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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.08.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-08-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000816013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900081601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900081601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-08
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Der Aussatz leitete nach dem Berichte, insbesondere dem Cassenbericht, die Berechtigung her, für das letzte Jahr einen Stillstand der Umsturzpartei, mehrfach sogar einen Rückschritt sestzustellen. Ein süddeutsches Blatt, daS in diesem Falle aber von Berlin aus bedient sein dürste, wittert hinter jener Darlegung einen am Bürgcrtkum verübten Einlullungsvcrsuch und warnt vor künftiger Geringschätzung der socialdemokratischen Gefahr. Nun hieß es allerdings in dem Artikel, die Zeichen der Zeit, Rück gang der Einnahmen und der socialdemokratischen Wahlstimmen, bekundeten, daß die Zugkraft der „revolutionären Idee" in der Gesellschaft schwand, eS wurde aber in unmittelbarer Folge hinzu- gesügt, daß eben wegen dieser Erscheinung die Gcgenarbeit der bürgerlichen Gesellschaft mit Erfolg einzusetzen vermöge. Dies ist noch keine Bezeichnung von ,,Üoukomwiö" gegenüber der Socialdemokratie, wie sie uns zum Borwurfe gemacht wird. Ebenso wenig ist der Tadel berechtigt, aus dem Tode Liebknechl'S sei eine gewisse Beruhigung geschöpft worden. DaS Ableben des Agitators wurde in der Betrachtung nicht erwähnt. Wäre es geschehen, dann vielleicht mit dem Aus druck der Befürchtung, Vas Verschwinden des halsstarrigen Parteityrannen könne jener Partei zum Vortheile gereichen. Bei der künftigen Behandlung der Socialdemokratie wird man sich besonders Zweierlei zu vergegenwärtigen haben. Einmal die Erfahrung, daß übertriebene Vorstellungen von der Größe der revolutionären Gefahr das Bürgerthum leicht auf falsche Bahnen zu bringen vermögen; der allzu häufige und allzu ängstliche Hinweis auf die Furchtbarkeit der Social demokratie kommen der Partei ohne Frage insofern zu statten, als sie deren Bedeutung und Kraft in den Augen der Menge erhöben, also „Neclame" für die Gegnerin machen. Sodann aber wird man beachten müssen, daß, was bei der Socialdemokratie nicht mit Unrecht „Stagmation" genannt wird, bei allen Parteien, ohne Ausnahme, zu beobachten ist, daß aber gerade deshalb die Aussichten der extremsten aller Parteien nicht ungünstig sind. Die Beobachtung, daß die socialdcmokratischen Führer zur Zeit in Ver legenheit nach neuen Zugmitteln sind, bat auch daS jeglichen „Optimismus" bekämpfende süddeutsche Blatt gemacht. Richtig ist sie indessen nur, soweit man sociale und socialpolitische Zugmittel im Auge hat. Die Arbeiter welt ist realpolitischer geworden, der Sperling in der Hand beginnt in ihren Augen im Vergleiche zu der Taube auf dem Dache deS zukunftsstaatlichen Lustschlosses wieder seine Werth schätzung zu finden. Das ist der Grund, der die Social demokraten im Reichstage, die bisher die Arbeiterversicherungs gesetzgebung mit Haß und Hohn verfolgten, nicht mehr wagen lassen darf, gegen die Reform und den Ausbau dieser Gesetz gebung zu stimmen. Wo die Führer diesen Umschwung verkennen, sängt man an, Niederlagen einruheimsen. So ist kürzlich auf ein im Reichstags-Wahlkreise Worms von den Socialdemokraten verbreitetes Schmäh flugblatt gegen einen