Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.07.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-07-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190407317
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19040731
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19040731
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-07
- Tag1904-07-31
- Monat1904-07
- Jahr1904
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.07.1904
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis in der Hauptexpeditton oder deren Ausgabe stellen abgeholt: vierte» jährlich >lt 3.—, bet zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS 3.7b. Durch die Post bezogen für Deutsch- land u. Oesterreich vierteljährlich 4.bO, für die Übrigen Länder laut ZritunqSprrisltste. Am Einzelverkauf auf den Bahnhöfen u. bei den Zeituugs- Verkäufern IS pro stummer. Reduktion und Expedition: JohanniSgasse 8. Fernsprecher 1b3 u. 222. Haupt-Filiale Dresden: Marienstraße 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Haupt-Filiale Verliu: EarlDuncker, Herzgl.Bayr.Hofbuchba»dlg., Lützowstraße 10(FernsprecherAmtVI Nr. 4603). MWgcrIilgMM Anzeiger. Ämtsvkatt des Königliche« Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Aates rmd -es Nolizeiamies der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PretS die 6 gespaltene Petitzeile 2K Reklamen unter dem RrdaktionSstrich (4gespalten) 7b /L, nach den Familtennach» richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ofsertenannahme 2b Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbefvrderung ./L 70.—. Annahmeschluh für Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 biS abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Polz in Leipzig (Inh. vr. B., R. L W. Klinkhardt). Nr. 388. Var Aichligrte vom Lage. * General v. Trotha ist mit dem Hauptquartier am 27. d. Mts. von Owikokorero abmarschiert und war am 29. d. Mts. in Otjira. * Das neue preußische Wildschongesetz ist gestern amtlich veröffentlicht worden. * Der Bruch Frankreichs mit dem Vati- kan ist nunmehr Tatsache geworden. (S. Ausland.) * In der letzten Sitzung des rumänischen Ministerrats ist der Vertrag mit der Fabrik Krupp in Essen behufs Lieferung von Schnell- f e u e r g e s ch ü tz e n für die rumänische Armee ge nehmigt worden. MÄenrchau. Die Ereignisse der Woche, soweit sie kleiner Natur ünd und damit unter die Rubrik des Friedens fallen, werden völlig in den Hintergrund gedrängt durch den Mini st ermord in Petersburg. Rußland darf angesichts dieser schauerlichen Katastrophe sein Haupt verhüllen, denn mit dem Morde des Ministers ist nicht etwa nur eine Greueltat verbrochen, wie sie in der Kriminalstatistik jedes Kulturstaates verzeichnet ist, sondern in diesen Zeitläuften der internationalen Ver wickelungen bedeutet dieser politische Mord eine so ent setzliche Bloßstellung der innerpolitischcn Verhältnisse des Zarenreiches, daß die Haltung des Zaren, der angeb lich nur mit einem Ohnmachtsanfall auf die Schreckens botschaft zu antworten wußte, sehr wohl zu erklären ist. Während draußen die Kriegsmacht vor dem Ent scheidungsgange steht, schreitet der Terrorismus, der in Rußland so leicht nicht aussterben wird, zu einer Tat, die nicht nur den russischen Patrioten, sondern jeden Menschen, der sich den Sinn für die öffentliche Ordnung bewahrt hat, mit Grauen und Entsetzen erfüllen muß. Die Vor- tcidiger im Königsberger Prozesse können keine bessere Illustration zu ihrer Schilderung innerrussischcr Ver hältnisse wünschen, und denen in Preußen, die noch vor wenigen Tagen ein hohes Lied zum Lobe der russischen Verhältnisse, anstimmten, muß es doppelt unangenehm sein, die Quittung auf das System Plehwe in so grauen hafter Form annehmen zu müssen. Denn mit dem Attentat auf Plehwe, den stündlich tausend Zungen ver wünschen, haben wir es nicht mit einer Bluttat, diktiert von