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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.08.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-08-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960825020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896082502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896082502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-08
- Tag1896-08-25
- Monat1896-08
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Auö der großen Zahl der uns vorliegenden Auslassungen seien hier einige wiedergegeben. Die „National-Ztg."schreibt: „Mit dieser Erklärung ist geschehen, was wir vor einigen Tagen behufs möglichster Beruhigungder öffentlichen Meinung empfahlen... Daß die obwaltenden Schwierigkeiten mehr umfassen, als die Frage der Reform des Militairstrasvcrfabreus, bleibt eine Tbatsache; aber als eine Bürgschaft für die Berhütung demnächstiger neuer Krisen wird die obige Erklärung des „Reicksanzeigers" dennoch angesehen werden, und man wird sie deshalb in weiten Kreisen mit Genugthuung auf nehmen, wenngleich der in Aussicht gestellte Entwurf sich erst wird beurtheilen lassen, wenn man seinen Wortlaut kennt." Nach der Ansicht der „Köln. Ztg." schneidet die kurze, bündige und im Gegensatz zu der letzten Aeußernng des amt lichen Blattes sachliche und unzweideutige Erklärung einer Erörterung den Faden ab, die sich nachgerade zu einem Rattenkönig von mehr oder weniger müßigen Betrachtungen auszuwachsen drohte: ... „Sie kommt noch eben zur rechten Zeit, um die lebhaften Beunruhigungen zu zer streuen, die sich in weiten Kreisen des Boltes infolge der end losen Krisengerüchte geltend machten und die sich schließlich dazu verstiegen, an der Aufrichtigkeit des Versprechens zu zweifeln und an dem Wort zu deuteln, das Fürst Hohenlohe den Volksvertretern gegeben hatte. Nunmehr zerfällt auch die Unterstellung, daß es der Wille des Kaisers sei, au dem die so vielfach begehrte Reform der Militairstrafproceß- ordnung zu scheitern drohte; die Erklärung des „ReichS-An- zeigerS" verbürgt vielmehr, daß an allen maßgebenden Stellen die Absicht besteht, eine Verständigung mit der Volksvertretung zu suchen. Auch deshalb begrüßen wir diese Kundgebung des „Reichs-Anzeigers" mit aufrichtigerGenugthuung, weil in ihr die autoritative Form wiedergefunden ist, die in der Thal ge eignet ist, „Mißverständnisse und Mißdeutungen zu klären", eine Form, die der vielbesprochenen Auslassung über den Rücktritt deS Kriegsministers gänzlich abging." Die „Magd. Ztg." bemerkt: „Diese Erklärung des amtlichen Blattes wird mit großer Genugthuung erfüllen, denn sie entzieht den Krisengerüchten, soweit sie sich auf die Stellung des Fürsten Hohenlohe beziehen, den Boden." Die „Weser-Ztg." hält daS Ende der sNegierungSkrisiS für gekommen, indem sie ausführt: „Diese Erklärung wird mit großer Genugthuung ausgenommen werden, denn sie entzieht den Krisengerüchten, soweit sie sich auf den Posten deö Reichskanzlers beziehen, den Boden. Damit ist diese leidige Frage zu voller Zufriedenheit geglättet und die böse Aussicht auf eine Krisis, auf ein Zerwürfniß zwischen dem Kaiser und dem Reichstage beseitigt. Nach dieser loyalen Erklärung, die allen Patrioten mit Ausnahme der ConflictShetzer Freude machen wird, ist kein Zweifel, daß im Herbst eine Vorlage kommen wird, die in