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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.08.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040804024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904080402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904080402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-08
- Tag1904-08-04
- Monat1904-08
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Vas «lictztigrte vom läge. * Eine auf diplomatischem Wege in Berlin gestellte An frage ter russischen Regierung um Erlaubnis für russische yrlegSschisfe zur Durchfahrt durch den Nordostsee kanal ist einer Berliner Korrespondenz zufolge als unver einbar mit der amtlich erklärten deutschen Neutralität ablehnend beantwortet worden. * Bon Hamburg geht am Sonnabend ein neuer Truppentransport in Stärke von 13 Offizieren, 355 Mann und 550 Pferden mit dem Dampfer „Wittekind" tes Norddeutschen Lloyd nach Südwestasrika ab. * Der König der Belgier ist gestern in Stalheim eingetroffen. Eine Begegnung mit Kaiser Wilhelm kommt also nicht mehr :n Frage. * Im englischen Unterhause wurde gestern die Reso lution betr. Gewährung einer Subvention an die Cunard-Linie gegen die Stimmen der Liberalen ange nommen. (S. Großbrit.) * In Soeul mußte nach einer Meldung des „Newyork Herald" das Standrecht proklamiert werden infolge oes UeberfallS einer aus Gensan erwarteten japanischen Zeldpost durch russenfreundliche Koreaner. vei neue Miebach fall. Die Presse aller Parteien beschäftigt sich immer intensiver mit unserm Artikel „Herr v. Mirbach vor dem Reichs- acrickt". Während eine große Anzahl von Blättern, wie sie „T. Rundschau", „Münch. N. Nachr.", „Post", „Ger mania", „Bresl. Ztg.", „Ostsee-Ztg.", „Bohemia" u. a. sich noch des eignen Urteils enthalten und sich entweder mit der Wiedergabe unsrer Mitteilungen begnügen oder aber „weitere stlärung abwarten" wollen, meint die „Frkf. Ztg ": Freiherr v. Mirbach wird nicht umhin können, sich darüber zu äußern, ob er wirklich die Erwirkung der StandeSerhöhung im Zu- 'ammenhang mit diesem Prozeß zugesagt hat. Dafür würden dann wohl nicht einmal „seine Vereine" eine Bertrauenserklärung riskiren. Aehnliche Auffassung verrät auch die „Köln. Ztg.", wenn ne schreibt: Wir können wohl annehmen, daß der in einer hohen Hofstellung zurzeit noch befindliche Frhr. v. Mirbach umgehend Schritte tut, um sich von dem Verdacht zu reinigen, er habe zur Erledigung einer Eivilsache dem Prozeßgegner die Verschaffung einer Standes- erböhung für die Braut desselben zugesagt. Die „Boss. Ztg." urteilt: Tie Angelegenheit erscheint uns so ungeheuerlich, daß wir an nehmen, das Leipziger Blatt sei trotz des ihm vorliegenden Materials arg mystifiziert worden, wenngleich wir anerkennen müssen, daß es bei allen seinen Veröffentlichungen vorsichtig zu vriisen und zu wägen pflegt. Das letztere ist auch in diesem Falle von uns geschehen. Wir haben in dem betr. Artikel nicht mehr behauptet, als wir jtterzeil vertreten können, und möchten zum Ueberfluß nur noä> hinzufügen, daß eine Mystifikation absolut aus 98. Jahrgang. Donnerstag den 4. August 1904. geschlossen ist. Zutreffend beurteilt diesmal die „Deutsche Tagesztg." den Sachverhalt, wenn sie schreibt: Jminerhin ist der Prozeßbericht, man mag noch so vorsichtig urteilen, geeignet, den peinlichen Eindruck, den die, Angelegenheit des Herrn Oberhofmeisters bisher schon gemacht hat, noch wesentlich zu verstärken. Die von unS bereits kurz nach telephonischer Uebermittlung erwähnte Auslassung des Berliner „L.