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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 15.06.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-06-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070615022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907061502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907061502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-06
- Tag1907-06-15
- Monat1907-06
- Jahr1907
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Umgebung die 6grspaltene Petitzeile 25 Pf„ finanzielle Au- zeigen 30 Pf^ Reklamen 75Pf.; von auswärts 30 Pf., Reklamen 1 M.z vom Ausland 50 Pi., sinanz. Anzeigen 75 Ps^ Reklamen 1.50 M. Inserate v.Behörden im amtlichen Teil 40Pf Beilagegebübr 5 M. p. Tausend exkl. Post gebühr. Geschäftsanzeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tarif. Fefierteilte Aufträge können nicht zurück gezogen werden. Für das Erscheinen an bestimmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen - Annahme: Augustusplatz 8. bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Expeditionen des Ja- und Auslandes. Haupt-Filiale Berlin. EarlDnnck e r.Herzgl.Bayr.Hofbuchhandlg.. Lützowstraße 10 (Tel. VI, 4603). Nr. 164 Sonnabend 15. Juni 1907. 101. Jahrssang. Das Neueste vom Lage. (Die nach Schluß der Redaktion eiugegangenen Depeschen stehen auf der 3. Seite des HauptblatteSJ Tie Urifis in Nutzland. Aus guter Quelle wird dem Petersburger Korrespondenten der „Basischen Zeitung" mitgeteilt, nach 6 Uhr habe sich im Elaginpalast, wo Stolypin jetzt wobnt, der Ministerrat ver lammest. Stolypin selber sei nach Peterhof zum Zaren hin- deschieden. Die Sitzung werde unter dem Vorsitz Kokowzews fortgesetzt. An der Sitzung nahmen teil der Stadthauptmann und die Chefs der in Petersburg stehenden Truppen. Aus der Umgegend sollen das Preobrashenski- und das Leib dragoner-Regiment nach Petersburg beordert sein. Im Falle der Auflösung soll in Petersburg der Kriegszustand verkündet werden. Zum Ober befehlshaber wird General Sarubajew ernannt werden. (Derjenige General, hinter dem sich vor einem halben Iabre ein Großfürst versteckte, als er dir Rache der Nihilisten fürchtete.) — Dem „B. L.-A." zufolge muß die von der Duma gewählte Kommission von 22 Mitgliedern auf den Antrag <ÄolypinS die Entscheidung innerhalb von 24 Stunden fällen. Lte Friedenskonferenz. .Petit Parisien" veröffentlicht eine Unterredung seines Mitarbeiters mit dem französischen Vertreter für die Haager Friedenskonferenz, Lvon Bourgeois. Dieser erklärte, das Publikum brauche keine allzugroßr Unruhe und Pessimismus an den Tag zu legen, denn es gebe noch andere, wichtigere Fragen, als die der Einschränkung der Rüstungen, zu beraten. Die Arbeiten der Konferenz würden nicht theoretischer Natur sein, sondern praktische Resultate zeitigen. — Der Haager Korrespondent der „Frkf. Ztg." sprach gestern den zweiten amerikanischen Delegierten und früheren Botschafter Horace Porter, der mit bezug auf die Abrüstung sagte, Amerika mit feinen 60 000 Soldaten habe es gar nicht nötig, abzurusten. — Wünscht aber, daß andere es tun. — Von morgen ab erscheint im Haag täglich während der Dauer der Friedens konferenz ein von dem bekannten Friedensfreund Stead herauszegebenes Blatt zur Förderung der Friedeusidee. — „Echo de Paris" erfährt, daß sich Frankreich auf der Haager Konferenz nicht direkt im Sinne des Schutzes des Privat eigentum« im Seekriege auSzusprecken gewillt sei, da es die Freiheit seiner Aktion nicht beeinträchtigen wolle. Tic Murer-Bewegung. Aus Narbvune wird