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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 06.08.1932
- Erscheinungsdatum
- 1932-08-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-193208068
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19320806
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19320806
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1932
- Monat1932-08
- Tag1932-08-06
- Monat1932-08
- Jahr1932
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 06.08.1932
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^«183. 3. Beilage znm Riesaer Tageblatt. Sonnavenv, 6. Anguft 1932, avenvs. 8S. Iayrg. Autsrkis unc> 1Vslt«irtscksft. Vorlrag an «Ine VoII«»kn«>»«ekuIn XUneknn von Well» ^»ns«e, »<nl»»ne»«linl» Me 0nn1»«KInn6» »u«k«Ieu«I«ne, k40n«I»nn. „Vieles Gewaltige gibt es, doch nichts ist gewaltiger als der Mensch". Der Mensch ist nicht nur gewaltig im Aufbau, sondern leider auch ebenso gewaltig in der Zerstörung. Der Welt krieg hat uns dies gezeigt. Den Menschen, auf dem Höhe punkt wirtschaftlicher Entwicklung, packt die Zerstörungs wut, und in dem wahnsinnigen, viereinhalb Jahre langen Kampf gegen sich selbst, gegen den stolzen Bau seiner Wirt schaft und gegen Gesellschaftssystem häufen sich Zerstörung auf Zerstörung und et» wüstes Trümmerfeld bleibt zurück. Sollte es der Untergang des Abendlandes, das Ende einer Epoche, das Ende des Kapitalismus, der Wirtschaft, der geistigen und wirtschaftlichen Freiheit sein und wir am Be ginn einer neuen Epoche stehen? Einer neuen Epoche der Armut, des Zwanges, der nationalen Enge, der moralischen, geistigen und technischen Primitivität. Trotz der furchtbaren Wunden des Krieges und der der Friedensverträge sam melten sich rasch die ausbauenden Kräfte ausS neue. Trotz nationalen Hasses und politischer Hemmungen wurde die Welt wenige Jahre nach Beendigung des Krieges von einer wirtschaftlichen Aktivität ergriffen, die Technik, Pro duktion und Anstausch weit über den Stand vor dem Kriege hinaustrieb. Wieder sind die Kräfte der Zerstörung am Werke. Die Zerstörungswut hat die Menschen von neuem ergriffen und rast durch die Länder und vernebelt den klaren Sinn der Menschen, und die Stimme der Vernunft steht wieder einmal tief im Kurs. Sorgen wir dafür, das, es nicht von uns heißt: Nach hundert Jahren beispielloser WohlstandSstcigerung der Welt hat inmitten einer außer ordentlichen, schweren Wirtschaftskrise eine Generation von Menschen plötzlich die Nerven verloren, und was sie in hundert Jahren aufgebaut haben, in ebenso vielen Wochen blindlings zerstört. Die Weltwirtschaft ist erschüttert, und heute ist fast jedes zweite Wort, das man hört, „Wirtschaftskrise". In den letzten Jahren hat sich die handelspolitische Lage verschärft und verschlimmert, und damit hat sich auch baS Ideal in weiten Kreisen der Wirtschaftswelt, der inländischen wie der ausländischen, gewandelt. Aus der guten, ehrlichen Zollpolitik, „Erziehungszölle", von gestern ist eine Schutz zollpolitik getreten. Fast jedes Land versucht heute seine wirtschaftliche Lage durch Schutzzölle zu heben. Es ist in der Tat ein Wirtschaftskrieg entstanden, der sich sowohl an Ausmaß, als auch an Intensität und Erbitterung, mit der rr geführt wirb, mit den blutigen Ereignissen der Jahre 1814 bis 1818 vergleichen läßt. Dieser Zustand kann kaum an ders als eine ökonomische Sinnlosigkeit bezeichnet werben, die nicht lange mähren kann und baldigst ein Ende finden muß. Die Autarkie zum Inhalt eines Wirtschaftspro gramms zu