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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.12.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-12-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001224022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900122402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900122402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-12
- Tag1900-12-24
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Auzkigea-Pret- die 6gespaltene Petitzrile 2L Reklamen unter dem Redactiou-srrich s4gespalten» 75 vor den Familjennach- richten (8 gespalten) »0 -j. Tabellarischer und Ziffernjatz rutlprrchend höher. — Gebühr«» sür Nachweisung», nnd Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Srtra Beilage» (gesalzt), nur mu der Morgen Ausgabe, ohne Postbesörderung ./t «0.—, mtt Postbesörderung 7V.—. Jinnatzmeschluß für ^lyeize»: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morge» Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei de» Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stund« früh«. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet oon früh 8 bis Abend- 7 Uhr- Druck uud Lerlag vva E. Polz in Leipzig. «5i. Montag dm 24. December 1900. SL Jahrgang. Am iwcilen Weihnachts-Fciertagk crscheint keine Nummer unseres Llattes. Anzeigen für die Frnhnnniiner vsnr Donnerstag, den 2?. Deeenrber, erbitten wrp bis spätestens heute Abend ? Ahr. Die Wirren in China. Die «Nitärischen Aufgaben Nachdem zuerst die Rusten, dann die Nordamerikaner und ein großer Tbeil der Japaner abgewogen sind, haben sich jetzt auch die Engländer aus Peking empfohlen, so daß die Hauptmacht daselbst nur noch aus Deutschen und Franzosen besteht, wozu eine schwache Abtbeilung Italiener und Oest- reicher treten. Die angeordneten kleinen Expeditionen haben, abgesehen von ihrem Zweck, da- Land von den Boxerschaaren zu säubern den Vortbeil, daß sie die Truppen vor ihrem schlimmsten Feind, der Untbäligkeit, bewahren und sie langsam und regel mäßig an Strapazen und die dortige Kriegführung gewöhnen. Wer kann beute sagen, was ihnen noch bevorstebt? Die neuesten Depeschen des Obercommandirenden in China bestätigen die Bermuthung, daß die Chinesen die Hoffnung begen, zum Frühjahr neue Truppen und Boxerschaaren ins Feld stellen zu können, um nochmals das Glück der Waffen zu versuchen, ehe sie sich den harten und dcmüthigenden Friedensbedingungen unterwerfen. Die im Norden der Provinz Scbansi (im Westen von Paotingfu) gemeldete Armee unter General Ma dürfte sich aus all den Truppen zusammensetzen, die auS Tientsin, Peitsang, Lutai und auS der Mandschurei zurück getrieben worden sind, wozu vielleicht noch Verstärkungen all dem Süden binzutreten. Daß in Petschili immer noch keine Ruhe und Sicherheit herrscht, haben wir wiederholt hervor gehoben. Da» Gefecht bei Scha-wo. Das Amtsblatt von Kiau tschau veröffentlicht folgenden Bericht über ein Gefecht bei Scha-wo im Kiautschaugebiete: Auf die Nachricht, daß sich in den Dörfern etwa lO Kilometer nordöstlich Kaumi Boxer und Räuber sammelten und dort ernst licher Widerstand vorbereitet würde, sandte Hauprmann Conradi am 31. Oktober den Hauptmann v. Kries zu einer Recognvscirung in diese Gegend. Hauptmann von Kries erhielt aus dem Dorfe Nan-ticby und vier umliegenden Dönern bei seiner An näherung starkes Feuer aus Kanonen, Wallbüchien und Gewehren. Am 1. November früh trat Hauprmann Conradi unter Zurücklassung einer starken Wache einen Vormaisch auf die Dörfer bei Nan-tschy, welche am Tage vorher aus die Patrouille des Hauptmanns v. KrieS geschossen hatten, an. Die uuler Oberleutnant Hagemeiüer vor- geschickte Reitrrabtheilung erhielt aus dem Dorfe Scha-wo, etwa 600 Meter westlich Nan-tschy, Feuer