praktischen Socialpolitiker, den Abgeordneten Freiherr» von Hehl, aus Arbeiterkreisen heraus eine für die Partcirezierung höchst fatale Er widerung gefolgt. Unter anderem wurde ihr gesagt, „Wirthe, Cigarrenhändler und Redacteure mit guten Ge hältern würden dortzulande nicht mehr als privilegirte Arbeiterführer anerkannt." Nun wird aber die Erschwerung der socialen Hetzthätig- keit der Socialdemokratie nicht ausschließlich auf die Social reformen zurückzuführen sein, auch die ausgezeichnete Lage des Gewerbes mit ihren für die Arbeiter so wohltbätigen Wirkungen dürfte Antheil daran'baben. Soweit diese Ursache in Betracht kommt, darf, da ein industrieller Rückschlag im Bereiche der Möglichkeit, wenn nicht Wahrscheinlichkeit liegt, die bemerk bar bessere socialpolitische Erkenntniß der Arbeiterwelt noch nicht als stabiler Factor in die Zukunftsberechnungen ein gestellt werden. Man kann Wohl sagen, wenn schon in so guten Zeiten die Beiträge zur socialdemokratischen Parteicasse sich vermindern, wird der Rückgang in mageren Jahren ein noch stärkerer sein. Dies wird sich vielleicht bewahrheiten, aber die Geldfrage ist doch nicht die ausschlaggebende, am aller wenigsten für eine Partei, die wie die Socialdemokratie, finanziell noch immer am besten unter allen deutschen Par teien gestellt ist. Und wie das Geld, ist auch daS social politische Hetz material nicht da» allein Bestimmende. In politischer Hinsicht haben sich die Agitations- und Wahlchancen der Socialdemokratie wahrlich nicht verschlechtert, ein paar ihr ungünstige Nachwahlergebnisse sollten darüber keine Täuschung aufkommen lassen. Im Allgemeinen gereicht der „äußersten Linken" der Niedergang der bürgerlichen Demokratie zum Vortheil, er treibt ihr Wähler zu, die von der Verwirk lichung auch nur des gegenwartsstaatlichen TheileS de» Partei-, Programm« nichts wissen wollen, aber ihrer Unzufriedenheit den denkbar schärfsten Ausdruck zu geben ein Bedürfniß empfinden. Die Mehrung de« Stoffe» für die Erzeugung neuer und die Vertiefung bestehender Unzufriedenheit ist aber nicht zu verkennen. DaS Schwankende in unseren Regierungs verhältnissen, da« unausgesetzte Anpacken und Wiederfahren- lafsen heikler und der Lösung durchaus nicht bedürftiger Fragen, da- Geräuschvolle der zeitgenössischen deutschen Politik, da« Emporkommen von Frömmelei und so Manches andere, dem gegenüber ist e« am besten, wenn man e« mit Herrn v. Levetzow hält, indem man nämlich nicht davon spricht; in der Thal, eine extremst oppositionelle Partei braucht sich im heutigen Deutschland nicht vor dem Ver hungern zu fürchten. Die Wirren in China. Die Londoner Blätter veröffentlichen folgendes Telegramm aus Shanghai vom 14. d. MtS.: Eine authentische Depesche aus Peking vom 7. d. Mts., die heute hier eingetroffen ist, besagt, daß die Angriffe gegen die Gesandtschaften erneuert und deren Versorgung mit Lebensmitteln eingestellt worden ist. Auö Berlin, 15. August, wird uns telegraphirt: Der zweite Admiral des Kreuzergeschwaders meldet aus Taku vom 12. d. M.: Capitän Pohl, Commandant des Kreuzers „Hansa", ging am 9. d. M. Abends mit vier Officieren und 107 Mann von Tientsin nach Peking vor. Capitänleutnant Hecht, der erste Ofsicier der „Hertha", folgte am 10. d. M. mit 2 Officieren und 150 Mann und mit Proviant. Wasser und Troß folgen. 