machen, heißt daher die Verewigung des Krieges propagieren. Dieses Propagieren ist ein Rück schritt, ein Schritt zurück zum Merkantilismus. Diesen Zustand haben mir erreicht. Man hat um die Länder Zollmauern errichtet und ist darauf bedacht, nur aus zuführen, aber nicht einzuführen. Auch Deutschland hat diesen Weg eingeschlagen und versucht, durch Schutzzölle seine wirtschaftliche Lage zu verbessern. Trotz all dieser Bemühungen wird bas Heer der Arbeitslosen von Tag zu Tag größer. Ein Geschäft und eine Fabrik nach der an deren schließen ihre Pforten. In den Häsen reiht sich Schiff an Schiff: deutsches Kapital, es rostet, eS zerfällt. Die frühere innerstaatliche Absperrung überträgt sich auf die internationalen Beziehungen, und die einzelnen Staaten spielen wie auf einem Schachbrett Zug um Zug mit Kontingenten, Devisenbeschränkungen, Etnfuhrdrosselungen, Zollmauern, die, je länger desto mehr, uns auf den chine sischen Standpunkt der Erstarrung znrückwcrfen müssen, die letzten Endes den Tod für den Fortschritt bedeutet und eine einseitige monotone Kulturentwicklung zur Folge haben muß. Der Strom des Lebens, welcher sich Wirtschaft nennt, wird sich niemals durch Staatseingriffe, obrigkeitliche Ver fügungen einzwängcn lassen. Tie Dämme werden sich bald als zu schwach erweisen, da die Notwendigkeit des Lebens, die das Dasein aller Völker ohne Rücksicht auf politische Grenzen beherrscht, durchbricht. Den Export forcieren und den Import drosseln ist ein Unterfangen, das notgedrungen Schiffbruch leiden muß, denn der Außenhandel beruht genau wie der Binnenhan del auf dem Grundsatz „give and take". Deutschland im Herzen Europas ist durch seine Entwicklung auf bas engste mit der Weltwirtschaft verbunden. Es bedarf der Einfuhr, um seine In dustrie mit Rohstoffen zu versorgen, die in Deutschland Nicht vorkommen, um den zusätzlichen Lebensmittelbebarf berbeizuschaffen, der auch bei Anspannung der Kräfte der Landwirtschaft auf absehbare Zeit innerhalb des deutschen Bodens und Klimas nicht erzeugt werben kann, endlich — nicht zuletzt — um dem Ausland einen Gegenwert für die Ausfuhr deutscher Waren zu bieten. Deutschland ist in seiner Ernährung ungefähr mit einem Fünftel vom Auslände abhängig. Noch stärker ist die Ab hängigkeit in der Bekleidungswirtschast. Wir können unge fähr nur die Hälfte des Verbrauchs an Flachs erzeugen; bei der Wolle fällt unsere eigene Erzeugung gegenüber der Ein fuhr nur wenig ins Gewicht. Unsere Bekleidung ist also etwa zu neun Zehnteln aus ausländischen Rohstoffen her gestellt. Ja, könnte sich denn Deutschland nicht von dieser Ein fuhr befreien, indem es diese Produkte selbst erzeugt? Wohl könnten wir unsere Wollprobuktion so steigern, daß wir unseren Bedarf selbst decken könnte». Wir müßten unseren Schafvestand vermehren. Wir haben heute ungefähr 4 Mil ¬ lionen Schafe, die etwa 6 Prozent unseres Wollbcdarfs decken. Wir müßten diese Zahl aus ungefähr 80—78 Millio nen erhöhen. Dazu brauchen wir natürlich auch die dem entsprechende Weidesläche. Wenn man nun annimmt, baß 20 Schafe auf einen Hektar rechnen, so kommen wir auf 8 Millionen Hektar, das ist ein Drittel der deutschen Ge treidefläche. Wenn mir hiernach noch unseren Holz- bedarf selbst decken wollten, so müßten wir unseren Wald bestand hierfür um 10 Millionen Hektar vergrößern. Den Nest unserer Getreidebausläche, der uns nach Abzug der Weidesläche für Schafe noch bleibt, haben wir dann bereits überschritten. Wollten wir nns also in Bezug auf Wolle und Holz vom Ausland unabhängig machen, so