persönlichem Hasse, zu tun, sondern der Bombenwurf war die Quittung für das gesamte, von der Düna bis nach Sachalin gleich verhaßte System. Gefügige Tintenkulis sind zwar nicht müde geworden, die harte, aber gerechte Hand des Ministers zu preisen und solche Unverfrorenheit auch in die Spalten ehrenhafter deutscher Blätter einzuschmuggeln, aber wer die glor reichen Verhältnisse des heiligen Rußland kennt, wird sofort aus den Lobeshymnen den Hellen, silbernen Klang des Rubels gehört haben, der in Rußland zu Hundert- tausenden zur Verfügung steht, sobald es sich darum handelt, dem geehrten Nachbar Sand in die Augen zu streuen. Das war bisher der Lebenszweck des Herrn Witte, der um die Zeit des Attentates mit unserem Kanzler zu Tische saß und fröhlich das Mahl zu Ehren des deutsch - russischen Handelsvertrages genoß. Herr Witte wird sonst an seine Fahrt nach Norder ney freilich nur mit etlichem Grimm zurückdcnken. Erst lich ist es an und für sich kein Hochgenuß, mit dem Hute in der Hand zu dem getreuen Nachbar und Nothelfer zu steigen, dann aber muß cs für eine russische Exzellenz gerade nicht erbaulich sein, solche Schreckcnspostcn aus der Heimat zu vernehmen, deren Friede und Wohlfahrt soeben noch offiziell fcststandcn, wenn man offiziell dieses Wohlergehen der teuren Heimat als einziges Acqut- valent in die Wagschale zu werfen hat. Nach festlichem Mahle, das die Krönung der Witteschen Reise bedeutete, iit inzwischen der deutsch-russische Handelsvertrag be kannt geworden, und wenn man geglaubt hatte, Graf Bülow werde die arge diplomatische Klemme Rußlands in aller Welt gebührend ausnutzen, so ist man aus diesem naiven Glauben zum eigenen Schrecken aufgcjngt worden. Wenn die Präliminarien Bülow-Witte zum Reichsgesetz werden, so kann man ehr licherweise nicht anders sagen, als daß wir eine gute Ge legenheit ungenützt ans der Hand gehen ließen, Ruß land einmal am eigenen Leibe fühlen zu lassen, daß kommerzielle Unbilligkeiten der Gipfel der internatio nalen Lieblosigkeit sind. Die agrarischen Interessen unseres Reiches sind allerdings anscheinend gewahrt, ob schon die unterschiedliche Behandlung russischer Gerste nichts anderes als ein sehr starkes Kompliment nach der Newa bedeutet. Dagegen scheint die Industrie Deutsch lands die Kosten deS Verfahrens zahlen zu sollen, denn einer Revision des hochschutzzöllnerischcn russischen Tarifes ist bisher keine Rede. Man kann es zwar be- areifen, wenn Rußland seiner mit vieler Mühe, vielen Lpfern und vieler Marktschreierei geschaffenen Industrie 98. Jahrgang. Sonntag den 31. Juli 1904. durch Prohibitivzölle zu Hülfe zu kommen sucht, aber wenn wirklich dieses Verständnis für Rußlands Wünsche in Norderney so ausschlaggebend gewesen sein sollten, daß unsere Industrie dem agrarischen Arrangement kosten pflichtig erscheint, so wäre das eine bedauerliche Vernach lässigung unserer günstigen Position gegenüber dem Rußland von heute. Der Zar steht momentan natürlich völlig unter dem Drucke seiner Polizei, und wenn das Attentat auf Plehwe nicht eine so willkommene Handhabe zur Einschüchterung Nikolaus' böte, so würde die russische Polizei schon Mittel und Wege finden, den Selbst herrscher aller Reußen in beständiger Angst und Sorge zu erhalten. Derselbe Nikolaus, welcher einst mit seiner jugendschönen Gattin durch die Straßen Petersburgs wandelte, der die Rolle Harun al Raschids bei Tage durch zuführen suchte, fällt heute bei der Nachricht vom Attentat in Ohnmacht — tempora mutantur! Selbstverständ lich entdeckt die stets diensteifrige Polizei zur rechten Zeit eine Liste der „Konskribierten", an deren Spitze der Zar figuriert — wenn die Dynamitarden geglaubt haben, daß mit Schreckensakten im heiligen Rußland etwas zu Gunsten des konstitutionellen Regimes zu erreichen sei, so sollte ihnen das Verhalten des Zaren Beweis genug sein, ihre Hoffnungen zu begraben, zumal nach Plchwcs schreck