gemeldet, daß die Einberufung der Reservisten des 25. Infanterieregiments, die auf den 25. dss. anberaumt worden war, auf ministerielle Einordnung hin ver schoben worden ist. — Marcellin Albert, der Führer der Winzerbewegung, telegraphierte an die Bürgermeister der be teiligten Städte: „Wir haben keine Befehle vom Minister präsidenten entgegenzunebmen. Ich ersuche Sie, sich hiernach ru richten." — In Paris gehen die wildesten Gerüchte um. Man spricht von einer bevorstehenden Verhaftung Alberts. Andere fürchten ein Pronunciamcnto der Monarchisten. Tas Beto des Oberhauses. Campbell Bannerman bat im Unterhaus deu Wortlaut deS Entwurfs über das Vetorecht deS Oberhauses, der am 21. d. M. beraten werden soll, verteilen lassen. — Amtlich wird bekannt gegeben, daß die vom Premierminister in der Sitzung des Unterhauses vom ll. d. M. für den 24. d. M. angekündigte Regierungsresolution über das Oberhaus be sagen wird: um dem Willen des Volkes, wie er durch dessen gewählte Vertreter ausgedrückt worven sei, Wirksamkeit zu geben, sei es notwendig, daß die Befugnisse des Oberhauses, die vom Unterhause beschlossenen Gesetzesvorlagen abzuändern oder zurückzuweisen, gesetzlich so beschränkt werden, daß inner halb der Dauer desselben Parlamentes die Schlußentscheidung des Unterbautes obsiegen soll. — Damit wäre die bisherige Verfassung Englands von Grund aus umgestürzt. politischer. Am. Reform der Kolontalgesellschafl. Wir baben vor kurzem zwei Artikel über die Verhältnisse in der Deutschen Kolonialgesellschaft gebracht. Im ersten dieser Artikel wurde an der Gesellschaft eine überaus scharfe Kritik geübt — der andere suchte diese abzuschwächen, bestritt aber ebenfalls nicht, daß Reformen in der Arbeit der Gesellschaft notwendig seien. Mit Recht wurde gesagt, man solle nicht nur kritisieren, sondern auch positive Reformvorschläge machen. In diesem Sinn schreibt jetzt „Der deutsche Bote": Unter solchen Resormvorschläzen möchten wir beute einen der besonderen Beachtung den an der Vor bereitung arbeitenden Kreisen empfehlen, nämlich den, die arbeitShemmenve Institution des geschäftsführenden Vize präsidenten zu ersetzen durch einen besoldeten Geschäftsführer, auf deutsch „Generalsekretär", der sich ausschließlich mit aller Kraft diesem Amte zu widmen hat. Wir brauchen uns bei der Begründung dieses Vorschlags nicht lange aufzuhalten. Es liegt auf der Hand, daß eine energische, tatkräftige, arbeitsfreudige Persönlichkeit auf diesem Posten die ganze Wirksamkeit der Kolonialgesellschaft auf «in anderes Niveau heben und beflügeln könnte. So dankens wert die Mitwirkung alter Diener des Staates, — seien es nun ausgediente Offiziere oder Diplomaten oder Hobe Beamte der Zivilverwaltung — in den nationalen Vereinigungen ist, so wenig zuträglich ist. es diesen Organisationen doch, wenn die eigentliche Geschäftsführung in der Hanv von Persön lichkeiten liegt, die nicht mehr über die volle, ungeschwächte Arbeitssrischc verfügen. Hut ab vor jedem grauen Haupt — aber darüber nichr vergessen, daß es auch für Ehrenämter eine Altersgrenze gibt!! Man ist in der Kolonialgesellschaft gerade bei der Vor bereitung durchgreifender Satzungsänderungen: da sollte man ganze Arbeit machen und den Instanzenweg zwischen dem Präsidenten und den ausführenden Organen ablürzen, sollte vor allen Dingen die Einrichtung des geschäfts führenden Vizepräsidenten beseitigen uns die ganze Haupt arbeit in die Haud eines Generalsekretärs bezw. besoldeten Geschäftsführers legen. K.p. Zur Kriegsakademie in Berlin sind durch Ver fügung des Chefs des GcneralstabeS der