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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.11.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021105013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902110501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902110501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-11
- Tag1902-11-05
- Monat1902-11
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Anzeige» find stet» aa di, Expedition zu richte». Dir Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung SÜc—, mit Poftdrsürderuag ^ll 70.—. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petltzeile 25 Rekl««,« »nt»r d«m Rrbakttonsstrich (SgespaUe») 75 vor den Famüi,»»ach> richt,» («gespalten) LV H. Tabellarilcher und Kissernia» entsprechend höher. — Aebührea für Nachweisungen und Offertenannahme SL H (excl. Porto). S8. Jahrgang. Die gewerbliche Linderarbeit in Lachsen. e. Das Leben der Gegenwart hat auch für die Kinder zahlreiche Gefahren geschaffen, die eine frühere Zeit nicht lanme. Ein Volk mit so reicher und starker Entwickelung wie daö deutsche, wird jedoch schon durch den Trieb seiner tulturcllen und nationalen S e l b st e r h a lt u n g dazu gezwungen, jene Gefahren, so viel wie möglich ist, zu beschränken. Denn nur eine geistig und körperlich tüchtige fugend verbürgt einen gesunden Fortschritt. Neben rein Humanitären Gründen hat namentlich diese Erwägung in allen Kulturländern eine soziale Politik des Kinderschuhes eingeleitet. Natürlich sind den Mitteln dcö Staates auch hier Grenzen gezogen: aber immerhin reicht sein Einfluß weit genug, um zahlreiche Mißstände zu beseitigen oder doch einzuschränken. Der beste Kindcrschuy wird aller dings immer auf dem Wege der sittlichen und wirtschaft lichen Entwickelung der unteren Volksklassen zu erreichen sein. Utl/er diesem Gesichtspunkte betrachten mir daher staatliche Zwangsmittel wohl heute noch als notwendige, aber doch nicht als die wesentlichsten Maßregeln znm Schutze der Kinder. Soweit cs sich dabei um die gesundheitsschädliche Aus nutzung der Kinder in Fabriken handelt, ist in Deutsch' land bekanntlich durch die Novelle zur Gewerbeordnung vom k Jnni 1891 folgendes bestimmt: Kinder unter ist Jahren dürfen in Fabriken nicht beschäftigt werden, über 13 Jahre alte nur dann, wenn sie nicht mehr zum Besuch der Bolksschule verpflichtet sind und ihre tägliche Arbeitszeit darf bis zum 14. Jahre 6 Stunden nicht über steigen. Ohne Zweifel haben diese Bestimmungen mit zahlreichen üblen Verhältnissen aufgeräumt, aber sie haben auch zahlreiche Kinder aus der Fabrik in die meistens weit ungesündere hausindustrielle Beschäftigung hinüberge drängt. War man in sozialpolitischen Kreisen schon früher davon überzeugt, daß gegen die hausindustrielle Abrackc- rung zartester Kinder etwas geschehen müsse, so machte jene Tatsache ein gesetzliches Eingreifen für den Schutz hansge- werbiich beschäftigter Kinder zur zwingenden Pflicht. Be kanntlich hat nun die Neichsregierung im Anfänge dieses Jahres dem Reichstage einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die gewerbliche Kinderarbeit überhaupt regeln will. Die einzelnen Bestimmungen diesesEntwurfes werden, seit der Reichstag wieder zusammentrat, lebhaft erörtert; die einen fürchten, daß dieser Entwurf Gesetzeskraft erlangt, die anderen sind darum in Sorge, daß er von diesem, auf den Zolltarif festgefchmiedeten Reichstag überhaupt nicht mehr verabschiedet wird. Eine besondere Bedeutung hat der Gesetzentwurf und sein Schicksal für das Königreich Sachsen, dessen eigen artige industrielle Entwickelung eine überaus hohe Ziffer hanSindustriell beschäftigter Kinder zur Folge hat. Die 1898 über die gewerbliche Arbeit schulpflichtiger Kinder außerhalb der Fabriken veranstaltete Erhebung hatte das nachstehende Ergebnis: Im Deutschen Reich waren von 8334 919 volköschulpslichtigcn Kindern 344 283 oder 6,33 Prozent hauSgewerblich beschäftigt, im Königreich Sachsen jedoch von 604 600 Kindern 187 832 oder 22,8 Prozent. Kein anderes deutsches Land zeigt so hohe Ziffern. Mehr als die Hälfte dieser Kinder war in der sächsischen Textil industrie tätig. Es handelt sich dabei namentlich um die Spinnerei und Weberei mit 34143, Häkelei und Stickerei mit 11001 und um die Posamentenfttbrikation mit 23 648 beschäftigten Kindern. Auch in besonders gcsundheitSgc- fährlichcn Erwerbszweigcu ist die Kinderarbeit heimisch. So werden in Lachsen bei der Herstellung von Perlmutter waren 1673, in der Kämme-, Bürsten- und Pinsel fabrikation 1394 Kinder beschäftigt. Vielfach befinden sich die Kinder noch im vorschulpflichtigen Alter; so in der Mundharmonikaindustrie und auch bei der Herstellung von Spielwaren aller Art. Die langen Arbeitszeiten sind bekannt. Wenn die Aufträge drängen, werden die zartesten Kinder oft bis zur vollstänoigeu Erschöpfung der Kraft in schlechter Luft und bei kümmerlicher Er nährung angestrengt; sehr lange Arbeitszeiten, Arbeit an späten Abend- oder frühen Morgenstunden bilden über haupt die Regel. Meistens muß die kindliche Arbeitskraft für einen äußerst kärglichen Gewinn eingesetzt werden. Auch in Sachse» betrügt der Lohn für eine Stunde Kinder arbeit oft kaum mehr als einen Pfennig. Am höchsten ist die Bezahlung noch in den größeren Städten und doch bezifferte sich in Chemnitz der Wochenverdienst für Knaben im Durchschnitt aus 1,53 .L, für Mädchen auf 1,22 der geringste Verdienst bei kleinen, aber bereits schulpflichtigen Knaben 0,42 wöchentlich, also auf 6 Psg den Tag, denn die Arbeitswoche der Kinder beträgt ost nicht 6, soneern 7 Tage. Der Gesetzentwurf will nu» bekanntlich der nächtlichen Arbeit der Kinder überhaupt ein Ende machen, indem er bestimmt, daß sowohl fremde wie eigene Kinder zwischen 8 Uhr abends und 8 Uhr morgens gewerblich nicht be schäftigt werden dürfen. Es wird ganz allgemein zwischen eigenen und fremden Kindern unterschieden und die Be schäftigung derselben in zahlreichen gesundheitsgefähr- lichen oder sonst für Kinder nicht geignetcn Erwerbs zweigen vollständig verboten. Ueberall werden bestimmte kurze Arbeitszeiten für Kinder festgesetzt. Als die Beschränkung der Kinderarbeit in Fabriken vom deutschen Reichstage verlangt wurde, wandten sich besonders die sachsischenUnternehmer mit großemNachdrnck gegen den Erlaß derartiger Bestimmungen. Man betonte, daß die Industrie auf diese Kinderarbeit ohne schweren Schaden nicht verzichten könne, daß ein Verbot dem Rum einzelner Kabrikationszwcige gleichkommen und auch die Lebenshaltung der Arbeiterfamilien durch ein solches Ver bot herabgedrückt werde. Bekanntlich sind alle diese Be fürchtungen nicht eingetroffen. Der gegenwärtige Ent wurf trifft auf geringen Widerstand. Es zeugt von der Entwickelung des sozialen Gefühls, daß heute aus dcu Kreisen hausindustrieller Unternehmer selbst ein wirk samer Kinderschutz verlangt wird. Allerdings wird auch heute von einzelnen betont, so z. B. in der sächsischen Korbflechterei, der geplante Kinderschnv gehe viel zu weit, man könne auf ausgedehnte und billige Kinderarbeit nicht verzichten, die bisherige Beschäftigung bewahre überdies die Kinder vor Müßiggang und schlechten Streichen, die gesundheitliche Schädigung sei nicht vorhanden oder werde stark übertrieben. Im allgemeinen wird diZe Stellung von den Unternehmern jedoch nicht geteilt. So berichtet die Handelskammer von Plauen, in deren Bezirk die hausindustrielle Kinderarbeit ganz besonders ausgebreitet ist, eine große Anzahl der von ihr befragten haus industriellen Unternehmer stehe der geplanten Regelung und möglichsten Einschränkung der Kinderarbeit sehr snm- pathisch gegenüber. Man setze sich vielfach ausdrücklich über kleinlichere Bedenken wegen einer möglichen Benachteili gung der betroffenen Industriezweige hinweg, zu Gunsten eines den Anforderungen der Menschlichkeit uno der Kultur entsprechenden Kinderschutzes. Bedenken hegt man auch in Sachsen in Beziehung auf die Kontrolle der etwa zu erlassenden gesetzlichen Vorschriften. Gerade hier liegt bekanntlich eine große Schwierigkeit des geplanten Kinderschutzes. Man sträubt sich, und nicht ohne eine gewiße Berechtigung, dagegen, die hansinduslriclle Familicnarbeit einer scharfen polizeilichen Beaufsichtigung ausznseyen, die leicht wider den Geist der Familie schwer sündigen und da» Gesetz zu einer O-uelle unleidlicher Belästigungen machen könnte. Man h » daher aus den Kreisen der sächsischen Unternehmer vorgeschlageu, mit der Kontrolle die weiblichen Fabrikant- sichtsbeamtcn zn betrauen. Man hat zu deren Takt so viel Zutrauen, daß man glaubt, sie werden ihr Amt auch nach 8 Uhr abends ohne wesentlich Störung des Familien lebens ausüben. Die Beaufsichtigung der haus industriellen Kinderarbeit wird auch als ein passendes Tätigkeitsfeld für H a n d a r b e i t s l e hr e r i n n e n bc zeichnet. Es ist jedoch zu bedenken, daß dieses Amt eine größere Autorität auch den Erwachsenen gegenüber er fordern wird, als jene Lehrerinnen meistens besitzen. Die Schwierigkeit der Kontrolle hat man sich seit der frühesten Erörterung eines größeren Kinderschutzes nicht verhehlt, doch wird auch hier ohne Zweifel ein gangbarer Weg gefunden werden. Jedenfalls verdient es Beachtung, daß in der prozentual die meisten Kinder beschäftigenden Hausindustrie des Königreichs Sachsen die Notwendigkeit eines größeren Schutzes anerkannt wird. Deutsches Neich. --- Bertiu, 4. November. (Die Gliederung des Lteuerertrügnissesin den Bundesstaaten nach den Etats 1901.) Im neuesten Hefte der „Jahr bücher für Nationalökonomie und Statistik" verofsenlucht Friedrich Zahn eine überaus lehrreiche Unter snchung der wichtigsten Ergebnisse der ersten amtlichen Finanzstatistik der dentschen Bnndesstaatcn. Von be sonderem Interesse ist darin -er Abschnitt über die Gliederung der Steuererträgnisse. Wir entnehmen den Zusammenstellungen und Erläuterungen Zahns im folgenden die bemerkenswertesten Punkte. Die Steuererträgnisse der Bundesstaaten rühren zu 72 Pro zent ans den direkten Steuern her, d. h. aus der Einkommen-, Ergänzungs-, Grund-, Gebäude-, Wohn-, Gewerbe-, Kapitalrenten-, Wandergewerbe-, Eisenbahn-, Bergwerks-Steuer und aus anderen persön lichen sKvpf-)Steuern. Die Au f w a n d st e u e r n, d. h. die Wein-, Bier-, Schlacht- und Hunde-Steuer und sonstige Verbrauchs- und Lnrnsabgaben, ergeben 14 Pro