-A." zu dieser Sache liegt unS nunmehr im Druck und vollständig vor. Sie lautet in ihrem ersten Teile: Der Prozeß an sich hat für die Oeffentlichkeit gar kein Inter- esse; worauf eS für diese ankommt, das ist die Bezichtigung des Freiherrn von Mirbach. Wie liegt nun die Sache? Auf der einen Seite steht ein Prinz, über dessen Aufenthaltsort der Gothaische Hofkalender mit .... quittiert; und der den ihm zugeschobenen Eid über seine Aussage nicht geleistet hat; auf der anderen neben dem Oberhofmeister der Kaiserin, Freiherrn v. Mirbach, der Generalmajor v. Hoiningen und Staatsminister Heutig. Die Angelegenheit bedarf jedenfalls noch sehr viel eingehenderer Klärungen, ehe man zu einem Urteil berechtigt ist. Im übrigen sei in Kürze eine Aufhellung der sehr verwickelten prozessualischen Lage von der angegriffenen Seite zu erwarten. Der „B. L.-A." macht hier ein Manöver. Er möchte den Frhrn. v. Mirbach dadurch stützen, daß er seinem Prozeß gegner „vorwirft", er habe nach dem „Gothaischen Hof kalender" keinen ständigen Wohnsitz. Wir wissen nicht, was das gegen die Glaubwürdigkeit eines Mannes beweisen soll, aber der „B. L.-A." rechnet auf die Wirkung von dunklen Andeutungen. Aber nun kommt das Iongleurkunst- stück. Der Prozeß an sich hat nach dem Blatte kein Interesse. Gut. Was will es dann heißen, daß auf der Seite des Frhrn. v. Mirbach auch em Generalmajor und ein Staatsminister stehen? Gar nichts. Denn von diesen Herren hat der Prinz nicht im geringsten etwas behauptet, was mit Erwirkung einer StandeS erhöhung im Zusammenhang steht. Wenn man eine klare Sachlage verwirren will, muß man doch schon etwas geschickter zu Werke gehen. Ueber die Sache selbst macht dem „L.-A." dann sein dl.-Mitarbeiter, der jedenfalls als das Sprachrohr des Herrn v. Mirbach anzusehen ist, nach An gaben „von durchaus kompetenter Serie" noch einige Mit teilungen, die von unS bereits kurz erwähnt sind und in folgendem gipfeln: Vor etwa 15 Jabren, im Jahre 1890, wurde durch Allerhöchste Kabinetsorder eine Pflegschaft über die drei jungen Prinzen Wittgen stein eingesetzt. Dies geschah, um die Prinzen vor ihrem eigenen Vater vermögensrechtlich sicherzustellen. Dieser, Alexander Fürst von Sayn - Wittgenstein, verzichtete auf den Fürstentitel; er trägt seitdem den Namen eines Grafen v. Hachenburg. Wie noch stets, so führten auch hier unselige Familien-Angelegenheiten zu zerrütteten Vermögens-Verhältnissen, und die drei jungen Prinzen waren in die traurigste Lage gekommen. Mit den Gläubigern sind ununterbrochen Prozesse anhängig gemacht worden und noch jetzt zu führen, bei denen die Pflegschaft nach Kräften und mit Erfolg sich bemühte, das Vermögen zu retten. Diese Tätigkeit drr Pfleger hat jedoch die Prinzen nicht gehindert, ihrerseits gegen die Mitglieder der Pflegschaft wiederholentlich Prozesse zu führen, deren letzter noch vor dem Reichsgericht schwebt. Zur Führung dieser Prozesse wurden die jungen Herren von ihren Gläubigern und sogar von ihrem Vater bestimmt. Dies zur Beleuchtung des Milieus, in welchem der oben geschilderte Vorgang sich abgespielt hat. Was diesen selbst betrifft, so ist