aus Kanonen und Wallbüchsen. Als für den Angriff am günstigsten hatte Hauptmann Conradi die Nord front des Dorfes erkundet. N DaspDors Scha-wo ist rings mit einem fünf Meter hohen Erdwall umgeben, auf welchem die Mündungen zahlreicher Kanonen und Wallbüchsen hervorragten. Hinter der Brüstung des Walle waren, bevor von unseren Truppen das Feuer eröffnet wurde, dir rothen Kopftücher der Boxer zu erkennen. Hauptmann Conradi befahl der Batterie, in Stellung zu gehen und das Feuer gegen dir Nordfront de» DorsrS zu rröfsnrn. Die Compagnie o. Kusserow besetzte den Südrand eines circa 230 m voin Wall entfernt liegenden großen Gehöftes Tie Compagnie Christiani blieb zunächst hinter diesein Gehöft in Reserve. Den Maschinengewehrzug nahm Hauptmann Conradi auf den linken Flügel zugleich als Bedeckung für die Batterie. Bevor die Batterie zu Schuß kam, wurde aus dem Torfe sebr lebhaft auf die Compagnie v. Kusserow und die Batterie mii Kanonen und Wallbüchien geschossen. Selbst als die Batterie Granate aus Granate gegen die Umwallung sandte, und die Compagnie v. Kusserow lebhaft feuerte, wurde das Feuer LeS Gegners nicht schwächer. Einzelne Geschosse schlugen sogar noch kurz vor der Batterie ein. Hauptmann Conradi befahl nun der Compagnie Christiani, die Compagnie v. Kusserow zu verstärken und einen Zug als Reserve zurückrulassen. Nachdem die Batterie etwa eine halbe Stunde ge feuert hatte, war eS ihr erst gelungen, «ine Bresche zu legen. Em Beweis für die Widerstandsfähigkeit der Uniwallung. Ta nun auch das Feuer des Gegners schwächer wurde, setzte Hauptmann Conradi den Reservezug ein und ging mit den beiden Couipagien zum Sturm vor, und unter Hurrab wurde der Wall, vor dem noch ein etwa zwei Meter tiefer, beinahe trockener Graben lag, erklettert. Eine Anzahl Boxer hielt noch auf einer vorspringenden Ecke des Walles Stand, bis letzterer erklettert war. Ein großer Theil der Dorsbesahung war vor dem Sturm von der Ostseite des Dorfes über den Wall entflohen und wurde durch den Majchinenqewshrzug mit großem Erfolg beschossen. Auf unterer Seite wurde kurz vor dem Sturm Hornist Städele der dritten Compagnie durch ein Geschoß am rechten Oberschenkel verwundet. Außerdem erhielt der Seesoldat Stoller der vierten Compagnie vom Neiterdetachement, welches während deS Gefechtes di- linke Flanke deckte, einen Schuß in das rechte Handgelenk. Auf chinesischer Seite wurden über 200 Todtr festgestellt. Wie zäben Widerstand die Chinesen leisten wollten, geht daraus hervor, daß sie die Dorsthore von innen bis oben hin mit Erde zngeschüttet und in die bis auf circa 3 bis 4 Meter verstärkten Wälle Unterstände und MunitionSräume em -.«richtet batten. Waffe, und Munition wurden vernichtet und mehrere Häuser iu Brand gesteckt. Während des Gefechtes wurde aus den umliegenden Dörfern stark auf unsere Truppen geschossen, so daß es den Anschein hatte, als müsse auch diesen noch gehörig aus den Leib gerückt werden. Aber am anderen Tage wurde sestgestellt, daß sie den Wider stand ausgegeben hatten. Die Bewohner waren damit beschäftigt, die Umwallungea abzutragen; irgend welche Feindseligkeiten fanden nicht statt. Der Krieg in Südafrika. Bom Kriegsschauplätze lauteten in den letzten Tagen die Nachrichten durchaus un günstig für die englischen Truppen. Coles berg ist in den Händen der Boeren, das riesige Depot bei De Aar, welches sür über 10 Millionen Mark an Werth Nahrungsmittel und Ausrüstungsgegenstände, sowie Geschütze und Munition enthält, wird durch starke Boerencommaneos bedroht, die bei Hout Kraal die Eisenbahn von de Aar nach Kimberley zerstört baden und besetzt halten, und die sämmtlichen übrigen Verbindungslinien der Engländer mit dem Lüden sind inso fern in der Gewalt ihrer Feinde, als bis zur Stunde trotz