Armee 133 Ober leutnants und Leutnants für den am 1. Oktober 1907 be ginnenden neuen dreijährigen Ausbildungskursus kommandiert worden. Von diesen Offizieren gehören an: der Infanterie 89, der Kavallerie 1l, der Feldartillerie 20, der Fußartillerie 4, dem Pionier- und IngenicurkorpS 8, der Marine-Infanterie I. Unter dem Kommandierten sind 13 Gardisten, 7 Sachsen und 5 Württemberger. Nächst der Garde stellt das X. (han noversche) Korps die meisten Kriegsakademiker (8), während von einzelnen Truppenteilen das 3. Garde-Regiment z. F. mit 4, das Infanterie-Regiment von Courbisre (in Görlitz) mit 3 zum Herbst neu kommandierten Offizieren an der Spitze der Liste stehen. Ll. z». MoltkeS klagesachc. Den bisher aus der Um gebung des Kaisers entfernten Militär« und Diplomaten sind verschiedentlich in der Presse Verteidiger entstanden. Vor allem hat man versucht, den Grasen Kuno Moltke al« ein unschuldiges Opfer der Verhältnisse hinzustellen. Wie die „Mil.-pol. Korrespondenz" mitteilk, ist eS allerdings richtig, daß Graf Moltke eigene Verfehlungen delikater Art energisch bestreitet und hierin auch durchaus Glauben findet; er hat jedoch, als ihm unumstößliche Tatsachen aus dem Leben anderer schwer kompromittierter Hosherren und ihre Zugeständnisse entgegen gehalten wurden, erklären muffen, daß er „von dem Treiben dieser seiner intimen Freunde gewußt und in der Behandlung ihrer persönlichen Angelegenheiten unvorsichtig und zu gutmütig gewesen sei". Auf die aus drücklich übernommene Verpflichtung gegen seine Angreifer im Klazewege vorzugehen, ist dann die Verabschiedung des Grafen Moltke in der konventionellen Form erfolgt. Mit dieser Tatsache entfällt natürlich auch die Mythe, es sei von hoher Stelle ber ein Druck auf das Niederschlagen des kommenden höfischen Monstreprvzeffes auSgeübt worden. Gerade am maßgebenden Orte will man volle und ganze Klarheit. Ob freilich die Privatklage des Grafen Moltke einen besseren Erfolg haben wird, als seine Versuche, die Staatsanwaltschaft für seinen Fall zu interessieren, scheint schon deshalb fraglich, weil mehrere Rechtsanwälte die Ver tretung des ehemaligen Kommandanten von Berlin als aus sichtslos abgelehnt haben, ehe Iustizrat von Gordon seine juristische Vertretung übernahm. — Bedenkt man, daß Harden letzt bestreitet, von wirklichen Verfehlungen jener Hofherren geschrieben zu ha^en, Graf Moltke aber nach dieser Nachricht von solchen Verfehlungen gewußt hat, so wird eine Klage Moltke gegen Harden immer weniger aussichtsreich. * Konservativer Tclegicrtcntag. Ein konservativer Dele giertentag findet, wie die „Kreuzzeitung" meldet, am Mitt woch, ll. Dezember, im Architektenhause in Berlin statt. Die Tagesordnung ist jedoch noch nicht festgesetzt. * Preussische Landtagswahl. Auf Anordnung des Ministers des Innern soll nach der „Neuen politischen Corre- spondenz" vom König!. Statistischen Landesamt mit mög lichster Beschleunigung eine besondere Bearbeitung der Land- tagswahlen vom Jahre 1903 vorgenommen werden. — Optimisten werden hieran vielleicht die Hoffnung knüpfen, es bandle sich um die Vorbereitung einer Landtagswahlresorm in Preußen. * Gedenktage Die Jahre 1906 und 1907 sind für Deutschland und speziell Preußen reich an traurigen Hundert- jahrseiern, unter denen die des 14. Oktober 1906 (Jena) und 14. Juni 1907 (Friedland) fast die traurigsten sind. Es gibt aber auch stolze ErinnerungStage vieler Zeit. So begeht am 13. und 14. Juli d. I. die Stadl Cosel in Oberschlesien die hundertjährige Gedenkfeier ihrer helden mütigen und ruhmvollen Verteidigung im Jahre 