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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.08.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-08-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190008264
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19000826
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19000826
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-08
- Tag1900-08-26
- Monat1900-08
- Jahr1900
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.08.1900
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzrichniß. Tabellarischer und Ziffernfatz nach höherem Tarik. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefürderung SO.—, mit Postbefürderung ^l 70.—. Annahmeschluß für ^u-ei-eu: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr, Bei den Filialen und Annahmestelle» je ein« halbe Stunde früher. Anzeige» sind stet» an die Expeditis« zu richten. Druck und Verlag von E. Pol, in Leipzig, 9t. Jahrgang. Äus der Woche. Generalleutnant von Boguslawski spricht in einer Zuschrift an die „Tägliche Rundschau" sein tiefes Bedauern darüber aus, daß man in Deutschland entschlossen scheine, die dreißigjährige Erinnerung an Sedan in beschränktem Umfang oder gar nicht zu feiern. Es wird dabei geltend gemacht, was auch Bismarck einmal auSsprach, daß für unö der 2. September als Geburtstag von Kaiser und Reich ein auserlesener Tag sei und daß die Feier nicht der Erinnerung der siegreichen Schlacht gleichen Namens gelte, die ja an dem Tage des herkömmlichen Festes gar nicht geschlagen worden ist. Wir sind von dem Zutreffenden dieser Ansicht und der Folgerung, daß ein berechtigtes Gefühl der Franzosen durch eine Sedanfeier in diesem Jahre so wenig wie in früheren verletzt werde, vollkommen überzeugt. Auf der anderen Seite besteht aber auch sicher für uns die Gewißheit, daß mit dieser Meinung nicht durchzudringen ist und man sich für diesmal an beschränkten Veranstaltungen genügen lassen muß. Von oben her wird, und zwar wie eS scheint, in den meisten Bundesstaaten, sogar der vollständige Verzicht auf eine diesjährige Gedenkfeier begünstigt, und für das Publicum stehl nun einmal die chinesische Waffenbrüder schaft mit den Franzosen im Vordergründe. Jedenfalls ist die Genugthuung über dieses Berhältniß zu den Nachbarn im Westen erquicklicher als die Auseinander setzung über die englische waffenbrüderliche — Zurückhaltung und über sonstige in China zu Tage tretenden Eigen- thümlich leiten der Engländer. Ungern, aber durch die amtliche britische s Todtscbweigemcthode gezwungen, haben auch wir von den Absonderlichkeiten, die sich bei Seymour'S Expedition zutrugen, Kenntniß genommen, daß nämlich dort die Briten mit bemerkenswerther Neidlosigkeit den deutschen Truppen den Lömenantheil an den hartnäckigen Kämpfen gelassen haben. „Blut ist dicker als Wasser". Wichtigere Vorgänge sind an den letzten Tagen der Woche aus China nicht gemeldet worden. Größere politische Be deutung wird vielleicht die — auffallenderweise nicht zuerst deutsckamtlich berichtete — Thatsache gewinnen, daß unser Gesandter Freiherr v. Ketteler in einer Sänfte ermordet worden ist, sich also nicht auf irgendwie ungewöhnliche Art exponirt hatte. Damit entfallen Folgerungen, die der in Europa anwesende österreichische Gesandte für China kürzlich gezogen hat. Ob, wie gleichzeitig berichtet wird, der Mord auf „höheren Wunsch" und durch Polizisten verübt worden ist oder nicht, wird eine durch die gesammte Diplomatie ohne Voreingenommenheit geführte Untersuchung hoffentlich ergeben. Deutschland hat selbstverständlich kein vernünftiges Interesse, aus einer etwaigen Pöbelthat ein Verbrechen Regierender zu machen. Prinz Tuan