aller Anstrengungen deS britischen Hauptquartier- eine günstigere Lage in dieser Hinsicht noch nicht geschaffen worden ist. Die Eisenbahnen sind jetzt von den Bocreu nicht durch ein einsackes Schienenaufreißen zerstört worben, sondern auf Meilen hinaus haben die Boeren die Uebergänge, die unzähligen kleineren und größeren Brücken und den Schienen weg selbst mittels Dynamits gesprengt, so daß selbst im günstigsten Falle die Wiederherstellung Wochen und selbst Monate in Anspruch nehmen würde. Selbst die bisher noch allein offene Verbindungslinie in Natal ist schwer bedroht. Größere Streifscbaaren von Boeren besioden sich nämlich bereits in der Nähe deS Blood- River im östlichen Natal und somit kann ein kurzer Ritt eines besonders unternehmenden Commandos leicht die Möglichkeit bieten, auch hier den Schienenweg gründlich zu zerstören, zumal General Hoaltyard kaum im Stande sein dürste, die Linie über Standcrton hinaus genügend zu schützen. Die wichtigste Frage für die englische Feldarmee wäre daher augenblicklich, ob einerseits im Oranjefreistaat nördlich von Bloemfontein genügende Vorräthe an Munition, Nahrungsmitteln u. f. W. in starkvertbeidigten Depots vorhanden sind, und ob das Gleiche sür den Trans vaal nördlich der beiden wichtigen Puncte Standerton und Veroeniginz der Fall ist. Nur dann könnten die Engländer einer allgemeinen Boerenconcentration im Süden ruhig und gesammelt entgegcnseben, was aber auf jeden Fall unmöglich sein wird, wenn etwa die allgemeine Insurrektion in der Cap- colouie von dir Lin e Fraserburg, Carnarvon und Priceka vis zu der Linie von Darkly-East bis Herschell sich erstrecken sollte. — Voraussichtlich wird cs sich kaum vermeiden lassen, daß die Negierung in Capsladt der Colonie das Standrecht in vollster Ausdehnung unv mit allen unerfreulichen Conse- qnenzen als wenig willkommenes Weihnachlspräscnt auf zwingen muß. Optimistischer klingt die folgende englische Meldung: * London, 23. December. Eine Depesche Lord Kitchener's ans Pretoria vom 22. December meldet: Soweit es möglich ist, sich eine Ansicht zu bilden, glaube ich, daß die Vorwärts- bewegung derBoeren in der Capcolonie gescheitert ist. Unsere Truvpen umgingen beide Boerencommandos. Eine weitere Abtheilung ist in der Bildung begriffen, die sofort abgesandt werden soll. Die Boeren finden nicht viel Unterstützung in der Capcolonie. Dewet befindet sich in der Nähe von Sen ekal. General French meldet, er sei mit den Commandos Paget's und Delarey's in den letzten zwei Tagen südlich von Magaliesbcrg zusammengetroffen und in der Verfolgung I des Feindes begriffen, der große Verluste erlitten habe. Commandant Kreuse und einige andere Borken feien ge fangen genommen worden. Bei allem Optimismus ist die Meldung doch recht vor sichtig gehalten und bietet nicht viel Greifbares. Umzingelt waren die Boeren oft und verfolgt werden sie eigentlich stet» — aber selbst die Engländer „henken Keinen, sie hätten ihn denn vor", und die Boeren sind ihnen nock größtentheil» rntschlüpft. Nicht ganz unglaubwürdig scheint e» dagegen, daß die Boeren in der Capcolonie keine große Unterstützung finden, mindesten- scheint es übertrieben, daß der ganze Norden der Colonie in Aufruhr sei. Politische Tagesschau. * Leiprig, 24. December. Wir haben die zahlreichen BeileidSkundgebunqen zum Untergange der „Gneisenau" als schwachen Trost in dem Schmerze bezeichnet, der so kurz vor dem Weihnachts feste der ganzen deutschen Nation und insbesondere den An gehörigen der bei der Katastrophe zu Grunde gegangenen wackeren deutschen Seeleute bereitet worden ist, und wir hätten nicht geglaubt, daß irgendwer auf diesen Trost, so schwach er ist, verzichten möchte. Und doch ist eS so; die „Nation" knüpft an die Veröffentlichung dieser Kundgebungen