das Militairgerichtswesen die unerläßlichen Reformen (Oeffentlichkeit, ständige Gerichte rc.) einführt." Die „Voss. Ztg." urtheilt u. a.: „Die Erklärung des „ReichSanz." wird den Eindruck Hervorrufen, daß sich die Stellung des Fürsten Hohenlohe und der Regierung wieder befestigt habe. Daß die Vermuthung, diese Stellung sei nicht nur erschüttert, sondern unhaltbar geworden, gerade vor dem Zareubesuchc von Nachtheil für das Reich sein müsse, haben wir wiederholt bervorgchoben. Wie sich die Dinge nach dem Zarenbesuche weiter entwickeln werden, bleibt ab zuwarten. Noch scheint eS nicht, daß die Gegner des Ministeriums Hohenlohe triumphiren sollen." DaS „Ber liner Tageblatt" nimmt als sicher an, „daß nach dieser allerhöchsten Genehmigung der Vorlegung deS Entwurfs einer Militairstrafproceßordnung für den Reichskanzler augen blicklich keine Veranlassung vorliegt, seine Entlassung zu fordern — falls er sich mit einer derartigen Absicht über haupt getragen haben sollte. Mit dem Verbleiben deS Reichs kanzlers auf seinem schweren, vcrantwortungsreichen Posten ist aber unserer gegenwärtigen Negierungskrisis die beun ruhigende Spitze abgebrochen." Die „B er l. N. N." sagen: „Ob der Entwurf, von dem Fürst Hohenlohe am 18. Mai sprach, mit dem Entwurf identisch ist, den der „Reichs- Anzeiger" jetzt ankündigt, muß gleichfalls dahingestellt bleiben, im Uebrigen glauben wir keinem Widerspruch zu begegnen, wenn wir hinzufügen, daß die kaiserliche Entschließung nicht etwa unter dem Druck der durch den Rücktritt des Generals von Bronsart hervorgerufenen Erregung erfolgt ist, sondern daß Fürst Hohenlohe Wilhelmshöhe bereits mit einer be stimmten Zusage verlassen hatte. Deö Weiteren ist mit der obigen Mittheilung aber zugleich in officiellster Form zuge standen, daß der Rücktritt deö Generals von Bronsart mit der Frage des Militair-Slrasprocesses nicht in Zusammen hang steht, da die Absichten LeS Generals schwerlich weiter gingen, als in der Erklärung deS Reichskanzlers vom 18. Mai beabsichtigt und angedcutel wurde. Es ist vielmehr nun auch amtlich festgeslellt, daß die Ursachen auf einem anderen Gebiete liegen." Die „Tägliche Rundschau" nennt die Meldung des „Reichs-Anzeigers" erfreulich und fügt hinzu: „Wenn der „Reichs-Anzeiger" sich zu dieser Er klärung schon vor vierzehn Tagen aufgerafsl hätte, wäre viel unnütze Erregung erspart geblieben." Der „Vorwärts" constatirt lakonisch: „Hohenlohe hat vorläufig gesiegt." „Kreuzztg." und „Nordd. Allg. Ztg." hüllen sich vor der Hand in Schweigen. Nun hat Li-Huuit-Tschang seine europäische Tournv be endet, er hat England verlassen und die Rückreise nach Peking angetreten. Mit ihm sind alle Hoffnungen, die sich an seinen Besuch in London knüpften, geschwunden. Es siebt fest, daß er England verlassen hat, ohne auch nur einen Auf trag an die englische Industrie ertheilt zu haben, aber nicht, weil er beabsichtigte, die eines anderen Landes zu bevorzugen — England Hal ihm gewiß die billigsten Angebote ge macht — sondern, weil er thatsächlich leine Ermächtigung zu irgend einem Auftrage hatte, und dies wieder weil eS mit den in Aussicht gestellten großartigen Reformen in China höchst windig aussiebt, weil man namentlich, was die militairische Reorganisation anlangt, sich noch viel, sehr viel Zeit nehmen wird. Zn dieser Beziehung scheinen Waffeufabrikanten und Schiffbauer