160 Oester reich er folgten dem Capitän Pohl am 10. d. M. früh von Tongku. Diese deutschen Truppen haben wahrscheinlich die Auf gabe, die Verbindung des gegen Peking bereits vorgedrungenen Entsatzcorps mit Tientsin aufrecht zu erhalten. lieber den Vormarsch der Entsatztruppe selbst liegt folgende Meldung vor: * Tschifn, 15. August. Tic Konsuln von Rntzland und Englanb erklären übereinstimmend, datz die Gntsatz- truppen obne weitere Kämpfe am S. d. MtS. bis ungefähr nach Anping gelangt sind, das vo» Peking 50 Kilometer entfernt ist. Tie Lage im Süden. „Reuter'S Bureau" meldet aus Hong ko n g vom 13. d. M.: Die Chinesen entwickeln in der Ausdehnung der Ver- theidigungSwerke von Canton eine erhöhte Thätigkeit. DaS alte Lehmthor wird wieder armirt. Die chinesischen Berichte sagen, die Bogue-Forts würden zweifellos daS Feuer eröffnen, falls noch weitere Kriegsschiffe nach Canton ent sandt werden. — Wie gemeldet wird, geht der ameri kanische Monitor „Monterey" in wenig Tagen nach Canton, um „Don Juan d'Austria" zu Hilfe zu kommen. Die Chinesen sagen, es sei Zehn gegen Eins zu wetten, daß bei der Annäherung des Monitors „Monterey" die Bogue-Forts daS Feuer erröffnen werden. — Man sagt, die Bewohner CantonS seien sehr beunruhigt wegen der Anwesenheit einer so großen Zahl chinesischer Truppen in der Nähe der fremden Niederlassungen in Shansien. Man fürchtet, der kleinste Anstoß könne zu Blutvergießen führen. — Der britische Kreuzer „Argonaut" und der russische Kreuzer „Nachimow" sind von Singapore hier ein getroffen. — „Reuter'S Bureau" meldet aus Shanghai vom 13. d. Mts.: Die Flucht der Eingeborenen bat seit der Mittheilung aufgehört, daß englischeTruppen in Shanghai eingetroffen sind. — Die russischen Kriegsschiffe „Kornilow" und „Gremiastschy" und das franzö sische Kriegsschiff „Charner" sind heute hier ein getroffen. Wettere Meldungen: * Nokohama, 14. August. (Reuter'S Bureau.) Die Nachricht, die koreanische Regierung habe der Entsendung japanischer Truppen nach Korea zugestimmt, ist verfrüht, indessen dürfte es sicher sein, daß Truppen entsandt werden, falls die Unruhen fortdauern. * Petersburg, 15. August. (Telegramm.) Der „Russische Invalide" meldet: In Port Arthur wirbeln neues Artillerie- Magazin errichtet und dem Beamten der Kwantunger Artillerie. Direktion zugetheilt werden. Aus Anlaß der Vorgänge im äußersten Osten wird bei dem Generalstabe »ine besondere Quartier« meister-Abthrilung errichtet. Tie Stimmung in Shanghai. AuS Shanghai, 6. Juli, sendet der ständige Mit arbeiter der „Welt-Correspondenz" das folgende interessante Stimmungsbild, das den Ernst der Lage in vollem Lichte erscheinen läßt: Die Lage ist im höchsten Grade ungewiß. Kein Mensch weiß, was der morgige Tag bringen wird. Wir sind auf das Schlimmste gefaßt. Vorläufig ist der Kampf auf die Provinz Chili beschränkt. Aber wird es so bleiben? Der bekannte Director der chinesischen Nordbahnen, Sheng Taotai, einer der gewissenlosesten Politiker und Geschäftsleute, die es in China giebt, hat den Vertretern der Mächte in Shanghai versichert, der Süden werde sich neutral Verhalten. Die Konsuln trauen dem Worte Sheng's, die Kaufmannschaft nicht. Man hat überhaupt hier in der Kaufmannschaft den Eindruck, daß die Consularvertreter der Mächte hier ein sehr gefährliches Spiel spielen. Sie lassen sich auf Unterhandlungen mit Chinesen ein, die keinerlei Vollmachten haben, die vor Allem keinerlei Garan tien bieten können, daß das, was sie zusagen, auch gehalten werden wird. Die Kaufmannschaft theilt die optimistische be quemere Auffassung, die das Consularcorps zur Schau