lichem Ende. Seltsamerweise begegnet man in den Spalten der deutschen Presse eine Art Genugtuung darüber, daß nach dem neuen deutsch-russischen Abkommen die Differenzierung der auf dem See- und Landwege ein geführten Ware hinsichtlich der Zollsätze unterbleiben soll. Das als einen Erfolg unserer Unterhändler zu bezeichnen, heißt vergessen, daß es bisher eine bodenlose Unverfroren heit Rußlands war, diesen Unterschied, der offenkundig gegen unseren Export gemünzt war, in der Zollgesetz gebung aufrecht zu erhalten. In der Beseitigung dieses Paragraphen einen besonderen deutschen Erfolg zu sehen, heißt also ebenso unwissend als kurzsichtig in Handels- politischen Dingen sein. Auf dem o st asiatischen Kriegsschauplätze will der russische Lorbeer noch immer nicht grünen, und der russische Telegraph mußte sich zu dem Zugeständnis bequemen, daß die Japaner tatsächlich Niutschwang de- etztcn und somit eine Position einnahmen, die gerade jetzt dem Generalissimus Kuropatkin doppelt unangenehm sein muß, denn der neueste Vorstoß der Japaner hat seine größte Bedeutung nicht etwa nach der mili tärischen, sondern nach der moralischen Seite hin. Der Erfolg der Japaner, das Attentat in Peters burg, die angebliche große Verschwörung in Finland — das sind Daten für den russischen Chronisten, daß er von einer schwarzen Woche, nicht nur von einem ckies ater reden kann. Dazu kommt noch die Dardanellen, frage, die anscheinend schon jetzt in ein akutes Stadium getreten ist. Von einer Initiative kraftvoller Art in dieser Frage ist bei der hohen Pforte keine Rede mehr; denn der Minister des Aeußcrn Tew-fik Pascha bat reichlich bescheiden, die Mächte möchten sich über die Frage einigen. Die Pforte werde dann die Wünsche der Mächte erfüllen. Ein Meisterstück der berühmten tür kischen Vcrschlcppungspolitik; denn man weiß eben am Goldenen Horn sehr genau, daß sich die Mächte eben nie über die Dardanellenfrage einigen werden. Die türkische Diplomatie wird also auch künftighin getrost im Schatten europäischer Uneinigkeit ihr Unkraut wachsen lassen und dem ganzen Europa ein Schnippchen schlagen. Eine kraftvolle Sprache gegenüber ähnlicher Lcisetre- terei täte augenblicklich auch in Paris gegenüber den vat i- konischen Aspirationen not. Herr Combes hat so lange mit dem Abbruch der gesamten Beziehungen zum Vatikan gedroht, so viel blinde Schüsse sind abgcfeuert, aber noch immer hat man den ersten scharfen Schlag ge- scheut. Der Bischof von Dijon aber ist einstweilen zu löb- licher Unterwerfung nach Rom gereist, was Herrn Combes besonders schmerzlich sein muß. König Eduard benutzt seinen Aufenthalt in Marienbad dazu, mit Kaiser Franz Josef zusammen zu treffen, was eine naturgemäße Fortsetzung der von Eng- land in den Jahren des gegenwärtigen Königtums in- augurierten Politik bedeutet. Die herzlichen Beziehungen zu Frankreich, die offenkundig betonte Entente in Kiel, die Höflichkeit in Marienbad — fast sollte einen: un behaglich werden, zumal wenn man bedenkt, daß König Eduard alles andere als unser Freund und Gönner ist. Aber die prinzlichcn Gefühle haben sich selbstverständlich überlebt, wenn Eduard König wird — wie das schon Shakespeare wußte. In Südwestafrika herrscht noch immer die alte Ungewißheit, denn alle Mitteilungen über unsere Vor bereitungen bedeuten auch heute noch immer nichts an- deres als Nachrichten von unserer Unfertigkeit zum ent scheidenden Schlage. Am übelsten von Europa« Völkern werden die Portugiesen unsere Expedition verspüren: sie müssen nunmehr, wohl oder übel, ihre Grenze in Süd angola bewachen. Am wehleidigsten wird dabei dem Herrn Finanzminister in Lissabon zu Mute sein, der dak Programm ausgestellt hat, die Gelder Europas zwar einzustreichen, aber nicht autzugeben, besonder» nicht, wenn es sich um ein paar Rebellen am Kunene und um den aUeruLo quackracko handelt. Einen bemerkenswerten Schritt finanzieller Natur