bisher zu sanguinisch ge wesen zu sein, vielleicht hoffnungsvoller, als Li selbst, der besser als sie die Schwäche seiner eigenen Position und die geringe Aussicht seiner Nesormpläne kennt. Noch kurz vor seiner Abreise hat er Klarheit darüber geschaffen und sich in einer Weise über die viel erhofften Reformen geäußert, die eS ziemlich sicher erscheinen läßt, daß sie nicht ausgefübrt werden. Aber auch Li bat England, wie Europa überhaupt, enttäuscht verlassen. Mit seinen An- leiheprojecten hat er überall verschlossene Thüren gesunden und in Bezug auf die Verdoppelung der chinesischen Ein gangszölle hat er bestimmte Zusagen nirgends erhalten können. Von Cabinet zu Cabinet ist er mit der aus weichenden Antwort geschickt worden, daß vie Erhöhung der vertragsmäßig sestgestellten Zölle sich nur ermöglichen lasse, wenn alle Vertragsstaaten darüber einig seien und in London hat er dann erfahren müssen, daß ge rade die am chinesischen Handel am stärksten betheiligte Macht sich so gut wie ablehnend verhalt. Lord Salisbury lebnte eS zwar keineswegs ab, mit Li über die Erhöhung der Ein gangszölle zu discutiren, aber sie als eine Forderung der Gerechtigkeit zu betrachten, konnte er sich nicht entschließen. Jedenfalls wollte Salisbury nicht, ohne die Meinung der Handelskammern von Hongkong und Shanghai über diese Angelegenheit erfahren zu haben, einen definitiven Bescheid ertheilen. Die Ansicht dieser Kammern, die in einem Schreiben an den englischen Gesandten in Peking zum Aus druck gebracht ist, geht nun dahin, daß man die Erhöhung der Einfuhrzölle von 5 auf 8 Prvcent vom Werth zugesteben könne, wenn China sich bereit erklärte, von den derart be lasteten Waaren weder die Likin- noch irgend eine andere Abgabe zu erheben. Der Handel wird nach der Denkschrift der beiden Handelskammern durch die ungesetzliche Erhebung innerer Abgaben und durch die Unmöglichkeit, sich dagegen zu schützen, so gehindert, daß jedes Arrangement, welches die Beseitigung der Likin- und sonstigen inneren Abgaben enthält, als Gewinn zu betrachten wäre. Nun hat aber Li auf das Bestimmteste erklärt, daß es ihm unmöglich sein werde, die Abschaffung der Likinabgabcn durchzusetzen. So lange er das nicht vermag, sind alle Versprechen des Exvicekönigs, die Absatzgebiete in China durch Eröffnung aller Häfen zu ver mehren, werthlos. Li's Stellung kann durch das gänzliche FiaSco seiner Mission eine bedenkliche Erschütterung erfahren, denn ohne die Erhöhung der Seezölle, der einzigen sicheren Einnahme des Reiches sind die Mittel Chinas nach Ab tragung der Kriegsschuld an Japan völlig erschöpft. Fast sollte man sich beim Durchmustern der neuesten Madrider Situationsdepeschen zu der Schlußfolgerung ge drängt wähnen, daß Spanien am Vorabend schwerer innerer wie äußerer Verwickelungen stehe. Im ganzen Lande werden Vorsichtsmaßregeln gegen anarchistische Um triebe getroffen, zu der kubanischen Wetterwolke bat sich am auswärtigen Horizonte auf einmal noch eine zweite, die Philippinen bedrohende gesellt. Dazu die beinahe apodiktische Gewißheit, daß mit dem Ausgange der amerikanischen Präsidentschafts- wahlcampagne, gleichviel welche Partei als Sieger aus dem Kampfe hervorgeht, in die Politik der Vereinigten Staaten gegen Spanien ein schärferer Zug kommen werde; so ergiebt sich ein Gesanimtbild, welches auch starknervige spanische Staatsmänner