1807. Vor allem wird sie dem Gedächtnis des heldenmütigen Ver teidigers der Festung Cosel Generalmajors David v. Neu mann und des Oberstleutnant v. Wostronski gellen. Der Magistrat der Skadt Cosel versendet soeben Einladungen zu dieser Feier an Ehrengäste. * * Professor LabandS Gutachten. Professor Laband- Straßburg übermittelte der luxemburgischen Regierung ein vorläufiges Gutachten über die Thronfolgefrage, durch das dem Graten Merenberg alle Ansprüche auf deu luxemburgischen Thron abgesprochen werden. Wenn Laband eine andere Ansicht hätte, wäre das Gutachten natürlich nicht be stellt gewesen. Laband ist der Ansicht, daß der Graf von Merenberg nicht Agnat des nassauischen Hauses ist; auch sei er auf Grund der Erb-Einigung von 1783 nickt suk- zcssionSfähig nnd habe deshalb keinen Anspruch auf den Thron und das HcmSsiveikommißgut. Eine Thronbesteigung des Grafen von Merenberg widerspräche ferner der Wiener Kon- areßakte und dem Londoner Vertrage von 1867. Professor Laband kommt zu dem Schluß, daß einer Dynastie Merenberg in Luxemburg die völkerrecktlicke Anerkennung ermangele, und es sei fraglich, ob alle Mächte sich herbeilassen würden, sie zu erteilen und mit Luxemburg in diplomatischen Verkebr zu treten. Schließlich widerspricht aber auch das neue Erb folgegesetz den älteren Bestimmungen. Es ist nicht einzusehen, weshalb das Ebenbürtigkeitsprinzip beiliger sein soll als das salische Gesetz, das doch bisher in Luxemburg gegolten bat. * Die österreichischen Sozialisten. Der sozialistische Ver band, welcher 87 Mitglieder zählt, hielt gestern den ganzen Tag über Beratungen ab und ernannte einen zwölfgliedrigen Vorstand. Der Verband teilt sich in fünf Nationalitäten gruppen: Deutsche, Tschechen, Polen, Ruthenen und Italiener, er beansprucht eine Vizepräsidentenstelle im Ab geordnetenhaus und stellt hierfür Pernerstorffer auf. * Englischer Ordensregen. Der König verlieb dem Groz- herzvg von Oldenburg und dem Landgrafen von Hessen da» Großkreuz des Viktoriaordens. — Der König bat dem deutschen Generalfeldmarschall von Hahnke das Großkreuz des Viktoriaordens und den anderen deutschen Offizieren den Viktoriaorden in verschiedenen Klassen verliehen. Mr. Taft schwer erkrankt! Aus St. Paul de Minnesota wird gemeldet: Der hier weilende Kriegssekrelär Taft ist plötzlich schwer ertrankt. Sein Zustand ist kritisch. Man glaubt, daß eine Ptomainvergiftung vorliegt. Leichengift.« — Taft ist bekanntlich Roosevelts Kandidat für die nackste Präsidentenwahl. Wir halten gerade vor wenigen Tagen austührlichcr über ihn geschrieben. Sein Tod würde viel leicht seinen Gönner doch nock zu einer neuen eigenen Kandidatur bestimmen, so ernst auch Roosevelts Bedenken zweifellos sind. Feuilleton. Alleriväris klagk der Mensch Niatur und Schicksal an. und sein Schicksal ist doch in e der Regel nur Nüchklancz seines Charakters, seiner Leidenschaften, Fehler und Schwächen. Karl Julius Weber (Demokritos). Lin rrsnianerfolg. Bon Paul Wicglcr (Berlin). Georg Hermanns Berliner Roman „I ettchcn Geber t" hat nun wobl das zehnte Tausend hinter sich. Und ich glaube, daß cs immer noch Zeit ist, das liebenswerte, versonnene und versponnene Buch, das man berlinische . Buddenbrooks" oder eine jüdische „Maria Grubbc" nennen konnte, zu empschlen. Hier hat es feinen Modeerfolg gehabt durch die zarten Töne» seines BiedermeicrsiKorits. Indes, darüber hinaus besitzt cs die Andacht und die warme Lebcns- füllc aufrichtigster epischer Kunst. Und still wird cs sich, wenn es seltener „gefragt" wird, stille Freunde hinzu erwerben. Denn Jahre bat cs gebraucht, Jahre des Schwei gens, Jahre der Sammlung. Bereits sieben sind verflossen, feit ich in Jakobowskis entschlafener „Gesellschaft" die frühe ren Novcllenbände dieses Autors angezeigt habe. Sein erster Roman, die „Spiclki'nder", war ein Aufschrei aus Jugenddrang, doch ein unfertige« Buch. Sein zweiter Roman ist fertig, ist das Werk eines Könners. Und da er der Tagesarbeit abgetroht wird, ist er in seinen besten Par tien das, was sich der männliche Held, der in das jüdische 'räulein Gebert unglücklich verliebte Literat Kößling aus Braunschweig, für seine Sachen wünscht: geheimnisreich, stark, innig, verträumt. Georg Hermanns Art strebt in die Breite. Das ist aus die trübe Resignation der Entwicklungszeit gefolgt. Dickens hat sein zögerndes Tempo wohl noch zögernder gemacht, und er selbst vergleicht sich mit einem Scidenwurm oder einer Hausfrau, die keine Reste in ihrer Wirtschaft duldet. JnS Berlin von 1839 wandte er seinen Erzählerblick. Aus der Gegenwart der Riesenstadt und ihrer Vororte, die er wie kein anderer kennt, wanderte er in den Bereich der Alcris nnd Hesekiel und Fontanes, des größten unter ihnen. Er schildert die Vergangenheit des Berliner Bürgertums, da» königstSdtische Viertel, die Königstrahc, die Spandauer Straße, die Neue Friedrichstraße, die Burgstraßc. Ihn! reizte es, versunkene Bauten wieder erstehen zu lassen, der- schlosscne Zimmer wieder zu öffnen. Und wegen dieser be wußten Färbung hat sich etliches von der Manier des archi- varischcn Romans cingeschlichen. Aus hundert Details, die von Zeitungen, Bildern und Kupfern jener Tage herrühren, ist ein gewissenhaftes Mosaik zusammengesetzt. Ueberall drängen die Kuriositäten sich auf. Doch immerhin gewahrt man selten die Nähte der Entstehung. Selten sind Fälle wie die zu Anfang, wo der Onkel Eli, der gute, altmodische Patriarch der Familie Gebert, mit „weißte" oder „hörst du", den Leser mit dein Schwibbogen eines Hauses oder mit der Singuhr der Parochialkirche expreß bekannt zu machen hat. Es überwiegt die Leichtigkeit der reproduktiven Stilkennt nis. In wenigen Seiten komponiert Hermann daS Bild der Zeit, in der man die „Elegante Welt" und den „Gesell schafter" verfolgte, Hegels Roman im Munde führte und die Hcnochschcn Droschken, die Svntag, die Taglioni, die Elßler, die Dagucrrotypic oder die neuen Hyazinthensclder in der Fruchtstraßc Gesprächsgegcnstand waren. Dieses Mosaik gewinnt Seele, weil ein für artistische Delikatesse in hohem Grade empfänglicher Mensch hier die Gelegenheit benutzt, seinen persönlichsten Neigungen sich hinzugcbcn. Er bat die Gravüren von Hosmann studiert, der nicht bloß den Volks komiker Glaßbrenncr, sondern auch den tiefen E. T. A. Hofs mann verbildlichte, und er weiß ein kolossales, pocken narbiges Berliner Fischweib so nachzumalen, daß es mit dem ganzen kaustischen Witz der alten, vergilbten Blätter uns ansicht. Und der Gourmet der jüdischen Familie, der Onkel Jason Gebert, der Hagestolz, der zwischen Kößling nnd seiner Nichte Jettckcn eine Zeitlang vermittelt, preist schon einen Unbekannten, einen Zwerg, einen kapriziösen Künstler, den man ihm auf der Straße gewiesen hat: Er beiße Menzel und verkehre beim Tapctenhäntler Arnold." Wenn Georg Hermann in Jasons Amatenrfiube geleitet, dann singt er auf alle die bcrrlichcn Porzcllanstücke der beiden Mahagoniservanten ein Gedicht. Wie sein umfängt dieses Buch uns mit der Stimmung eines jeglichen Raumes, in dem seiner Menschen Schicksale sich abspielen. Da sind Treppe und Flur im Hause Salomon Gebert, woselbst Jett- chen ausgewachsen ist, mit Reliefs, weißen Gardinen uud gesticktem Klingelzug. Da ist Jettchens Zimmer, in das der Nußbaum winkt, mit Balsamincn, Betthimmel, weißen Stühlen und dem blanken Glas des Schauschrankes. Da ist die blaue Stube mit dem silbernen Mäander des Simses, den blitzenden, roten Gläsern, der Sinumbralampc und den Obsttöpfcn unter dem blauen Sofa. Ta ist das Zimmer beim Patriarchen Eli nnd bei Tante Minckcn, seiner runz ligen Hälfte, mit bronzcbeschlagcncm Tisch auf krmnmcn Füßen, barocken Porzellangruppen nnd goldenen Stuhl lehnen. lind die Menschen werden hin und wieder zu bloßer Staffage. Es ist charakteristisch, daß bisher kaum von der Hand lung die Rede zu sein brauchte, oder daß cs möglich war, in einem Satze nebenbei sic anzudeuten Rasch ist dieser ver vollständigt. Nämlich Jettchen Gebert, die mit Kößling im > grünen Eharlottenburg, in der Sommerfrische, Stunden weltvergessenen Glücks genießt, beiratet, als Opfer der An gehörigen, einen häßlichen Cousin, den Lederhändler Julius Jacoby aus Benschen bei Posen. Das läßt Hermann elegisch ausklingcn: mit einer jüdischen Familicnhochzeit, der Jctt- chcn schaudernd entläuft. Und je mehr ihr nicht durchaus notwendiges Unglück über sic kommt, desto voller wird des Verfassers Teilnahme, der zuerst noch etwas kalt ist, Jctt- chcn als Farbenstich im Polisandcrrahmen hinzaubert und mit einem Bförnsonschen Nadjchlag direkter Charakteristik ausruft: „O was war sic schön!" Eine Liebe, die uns das Herz abdrückt, wird diese Liebe erst im zweiten Teil des Bandes: als Jettchen, von den Küssen des fernen Kößling noch trunken, in wehrloser Schwäche hinauswankt in die Frühlingsnacht: und unmittelbar vor Jettchens Vermäh lung, als sic den Geliebten noch einmal trifft und sie in sinnlichem Taumel sich umarmen. Für ihr Ungemach findet Georg .Hermann das lyrische Gleichnis von den zwei weißen Faltern, die vor Jettchens Augen einander verlieren. Er dehnt das Gleichnis zum Thema aus, und es büßt seinen Duft ein: denn öfters stellt er das Verhängnis daraus, daß Kößling der Christ ist, Jettchen die Jüdin, oder Kößling der Hauslehrer und Schriftsteller, Jettchen das Bürgermädchcn. „Es muß doch nicht alles Literat sein", wäre mit Jasons Worten gegen diese Kontrasticrungen im Geschmack des älteren Schriftsicllerromans einzuwcndcn. Und Kößlings blasse, typische Haltung schadet dem Eindruck dieser Figur, die Hermann als einen trotzigen Jüngling mit graublauen Augen, als einen Träumer, der in Berlin noch der Er innerung an seine Braunschweiger Heimat nachhäugt, dann zu individualisieren versucht hat. Einer der positivsten Werte des Romans ist der Genre humor, der jede Seite von neuem durchdringt. Als ob sie gegen- wärtig wäre, prägt die betnlicyc Umgebung dieses melancho lischen Paares sich ein: Salomon Gebert, der Händler in seidener Weste, und Tante Rickchen, die unaufhörlich sich zanken und nnaushörlich, zwischen Schlummerrollen und Fenstcrkissen, sich vertragen: der Onkel Eli, der die Mürbe- nrcken liebt, und Tante Minchen, die beiden Kakadus: oder Naphtali Jacoby aus Benschen, das Haupt der plebejischen Sippe, der die vornehmeren Geberts erliegen, und gegen den Salomon mit den Worten sich verwahrt: „Gott behüte vor kleinen Städten!" In solchen Zügen, die er zu einer Studie über den Niedergang des alten, kultivierten Berliner Juden tums erweitern wollte, ist Hermann echt. Tic Debatten der Familie über die Hochzeitsgeschcnkc oder die Zeremonie selbst und den Hochzcitsschmaus gibt er mit einem meisterlichen Chronistensinn wieder. Und aus einer SonntagSgescllschaft im Familienkreis, in der Pfeisenkrautlaube, bei Weißbier und Schnittlnchen, macht er ein ironisches Spießeridyll, das würdig gewesen wäre, als Menzclscke Gouache fortzu leben. Auch die Tragik läßt der Verfasser blitzschnell aus diesem Familicngcnre cmporschlagen, in der Gestalt des hinkenden Jason, des Epikuräers, dem er durch eine Kriegs anekdote historischen Untergrund gegeben hat, und in der I Gestalt eines halben Knaben, Wolfgang Gebert, der inner lich verzweifelt ist und lange wach liegt, als eines Nachts Jettchen ihn stürmisch geliebkost Hai. Tas Beglückcndstc ist noch zu nennen: Hermanns Nann- lyrik, die schon in seinen Skizzen ein Wunder war. Ein bißchen Preziosität mischt sich ein, Klänge aus Jacobsen, dem in „Jettchen Gebert" zweierlei entlehnt ist, die Frau, die in den losen Blumenblättern wühlt, und das plötzlich heile Zimmer. „Solch ein Obstgarten war das!" könnte auch Jacobsens weicher Süßigkeit entstammen. Aber wie groß ist Hermanns Vorrat an eigenen Tönen! Leuchtend blühen und quellen die Naturmotive der Jahreszeiten, vom Früh ling in den Spätsrühling, vom Sommer in den Hockiommer und Herbst. „Und es kam, wie cs kommen mußte." Das slutet wie Musik, in vielen Variationen. Und ein Letztes: Hermanns individuelle Note, die Trauer um die Gefangen schaft des einzelnen in seinen Gedanken und Empfindungen, ist nicht ganz verschwunden. „Da ist Politik", heißt cs in. dem Buche, „und Gesamtheit und Dimtung und LevcnSaus- gabc und Lcbensbedeutung und Nahrung uud Sorgen und Ringen und tiefere Ovalen, und plötzlich kommt ein Wirbel wind über uns, und all das ist anseinandcrgeblascn, als ob es nie dagewcscn wäre, uns nie gedrückt und uns nieder füllt hätte." Auch in nächtlichen Gesprächen zwischen Jason und Kößling bat Hermann diese vorchronistischcn Betrach tungen laut werden lassen, zu denen sein Inneres ihn trieb. Vielleicht, daß eine solche Nachdenklichkeit nnd Trauer den Poeten macht, daß sic es ist, die vom Routinier auf ewig ihn unterscheidet. * Theobald Aeriler. Man schreibt uns aus Stuttgart' Zu Weinsberg im berühmten Kernerbause, in dem einst viele Dichter, Philosophen, Politiker und Machthaber als Freunde und Gasch Fusiinus Kerners verkebrten, begebt heute der erblindete Arzt und Dichter Theobald Kerner seinen neunzigsten Geburtstag. Der greise Poet, der noch mit Uhlaud, Gustav Schwab und David Friedrich Strauß Insreundet war und als eine ehrwürdige Gestalt aus der alten Glanzperiode der schwäbischen Literatur ins moderne Leben hineinragt. ist seit einiger Zeit von schlimmen körperlichen Besanverden beimqesucht; sein Geist ist ober noch immer frisch nnd rüstig. Kerners Lieder (erste Sammlung 1843, letzte 1903) haben in einem, wenn auch nicht großen, so doch erlesenen Kreist Anerkennung gesunden: be sonders wertvoll nnd beliebt sind die Gaben, dst ec zum Gedächtnis seines Vaters gespendet hat, nämlich die Prosaschriften „Das Kernerhaus und seine Gäste" nnd „Iustinns KernerS Briefwechsel mit seinen Freunden". Dem väterlichen Hause ist er ein treuer Hüter und Psteger gewesen; er hat es zu einem reichen Museum von Kerner-Erinnervngen, Kunstsckätzcn, Antiquitäten und Raritäten anSgestaltet. Bis in seine alten Tage zeichnete fick Theobald durch köstlichen Humor aus. Noch vor wenigen Jabrcn schilderte er in übermütiger Laune poetisch seine kräftige Abwehr deS ihn be suchenden Todes: Schon streckte er nach mir die Hand, Da sprang ich aus dem Bett behend: - ,.Du Himmekderrgottsackerment!" Rief ich und warf ihn an die Wand, ' „Bei mir geht deine Macht zu Lndk"
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