be- deutet für Preußen die Verstaatlichung der „H i b e r n i a". Sie soll nach dem Urteil Unbefangener den ersten Schritt auf dem neuen Wege gegen die Ver trustung der Kohlenproduktion bedeuten — man darf mit Recht auf den Kommentar gefaßt sein, mit welchem die preußische Negierung diese jüngste finanzpolitische Maß nahme begleiten wird. Var Vttini-Mrntat. Die „Deutsche Rundschau" veröffentlicht in ihrem Augusthefte neue Abschnitte aus den Memoiren des früheren österreichisch-ungarischen Botschafters in Paris, Grafen I. A. v. Hübner. Die Monate Januar, Februar und März des Jahres 1858 umfassend, verbreiten oiese Aufzeichnungen oes angesehenen Diplo- maten insbesondere neues Licht über die Wirkungen und Folgen ües Orsini-Attentates. Man erinnert sich, daß am 14. Januar in der Rue Lepeüetier, unweit der Auffahrt zur Oper, jener Anschlag auf das Leben des französischen Kaiserpaares gemacht worden ist. Weder der Kaiser noch die Kaiserin kamen nennenswert zu Schaden, sonst aber fielen dem Bombcnattentat etwa 142 Tote und Verwundete zum Opfer. Auf die lebendige Schilderung, die Graf Hübner von dem Attentat selbst entwirft, kann hier nur hingcwicsen werden. Dagegen soll auf Grund der eingehenden Tagebnchaufzeichnungen des Grafen die persönliche Stellungnahme Napoleons III. und Eugenies gegenüber dem Attentat und dem Attentäter in den nachfolgenden Zeilen geschildert werden; auch eine zuver lässige Mitteilung, die Graf Hübner erst im Jahre 1892 erfuhr, wird dabei verwertet. Bekanntlich begab sich das Kaiserpaar sofort nach dem Attentat in seine Loge. Jemand, der dem Kaiser bis zur Loge gefolgt war, hat dem Grafen Hübner mitgetcilt, daß Napoleon in diesem Augenblicke ganz ent- mutigt zu sein schien, während Eugenie eine be- wundernswllrdige Unerschrockenheit und Ruhe bewahrte. Fehlte cs dem Kaiser an physischem Mut? Hübner glaubt das nicht, erklärt sich vielmehr Napoleons Schwäche Wit den: Unistande, daß die Orsini-Bomben dem Kaiser urplötzlich in Erinnerung riefen, daß seine früheren Mitbrüder ihm nicht eher verzeihen würden, bis er, der Renegat, in den Schaß der Sekte zurück gekehrt. Eugenie hat am 16. Januar beim Empfange des diplomatischen Korps mit Lebhaftigkeit und einer gewissen Koketterie die Einzelheiten des Attentates er- zählt; sie genoß auf kindliche Weise ihren Triumph als Heldin und war gehobener Stimmung. Erscheint dies nach ihrem Charakter begreiflich genug, so wird es doch Befremden Hervorrufen, wenn man von einem so gut unterrichteten Gewährsmanns wie Graf Hübner cs ist, die seltsame Kunde vernimmt, daß Kaiserin Eugenie für den Mörder in Glacehand schuhen sich sehr bald „begeisterte". Mochten immerhin die russischen und die polnischen Damen, die im Saale des Geschworenengerichts der Seine sich dicht zusammendrängten, in den schönen Italiener vernarrt sein: daß sogar das Ziel seines An- schlages von ähnlichen Empfindungen beherrscht wurde, ist beinahe unglaublich. ^Dcr Kaiserin", schreibt Hiibncr unter dem 28. Februar, „ist gänzlich der Kopf verdreht, sie verbringt ihre Zeit mit Weinen und ruft die Milde ihres Gemahles an, um da-? Leben dieses Elenden zu retten." — „Es ist kein Geheimnis mehr, daß die Kaiserin Himmel und Erde in Bewegung seht, um Orsini zu retten", schreibt Hübner am 2. März. Und auf den Minister des Auswärtigen Walewski sich berufend, der Hübner erzählt hatte, daß Eugenie „wie verhext war", berichtet der österreichische DotsHaftcr: „Sic (Eugenie) beschwor ihren Mann, Orsini zu begnadigen, und man hattealle Mühe der Welt, sie zu verhindern, ihn in der Concicr- gerie aufzusuchen." Auch Napoleon, so verzeichnet Hübner am 13. März, dem Tage der Hinrichtung Orsinis, schien zur Be gnadigung entschlossen. Nach langen Debatten im Ge- Heimen Rate, als keine Hoffnung bestand, den Kaiser von seinem Entschlüsse abzubringen, machte Fould dem Widerstande Napoleons dadurch ein Ende, daß er