mit einer gewissen Unruhe wegen der Zukunst zu erfüllen geeignet ist. Denn die Schwierig keiten wachsen, wie es den» Anschein gewinnt, schneller, als die Mittel und Kräfte des Staates, ihrer Herr zu werden. Noch könnte sich Alles zum Guten wenden, wenn es der Madrider Regierung gelänge, dem cubanischen Aufstande einen Hauptschlag zu versetzen, ehe Ereignisse ein treten, an deren beschleunigter Herbeiführung von verschiedenen Seiten mit Hochdruck gearbeitet wird. Deshalb bietet die Regierung denn auch Alles auf, die Entsendung der Truppennachschübe ohne Zeitverlust zu bewerkstelligen, selbst auf die Gefahr bin, das Mutterland von Truppen mehr zu entblößen, als im Hinblick auf die im Innern sich an kündigenden bedenklichen Symptome rathsam erscheinen möchte. Man rechnet eben auf den stark entwickelten Patriotismus des spanischen Volke- und auf die auch in den revolutionairen Parteien vorhandene Einsicht, daß, wer es ehrlich mit Aufrechterhaltung der colonialen und damit der Weltmachtstelluna Spaniens meint, gerade jetzt, wo die Lage kritischer ist als je zuvor, von einer Schilderhebung gegen das jetzige spanische Regime Abstand nehmen muß, vie gleichbedeutend wäre mit einem Verrath der nationalen Lebensinteressen. Weil dem so ist, lassen sich die regierungs freundlichen Politiker auch nicht au-reden, daß die aus den Provinzen signalisirten Kundgebungen gegen die Einschiffung der für Cuba bestimmten Truppenverstärkungen das Werk kubanischer Emissäre sind; denn der gesunde Sinn des spanischen Volke- würde, so argumentiren sie, sich unter Len obwaltenden Umständen unprovocirt niemals in einer Opposition gegen die auf Behauptung des Colonialbesitzes abzielenden Bestrebungen der Negierung Luft macken. WaS die Philippinen betrifft, so tauchten in gewissen Zwischenräumen schon seit längerer Zeil Andeutungen auf, welche den Japanern Annexionsgelüste unterstellten. Mit welchem Grunde, mag für jetzt noch auf sich beruhen bleiben, indessen giebt das Madrider Telegramm dock Mancherlei zu denken, welches eine „den Philippinen benachbarte Nation" ins Spiel zieht. Daß auf Len Philippinen und in Madrid Verhaftungen vorgenommen sind, daß weitere Verhaftungen bevorstehen und auch die Entsendung von Truppen nach der mehrgenannten Inselgruppe geplant ist, ist jedenfalls ein wichtiges Argument für die Un sicherheit der Lage. Man darf sich nicht länger verhehlen, daß von dem Schicksale der spanischen Kriegführung auf Cuba in den nächsten Monaten nicht nur die künftige Ent scheidung über Liese Insel, sondern über die Gesamnilheit der überseeischen Colonien Spaniens abhängt. Der Zu sammenbruch der spanischen Herrschaft auf Cuba müßte fast unvermeidlich Len Zusammenbruch des Restes der spanischen Colonialherrschaft überhaupt nach sich ziehen, darüber ist man sich in Madrid, und nicht dort allein, vollständig im Klaren. In der kretensischen Frage ist nach Aufgabe des Blockade planes wieder ein Einverständniß unter veu Großmächte», ein schließlich England, erzielt, und fast scheint es, als wenn es der deutschen Diplomatie zugewiesen sei, etwas Erfolgreicheres zu leisten, als es bisher die übrigen Mächte geschaffen haben. Die Pforte bat eingeiehen, daß eS ihr bei der Haltung Griechen lands unmöglich ist, deS Aufstandes auf Kreta und in Make donien selbst Herr zu werden, ohne befürchten zu müssen, daß inzwischen in