eine Auslassung, die von der „National-Ztg." der Wiedergabe für Werth erachtet wird und in der eü heißt: Heutigen TageS kann kein Unglückssall sich ereignen, ohne daß von Nord und Süd und von Ost und West der Telegraph in Be wegung gesetzt wird, »in in wohlgesetzter Rede zu melden, daß von Konstantinopel bis Grönland die ofsicielle Welt Las empfindet, was jedes menschliche Herz empfinden muß. Unsere Zeit liebt es, und es entspricht der Sitte unserer Tage, daß jedes bemerkenSwrrthe Ereigniß mit wahren Paraden der Beglückwünschung oder mit wahren internationalen Trauerparaden begleitet wird. Auch dieser Sitte, die von Berlin aus die Welt erobert hat, könnte man eine vortreffliche Seite abgewinnrn, wenn die Solidarität unter den Völkern, wenn das mitempfindende Verständnis von Nation zu Nation und von Mensch zu Mensch gewachsen wären und wenn jene Sitte der Ausdruck für dieses Wachsthum wäre. Aber wenn man von China nach den Philippinen und von den Philippinen nach Südafrika blickt und wenn man sich die bittere Nothwendigkeit der europäischen Rüstungen ver gegenwärtigt, so wird man skeptisch gegen die fortschreitende Macht der schönen Botschaft vom Frieden und von der Eintracht auf Erden. Es scheint nicht, daß die edlen Keime in der Menschen brust heut üppiger sprießen; aber die Freude am Pomp bei Trauer wie bei Freude hat zugenommen, und wenn diese Mode al- ge botener nnd osficieller internationaler guter Ton jetzt über dir Feuilleton. 3j Rauhfrost. Novelle von I. Fichtner. riackdruck vlibolra. Dieser schnelle Schluß der Debatte wurde dadurch bedingt, daß der Herr Kanzlrirath mit dem Messer an sein Glas tippte, und seine lange hagere Gestalt sich erhob, um einen Toast aus- zubringrn. Er wußte sich keinen anderen Rath, um der inter- rfsanten Unterhaltung hinter seinem schmalen Rücken ein Ende zu machen. Ein Stündchen später fliegen die Champagnerpfropfen knallend zur Deck«, ohne die lächelnden Genien des Glückes da oben auch nur im Geringsten zu stören. Don Jahr zu Jahr hat sich das Ansehen und die emporstrebende Größe seines Hauses gemehrt, der Reichthum in seiner Hand verdoppelt, von allen Seiten ertönt nun durch Gläserklang und den klingenden Ruf der zwölf Uhr verkündenden Glockenschläge an sein Ohr: „Glück- auf zu weiterem frohen, stolzen Gedeihen Deine« Hauses, Glück- auf zu Reichthum und Ehre!" Und er weiß es, der Herr dieses Hauses, daß dieser Ruf von Herzen kommt, nicht durch Neid und Mißgunst getrübt ist, denn er ist sich bewußt, seinen Unter gebenen ein guter Herr, seinem armen, weiten Familienkreise ein sorgender Freund zu sein, und doch kann ihn heute dieser Wunsch nicht beglücken und erfreuen. Er ist eS, der, zuerst seine Tochter bewegt an sich ziehend, und sie auf die Stirn küssend, hinter den dunklen Augensternen verborgene Thränen zu sehen glaubt. Ein fast zorniges Weh durchzittert das treue Baterherz in der Erkenntniß, daß eS mit aller Liebe und Zärtlichkeit, nnt dem Aufwand und der Macht des großen Reichthum», den Gott in seiner Hand vereinigt, ihm doch nicht möglich ist, seiner Tochter, dem einzigen Wesen, das ihm das Schicksal zu lieben vergönnte, ein reines und volles Glück zu erkaufen. „Immer heiter, meine Melitta, und Kopf hoch — stehst Du nicht neben Deinem Vater?" flüsterte er ihr tröstend und er mahnend zu. Im Stillen aber denkt der immer ein gut Theil Menschenkenntniß zu haben glaubende Geschäftsherr: „Es ist doch nächt» unberechenbarer als unsere heutige Jugend. Darin hätte ich mich nun nicht zu täuschen geglaubt, und — doch!" Ein Hinüberspitlen der Gedanken zu Ludwig'» einsamem Studir» zimmer vervollständigt den Satz. Melitta aber rafft ihre ganze Kraft zusammen, um den Pflichten einer Vertreterin des Hauses der stolzen Firma Grü- ning zu genügen. Schon