eS als absolt unwahr zu bezeichnen, daß Freiherr von Mirbach irgend eine Zusage für eine StandeSerhöhung der damalige» Braut des Prinzen, die aus bürgerlichem Stande war, gegeben hat, und zwar aus dem Anlaß, daß der Prinz auf die ihm von der Pflegschaft geschuldete Abrechnung seines Vermögens verzichte. Die Verbindung der beiden jungen Leute ist übrigens nicht zustande gekommen, und der Prinz ist noch unvermählt. Wenn gesagt wird, die Dame hätte „zu einer Prinzessin" gemacht werden sollen, so ist dies dahin zu verstehen, daß sie nach der Vermählung mit dem Prinzen als dessen ebenbürtige Gattin und in diesen Siune als „Prinzessin hätte anerkannt werden solle». Auf den inneren Widerspruch zwischen dem absolut un gestützten Dementi des Blattes und seiner eigenen Aus sage im letzten Satze haben wir schon in unserem heutigen Morgenblatte hingewresen. O Ueber das fürstliche Geschlecht Sayn-Wittgen- stein-Sayn dürften noch folgende Notizen von Interesse sein: Der Vater des jetzt im Streite mit Frh. v. Mirbach liegenden Fürst Friedrich ist der am 14. Juli 1847 in Paris geborene Fürst Alexander. Derselbe vermahlte sich am 14. Juni 1870 mit Marie Auguste Dvonne Gräfin BlacaS d'AulpS, einer Enkelin jenes starren Legitimisten Grafen BlacaS, der 1792 in der Emigrantenarmee gegen Frankreich kämvfte, dann unter Ludwig XVIll. Haus minister wurde und später als Gesandter mit dem Papst daS berüchtigteKonkordat abschloß. Graf BlacaS folgte im Jahre 1830 dem vertriebenen Karl X. ins Ausland und starb 1839 auf Schloß Kirchberg in Niederösterreich, wo er mit dem be kannten Herzog von Angoulsme zusammen lebte. AuS der Ehe des Fürsten Alexander Sayn-Wittgenstein-Sayn mit der Gräfin BlacaS d'AulpS entsprossen drei Söhne, näm lich 1) Fürst Stanislaus, geb. 23. September 1872, 2) Prinz Friedrich, geb. 23. November 1875 (das ist der jetzt im Mirbach-Falle genannte) und 3) Prinz Gustav Alexander, geb. 4. Oktober 1880. Nach dem am 21. Ok tober 1881 erfolgten Tode der Mutter vermählte sich der Vater im Jahre 1883 mit Helene von KrülikowSka. Er trat damals das Saynsche Fideikommiß seinem Sohne Stanislaus ab, verzichtete auf die Rechte des hohen Adels und erhielt den Namen eines Grafen von Hachenburg, nach einer gleichnamigen, dem Geschlechte der Sayn-Wittgen- stein gehörigen Besitzung. Chef des Astes Sayn-Äittgenstein- Sayn und Ludwig-CarlSburg ist somit jetzt der genannte Fürst Stanislaus. politische Lagerrchau. * Leipzig, 4. August. Die Verschwörung gegen das Reichstagswahlrecht. Die Behauptungen des „Vorwärts" über Abmachungen der politischen Parteien unter der Aegide der Reichsregierung über Acnderung des Reichstagswahlrechts finden nunmehr nochmals eine Zurückweisung durch die „Nat.-lib. Corresp.", soweit es sich um die behauptete Teilnahme der National- tiberalen an den „Zettelungen" handelt. Die Correspondenz schreibt: Wir könnten uns diesen Hirngespinsten des „Vorwärts" gegenüber mit der Wiederholung unserer gestrigen Erklärung begnügen, wenn nicht auch das Organ des Abg. v. Gerlach, die „Berliner Ztg.", den Behauptungen des „Vorwärts" sich mit dunklen Andeutungen auf eine Teilnahme der national liberalen Partei an dem vermeintlichen Attentat auf das Reichstagswahlrecht angeschloffen hätte. Die Frage, wie die Nationalliberalen über letzteres denken, hätte sich die „Berl. Ztg." übrigens nach der erst wenige Monate zurückliegenden Angelegenheit des Abg. Menk sparen und sich die Antwort selbst geben können. — Wenn der „Vorwärts" im allge meinen von „Parteiführern" spricht und dadurch auch die national liberale Partei etnschließt, so müssen wir diese Unterstellung eines versuchten Attentats gegen das Reichstagswahlrecht seitens der nationalliberalen Partei mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Auch wen» eS überflüssig erscheinen sollte, so ist es doch wertvoll, daß hier auch bezüglich des Reichstagswahl rechts eine klare Stellungnahme erfolgt ist. Die „Genoffen" als Sportsmen. Ein Schlaglicht auf die sozialdemokratische Organi sation, welche jede Art des auch von der Arbeiterwelt be triebenen eifrigen Sports in den Dienst der sozialdemo kratischen Parteiorganisation stellt, wirft eine langatmige Annonce im „Vorwärts"; sie ist anscheinend aus Rivali tät gegen einen anderen Arbeiter-Radfahrcr-Vcrein her- vorgegangen, der sich nicht völlig dem Willen des sozial- demokratischen Vereins beugen will. Letzterer heißt „Solidarität" und beziffert die Anzahl seiner Mitglieder auf 21 000. Ungemein interessant sind die Aufnahme- Bedingungen oder eigentlich Beitritts-Belohnungen. Es heißt m der Beitritts-Aufforderung: „Das Einschreibegeld beträgt 75 Pfg., hierfür wird das Bundcsabzeichen geliehen, monatlicher Beitrag für männliche Mitglieder 35 Pfg., für weibliche Mitglieder 25 Pfg Dafür bieten wir resp. der Bund folgendes: 1. Unentgeltliche Lie- ferung unseres Buudesorgans „Ter Arbeiter-Radfahrer". 2. Bei Radunfällcn, wo Erwerbsunfähigkeit eintritr, im eriten Fahre der Mitgliedschaft pro Woche 6 -/t, im zweiten Jahre 7,50 »L, darüber 9 .//. 3. Zollfreie Grenzüberschrcitungen nach dem Auslände. 4. Kostenlosen Rechtsschutz. Weiterhin kann den Mitgliedern aus der Vcrcinskaffe gewährt werden: Bei sonntäglichen Ausfahrten den avbeitsloscu Mitgliedern nach halbjähriger Mitgliedschaft 2 </l, resp. bei halber Tages tour 1 c/k, Befreiung von Beiträgen nach vicrwöchcntlichcr Arbeitslosigkeit nsw. Tas Untcrstützungswcscn wird nach dem Wachstum des Vereins auch weiter ausgebildet werden." Solche weitgehende Unterstützungen an arbeitslose Mitglieder, Zuschüsse zu den Vergnügungs touren usw. kann doch nur ein Verein in Aussicht stellen und wirklich erfüllen, welcher erhebliche Hülfen von anderer Seite erhält. Wenn der sozialdemokratische Arbeiter-Radfahrer-Bund „Solidarität" allein schon 21 000 Mitglieder aufweist, so ergibt sich daraus der Be weis, wie der durchaus nicht wohlfeile Radfahrsport in der Arbeiterwelt verbreitet ist und mit welckwm Vorbehalt die unaufhörlichen, aufhebenden Tiraden des „Vorwärts" über die jammervolle, menschenunwürdige Lebenshaltung der Arbeiterwelt aufzunebmcn sind. — Das Inserat des „Vorwärts" gibt schließlich auch beachtenswerte Be lehrung darüber, wie die sozialdemokratische Organi sation eine fliegende Armee von hülfsbereiten Kräften, von „Schleppern" bei Wahlen, durch seine Vcrgniigungs- und Sportvereine vorzubereiten versteht. Eine Armee von Tausenden von Radfahrern, die jeden Säumigen schnellstens zur Wahlurne l>erüeiholt öder andere für die Wahlagitation und am Wahltage selbst unerläßliche Dienste auszuführen sich im stände sieht, ist wahrlich kein gering zu veranschlagender Wahlapparat. Feuilleton. Der Fall Lelotli. Roman von Woldemar Urban. Nachdruck verboten. „Wenn Sie fertig sind", fuhr Herr Lejeune dann ruhig fort, „so möchte ich Ihnen zunächst zu Ihrem besten sagen, daß ich der Masscverwalter von Belotti L Lo. in Marseille bin und daß ich sofort Ihre Verhaftung bei der Staatsanwaltschaft wegen Verdachts der Hinter ziehung beantragen werde, wenn sie mir über Ihre Ge- 'chästc mit Herrn Belotti nicht klaren Wein einschenken." Ueber das graue faltige Gesicht des Herrn Hip fuhr em jäher Schreck. Das Wort Staatsanwaltschaft machte auf ibn einen verheerenden Eindruck. Wenn seine Ge schälte im Großen Ganzen nicht für die Augen von jeder mann waren, so waren sie gewiß am allerletzten für die Augen eines Staatsanwalts gemacht. „Sie sind Mcütre Lejeune aus Marseille?" fragte er. In diesem Augenblick erschien der Kürbis in der Türe, vielleicht in der Annahme, daß er bei der Hinaus- besördcrung des unangenehmen Besuches seine Dienste offerieren müsse. Kaum hatte ihn aber Herr Hip entdeckt, so warf er eine zufällig neben ihm liegende Kneifzange mit solcher Wut und Wucht nach ihm, daß er sofort wie der verschwand. „Ter Kerl wird alle Tage dümmer", murmelte er ärgerlich für sich hin und nach diesem kleinen Intermezzo wandte er sich wieder geschäftsmäßig kaltblütig zu seinem Besucher und fuhr fort: „Es tut mir leid. Sie nicht gleich erkannt zu haben. Herr Lejeune .Hätten Sie sofort Ihren Namen gesagt. — „So hätten wir uns wohl nie gesehen." Mag sein. Aber nun weiter. Was wollen Lie wissen? Meine Geschäfte mit Herrn Belotti sind der art, daß sie weder Ihr Auge noch das Auge des Staats anwalts zu scheuen haben." „Na, na!" „Sie sind tatsächlich derart, wie sie überall und jeder zeit am helllichten Tage und in offenen Börsensälen ab geschlossen werden." „Wann war Herr Belotti hier?" „Donnerstag Nacht." „Am letzten Donnerstag erst? Also vor vier Tagen?" -Ja. „Und in der Nacht? Machen Sie denn auch in der Nacht Geschäfte?" „Er hatte mir vorher geschrieben. Ich erwartete ihn. Er sagte mir dann, es passe ihm nicht anders mit der Zeit. Er kam mit dem letzten Zug und fuhr mit dem ersten wieder fort." „Gut. Sic haben ihm also Panama-Aktien geliefert?" Herr Hiv sah ihn überrascht an. Woher konnte der Advokat es wissen? fragte er sich. Von solchen Geschäften pflegten seine Kunden sonst nicht zu Unberufenen zu sprechen. „Wer sagt das?" entgegnete Herr Hip vorsichtig. „Bitte! fnbr Herr Lejeune scharf und streng da- zwischen. Wenn Sie wünschen, Herr Hip, mit mir glatt nnd rasch auseinander zu kommen, so antworten Sie auf meine Fragen nicht mit einer Gegenfrage. Ich kann so was nicht leiden." „Also fragen Sie in Teufels Namen." „Wieviel haben Sie geliefert?" „Zweihnndertdreißig Stück." „Zu welchem Preis?" „Siebentausend Francs." „Siebentausend Francs! Aber Sie wissen dock, —." „Ich habe seiner Zeit das Dreifache bezahlt, Herr Lejeune, und " „Aber Sic wissen doch, daß sie gar nichts wert sind." „Sagen Sic das nicht, Herr Lejeune. Die Aktien können in sechs Monaten oder in einem Jahr wieder das Zehnfache kosten. Was heißt wert sein oder nicht wert sein? Herr Belotti hat die Aktien gekauft und ich habe sie geliefert. Fertig! Wenn ich dabei mein Geld ver spielt habe — wen geht das etwas an? Ich beklage mich nicht. Ich habe sie nicht gekauft, um daran zu verlieren, sondern ich war damals der Ueberzeugung, daß die Papiere unbedingt wieder steigen müßten. Ich glaubte damit ein Geschäft machen zu können. Gut. Ich habe mich geirrt. Bis heute sind sie noch nicht wieder ge stiegen und ick» habe meinen Irrtum mit ca. vierzehn tausend Francs bezahlt. Wen geht das etwas an? Das will aber alles nicht heißen, daß sie nicht doch noch einmal steigen können." Herr Lejeune war gewiß ein kluger Mann und ein gerissener Advokat, der in Konkurssachen wohl erfahren war. Aber auf der Höhe eines alten Wucherers, wie Herr Hip war, stand er doch noch nicht, denn sonst hätte er wissen müssen, daß solche wertlose „Wertpapiere" in ver- schwiegenen Kanälen häufig und in großen Mafien von Hand zu Hand gehen, bis sie schließlich zur Verschleierung einer Bilanz, oder in irgend einem Konkurs wieder als verfehlte Spekulation zu Ehren kommen. Herr Hip hatte sehr recht. Es gab in dieser Beziehung nichts absolut Wertloses. Es fand früher oder später alles wieder eine Verwendung. Daß Herr Hip das Dreifache für die Pa- Viere bezahlt haben wollte, beruhte vielleicht auf einem kleinen Sprechfehler. Er wollte wohl sagen, das „Drit tel", aber da das Herrn Lejeune nicht interessierte, so forschte er auch nicht danach. „Sie werden die wertlosen Papiere wieder für sieben tausend Francs zurückzunehmen haben, Herr Hip", fuhr der Advokat fort. „Das glaube ich nicht, Herr Lejeune", erwiderte der Alte. „Abgeschlossene Händel gelten. Das wissen Sie doch ebenso gut wie ich " „Sie wollen nicht?" „Nein. Ich würde es auf einen Prozeß ankommen lassen " „Nun, davon später. Einstweilen sind wir fertig, Herr Hip." Damit nahm Herr Lejeune von dem würdigen Ge schäftsfreund des Herrn Belotti Abschied und dampfte nach Marseille zurück. IX. Als Herr Lejeune wieder in Marseille eintraf, stand die Sonne schon sehr tief. Er war mit dem Resultat seines Ausfluges nach Toulon im ganzen nicht unzufrie den. Er hatte sestgestellt, daß Belotti die Panama-Aktien angekaust hatte, um seine Bilanz zu verschleiern, um große Abgänge aus seinem und anderer Vermögen auf eine Weise zu erklären, die den Tatsachen nicht entsprach, mit anderen Worten: Herr Leseune glaubte seinen Ver dacht. daß Belotti seine Gläubiger habe hinters Licht führen wollen, bestätigt gefunden zu haben. Daraus schloß nun der Advokat weiter, daß Belotti große Verwögensstückc beiseite geschasst habe, um seine Gläu biger zu schädigen. Herr Lejeune hielt es an der Zeit, sich nun auch nach Belotti selbst umzusehen und bei der Staatsamvaltschaft auf Verfolgung und Vcrhastbefehl gegen den Defraudanten zu dringen. Das war er seinen Klienten und vor allen Dingen auch dem Gang des Pro zeffes schuldig. Herr Belotti mußte herbeigeschafft wer den, so oder so, um über den Verbleib der Depositen und Barmittel Rechenschaft zu geben. Da svieltc der Zufall sei» sonderbares Spiel und warf die klugen nnd findigen Calculs des Herrn Leseune wie der über den Haufen. Als er vom Bahnhof kommend in den Abendstunden an Kai Voltaire vorüber fahren wollte nach seinem Bureau, sperrte eine ungeheure Menschen menge seinen Weg, die sich schreiend und gestikulierend um eine kleine Gruppe am Kai, ganz in der Nähe des Hakens, drängte. „Was ist gesck»ehen?" fragte der Rechtsanwalt unge duldig den Kutscher. „Man hat einen Ertrunkenen aus dem Hasenwasser
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