ihm sagte: „Sire, vergessen Sie nicht, daß eS französisches Blut war, da8 in der Rue Lepelletier geflossen ist!" „ES scheint, daß sich in jetziger Zeit die Begriffe „gut" und „schlecht" vermengen und daß die Logik des Herzens verdunstet^' — sagt angesichts der im Orsini-Prozesse ge machten Erfahrungen Graf Hübner. Man kann ihm dieses Urteil nachsühlen; und besonders wird das Ver halten EugenienS, wenn man schon Napoleons Geneigt- heit für eine Begnadigung Orsinis verstehen kann, merk- würdig anmuten. Deutsches Deich. Berlin, 30. Juli. * Die RordlandSfahrt des Kaisers. In Molde sah der Kaiser am Freitag zur Abendtafel die Admirale und Kommandanten -es 1. Geschwaders und nahm am Sonnabend an der Frllhstückstafel bei Admiral v. Koester teil. Die Abfahrt von Molde erfolgt Montag früh; an Bord ist alles wohl. * Die deutsch «russischen Handelsbeziehungen früherer .'leiten. Rußland hielt bis in dir erste Hälfte der neunziger Jahre an einer grundsätzlich autonomen Handelspolitik fest, und zwar einer ziemlich extremen protektionistischen. Die mäßige Erniedrigung der Zollschranken, welche im mitt- ätzten Jahrhundert« hauptsächlich in Rücksicht auf da» enorm» UÄrrhandnehmr» des Schmuggels cingetreten war, machte aus fiskalischen Gründen alsbald wieder einer ausgesprochenen Hochschutz politik Platz. Dieselbe begann 1876 mit der Anordnung, daß alle Zölle in Goldwährung zu zahlen seien, was ange sichts der in Rußland herrschenden Papierwährung eine Zoll- erböhung um 30 Proz. bedeutete, und endete nach wieder holten Zollerhöhungen mit dem Kampftarif von 1893, den die russische Regierung auf die deutscherseits erfolgten Gegen- maßregeln als letzten Trnmpf ausspielte und der im wesent lichen einer vollständigen Aussperrung der deutschen Pro venienzen gleichkam. Deutschland antwortete mit einer Zoll erhöhung von 50 Proz., und Rußland tat dasselbe. So war der Zollkrieg formell erklärt. Dieser Zustand konnte in An betracht des Umstandes, daß Rußland in vieler Hinsicht auf die deutschen Waren angewiesen war, nicht von langer Dauer sein. Rußland litt unter dem Zollkrieg mehr als wir; ins geheim knüpfte eS in Berlin Unterhandlungen an, und der Erfolg der deutschen Politik war, daß es sich entschloß, nicht nur seine Kampfstellung, sondern überhaupt seine bis dahin hartnäckig festgehaltene autonome Handelspolitik aufzugeben und den Handelsvertrag vom Februar 1894 abzuschließen. Aus bekannten Gründen wurde von landwirtschaftlicher Seite dieser Erfolg der deutschen Politik lebhaft angefochten. Die Durchsetzung des Vertrages im Reichstage stieß auf Wider stand, sie wurde mit 200 gegen 146 Stimmen dadurch er möglicht, daß zu gunsten des Ostens der Identitätsnachweis für Getreide, und zu gunsten des Westens die Staffeltarife für Getreide aufgehoben wurden. * Jur angeblichen JwcikampfSfarderung des Prinzen Prosper von Arcnberg ergreift jetzt auch der „Geforderte" das Wort. Die „Dtsch. Tgsztg." erhält von Herrn Henry Wenden, dem Verfasser des Romans „Tropenkoller", aus Frankfurt a. M. eine Zuschrift, in der er berichtigend mit teilt, daß ihm der im angeblichen Auftrage des Prinzen Prosper von Arenberg geschriebene Brief, der die Zwei- kampfssorderung enthielt, am 15. Juli in Wien durch die Post rekommandiert zugestellt worden sei. Da er sich gegenwärtig auf einer größeren Reise befinde, habe er den Brief seinem Verleger, Herrn Richard Sattler in Braun schweig, übergeben, der ibn jedem Interessenten vorweisen könne? Seine Zuschrift schließt Herr Henry Wenden mit den Worten: „Nach der ganzen Sachlage hatte und habe ich keinerlei Ver anlassung, an der Echtheit des Briefes zu zweifeln, solange nicht Prinz Arcnberg selbst oder ein glaubhafter Vertreter erklärt, daß er mich nicht gefordert habe und ich also düpiert worden sei." Wie verträgt sich denn das aber' mit der Erklärung des Herrn Sattler im „Berl. Tgbl.", daß er sich wundere, von Herrn