scheint übrigens, sollte er auch an der Ermordung Ketteler's unbetheiligt sein, soviel auf dem Kerb bolze zu haben, daß sich das laut gewordene Verlangen nach seiner Hinrichtung rechtfertigt. In Deutschland war man mit manchen mit den chinesischen Wirren im Zusammenhang stehenden Erscheinungen nicht zu frieden und Blätter aller Parteien, auch die konservativen, haben wiederholt einem Gefühl der Befremdung Ausdruck gegeben. Das 'ist nicht überall gut ausgenommen worden und in einem viel beachteten Artikel eines am Hofe gelesenen und vom Hofe begünstigten, sonst übrigens nicht sehr geschätzten Blattes, des „Kleinen Journals", wird der öffentlichen Meinung ob ihrer Philisterbaftigkeit gehörig der Text gelesen. In der höchst erstaunlichen Betrachtung wird Kaiser Wil helm II., weil auch er verkannt werde, mit Christus ver glichen und zum Schluffe heißt es: „Drüben, jenseits des Canals, liebt man unS nicht sonderlich, denn man fürchtet den rüstigen Deutschen, der sich in dreißig Jahren zum gefährlichen Rivalen eniporschwang. Jenseits der Vogesen hat man noch immer die Tage von 70 7t nicht vergessen. Im Süden murren Tschechen, im Norden grollt der Däne. Amerika argwöhnt im Westen und Rußland im Osten. Aber überall nur eine Stimme, wenn die Person Les deutschen Kaisers in Betracht kommt: „Welch' ei n M ann, wie sich er, klar u nd män nli ch groß!" Eng länder bewundern seinen weiten Wagemuth undRussen seine Ausdauer. Franzosen seine Vielseitigkeit und Italiener dir Grazie seiner Kundgebungen. Osmanen sein Vertrauen in Allahs Weisheit und Orientalen seine Würde und Festigkeit. Dem Einen ist er Typus des Sol daten, dem Anderen das Vorbild des Seemannes, hier gilt er alsPolitiker und dort als wägender Kaufmann. Ueberalleine Stimme: Ein moderner Mensch von großen Gaben und großemWollenl Aber der gute Deutsche bemerkt von alledem nichts; er fühlt nur die Unbequemlichkeit, auS der süßen Gewohn heit deS alltäglichen Leben- aufgerüttelt zu werden und die Last ungewohnter neuer Thätigkeit. Er stiegt zwar in Gedanken gern zu den Sternen und er thürmt Ideenwelten auf Ideenwelten. Aber im horten Drang des praktischen Lebens bleibt er fein säuberlich bei der bequemen Straße müheloser Alltäglichkeit, und er sträubt sich dagegen zu begreifen, daß ihn eine Eisensaust schüttelt, rin über legener Geist ausweckt, die Stimme eines Propheten ruft, deS Propheten in seinem Vaterlandes" Der Artikel erregt, wie gesagt, großes Aufsehen, das sich aber auS naheliegenden Gründen in Preßerörterungen kaum wiederspiegeln wird. Umso eifriger wird eine andere „Preß- stimme" commentirt, die Auslassung deS in Metz in franzö sischer Sprache erscheinenden französisch-klerikalen „Lorrain". Dieses Blatt hat zur Erinnerung an die Metzer Woche von 1870 eine Betrachtung veröffentlicht, dir von gutmüthigen deutschen Zeitungen als Absage an Frankreich, als Fallen lassen der elsaß-lothringischen „Frage" aufgefaßt wird. Diese bessere Erscheinung ist aber nichts weiter als ein neuerlicher Beweis für die Vertrauensseligkeit de« deutschen Michels. Der „Lorrain", der auch von Blättern, die ihn mit einigem Entzücken citiren, al- ein „deutsch-feindliches" Blatt bezeichnet wird, schrieb u. A.: Wenn die StaatSraisoa sie dahin gebracht hat, rin Frankreich ohne unS neu zu gründen, soll dies« Staatsraison unS nicht dazu führen, daß auch wir unser politisches und sociales Leben ge stalten ohne Frankreich? Wenn di» Treue und Anhänglichkeit rin Gefühl ist, daS un» ehrt, sind die Gejchäste deS Leben» nicht eine Nolhwendigkelt, di« sich aufdrängt? Bleiben wir, wa» wir sind. Bewahren wir in unserem Herzen die Treue dem, waS nicht mehr ist, und Allem, waS wir so sehr geliebt haben! Aber leben wir daheim