lange ist es still in der kleinen Behausung, die Frau v. Kronau mit ihren Töchtern bewohnt. Der Engel des Schlafes ist längst durch das enge Stübchen geschwebt, eine Fülle herr licher Träume zurücklassend, deren Abbild auf den beiden rosigen Gesichtern, die sich so wohlig in die Kiffen schmiegen, zu lesen ist. Die Mutter tniet am Bette ihrer Lieblinge, die Hände betend gefaltet über ihren einzigen großen Reichthum auf dieser Welt. Si« möchte den Himmel herabrufen im stummen, heißen Liebesdrange ihres Herzens, daß er sich schützend und segnend über die armen Waisen niedersenke und sie vor den Enttäuschungen des Leben» bewahre, welche ihr in so schmerzlich drückendem Maße zu Theil geworden waren. Ach, sie will ja Alles ertragen, nichts für sich begehren und Gott auf den Knien danken, wenn sie nur einmal die Gewißheit mit hinübernehmen könnte, daß ihren Kindern aus ihres Lebens Noch und Sorge ein "nge- trübtes, gesichertes Glück erblühen würde. Und wieder drückt es sie, wi« so oft schon, tief nieder, daß sie selbst dazu so gar nichts thun kann, daß ihre Hände leer, ihre Kraft gebrochen, sie selbst ja beinahe so arm und hilflos ist wie ein Kind. Nur ihre Erfahrungen, darin ist ße reich, diese sollen ihren Kindern nicht fehlen. Und doch, wie schwer und wehevoll ist es für ein Mutterhrrz, mit diesen dl"e Illusionen, die sich gleich goldenen Märchenträumen im Herzen der Jugend häufen, zu er sticken! Ist es nicht besser, ein kurzes, glänzende» Glück zu finden, einmal in Seligkeit aufzuathmen, von den Wellen des Lebens einmal emporgehobrn zu werden zum Sonnenlichte, als immer glücklos nüchtern auf dem ewig geraden, dunklen Pfade unseren Lauf zu vollenden? Auch in der Erinnerung der einsamen Frau leuchtet ein ferner Lichtpunkt, die kurze Liebeszeit, die Träume und Hoff nungen, die sie mit ihrem Gatten theilte, der in lodernder Be geisterung, durch sein Gesangstalent unterstützt, sich der drama- tischen Kunst widmete, um mit dieser den verarmten Namen wieder zu Ehren zu bringen, mit Ruhm und Reichthum zu schmücken. Rauhfrost — glitzernder Rauhfrost — die ganze erträumte Herrlichkeit, welche die Bretter bieten, die eine Welt für sich bedeuten. Millionen kalte, rieselnde Thränen blieben davon übrig. Sie fielen auf sein Herz und schwemmten es hinunter ins dunkle Grab. Nur der Name blieb ihr und die alte Armuth, und ein» stritt unaufhaltsam gegen das Andere — es war ein steter, verzehrender Kampf, der ihre Kraft nahezu vernichtet hatte. Seit sechs Jahren mühen sich allein di« feinen Finger Tag und Nacht und können es doch nicht fertig bringen, die hochmüthig und widerwillig gewährte Unterstützung einer hartherzigen, reichen Verwandten abzuwehren. Immer wieder muß sie die Bitterkeit der Abhängigkeit kosten — auch wieder im neuen, im kommen den Jahre, und während sich das blaffe Gesicht fest in die zittern den Hände Preßt, steigt aus Herzensgrund die stumme Bitte zum Himmel: „Allmächtiger, erspare meinen Kindern diese Pein — mache sie glücklich — glücklich!" IV. Ellinor geht, ein duftiges Veilchensträußchen an die Lippen drückend, in dem kleinen Zimmer auf und ab, leicht und elastisch ohne die geringste Spur von Anstrengung oder Schwäche. Frau v. Kronau athmet erleichtert auf und Lotte hängt sich schmeichelnd an den Arm der Schwester. Der junge Arzt aber steht im Hintergrund mit klopfendem Herzen, gespanntem, prüfendem Blick. Nun erst fällt ganz und gar die geheime Sorge mancher stillen Stunde, die er mit Frau v. Kronau, obwohl unbewußt, getheilt hatte. „Meine erste gelungene Cur! Gott sei Dank, es ist kein Fehler zurückgeblieben!" Dieser Dank kommt aus voller Brust, und mit leuchtenden Augen schaut er auf das junge Mädchen, das während dieser Wochen wohl etwas schlanker, größer und noch