Wenden in der Angelegenheit keine Nachricht erhalten zu haben. — Die Audienz der Farmer. Nicht in Wilhelmshaven, sondern, wie berichtigt wird, in Wilhelmsh öhe wird der Kaiser die Abordnung der südweslafrikanischen Ansiedler empfangen. — Prinz Joachim Albrecht, der zweite Sohn des Prinz regenten Albrecht, der zur Zeit beim Großen Generalslab Dienste tut, ist von, 4. bis 12. August an Bord des Linienschiffes „Kaiser Friedrich III." kommandiert worden. — Als nationalliberalcr Landtaaskandidat für das durch den Tod des Geheimrats Schultz frei gewordene Mandat in Witten.Gelsenkirchen wird von Witten aus Fabrikbesitzer vr. Schramm in Vorschlag gebracht, während man nach der „Rh.- Westf. Ztg." von Gelsenkirchen aus für den früheren Reichstags abgeordneten Franken eintritt. — Tie in Berlin lebenden Litauer haben dem sozial demokratischen Zentralorgan folgende Zuschrift -gesandt: „Bei dem Königsberger GcheimbundS- und Hochverrats-Prozeß glaubte der Verteidiger Herr RechtSanwalk Schwarz seinen Klienten Kugel durch folgende Erklärung verteidigen zu können: „Kugel ist Litauer. Bon einem Litauer kann man nicht verlangen, daß er in jedem Punkte die Wahrheit sagt. Ja, Herr Staatsanwalt, gerade aus Jyrer Praxis sollten Sie ivissen, daß eS eine Stammeseigen- tümlichkeit der Litauer ist, bisweilen selbst unter ibrcm Eide als Zeugen von der Wahrbcit abzuweichrn." Gegen diele Verallge meinerung des Herrn Rechtsanwalts Schwarz mimen wir Litauer aanz euqchicdcn Protest erheben. Wir müssen es a!S eine grobe Beleidigung von sciten des Herrn Schwarz aussanen, wenn er aus einzelnen speziellen Fällen eine Eigentümlichkeit der ganzen litauischen Nation herlcitet und damit allen Litauern den Ltemvel von Lügnern aufdrückt. Solche ungerechten Aeiißerunge» können bei den Litauern nur Mißtrauen und Haß schüren und idr Vertrauen gegen die Deutschen vollends erschüttern. Die Litauer Berlins." — Das „vollends" läßt tief blicken. * * Barmen, 30. Juli. Von ter Handelkammer wurde in der letzten Sitzung beschlossen, dem Deutschen Flotten verein Material über die Höhe der Beteiligung des Bezirkes an Export und Import über See zur Verfügung zu stellen zur Benutzung für die Propaganda. * Aus Lberschlcsien wird uns geschrieben: Gegen den in Zabrze erst seit einigen Monaten bestehenden Sokolverein wurden hintereinander zwei Prozesse anhängig gemacht. Die Vorstandsmitglieder waren einmal angcklagt, daß sie Versamm lungen abgchaltcn hätten, ohne sie polizeilich anzumclden, und daß, als die Polizei diese nicht angemeldeten Ver sammlungen auflöste, die Anwesenden nicht sofort das Lokal verlaßen hätten. Die Angeklagten behauvtcten, daß dies keine Versammlungen waren, sondern daß sie nur Turn übungen Vvrgenommen hätten und daß sic anderseits auch nicht sofort daS Lokal hätten verlaßen können, da sie für die Turn übungen besonder» gekleidet gewesen wären. Der Gerichtshof ent- schied aber im Sinne der Anklage und verurteilte die Angeklagten je 50 Geldstrafe. — In einem zweiten Prozesse gegen den Vorstand deS Sokolverein», in dem auch die Gattin eines Arztes mit angeklagt war, beantragte der Staatsanwalt wegen lieber- tretung beS BereinSgcsetzeS 30 gegen jeden der Angeklagten. Der Gerichtshof erkannte auf Freisprechung. * Aus Payern. Der Konflikt v. Asch-Heim ist in ganz Bayern noch überall die TageSfrage. Bereits beginnen auch die Gebcrdenspäber sich der Sache zu bemächtigen. Der klerikale „Bayerische Kurier" schreibt heute: Bon unbedingt glaubwürdiger Seite wird uns der Ausspruch einer hochstehenden Persönlichkeit berichtet: Asch kann von Glück sagen, daß der Streich gegen ihn gerade jetzt und von einem Heim geführt wurde. Sonst wäre er heute nicht mehr Minister. DaS Blatt bemerkt hierzu: Da kommt man aber beim Zentrum und vor allem bei den Wählern Vr. Heim« an die Unrechter». Auch Im nächst« Laub-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite