weitgehend akzeptiert worden ist, hat nicht nur einen ästhetischen Ursprung, wie Kopernikus ausdrückte, als er 1453 schrieb: »Denn wer möchte [die Sonne] in diesem herrlichen Tempel als Leuchte an einen anderen Ort stellen als dorthin, von wo sie auch das Ganze zugleich beleuchten kann?« Die heliozentrische Wende hat auch eine ästhe tische Folge, denn mit dem neuen Weltbild trennen wir den Poeten vom Forscher und statten beide mit völlig verschiedenen Aufgaben aus. Nach Kopernikus fällt nämlich plötzlich etwas auseinander, was vorher zusammengehörte. Denn wenn die Sonne ruht und es die Erde ist, die sich dreht, dann kann die Sonne weder untergehen noch aufge hen, selbst wenn ich dies am Abend bzw. am Morgen deutlich vor Augen habe. Das Erlebnis des Sonnenuntergangs gehört dem Poeten bzw. dem Künstler, und die Erklä rung der Erddrehung übernimmt der Physiker. Seit Kopernikus die Sonne in der Mitte der Welt verlegte und die Erde auf eine Umlaufbahn schickte, trennen wir die Sphären des Erklärens und des Erlebens, und die Wissenschaft ist im zweiten Teil nicht mehr oder kaum noch präsent. Seinen modernen Ausdruck hat dieser Verlust von humaner Einheit zum Beispiel im »Homo faber« von Max Frisch gefunden. In dem 1957 erschienenen Roman kommt es zu einer Notlandung in der Wüste von Mexiko, und die Passagiere können zusehen, wie nachts der Mond über den Horizont steigt. Die Hauptfigur des Romans, der Ingenieur Walter Faber, notiert dazu: .»Ich bin Techniker und gewohnt, die Dinge zu sehen, wie sie sind. Ich sehe den Mond über der Wüste von Tamaulipas - klarer als je, mag sein, aber eine errechenbare Masse, die um unseren Planeten kreist, eine Sache der Gravitation, interessant, aber wieso ein Erlebnis?« Die ästhetische Funktion Wir müssen die geschilderte Konsequenz aus der Kopernikanischen Wende ernst neh men und beachten, dass wir seit dieser Zeit nicht nur die Erkenntnis unserer wahrneh menden Sinne von der Erkenntnis unseres theoretischen Denkens trennen, sondern zudem in der wissenschaftlichen Praxis den empfindungslosen Begriffen den Vorrang einräumen. Anders ausgedrückt: Westliche Wissenschaft nimmt die Welt nicht mehr sinnlich wahr und betrachtet sie stattdessen aus der sicheren Entfernung der theoreti schen Begriffe, wobei allerdings allmählich auffällt, dass diese Situation zunehmend Unbehagen bereitet. Immer weniger ist Wissenschaft in der Lage, die gewohnte ethische Grundlage zu liefern. Spätestens mit der Entwicklung und dem Einsatz der Atombombe (und erneut im Anblick der zerstörten Umwelt) ist die alte Gleichung von rational geplanter wissenschaftlicher Fortentwicklung und gutem-sprich humanem - Fortschritt fragwürdig geworden und eine neue sittliche Basis des wissenschaftlichen Tuns gefragt. In aller Deutlichkeit hingewiesen auf diesen Punkt hat bereits kurz nach dem Zwei ten Weltkrieg der Basler Biologe Adolf Portmann, und zwar in einem Vortrag mit dem Titel »Biologisches zur ästhetischen Erziehung«. Portmann spürt in den Jahren nach dem Abwurf der Atombombe, dass Wissenschaftler hier nicht nur eine neue Waffe geschaf-