trägt, nicht. Ein Ausfluß dieser Auffassung, daß hier durchaus nicht Alles so ruhig ist, ist ein Telegramm, das die hiesige deutsche Kaufmannschaft am 3. Juli an den Kaiser gesandt hat. Die sofort eingetroffene Antwort deS Kaisers hat hier ungeheuren Eindruck gemacht, und zwar nicht allein in deutschen Kreisen, sondern in der ganzen Stadt. Man weiß jetzt, daß die Regie rungen Ernst machen und mit Nachdruck für die Interessen ihrer Angehörigen eintreten werden. Daß die Kundgebung, die in den kaiserlichen Worten liegt, gerade vom deutschen Kaiser kam, hat ihnen noch größere Bedeutung verliehen; denn man weiß hier, daß dann den Worten die That folgen wird. So wird eS denn die nächste Aufgabe sein, nach Möglichkeit zu verhindern, daß der Kampf, der heute im Norden wüthet, von der Provinz Chili auf andere Theile de» Reiches übergreift. Wird da» gelingen? Vorläufig ist die Position der Chinesen im Norden sehr stark. Die letzten Nachrichten, die hier vor liegen, stammen vom 2. Juli. Da war die Verbindung von Taku nach Tientsin wieder vollständig unterbrochen; ja, Tientsin selbst sollte wieder von den Chinesen belagert sein. ES ist an zunehmen, daß in den nächsten zwei oder drei Wochen genügend russische und japanische Truppen gelandet werden, um nicht nur die Strecke bis Tientsin zu besetzen, sondern auch den Vormarsch auf Peking aufzunehmen. Daß dieser erfolgreich sein wird, sobald ausreichend Truppen den verbündeten Mächten zur Ver fügung stehen, darüber wird man sich heute auch in Peking keinem Zweifel hingeben. Es ist daher sehr begreiflich, daß die Machthaber in Peking bestrebt sind, die Angriffslinie so schnell wie möglich nach Kräften auszudehnen. Gelingt es ihnen, den Kampf gegen die Ausländer bis ins Yangtsethal zu verpflanzen, dann werden Hunderttausende von europäischen, amerikanischen und japa nischen Truppen nöthig sein, um die Ruhe und Ordnung wieder herzustellen und die chinesischen Truppen zu schlagen. Bisher haben die Vicekönige der drei großen südchinesischen Satrapien, Liang-Kiang (Provinzen Kiangsu, Anhui und Kiangse), Liang- Hu (Provinzen Hupe und Hunan) und Liang-Kwang (Provinzen Kwangtung und Kwangsi) den Aufforderungen von Peking, am Kampf gegen die Europäer theilzunehmen, passiven Wider stand entgegengesetzt. Sheng Taotai versichert, die drei Vice könige Chan-Chih-tung in Wuchang, Lin-kun-gih in Nanking und Li-Hung-Tschang in Canton hätten unter sich ein Bündniß geschlossen und sich verpflichtet, nicht in den im Norden ent brannten Kampf einzugreifen. Es mag etwas Wahres daran sein. Aber wird ein solcher Vertrag auf die Dauer von Werth sein? Wird sich die Regierung in Peking dabei beruhigen, daß man an den Höfen der Vicekönige ihrer Befehle spottet? Wird sie nicht Mittel und Wege finden, Chan, Lin und Li durch ge fügigere Herren zu ersehen? Daß dergleichen beabsichtigt wird, unterliegt keinem Zweifel. Prinz Tuan, der neue Tyrann, der in Peking herrscht, hat dem Gouverneur von Shantung bereits Befehl ertheilt, mit 18 000 Mann gut geschulter Truppen sofort auf Nanking zu marschiren, Linkun-Yih zu entsetzen und sich dieses wichtigsten Punctes im Aangtsethale zu bemächtigen. Gouverneur Uuan-Shi-kai von Shantung ist kein Fremdenfreund. Zu trauen ist ihm nicht. Aber Man ist ein kluger, fein berechnender, und vor Allem als echter Chinese auf seinen eigenen Vortheil bedachter Herr, und weil er das ist, wird er sich wahrscheinlich in diesem Augen blicke noch nicht offen