schöner geworden ist. In den Augen liegt eine Welt voll süßer, schlummernder Seligkeit, welche die langen, dunklen Wim pern gar nicht bergen, der schwellende Mund kaum verschließen kann. In widerspenstiger Fülle drängt sich das dunkelblonde Haar leicht und lockig in die reine, edle Stirn, während das vibrirende Näschen den Duft der blauen Frühlingsboten ein saugt. So gleicht Elli, das Köpfchen vornüber gebeugt, der träumenden, glutherfüllten Rosenknospe, die nur auf den Kuß der Sonne wartet, um sich in voller Pracht zu erschließen. Immer wieder geht sie hin und her, al» wollte sie sich des neugeschenkten Gliedes so recht von Herzen erfreuen. Die Mutter aber tritt zu dem jungen Helfer und streckt ihm die Hand ent- gegen. „Wie soll — wie kann ich Ihnen danken?" Nun erst läßt er den Blick loS von der wandernden Blumen gestalt. „Wie?" fragt er fast unbewußt. O, er möchte es ihr schon sagen, wie!? Aber er drängt ihn zurück, den stummen Herzens wunsch, der sich fast gewaltsam auf die Lippen drängen will, denn er ist ein besonnener, zielbewußter, junger Mann, und so begnügt er sich denn, die dargebotene Hand warm und fest in der seinen zu halten. „Sie haben «ine unendliche Dankesschuld auf mein Herz ge laden, meinem Kinde das köstlichste Gut, die Gesundheit, wieder geschenkt —" „Still, still", wehrte er, „glauben Sie ja nicht, gnädige Frau, daß ich ein bescheidener Gläubiger bin — einst fordere ich großen Dank aus Ihrer Hand." Lotte hat Elli ins Nebenzimmer geführt — sie war ja vier volle Wochen nicht darin, nun ist ihr ja das Bildchen an der Wand, jedes „Andenken" in dem gemeinsamen GlaSschränk chen neu und fremd, sie haben Beide viel zu sehen und zu be wundern. Frau v. Kronau aber sieht dem erregten, jungen Mann ernst in die tiefen, flammenden Augen. Hat sie recht verstanden? Wieder, wie damals am Sylvesterabend, durch wärmt ein Hoffnungsstrahl ihr zagendes Herz, das beinaye den Glauben an das Glück verlernt hat, und doch — sie hat zu viel der Enttäuschungen hinter sich, und der unberührte Herzensfrieden ihres Kindes gilt ihr jetzt noch höher, als vage Hoffnung. Deshalb, und auch um den jungen Mann aus den wogenden Gefühlswellen auf das trockene Gebiet der Vernunft zurückzulenken, gesteht sie frei und offen: „Ich bin arm, Herr Doctor, das wird Ihnen kaum mehr ein Geheimniß sein; aber trotzdem steht mir doch das Glück meines Kindes, die innere Zufriedenheit seine» unberührten Herzens so hoch und heilig, daß eS mir eine heilige Pflicht ist, darüber zu wachen. Lassen Sie deshalb, ich bitte Sie dringend, unsere Wege nun auseinander gehen. Auch Sie haben hohe Pflichten gegen sich selbst und gegen die Welt; wenn Ihre Wünsche — und das kann erst nach Jahren sein — sich damit vereinigen lassen, dann kommen Sie wieder. Bi» dahin wird mein Kind auch das Ziel erreicht haben, um auf eigenen Füßen zu stehen, frei ihr Herz entscheiden zu lassen, unbeeinflußt von der Macht der Verhältnisse, die so oft einen folgenschweren Schritt bedingen. Ich glaube sicher, daß Sie mich so verstehen, wie es gemeint ist, und mir deshalb nicht zürnen." Er beugte sich über ihre Hand und küßte sie ritterlich. „Ich habe Sie recht verstanden und werde den aus gesprochenen Wunsch rcspectiren", sagte der Doctor zu Frau v. Kronau. „In Allem, wa» ich noch zu leisten habe — und es ist nichts Leichtes — wird Lieser Augenblick mir Sporn und Antrieb sein, da» Höchste zu erreichen. Sie zögern jetzt noch, gnädige Frau, mir Ihr volle» Vertrauen ru schenken; ich werde es mir aber verdienen, das verspreche ich Ihnen auf Manneswort!" Der Ausdruck innerster Wahrheit lag in diesen Worten, sie fühlte das und konnte nur dankbar den Druck seiner Hand erwidern. (Fortsetzung folgt.)
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