und sür untl Herz und Verstand werden ihren Theil dabei finden, und wir werden die Ehre retten, ohne die Gegenwart zu compromittire». Denn es ist unser Fehler nicht, wenn sich so viel geändert hat zwischen dem 16. August 1870 und der Er nennung des Feldmarschalls v. Waldersee zum Genera lissimus der Verbündeten in China Anfang August 1900. Wer zu lesen versteht, wird i» diesem Erguß eine arge Verstimmung über die augenblickliche internationale Con- stellation, also über daS Zusammengehen Deutschlands und Frankreichs in China finden, weiter gediegenen Aerger über die französischen Republikaner, endlich die Absicht finden, den — bekanntlich klerikalen — Nationalisten und Monarchisten neues Anklagematerial gegen die Republik zuzufübren. Die Republik soll verhaßt gemacht werden, weil sie angeblich Elsaß-Lothringen vergessen habe, und die Nationalisten sollen durch die Drohung der Protestlerischen Resignation ermuntert werden, im entgegengesetzten Thun fortzufahren. Von einer aufrichtigen Aussöhnung mit dem Bestehenden ist in den angeführten, wie auch in den übrigen Sätzen des Artikels nichts zu entdeck n. Für eine bessere Zu kunft behält sich der franzosenfreundliche KleruS ter ReichSlande eine Fortsetzung jenes gewohnten Treibens vor, das übrigens, wie z. B. die Anfeindung des Gedankens der Errichtung einer katholisch-theologischen Facultät an der Universität Straßburg beweist, auch jetzt nicht ruht. Die Presse der Berliner Leitung des Bundes der Landwirthe führt eine so gehässige Sprache gegen Alles, was nicht in ihr Horn bläst, insbesondere gegen Handel und Industrie, Laß man sich nicht Wundern darf, wenn es aus vem Walde einmal ähnlich herausschallt. Erwünscht und im Interesse der „Politik der Sammlung" gelegen erscheint aber die Wiedervergeltung nicht und namentlich gilt dies von einer Uebertreibung, wie eS die dieser Tage von einem sehr bekannten Vertreter der Industrie und Geschäftsführer eines der ersten Jndustriellenvereine ausgestellte Behauptung ist, daS Börsengesetz sei „aus der von Neid, Mißgunst und Unverstand erzeugten agrarischen Stimmung gegen die Börse hervorgegangen". Diesem Ausspruch ist mit Recht entgegen gehalten worden, daß auch der bei weitem größte Theil der nationalliberalen Fraction für das Börsengesetz gestimmt hat. Es hätte hinzugesügt werden können, daß das Verbot des börsenmäßigen TerminhandelS in Getreide und Mühlen fabrikaten von der nationalliberalen Fraction sogar ein stimmig angenommen worden ist. Die klerikale Presse thut sehr entrüstet über die „Ver leumdung", die ein Witzblatt durch die Angabe gemacht haben soll, ein Tiroler Geistlicher habe Zuhörern versichert, Luther sitze schon jetzt „im untersten Stockwerk der Hölle." UnS kommt die ultramontane Empörung künstlich vor, denn wir erinnern unS, an der Friedhofsmauer zu Innsbruck ein „Gemälde" gesehen zu haben, das den Reformator in der Thal im Höllenfeuer zeigt. So fremd ist die Vorstellung der Verdammung Luther's geistlichen Köpfe» also jedenfalls nicht. Wilhelm Oechelhauser. In Niederwalluf am Rhein, in seinem schönen Heim, im Kreise der Seinen, begeht am heutigen Sonntage einer der Senioren der nationalliberalen Partei, Geheimer Commerzienrath vr. Wilhelm Oechelhauser, in erfreulicher Frische des Geistes l und des Leibes seinen achtzigsten Geburtstag. Es ist sein Wunsch gewesen, diesen Tag in stiller Zurückgezogenheit zu be gehen. Wenn dieser Wunsch von seinen politischen Freunden geehrt und demzufolge davon Abstand genommen werden mußte, durch Entsendung einer Parteivertretung den Gefühlen Ausdruck zu geben, die an einem solchen Tage aus dem Herzen hervor drängen, so wird um so inniger das freundliche Gedenken aller Derer bei ihm weilen, die Dankbarkeit für das Höchste halten, was ein großes Volk seinen besten Vorkämpfern schuldet. Wenn Wilhelm Oechelhäuser an seinem achtzigsten Geburts tage auf sein an Arbeit und Erfolgen so ungewöhnlich reiches Leben zurückblickt, darf er sich Eines sagen: daß er zu Allem sich den Weg selbst aus eigener Kraft gebahnt und im besten Sinne des Wortes ein „selbstgemachter Mann" ist, und daß er niemals selbstgenügsam sich im Erfolge gesonnt, sondern von Ar beit zu Arbeit geschritten und der Arbeit Herr geblieben ist, die gleichen Schritt mit seinen Jahren hielt. In Siegen geboren, führte eS ihn, nachdem er, technisch und kaufmännisch geschult, sich in vielen Ländern umgesehen, im Jahre 1848 nach Frank furt a. M., wo er drei Jahre Sekretär, dann Assessor im Reichs handelsministerium war, und die Grundlage legte für die spätere vielseitige wirthschaftspolitische Thätigkeit. Im Jahre 1852 rief ihn Mülheim a. d. R. als Bürgermeister an die Spitze der Stadt, und vier Jahre hat er dem aufblühenden Gemeinwesen vorgestanden, bis er, an die Spitze der Continental-Gas-Gesell- schaft in Dessau berufen, in diesem neuen Wirkungskreise drei- unddreißig Jahre sich mit größtem Erfolge bethätigt und mit dazu beigetragen, daß der deutsche Gewerbefleiß im Auslande sich Anerkennung errungen. Sein Schaffensdrang wies ihn zugleich auf das politische Leben. Nur kurze Zeit gehörte er 1852 dem preußischen Ab geordnetenhause an; seinen Ruf als Parlamentarier hat er in den fünfzehn Jahren begründet, die er als hervorragendes Mit glied der nationalliberalen Fraction dem Reichstag von 1878 bis 1893 angehört hat, wo er Handels- und wirthschaftspolitisch, vor Allem aber als hervorragender praktischer Socialpolitiker und unermüdlicher Vorkämpfer der Colonialpolitik hervorgetreken ist. Die Colonialpolitik hat er, vom parlamentarischen Leben zurllckgetreten, als Mitglied des Colonialrathes unermüdlich weiter gefördert; die deutsch-ostafrikanische Gesellschaft nennt ihn ihren Mitbegründer; zahlreiche Unternehmungen in Kamerun sind auS seiner Initiative hervorgegangen, und vor Kurzem noch hat er eine eigene Plantage dort angelegt, die seinen Namen trägt. Insbesondere aber wird ihm in der Deutschen Colonial gesellschaft gedankt, daß er sich so unermüdlich für die Er schließung von Deutsch-Ostafrika eingesetzt, und nicht ohne Rüh rung gedenken seine Freunde des jugendfrischen Enthusiasmus, mit dem dieser Mann, von der Last der Jahre ungebeugt, seine ganze Autorität in Wort und Schrift dafür eingesetzt hat, daß die Cokonie durch eine große TranSversalbahn erschlossen und dar reiche Seengebiet mit der deutschen Küste durch einen Schienenweg verbunden wurde. Was seine Arbeit so erfolgreich auf diesem und so vielen anderen Gebieten des öffentlichen Lebens gemacht, das war der glühende Idealismus, der seinem praktischen Wirken und Schaffen Richtung und Flügel gab. Von ihm stammt die mustergiltige Shakespeare-Ausgabe, und sein Werk war die Begründung der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft in Weimar. Und wo er nur immer mit dem Wort und mit der Feder wirkte, nicht zum Wenigsten als Publicist und Journalist, überall war es ganze Arbeit, weil er immer seine volle Persönlichkeit einsetzie. An äußerer Anerkennung und Ehren hat es ihm nicht gefehlt; es wurde ihm der Titel Geheimer Commerzienrath verliehen und der Adel, und was er höher als beides geschätzt hat, die Ehren- doctorwllrde der Philosophie, womit 1893 die Universität Er langen ihn und sich selbst ehrte. Er ist dabei in allen Stunden der gleiche, echte deutsche Mann geblieben, der Mann, der nicht lange sprach, sondern handelte, und sich des Erfolges in der Weise freute, daß er zu neuen Thaten schritt und dabei der gleich selbstlose und opferbereite Patriot blieb. In seinem Leben spiegelt sich die große Zeit des deutschen Volkes so getreulich wieder, wie bei wenig anderen Persönlich keiten, und darum ist bei ihm auch an seinem Ehrentage die Treue und Dankbarkeit aller Derer, denen sein Beispiel und seine Kameradschaft ein Ansporn zu pflichttreuer Hingabe an das deutsche Vaterland gewesen ist. Die Wirren in China. Der Correspondent deS „Neuter'schen BureauS" in Peking meldet vom 14. d. MiS.: Die Entsatzcolonne traf zur rechten Zeit ein, denn wir waren fast erschöpft. Nach dem wir in der Nacht auf gestern den heftigsten Gewehrkampf während der ganzen Belagerung dnrchgemacht hatten, wieder holte das Tsüng li Namen den schon einmal gemachten ver- rätheriscken Versuch, unsere Wachsamkeit einzuschläfern, indem es uns mittheilte, eS habe die chinesischen Truppen angewiesen, das Feuer einzustellen. Gleichwohl griffen die Chinesen aber hinterlistiger Weise die britische, die ameri kanische und die russische Gesandtschaft gleichzeitig von allen Seiten an. Der Lärm war betäubend und dauerte die ganze Nacht. Gegen Morgen gab unS der in weiter Ferne hörbare Geschützdonner neuen Muth, den Widerstand fortzusctzen. DaS Feuer der Chinesen auf die Gesandtschaften dauerte bis zu dem Augenblick, wo die Entsatzcolonne die Stadt betrat. Die Chinesen geben zu, während der Belagerung 3000 Mann verloren zu haben. Wir hielten die Gesandtschaften zwei Monate lang unter beständigem Feuer und lebten nur von Reis und von einem Pfund Pferdefleisch täglich. Als die Ver bündeten anrücklen, griffen die Amerikaner ein Stadtthor an und lenkten dorthin alle chinesischen Truppen. So blieb das Schahotho unvertheidigt. Die Engländer konnten wider standslos, ohne einen Mann zu verlieren, in die Stadt ein rücken. Deutsche Truppen. * Berlin, 25. August. (Telegramm.) Der zweite Admiral des Kreuzergeschwaders meldet aus Taku vom 23. d. M.: Capitän Pohl ist laut Privatnachrichten seit mehreren Tagen in Peking. Der Nachschub auf dem Peiho ist geregelt. Der erste Osficier der „Hertha" Hecht ist am 20. d. Mts. früh wohlbehalten in Tungutschow eingetroffen und nach Peking gegangen. DaS erste Seebataillon ist am 2l. d. MtS. in Matau ein getroffen. Die Fertigstellung der Transportmittel hatte zu leiden unter schlechtem Wetter auf der Rhede und Mangel an Zug- thirren. (Wiederholt.) Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt: In dem Abendblatt der „Frankfurter Zeitung" vom 22. August findet sich eine auS dem Pariser „Journal" stammende, angeblich von einem Augenzeugen verrührende Schilderung deS Rückzuges der Colonne Seymour'S. Darin wird auch erwähnt, das deutsche Landungscorps habe, da Leute zum Ziehen fehlten, ein Geschütz zurücklaffen müsse», welches dann in die Hände der Chinesen gefallen sei. Wie auS dem am 28. Juli veröffentlichten TagebuchauSzug deS Capitäns v. Usedom hervorgebt, ist diese Angabe unzu treffend. Dort wird gesagt: „Die Deutschen haben keine Waffen, Verwundeten oder Vermißten zurückgelassen. Alle Gefallenen wurden mit militärischen Ehren begraben." Admiral Seymour. Sir Edward Seymour ergreift jetzt selbst das Wort und schildert in einem langen Briefe seinen mißglückten Marsch zum Entsatz der Europäer in Peking und die Beweggründe, die ibn veranlaßten, diese Expedition zu unternehmen, so gefährlich und hoffnungslos sie auch schien. Der Brief bringt zu den schon mitgetheilten Thatsachen deS Zuges nicht« wesentlich Neues bei, enthält aber in seinem Schluffe einige interessante Details, die wir im Folgenden wiedergeben: „Das Thermometer zeigte während unsere» Marsche» zuweilen über 100 Grad im Schatten (ca. 40 Grad Celsius) und unser Durst war in der ersten Woche groß. Was wir alle» gegessen und getrunken haben, mag ich mir gar nicht inS Gedächtniß zurückrusrn. An einem Tage erschossen wir einen Retter mitsammt seinem Pferd im Gefecht und verzehrten dann noch am selben Nachmittag das Pferd. Alle Anstrengungen, mit Tlrntsin in Verbindung zu treten, scheiterten daran, daß die Chinesen in dichten Schwärmen das Gebiet durchzogen. Unsere bewaffneten Partien wurden zurück getrieben und unsere Courirre gesangen und getüdtet. Schließlich gelang e» einem Mana durchzukommen, aber er mußte den Brief ausesjen, den wir ihm mitgegeben hatten. Dann kam die Entsatz- colonne, die meist auS Russen bestand, und wir kamen mit circa 200 Verwundeten in Tientsin an. Hier (der Brief ist in Tientsin geschrieben) halten wir nun den Platz; die Chinesen feuern zuweilen auf un» und versuchten auch, un» unter Wasser zu setzen. Gestern traf mich »ine verirrte Kuqel an dem Platze, an dem ich schreibe. Wenige vielleicht baden versucht, eine au- acht Nationalitäten zusammengesetzte ExveditionStruppe zu führen; e» erfordert sowohl Takt, al» gute» Temperament. Di» Fremden waren indessen sehr nett gegen mich und je weiter die Sache ging, sagten sie einfach vo» orckre»' und „wir werden tbua, wa» Sie sagen." E» war sehr interessant, die verschiedenen Nationalcharaktere zu beobachten. Am meisten bewunderten wir die Deutschen, aber an Toll kühnheit und Lust draufzugehen, übertraf oder kam vielleicht Nie mand den Amerikanern nahe. Die Franzosen zeigten keine be sondere Annäherung an eine andere Nationalität. Die Deutschen und Russen waren geneigt, zusammenzuhalten, die Amerikaner waren immer mit uns. Die Japaner neigten zu uns, aber die Russen waren ebenfalls sehr freundlich gegen sie. Die Italiener und Oesterreicher waren brave Jungens, aber nur wenige Mann. Natürlich gab es eine Menge amüsanter Zwischenfälle, aber auch manche sehr traurige. Zwei oder drei Mal waren unsere Aus sichten sehr dunkel und eine Katastrophe schien nicht unwahr scheinlich; trotzdem habe ich nicht ein einziges Mal bedauert, daß ich den Vormarsch gemacht habe. Ich würde meine Achtung vor mir selbst verlieren, wenn ich es nicht gethan hätte." * Paris, 25. August. (Telegramm.) Der „Figaro" veröffentlicht einen Brief des Admirals Lord Seymour an den französischen Admiral Courrejols, in welchem er in den wärmsten Ausdrücken von der Tapferkeit der französischen Abtheilung bei der Ein nahme der Forts von Taku und beim versuchten Marsch nach Peking spricht, an die Waffenbrüder schaft von Engländern und Franzosen im Krim ¬ krieg erinnert und die Hoffnung ausspricht, der neue Waffenganq in China werde die Freundschaft zwischen beiden Völkern fest knüpfen. Beide Briefe lassen nur eins erkennen, daß Lord Seymour ebenso schlecht auf militärischem wie auf diplomatischem Ge biete zu Hause ist. Eine in Berlin erscheinende ostasiatische Correspondenz, in der man die Anschauungen der Berliner chinesischen Gesandtschaft zu finden gewohnt ist, erörtert die Frage, wer augenblicklich zur Regierung in China geeignet sei und von den Mächten anerkannt werden könne. Die fremdenfreundlichen höheren Mandarine in Peking seien zweifellos Opfer der Fremdenwuth geworden. „Hat also", so heißt eS weiter, „die Kaiserin-Wiltwe Peking mit dem Kaiser und ihren Ministern verlassen, so ist an brauchbaren chinesischen Staatsmännern augenblicklich Niemand in Peking, mit welchem die Verbündeten zur Bildung einer, wenn auch nur provisorischen Negierung schreiten könnten. Von der Dynastie erscheint uns der einzigedazuGeeignetePrinzTscking zu sein, zu dessen Unterstützung Li-Hung-Tschang nach Peking zu berufen wäre. ES ließe sich dann mit diesen beiden an der Spitze eine