auf die Seite des Prinzen Tuan schlagen, es sei denn, daß dieser ihm ganz außerordentliche Vortheile für die Zukunft gesichert hat. Ob Tuan das in diesem Augenblick kann, scheint zweifelhaft, und aus diesem Grunde mögen auch die Recht behalten, die der Ansicht sind, Man-Shi-kai werde nicht auf Nanking marschiren. Man sieht, die Zukunft hängt an seidenen Fäden. Irgend ein Ereigniß kann sie zum Reißen bringen. Die Gefahr, daß der von den Boxern und ihren Hintermännern angezettelte Krieg weiter und weiter um sich greift, besteht zweifelsohne. Was kommen wird, kann Niemand sagen. Daß der Kampf in den nächsten Monaten schon ein Ende erreicht, glaubt hier in Shanghai kein Mensch. Handel und Wandel stocken bereits vollständig. Der Kaufmann feiert. Und leider hat es den Anschein, als werde noch eine lange Zeit ins Feld gehen, bis die Tage der erzwungenen Unthätigkeit wieder einem regeren Leben Platz machen werden. Der in obiger Correspondenz erwähnte Hilferuf an Kaiser Wilhelm hat nach dem „Ostasiat. Lloyd" folgenden Wortlaut: Kaiserliche Majestät, Berlin. Ueberzeugt, daß die Re bellion im Norden, der Aufstand in Schantung und die Un ruhen im Nangtsegebiete größere Ausdehnung annehmen werden, lenkt die deutsche Kaufmannschaft Shanghais Euerer Majestät Aufmerksamkeit allerunterthänigst auf die dringende Nothwendigkeit, zur Wahrung von Deutschlands Stellung als zweiter Handelsmacht des Ostens den anderen Großmächten ebenbürtig durch Flotte und Heer vertreten zu sein. Darauf traf am 6. Juli Morgens die folgende Antwort in Shanghai ein: Wilhelmshaven, 4. Juli, 6 Uhr 40 Min. Nachm. Kaufmannschaft von Shanghai. Shanghai. Ihre Wünsche werden nach Kräften erfüllt. „Moltke" mit „Bismarck" schon unterwegs, ebenso Marineinfanterie. Division Panzer, Division Infanterie folgt. (gez.) Wilhelm I. L. Der „Schwäbische Merkur" veröffentlicht einen Brief des Schiffsarztes des „Iltis", welcher den K a m p f um die F o r t s von Taku folgendermaßen schildert: „Das Gefecht begann am Sonntag Morgen (17. Juni) kurz vor 1 Uhr und wurde von den Chinesen eröffnet. Wie es sich bald herausstellte, hatten wir fünf Schiffe es mit einem uns an Artillerie weit über legenen Gegner zu thun, der gegen uns mit 12-, 15-, 24-Centi- metcr-Krupp'schen Schnellfeuergeschützen focht. Unser größtes Kaliber (auf dem „Iltis") war 8,8 Centimeter. Da wir an einem Bollwerk fesilagen, brauchten wir einige Zeit, um auf die Mitte des Flusses zu kommen. Gleich zu Anfang schlugen rechts und links Granaten ein, und der Ernst der Situation war nicht mehr zu verkennen. Wir fuhren an den Russen, die vor uns lagen und schon lebhaft ins Gefecht verwickelt waren, vorbei und setzten uns, wie verabredet, hinter den Engländern als zweites Schiff. Mittlerweile war der Donner der Geschütze gerader» betäubend geworden, fortgesetzt blitzte es auf und das Schwirren der Granaten und Sprengstücke zeigte uns deutlich, wem die Blitze galten. Bis 3 Uhr hatten wir keinen Verwundeten. Ich stand mit dem Berichterstatter Herrings und dem Zahlmeister am Hinteren Schornstein, als mir plötzlich die Mütze vom Kopfe flog und ich einen Schlag auf dem Rücken spürte, zugleich einen Schrei neben mir hörte: eine Granate war durch den Schornstein geflogen, ein kleineres Sprengstück war durch meine Mütze gegangen, ein größere» saß HerringS in der Brust, der sofort schrecklich blutete. Ich brachte ihn sogleich nach dem Verbandsplatz, wo es nur nach vieler Mühe gelang, das