anderen Theilen des Reiches die Flammen des Aufruhrs auflodern, und hat darum die Intervention der Mächte wenigstens zur Beruhigung Kretas direcl an gerufen, während sie bisher Alles ausgeboten hatte, um eine Einmischung fern zu halten oder wirkungslos zu machen. Alle Mächte nahmen die Mission an. Am Freitag bereits traten, wie gemeldet, die Botschafter in Konstantinopel, nach dem sie Instructionen ihrer Regierungen erhalten batten, sämmtlich in der deutschen Botschaft zusammen; der deutsche Botschafter, Freiherr Saurma v. d. Ieltsch, machte den übrigen Botschaftern Mittheilung vom Inhalte der Be- Frriillrtsn. Sühne. 11j Roman von E. Halden. N-chdnxk «erboten. Zehntes Capitel. Der Reichstag war auseinandergegangen, die Ueber- siedelung der freiberrlichen Familie nach Schloß Wildburg war erfolgt und Melanie sah alle Erwartungen, die sie von dem Aufenthalt auf ihrer entzückenden Besitzung gehegt batte, in Erfüllung geben. Noch nie hatte sich Albrecht so heiter und sorgenlos gezeigt, und Melanie strich ihm lächelnd mit ihren schlanken weißen Fingern die tiefen Falten glatt, welche seine Stirn furchten, und meinte, sie würden doch noch einmal wieder verschwinden und er der alte Albrecht von früher werden, eS bedürfe nur noch eines guten Färbemittels, um die vorzeitig weißen Haare zu verbergen. Ein webmüthigeS Lächeln huschte über die ernsten Miemn LeS Schloßherrn, als er seine schöne Frau anschaute und zärtlich sagte: „Was Dir und Deinem Zauberstabe nicht ge lungen ist, meine Melanie, daS würde keine Macht der Erde zu Stande bringen. Der Ursprung dieser Runen liegt zu tief!" „Ja wohl, in Deinem heständigen Denken und Schaffen, Du böser Mann", schmollte Melanie; „an ein Genießen deS Lebens denkst Du ja nie, für Dich ist e« nur Arbeit. Aber jetzt werde ich mein Recht als Hausherrin geltend machen, ich dulde nicht, daß Du kaum auS Deinem Arbeitszimmer zum Vorschein kommst, Du sollst Dich auSruhen, mit uns fröhlich sein. Sieb Erna an! Wie hat sie sich in letzter Zeit verändert! Sie sieht ganz verklärt auS, so froh und glücklich, all ihr grüblerischer Ernst ist verschwunden. Ob ihr Wildburg so gut gethan hat, oder ob sie doch den jungen Meerheim liebt und eine Vorahnung deS bräutlichen Glückes sie alles Schwere vergessen macht, waS ihr daS Leben bisher geboten Hal?" „Ich glaube, die letztere Annahme entschieden verneinen zu können, denn sie hat mich erst gestern dringend gebeten, mit Gras Konrad Meerheim zu sprechen, um ihn zu bewegen, von allen ferneren Bewerbungen abzustehen." „Wie schade! Ich hatte immer noch Hoffnung für ihn, er liebt Erna so aufrichtig. Und sie gab Dir keinen Grund für ihre Weigerung?" .Keinen. Sie wurde zwar sehr verlegen und bat mich, nicht weiter in sie zu dringen. Ich gab ihrem Verlangen nach. Wenn hier eine andere Neigung im Spiel sein sollte, so ist es an Dir, sie mit weiblichem Scharfsinn zu ergründen." „Gegen mich ist Erna nicht minder verschlossen", sagte Melanie sinnend, „und ich wüßte auch nicht, an wen ich denken sollte. Erna geht so wenig in Gesellschaft, sie ent zieht sich ja meist auch der Geselligkeit in unserem Hause, und ohne mich ist sie nirgends hingekommen, wo sie jungen Männern begegnen konnte. Au Huldigungen fehlte eS ihr ja nie, aber sie blieb gegen Alle gleich unempfindlich. Sie wird doch nicht . . ." Hier hielt sie wie erschrocken inne, und als