zent des Gesamtertrages. Die Verkehrs st euer», d. h. die Umsatz-, Stempel-, Erbschasts- und TchentungS- steuer, bringen 13,94 Prozent des Gesamtertrages der Steuern in den Bundesstaaten ein. Was die Reichs steuern angeht, so rühren aus der Brausteuer 4,25 Pro zeut, ans der Stempelsteuer 10, 86 Proz., aus den Zöllen und sonstigen Steuern 84,89 Proz. des Gesamtertrages her. Demnach kommt, wenn der Reichshaushalt mit in Betracht gezogen wird, mehr als die Hälfte von allen Zoll- und Steuereinnahmen auf die Zölle. Tie Bedeutung der Steuern für den Staatshaushalt ist in den einzelnen Bundesstaaten sehr verschieden. Während die direkten Stenern durchschnittlich in den Bundesstaaten 9, 63 Proz. idie indirekten 4,20 Proz.) der Einahmen liefern, be trägt der Anteil in Preußen nur 7,92 Pro;., in Bauern, Baden, Mecklenburg und Braunschweig etwas über 8 Prozent; in den anderen Staaten ist der Satz beträchtlich höher, so in Sachsen, Württemberg, Hessen u. a. 11 bis 13 Proz., in beiden Neuß sogar 30 bis 32 Proz. Die Höhe ist im wesentlichen da durch bewirkt, daß nicht überall aus den staatlichen Be triebsverwaltungen und Eisenbahnen so ergiebige Erträg nisse zur Verfügung stehen, wie in Preußen. In den meisten Einzelstaaten spielt die Einkommensteuer unter den Steuern die Hauptrolle; 19 Staaten decken aus ihr mehr als die Hülste, zum Teil bis über 70 Proz., ihrer Ferrilleton. Dämon Gold. Skizze von Charles Mougel. Autorisierte Uebersetzung von A. Fried he im. Siaareruu oriv lsn. Jacques Le Barrois konnte nicht schlafen, und wenn dies dem großen, ckräfttgen Menschen passierte, der sonst sofort, nachdem er sich hingelegt, schnarchte und damit fortfuhr, bis der Hahnenschrei ihn morgens weckte, so mußte etwas ganz Besonderes passiert sein. Und dem war auch in der Tat so. Seit dem Tode der Mutter — den Vater hatte Jacques Le Barrois kaum gekannt — war ein Tag wie der andere in steter Gleichförmigkeit verflossen. Die geringen Zinsen, die Jacques außer dem Hause seiner Eltern noch besaß, erlaubten ihm keine großen Sprünge zn machen. Tas Haus, das eigentlich nur ein Häuschen war, nahm sich zwischen den großen alten Bäumen sehr gut auS, nnd iver von Tours nach Bouvray wollte, kam kurz vor dem Dorfe Rochecorbon daran vorbei. JacqueS war sehr stolz aus diesen Familienbesitz, der aus der Zeit der Revolution als letzter Ueberrest einstigen Glanzes seinen Vätern geblieben war. Aeußerlich nahm sich das Haus auch sehr gut aus; innen aber war alles in Verfall, und Jacques wehrte jedem und jeder den Ein gang, um eben diesen Verfall nicht zur Kenntnis Fremder zu bringen. Nur die alte Marianne, die treu zu allem, was sich Le Barrois nannte, hielt, ging im Hause ein und aus. An besagtem Abend nun war Marianne gerade ins Dorf zurückgekchrt und Jacques rauchte in seinem „Park" noch ein Pfeifchen, als die Klingel am Gitter leise gezogen wurde. Höchst überrascht ging Jacques zur Tür, und als er öffnete, sah er sich einem kleinen, alten, mageren Männchen gegenüber, das, in einen langen Rock gehüllt, in der Abendbcleuchtung einen ganz merkwürdigen un beunruhigenden Eindruck machte. „Herr Jacques Le Barrois?" fragte der Fremde mit scharfer, dünner Stimme. „Der bin ich^ Waö wünschen Tie zu so später Stunde?" „Ich muß Sie in einer für Sie sehr wichtigen An gelegenheit sprechen. Die Sache eilt, und da ich morgen schon wieder in Paris sein muß, so " Iacqu«»' Verwunderung wurde noch größer. Er führte also den alten Mann ins Eßzimmer, ließ ihn Platz nehmen und wartete ab, was er ihm zu sagen haben würde. „Herr Le Barrois", sing der merkwürdige Fremde wieder au, „ich will Ihnen Ihr Haus abkaufen!" „Mein Haus? Das ist nicht verkäuflich!" „Ist ja möglich. Wie viel wollen Sie dafür? Ich bc- zahle bar." „Ich wiederhole Ihnen nochmals, daß mein Besitztum nicht verkäuflich ist, eS gehört meiner Familie, srn ick, denken kann, und ich werde dort leben und sterben wie mein Vater vor mir." „Ich begreife ja Ihre Gefühle", beharrte der kleine Mann, „aber vielleicht gelingt eS mir, Sie nmzustimmen. Wollen Tie 50 060 Francs für Ihren baufälligen Kasten? ... To viel wird Ihnen nicht »um »wetten Mal geboten . . . nun dann 60 000 ... 70 000 ... ich biete bis 70 000 . . „Und wenn Sie mir 100 000 bieten", fiel Jacques dem Sprecher in die Rede, „so würde ich doch nein sagen." Während er so sprach und im Stillen überdachte, daß sein Haus höchstens 15 000 Francs wert sei, glitt sein Blick mißtrauisch über den fettigen Hut und den schäbigen, wenig sauberen Anzug des alten Mannes, dessen Aeußeres wahrhaftig nicht auf Reichtümer schließen ließ. Der kleine Mann schien Jacqu s Gedanken zu erraten. „Haha! Ich sehe nicht wie ein Krösus aus, wie? Sie haben recht .... aber .... ich komme im Auftrag eines Klienten, der nun einmal die krankhafte Idee hat, gerade Ihr Haus zu kaufen, und nicht von dieser Laune ab gehen will." „Nun denn", sagte Jacques und stand auf, um den Fremden zum Fortgehen zu nötigen, „dann sagen Sie Ihrem Klienten, daß ich ebenso wie er an meinem Hause hänge und es muh behalte." Der kleine, alte Mann schien sehr verstimmt. Er stand zwar auf und ging zur Tür, als er aber dort angelangt war, machte er Halt. „Sind wir hier allein und kann unS niemand hören?" fragte er. „Ganz allein", entgegnete Jacques. „Nun, dann will ich Ihnen lieber -en wahren Sach verhalt offen sagen. Es ist zwar mein Schade, aber es hilft dann nichts. Also kurz: Herr Le Barrois, wenn ich Ihnen drei Millionen bringen würde, wären Sie dann bereit, mir die Hälfte abzugeben?" „Drei Millionen", stotterte Jacques, während er dachte: „Na ja, eS ist ein Verrückter." „Bitte, antworten Sie mir", drängte der Alte. „Aber natürlich, werter Herr", sagte Jacques, ge- znnmgen lächelnd und sann, auf welche Art er sich am besten von dem Verrückten befreien könnte. „Gut! Dann unterschreiben Sie, bitte, diesen Schein. Sie sehen, wie ich Ihnen vertraue, da ich Ihnen zum voraus die Hälfte meines Geheimnisses auSltefere . . . Sic suchen meinen Namen? . . . Den habe ich nicht aus gefüllt, daraus kommt's nicht an . . . wenn unser Geschäft abgeschlossen ist, sehen wir imS doch nicht wieder." Jacques griff neugierig nach dem Blatt und laS: „Ich verpflichte mich, Herrn die Hälfte der Summe zu überlassen, die in dem Versteck, das er mir zeigen wird, liegt. Diese Summe, 3 Millionen 123 000 Francs, stammt aus dem Nachlaß meines Großonkels Claude Le Barrois, der in Paris am 10. August 1792 ge storben ist und dessen einziger Erbe ich heitte bin." „Na", grinste der Alte, „nun sehen Sie doch, daß daS Geld Ihnen gehört und daß Sie es ruhig annehmen können, also unterschreiben Sie rasch." JacqueS zögerte noch immer. Was war an alledem wahr? „Sind Sie noch unschlüssig?" drängte der andere. „Schön! Wie Sie wollen! Ich werde Ihnen bis morgen Bedenkzeit lassen nnd mir dann Ihre Antwort holen. Und damit Sie sehen, wie ehrlich ich es meine, will ich Ihnen noch einige Details geben, die Ihnen beweisen, daß Sie es nicht mit einem verrückten zu tnn haben . . . Sie haben wohl schon erraten, baß der Schatz hier in Ihrem HauS verborgen ist? Eigentlich wollte ich ihn für mich allein haben, und darum war e» mein« Absicht, Ihr HauS zu kaufen; nun teilen wir und machen beide immerhin noch ein ganz gutes Geschäft. Aber denken Sie nun ja nicht, daß Sie den Schatz ohne mich finden; Sie müßten keinen Stein auf dem anderen lassen und riskierten doch, auch dann noch nichts zu finden, ja, selbst wenn Sie die Stelle finden sollten, wäre der Schatz doch noch nicht Ihr Eigentum. Einen Teil müßten Sie dem Staat abgeven, einen Teil den Arbeitern, die Ihnen ge- hotfen, und Sie würden somit weniger haben, als wenn Sie sich mit der Hälfte, die ich Ihnen biete, genügen lassen. Bedenken Sie auch, daß nur ich Ihnen beweisen kann, daß das Geld Ihr Eigentum ist ... in einem kleinen Möbel Louis XVI., das mir ein Kunde verpfändet hatte —, ich bin nämlich Pfandleiher in Paris —, habe ich ein Geheim fach entdeckt, das eine Art Testament Ihres Großonkels enthielt. Es ist vollständig in Ordnung, mit dem Datum vom 2. August 1792 versehen. Was dazumal sich in Paris zutrug, brauche ich Ihnen nicht zu sagey; daß Ihr Groß onkel in die Revolution verwickelt >var, wird Ihnen bei Ihrem Familiensinn auch bekannt sein. Was Sie aber nicht wissen, ist, daß Ihr Onkel heimlich in der Nacht, ohne daß einer der Seinigen eine Ahnung davon hatte, aus Paris hierher kam, sein Geld in Sicherheit brachte nnd sofort nach Paris zurückkehrte, wo er das Testament, das jetzt in meinen Händen ist, aufsetzte und darin genau den Ort des Versteckes angab. Acht Tage später, am 10. August, fiel Claude Le Barrots, wie ich festgestellt habe, durch eine Kugel, und machte seinen Großenkel und mich . . . wenn ich so sagen kann, zu seinen Testamentsvollstreckern." „To! DaS wäre kurz die Hauptsache", fuhr der alte Mann nach einer kitrzen Pause fort, „und nun werde ich geben. Morgen komme ich nochmals und übermorgen muß ich wieder in Paris sein, und es ist ja nicht gerade notwendig, daß mich jemand hier sieht. Ihnen wird wohl auch nicht daran gelegen sein, dem Fiskus Steuern zu zahlen . . . hähä . . . also auf Wiedersehen, gegen 10 Uhr morgen abend." „Auf Wiedersehen", hatte Jacques mechanisch nach gesprochen. Und immer wieder überdachte er jetzt alles, was der alte Mann zu ihm gesagt hatte. Allmählich kamen ihm Andeutungen der verstorbenen Mutter in die Er innerung: die Mutter hatte ja von diesem Großonkel ge sprochen und gesagt, daß er an dem Ruin der ganzen Familie schuld sei nnd bei seinem Tode von dem großen Vermögen nichts weiter als das Haus übrig geblieben sei. Ein Gedanke schloß sich an den anderen logisch an, nnd als Jacques nach schlaflos verbrachter Nacht aufstand, da hatte er sich mit diesem Vermögen, das ihm gleichsam vom Himmel gefallen schien, schon vollständig vertraut gemacht. Er überlegte, was er alles für Veränderungen vornehmen wollte, und der bisher so bescheidene Mensch, der mit dem Wenigen, waö er besessen, gut ausgekommen war, fand bald in seinem plötzlichen Verlangen nach Luxus ein und eine halbe Million kaum genügend zum Leben. In fieberhaftem Zustand mit Berechnungen und Nach, denken verging der Tag. Bei Gott! Der alte Mann hatte den Zufall, der ihm das Testament des Onkels in die Hände gespielt gut auSgenuyt! Der war der Glückspilz! So mit einem Schlage zu so viel Geld