Stück zu entfernen und die Blutung zu stillen. Wa» jetzt folgte, war gräßlich, und ich will e» nicht au-malen. Ich mußte meine ganze Energie zusammennehmen, um meine Pflicht al» Arzt erfüllen zu können. Wir wurden förmlich über schüttet mit Granaten, und die Verletzungen, die vor kamen, spotten aller Beschreibung. Ich sollte (als einziger Arzt aus dem Schiff) überall sein, überall schrie man nach mir. Als ich unseren schwer verwundeten Commandanten (Corvetten- capitän Lan») von der Brücke holen wollte, riß eine 24-Centi- meter-Granate die Trepp» weg, die ich ihn eben hinuntertragen wollte, und wir stürzten Beide zwei Meter tief hinunter. Ich war einen Augenblick durch den Fall, den Luftdrurck und den Knall der explodirenden Granate ganz benommen; als ich wieder aufstehen konnte, wußte ich nicht, bin ich schwer verwundet oder nicht. Ich vermuthete ersteres, da ich mit Blut überströmt war. Als ich auf dem Verbands platz ankam, rief mir der Zahlmeister entgegen: „Ach, der arme Stabsarzt". Er und ich waren sehr erstaunt und erfreut, als ich allmählich constatiren konnte, daß Alles heil war. Leider hatte die Granate unfern Leutnant Hellmann und einen Hornisten vollständig zerrissen. Als ich nachher noch einmal nach dem Commandanten zu sehen ging, platzte noch einmal eine Granate in meiner Nähe, so daß ich mit Holz- und Eisentrümmern ganz bedeckt war, aber nur kleine Stückchen waren in meinen Arm und meine rechte Hand gedrungen. Gegen 8 Uhr Morgens war das Gefecht beendigt. Wir waren Alle aufs Aeußerste erschöpft. Als wir nach dem Gefecht auf die Rheede von Taku kamen, wo die anderen Schiffe lagen, war die Begeisterung groß. Der deutsche Admiral machte Signal: „„Iltis" nachzueifern sei unser Ziel, ihm gleichzukommen unser Stolz". Als wir am andern Tage unsere Todten in das Meer versenkten, ist manche Mannesthräne geflossen." Frhrn. v. Kcttcler, dem in Peking ermordeten deutschen Gesandten, widmet der „Ostasiat. Lloyd" in seiner Nummer vom K.Juli einen warm empfundenen Nachruf, dem wir Folgendes entnehmen: „Zu früh ist mit ihm eine Persönlichkeit aus dem diplo matischen Dienste geschieden, die gerade in den schweren Zeiten, in denen wir heute stehen, dem deutschen Reiche vom allergrößten Werthe sein mußte. Vor zwanzig Jahren kam er nach China. Er trat zunächst in Canton (1881) in den Dolmetscherdienst ein. Dort zeickneie er sich am 3. September 1883 bei einem Aufruhr, der zu einem Angriff auf die Fremdenniederlassung führte, von der vierzehn Häuser in Flammen aufgingen, in so hervorragender Weise aus, daß er die Aufmerksamkeit des Gesandten auf sich lenkte und von diesem nach Peking berufen wurde. Ketteler wurde nun ein Schüler Brandt's. Mit unermüdlichem Fleiße gab er sich dem Studium der chinesischen Sprache hin. Wie weit er sie zu beherrschen damals lernte, hat Frhr. v. Ketteler später gezeigt, als er nach zehnjähriger Abwesenheit von China aber mals nach Peking berufen wurde. Als Dolmetscher erwies sich Frhr. v. Ketteler in den 80er Jahren überall ungemein nützlich, Mehrfach hatte er Gelegenheit, seine Thätigkeit zu beweisen. Der damalige Gesandte Herr v. Brandt schätzte ihn ungemein hoch. Bald schwang er sich zum Gesandtschaftssekretär auf. Auch hatte er Gelegenheit, den Consulatsdienst in seiner Mannigfaltigkeit und seinen Einzelheiten kennen zu lernen; vertretungsweise wurde ihm längere Zeit die Leitung des Con- sulats in Tientsin übertragen. Im Jahre 1890 verließ Freiherr von