ihr Gemahl sie forschend und fast erschreckt ansah, setzte sie hinzu: „Es ist nichts, mir flog nur ein seltsamer Gedanke durch den Kopf, den ich nicht erst aussprechen möchte. Sei überzeugt, daß ich über Erna Wachen und Dir Alles mittheilen werbe, was ich als gewiß erfahre. Sieh nur, wie fröhlich sie dort mit den Kindern spielt. Welch hübscher Anblick!" Auf einer Rasenfläche deS Parks, unter dem Schatten einer prächtigen Eiche befand sich Erna mit den seiden Kindern; die kleine Edith lief fröhlich um sie herum und ließ sich von ihr Haschen, und der Stammhalter, ein derber, kleiner Bursche, kroch in seinem weißen Kleidchen, das überall den reizenden Kindeskörper sehen ließ, auf dem für ihn auS- gebreiteten Teppich umher, stieß krähende Laute des Wohl gefallens aus und brach in lauten Jubel aus, wenn eS ihm geiang, Tante Erna, die neben ihm saß, mit seinen derben Händchen festzuhalten. Ihre Frisur war dem Spiel bereit» zum Opfer gefallen, und die aufgelösten dunkeln Haare um gaben ihr feines Gesicht, da- jetzt nickt bleich war, sondern blühende Farben und die höchste Fröhlichkeit zeigte. Etwas abseits stand ein eleganter Kinderwagen, daneben ein junge- Mädchen, währenv die alte Kinderfrau auf einem Bänkchen saß und freundlich lächelnd dem Spiele ihrer Pflegebefohlenen zuschaute. Die beiden Gatten traten hinzu und weideten sich an dem hübschen Anblick; Edith ließ sich in ihrem Vergnügen nicht stören, und als der Freiherr sich niederbeugte und seinen Sohn in seinen Armen emporhob, wandte sich dieser von ihm ab und gab durch Strampeln mit Händen und Füßen und lautes Geschrei zu erkennen, daß er zu Tante Erna zurück wollte. „Unsere Kinder verwöhnen unS nicht durch zu große Zärtlichkeit", sagte der Freiherr, „wenn sie Taute Erna haben, wollen sie von un« kaum noch etwa- wissen." „ES ist nur, weil sie mehr an mich gewöhnt sind", meinte Erna verlegen, „Ihr Beide habt so viel zu thun, daß Ihr Euch ihnen nur wenig widmen könnt." „Entschuldige Dich nicht, kleine HerzenSdiebin", scherzte Albrecht, „wir absolviren Dich von jeder unlauteren Absicht." „Wenn die Mutter durch ihre geselligen Pflichten, der Vater durch seine vielen Geschäfte in Anspruch genommen sind, so sollten sie nur zu glücklich sein, wenn ihre Kinder eine Tante Erna haben", sagte Melanie und fügte mit freundlichem Kopfnicken zu der alten Kinderfrau hinzu: „und eine Frau Brandt außerdem." Die alte Frau, die näher getreten war, knixte geschmeichelt. „Ja, Sie verstehen Ihr Fach vorzüglich und die Kinder gedeihen sichtlich unter Ihrer Obhut, Frau Brandt", lobte sie nun auch der Schloßherr. „Du glaubst nicht, was es mir für eine Beruhigung ist, daß wir Frau Brandt für die Kinder gewonnen haben", sagte Melanie zu ihrem Gatten, dem sie willig gefolgt war, als er den ununterbrochenen Spaziergang fortzusetzen Miene machte. „Jetzt erst bin ich ganz beruhigt Über unfern Curt, hoffentlich behalten wir sie für die Dauer." „Weshalb sollten wir nicht? Ihr Taugenichts von Sohn ist ja in die Welt gegangen und da verschollen. Sie bat große Anhänglichkeit an Dich, ist noch rüstig genug, um sich ihr Brod j(u verdienen, und ihr Amt ist bei reichlichem Lohn doch fast ein Ruheposten. Wird es ihr später einmal zu viel, so findet man auch einen Ersatz." „Dock kaum einen so zuverlässigen, und ich bin so ängstlich um de» Kleinen. Oft schlafe ich nicht, weil