Grundlage zur neuen Negiernnz schaffen, deren Ausgestaltung und förmliche Einsetzung mit den nöthigen Garantien für die Zukunft von den Mächten zu bewerkstelligen wäre. Eine Heranziehung Li-Hung- Tschang'S zur Mitwirkung bei dem PacifikationSwerke halten wir auf alle Fälle für geboten, wie eS auch sonst die Mächte mit seinen neuerlichen VermittelungSzesuchen halten wollen; denn er war, ist und bleibt, so länge seine geistigen und physischen Kräfte seine Activität ermöglichen, der am meisten geeignete und befähigte Staatsmann in China, mit dem durch Verhandlungen praktische Resultate zu erzielen sind. Man braucht sich von ihm nicht überflügeln zu lassen, aber auch nicht hinter Allem und Jedem, waS er sagt und vorschläzt, nur Hinterlist und Verschlagenheit zu wittern. Die meisten hohen 'chinesischen StaatSwürdenträgrr in Mittel- und Südckina haben mit Li-Hung-Tschang ein großes Interesse an der friedlichen Auseinandersetzung mit den Mächten und werden, wenn sie eS auch nicht sagen, sich wenig darum kümmern, was die Mächte mit dem Prinzen Tuan, seiner Thronfolge und seiurm ganzen sremdenfeindlichen Anhang thun. An der Kaiserin- Wit twe haben sie allerdings ein lebhaftes Inter esse. Von ihr steht faber ziemlich fest, daß sie, wie auch der mit dem neuen deutschen Gesandten für China, Herrn Mumm von Schwarzenstein, jüngst nach China zurück gekehrte LegationSsekretär der deutschen Gesandtschaft in Peking, Herr v. d. Goltz, einem Zeitungscorrespondenten gegenüber in Berlin bestätigte, bereit- bei Kaltstellung deS Kaisers Ende September 1898 unter dem Zwange und Banne des Prinzen Tuan handelte. In derselben Zwangs lage dürste sich die Kaiserin seither überhaupt und ins besondere in letzterer Zeit mit ihrer Theilnahme an der Regierung befunden haben. Wie glauben nicht, daß die Flucht der Kaiserin von Peking eine freiwillige gewesen ist. Prinz Tuan und sein Anhang hätten mit der etwaigen Etablirung einer Gegenregierung außerhalb Peking« ohne Kaiser und Kaiserin mit seiner bezw. seine« Sohne« Thronfolge in der Luft geschwebt; die Kaiserin und der Kaiser mußten also mit hinaus auS Peking. Es wird dann weiter auseinander gesetzt, daß die Ernennung eines neuen Kaisers auS den vorhandenen Prinzen nicht schwer fallen würde. Allein flnd diese für den Kaiserthron qualificirten jungen Prinzen in Peking, oder sind sie von dort mit dem Hofstaate weggesührt worden, die Schaffung einer chinesischen Regierungsinstanz, die zwischen den Mächten und dem Throne vermittelt, bezw. die Verhandlungen führt .und eventuell absckließt, scheint unS da« Nächstliegende zu sein. Prinz Tsching und zweifellos auch Li-Hung-Tschang könnten dabei gute Dienste leisten. Als solche Bermitt- lungsinstanz ist ja derzeit auch Li-Hung-Tschang mit seinen neuerlichen Gesuchen bei den Mächten zu betrachten. Die Haltung der Mächte zu denselben mag derzeit noch eine ab lehnende sein, aber eS könnte sehr wohl noch der Fall rintreten, daß die Mächte sich im weiteren Verlaufe der Ereignisse doch noch genötbigt sehen würden, auf die Vermitt lung deS chinesischen Staatsmannes zurückzugreifen. Den Erörterungen über die Eventualität einer Absetzung der Mandschn-Dynastie müssen wir jeden Werth absprechen; als ob derlei in China so leicht wäre! E« wäre ein sebr zweifelhafte» Experiment, mit welchem dir vierhundert Millionen Chinesen überflüssiger Weise zu einer großen Kraftprobe gegen da» Europäertbum herauSgefordert wurden; eS wäre die» der Zerfall China« zum Schaden Aller. WaS die Mächte erstreben können, ist die Erschließung CbinaS für Len Welthandel, wohl eine« der größten Ereig- nisse unseres beginnenden Jahrhundert«. Liese« große Zi,^
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