zu kommen, was doch nach Fug und Recht Jacques gehörte! Der alte Filz hatte den ahnungslosen JacqueS schön überrumpelt und au-gepreßt! Und der Lag verging. E» schlug zehn .. . b«r Fremd, kam nicht. In grenzenloser Erregung zählte Jacques die Sekunden . . . würde er am Ende gar nicht wieder kommen? Endlich kam der Pfandleiher und entschuldigte sich leichthin damit, daß er zu Fuß gekommen sei, um keinen Verdacht zu erregen. Es wurde nicht weiter viel zwischen den beiden Mannern gesprochen. Jacques unterschrieb mit dem Bedauern, um ein und eine halbe Million ärmer zu sein, den Schein. Der Unbekannte zog darauf das Testament aus seiner Brieftasche. Alles stimmte, und der beigefügtc Plan gab eine Ecke im Keller als Versteck für das Geld an. Mit einer Hacke und einem Spaten ver sehen, gingen die beider, Männer sofort in den Keller. Ein flackerndes Licht leuchtete ihnen. An der bezeichneten Stelle wurde gegraben: Jacques hackte und der andere schippte mit dem Spaten die Erde fort. Angstschweiß trar Jacques auf die Stirn. Wenn alles nicht wahr wäre! Wenn das Geld schon längst gesunden, gestohlen worden wäre! . . . Plötzlich stieß die Hacke auf etwas Hartes, das einen Klang wie Metall gab. Ter alte Mann sagte ruhig: „Scheu Sie wohl . . ." Dann kniete er nieder, um die Erde von dem eisernen Teckel, der nach und nach klar er kennbar war, vollends wcgzuscharrcn. Eifrig schippte und schippte er, jetzt mit den Händen, und bisweilen kratzten seine Nägel scharf auf dem Meiall. Der schäbige alte Hut war ihm vom Kops gefallen, und der kahle Schädel leuchtete bei dem flackernden Scheine der Kerze gespenstisch auf. JacqueS, dessen Gesicht totenbleich geworden war, sali dem Alten zu. Zwei Gedanken arbeiteten nur noch in seinem Hirn: das Geld da und der Alte. . . der Alte, der ihm die Hälfte des Geldes, seines Geldes, nahm! Heiß stieg es dem jungen Manne zu Kopf, und ein Gefühl glühender, Hasses gegen den alten Mann, der an sein ererbtes Geld Ansprüche stellte, übermannte ibn. Und der kahle, weiße Schädel hielt die Augen und Ge danken Jacques wie in einem hypnotischen Banne. . . instinktiv hob er den Arm ... die Hacke blitzte eine Sekunde in der Luft . . . gleich darauf war der Alte über der jetzt ganz freigelegten Kassette zusammcngcbrochen. Jacques stand einen Augenblick wie gelähmt, dann iah er sich um, als wenn er den suchen wollte, der den Schlag geführt. Darauf stieß er einen gellenden Schrei aus, nnd nur noch von dem Gedanken an das Geld getrieben, stieß er den Leichnam mit dem Fuß fort, ergriff den schweren Kasten und lief damit so rasch er konnte, in sein Zimmer, das er hinter sich abschloß. Nun gehörte ihm das Vermögen! Nun war es sein! Ihm allein gehörten die drei Millionen 123 000 Francs. Und mit Gewalt brach er das Schloß der Kassette auf. Als am nächsten Morgen die alte Marianne lange Zeit vergebens um Einlaß geklingelt hatte, entschloß sie sich, aus dem Torfe Männer zu holen, die die Tür zu Jacques Zimmer erbrachen. Die alte Frau fand ihren Herrn, über seinen Tisch ge beugt, wie er mechanisch immer wieder und wieder Scheine vor sich ordnete, ohne zn bemerken, was um ihn herum vorging. Jacques Le Barrois war über Nacht wahn sinnig geworden. Man fand in der Kassette zwar die drei Millionen von Claude Le Barrois, aber sie bestanden in Ltaatspapieren aus der Zett der Revolution, bi« längst ihre Gültigkeit verlorrn hatten.
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