Ketteler China. . . Wer Freiherrn von Ketteler im Laufe des letzten Jahres — am 17. Juni 1899 betrat er mit seiner Gemahlin wieder in Shanghai chinesischen Boden und begab sich wenige Tage später nach Peking — in seiner amtlichen Thätigkeit zu beobachten Gelegenheit hatte, wird daS Gefühl, daß er seinen Aufgaben nicht gewachsen gewesen sei, nicht bekommen haben. Wohl fehlte es ihm vielleicht an offen sichtbaren Erfolgen, aber die Zeiten waren schon der Art, daß von den widerstrebenden Chinesen nichts mehr zu erreichen war; allen Vorstellungen, allen Forderungen setzten sie einen passiven Wider stand entgegen, den zu brechen weder einem einzelnen Ge sandten, noch dem ganzen diplomatischen Corps in Peking mög lich war. Unablässig im Interesse des deutschen Reiches thätig, war es Freiherrn v. Ketteler doch nicht vergönnt, nach Berlin von erzielten Erfolgen berichten zu können; das lastete, wie uns von Leuten, die in den letzten Monaten und Wochen mit ihm in Berührung kamen, berichtet wird, schwer auf ihm. Unermüdlich aber setzte er seine Bemühungen beim Tsung-li-Damen fort. Hier kam ihm seine Kenntnis; des Chinesischen trefflich zu statten; er bedurfte des Dolmetschers nicht, um sich die Worte der Mandarine übersetzen zu lassen; ja, häufig konnte er ihnen auch, was natürlich nie ohne Eindruck blieb, ohne die Ver mittelung des Dolmetschers antworten. In den letzten Wochen wurde auf dem Tsung-li-Uamen einerseits — und zwar dann stets im Verein mit den Vertretern der anderen Mächte — über die Unterdrückung der Boxerbewegung verhandelt, anderer seits vom Freiherrn v. Ketteler im Besonderen die Ansprüche der katholischen Mission in SUdschantung geltend gemacht. Bei einer Conferenz in der letzteren Angelegenheit kam die Rede auch auf die J-ho-chuans (Boxer), die offen auf der Fahne die Devise „Tod den Fremden" führten. Freiherr von Ketteler erklärte damals den Mandarinen mit großem Nach druck: „Ihr mögt alle Europäer in Peking, ja, in ganz China tödten, das aber würde der Anfang vom Ende für China sein; bedenkt das!" Der Krieg in Südafrika. Sngltsche Rohheiten. Der „MünsteiÄsch« Anzeiger" (Münster l. W.) erhält nach stehende Zuschrift: Folgenden Act englischer Rohheit und Vandalismus in Transvaal, ausgeübt an neutralen Unterthanen neutraler Mächte, Deutschland und Holland, möchte Sie bitten, zur öffentlichen Kenntniß bringen zu wollen. Es war am 18. Juni d. I. in Randfontein, der nächsten Eisenbahnstation südlich von Krügers dorp — wir waren schon säit einiger Zeit von jeder Verbindung mit Johannesburg auf der einen und KlerkSdorp auf der anderen Seite abgeschnitten — al» wir, d. h. di« B « am t« n der Niederländisch - Südafrikanische« Eisen bahn - Gesellschaft, de» Nachmittag» gegen 3^ Uhr englische Cavalieri« — «» waren die Imperial Light Hors« — auf di« Station zukommen sabrn. Mr wurden umzingelt und mußten noch einstündigem Warten und vergeblichen Fragen, was denn mit uns geschehen sollte, dann ohne Weiten» mttmarschiven Vergeblich bemühten wir un» tn höflicher Weis«, e^t noch noch Hause zu gehen, um un» für den Marsch entsprechend au»zu rüsten, warm« Kleider u. s. w. oder doch verschieden« wichtige Papiere, Geld u. s. w. mitzunehmen. Mr durften di« Station nicht mehr verlassen. Leute, di« noch fehlten, wurden herdetgr- Cvntrole, daß wir vollzählig waren, wurden alle ver schlossenen Wohnung, also besonder» diejenigen der Junggesellen,
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