsten-Spuk geschichten bereit hatte, um ihren Angehörigen Furcht und Schrecken einzujagen. „Ich besinne mich noch, als ob es gestern gewesen wäre", fuhr sie lebhaft fort, und ohne sich darum zu be kümmern, ob ihr jemand zuhörte oder nicht, „und doch ist es schon mehr als vierzig Jahre her, daß sich die Frau eines Maurerpoliers aus den: dritten Stock ihrer Woh nung auf den Hof hinabstürzte, well sie aus ihrer Woh nung, die sie nun einmal gern hatte, ausziehen sollte. Das war in Perpignan, zwei Jahre vor dem großen Erd beben, das alle Häuser zusammenwarf. Alle Welt kennt die Geschichte von dem Erdbeben und dem alten Gericht-- Präsidenten, der sein Haus nicht verlassen wollte und auch richtig darin verschüttet wurde. Drei Tage später fand man seine Leiche und nicht weit davon die seines Hundes, der auch das Haus nicht hatte verlassen wollen. Das sind die Sachen. Und wenn sich einmal jemand, mag es ein Mensch oder ein Vieh sein, an eine Wohnung gewöhnt hat, so bringt ihn kein Teufel wieder heraus." Ganz gegen ihre Absicht und Gewohnheit machte die Frau Doktor Villeneuve hier einen Punkt und rasch, ehe die Brandung wiederkehrte, nahm der Oberst in ernster, fast drohender Weise das Wort, um zu seiner Enkelin zu sagen: „Es ist gut, Saintine. Ich will dir etwas sagen: Ich werde die Wohnung, die dir so gut gefällt, anschen " „Ach, lieber Großpapa, wie danke ich dir", rief Sam tige lebhaft aus und küßte ihn mehrere Male auf die Wangen. „Sei still und höre aufmerksam zu, was ich sage. Tie unbedingt notwendige Basis einer gesunden Lage sind geordnete Verhältnisse und wenn ein junger Hausstand diese Basis nicht hat, so werden sich Zank und Unfrieden, Unbehaglichkeit und Unglück einstcllen, bei euch so gut wie bei jedermann." „Aber —" „Nein, sage nichts. Ich kann ja wohl einmal ein paar Hundert Francs zuschießen. Aber ist euch danüt geholfen? Und wenn ich's nicht könnte, müßte es doch auch gehen. Ich will ja nicht gerade sagen, daß Herr Meunier dich heiratet wegen des kleinen Vermögens, das du einmal von mir erben wirst, aber daß er darauf rech net, ist sicher und das —" „Nein, nein, Großpapa, unterbrach ihn Saintine heftig und fast weinend, das ist nicht wahr. Ich würde mich schämen, wenn das wahr wäre." „Mein liebes Kind, die Welt ist nickst immer so wie sie sich uns zeigt. Ich will dir ja deinen guten Glauben nicht zerstören, aber du sollst merken, worauf es in der Welt ankommt. Man muß Boden unter den Füßen Haven und deshalb sollst du auf eine gesunde Basis halten. Ver-
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