ich mir einbilde, eine plötzliche Krankheit könne ihn befallen, oder es quälen mich schreckliche Träume, in denen ich ihn in Gefahr sehe." „Ein Zeichen, daß Deine Nerven doch durch die Saison herunter sind", sagte der Freiherr, „hier in Wildburg werden sie sich schon beruhigen. Gut, daß wir vr. Blanden erwarten; er kann Dich auch in die Cur nehmen. Die schöne Frau schüttelte den Kopf. „DaS ist eS nicht, lieber Albrecht; ich bin noch viel thörichter, als Du glaubst; ich schäme mich auch meiner Schwäche und kann sie doch nicht überwinden. Seit Curt'S Geburt verfolgt mich der Gedanke an die abergläubische Meinung deS Volk-, die dem Erben von Wildburg Unheil prophezeit, und ich sehe unser» Sohn nie ohne Besorgniß." Melanie hatte zögernd und zaghaft gesprochen und war auf Tadel und Syott^von ihrem Gemahl gefaßt; um so mehr befremdete sie sein Schweigen, und sie erschrak, al- sie dir Augen zu ihm erhob und die fahle Blässe bemerkte, welche sein umdüsterte» Gesicht überzog. „Bist Du mir böse, oder fürcktest Du auch jenes räthsel- bafte Unheil, das schon so oft hereingebrochen ist?" fragte sie ängstlich. „Nein, nein", stieß der Freiherr heraus. „Du wirst mir doch zutrauen, daß ich solchen Ammenmärchen Werth beilege, und doch — heißt es nicht, daß die Schuld der Väter an den Kindern soll gerächt werden bis inS dritte und vierte Glied? Ist der schuldlose Knabe denn doch der Erbe des Fluches, und wird weder sein reines Leben, noch ein anderes Dasein, das der Sühne gewidmet ist, zur Abwehr genügen?" Melanie blickte ihn ängstlich an. „WaS hast Du nur, Lieber, ich verstehe Dich nicht? WaS sprichst Du von Fluch und Sühne?" Der Freiherr fuhr sich mit der Hand über die Stirn, alS wollte er die schweren Gedanken verscheuchen. „Vergieb, daß ich Dich mit meinen dunkeln Reden erschreckte", bat er. „Meine Vorstellungen schweiften weit ab von der Wirklich keit in ein Gebiet, daS mich ost beschäftigt. Sieb, ich tbue so manchen Blick in die Abgründe deS Lebens und ick kenne so manche geheime Schuld, die fick dem Auge der Mensche» verbirgt, die scheinbar ungestraft blieb und die dem Frevler unsägliche Qualen bereitet. Wie Mancher, der durch eigne Hand den Tod fand und an dessen Leiche wir unS vergebens nach dem Beweggrund der unseligen Tbat fragen, ward durch die innere Pein zu dem Entschlüsse getrieben, dessen Ausführung ihm endlich Ruhe und Frieden bringen sollte. Zahn um Zahn, Leben um Leben, lautet der Fortschritt der Schrift, aber ist eS nicht würdiger und edler und doch tausendmal schrecklicher für den Sünder, wenn er nickt durch seinen Tod die Schuld sühnt, sondern durch sein Leben? Wenn er Alle-, WaS er besitzt, in den Dienst der Menschheit stellt, wenn er an der Gesammtheit gut zu machen sucht, was er an dem Einzelnen verbrach?!" „Ich verstehe Dich nicht", sagte Melanie, al- der Frei herr wie erschöpft schwieg, „von wem sprichst Tu? Vcu welcher Schuld und von welchem Frevel? Es klingt, als klagtest Du Dick selbst an, und wer kann edler und reiner dastehen al» Du?" Albrecht lächelte, aber so voll Trauer, daß eS ihr ins Herz schnitt. „Wer hätte immer seine Schuldigkeit erfüllt?" erwiderte er dann, „und ist jede versäumte Pflicht nicht eine Schuld? Wem viel gegeben wird, von dem wird auch viel verlangt, und wer seine Aufgabe ernst erfaßt, dem bleiben
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