müßten wir dafür unseren gesamten Bedarf an Getreide im Ausland decken, da wir beides nicht in Deutschland erzeugen können. Warum aber begünstigen ivir nun gerade den Getreide anbau? Aus dem einfachen Grunde, weil die Bedingungen für die Wollprobuktion ungünstiger sind als die für den Getreideanbau. Wir tun daher besser, Getreide anzubauen und Wolle im Austausch mit anderen Ländern zu beschaffen, wie zum Beispiel Fertigwaren. Das leuchtet wohl ein, doch wäre es schließlich unserer Landwirtschaft möglich, durch Bodenmeliorationen, Maschi nen, Baulichkeiten, Glashäuser und zahllose andere Tinge soweit zu kommen, daß wir »ns doch schließlich vom Aus land unabhängig machen könnten. Man müßte der Land wirtschaft zunächst einige Gelder zur Verfügung stellen, vor allem aber erst einmal es der Landwirtschaft ermöglichen, sich besseres Rassevieh zu kaufe». Warum sollten unsere Hühner nicht auch 200 und noch mehr Eier im Jahre legen wie ihre Kolleginnen in Dänemark. Tie bayrischen Kühe werden sicher auch ihren Ehrgeiz daran setzen, statt wie bis her 1700 Liter Milch pro Kopf, etwa den Durchschnitt des Münsterlänber Viehs von über 4000 Liter zu liefern — von den Leistungen der Spitzcnherden mit über 8000 Liter ganz zu schweigen. Deutschland brauchte dann keine Butter, keinen Käse, keine Eier, kein Fleisch mehr zu importieren. Den Verbrauchern wird gesagt, baß eS Dienst am Lande ist, Jnlandsprodukte den Auslandsvrobukten vorzuziehen, auch wenn diese vielleicht noch besser sind; lieber sollte man wäh rend der Uebergangszeit nur zwei deutsche Eier eßen als drei dänische. Tas Wort, das man während des Krieges in unseren Zeitungen lesen konnte: „Wer sein Getreide verfüttert, versündigt sich am Vaterland", müßte eben dann heute lauten: „Wer ausländische Waren kaust, versündigt sich am Vaterland". Wir würben bei einer solchen zielbewußten Autarki- sierungs-Politik von dem gegenwärtigen Nahrungsmittel- Import in absehbarer Zeit etwa 2 Milliarden einsparen können. 1km diesen Betrag würde sich die Kaufkraft der Landwirtschaft heben. Tie Folge davon wäre, die Land wirtschaft würde zunächst ihre Besitzungen in Ordnung bringen, sie würde Verbesserungen vornehmen, die Produk tion würde mittels des Geldes, das ihr durch die Einspa rung zufließt, gesteigert, dadurch erhalten Arbeiter ihr Brot, die Arbeitslosigkeit würde dadurch behoben, und der Wohlstand des Landes kann damit wieder seinen Einzug halten. Wie steht es z. B. mit der Einfuhr von Obst? Auf diesem Gebiet könnte bestimmt gespart werden. Müssen es denn durchaus amerikanische Aepsel sein, die wir essen, zumal diese im Geschmack doch lange nicht so gut sind wie die unseren? Ist es richtig, daß von Seiten des Staates die Einfuhr von Obst noch unterstützt wird, indem aus diese Er zeugnisse ein nur geringer Zoll gelegt wird? Wenn wir uns vorstellen, daß auf die Aepsel außer den Kosten, die sie uns im Inland verursachen, noch die Transportkosten aus Amerika kommen, und die Früchte dann trotzdem noch billiger sind als die inländischen, so muß dies unbedingt als Schädigung des einheimischen Obstbaues bezeichnet werden. Warum schafft der Staat darin keine Abhilfe? Es ist richtig, baß die amerikanischen Aepsel nicht so gut im Geschmack sind wie unsere deutschen Aepsel. Woran liegt es aber nun, daß trotz der höheren Unkosten die amerikani schen Aepsel billiger sind? Hier sind es die billigen Arbeits kräfte, die den amerikanischen Obstbauern zur Verfügung stehen und den niedrigeren Preis Hervorrufen. Wir haben in den letzten Jahren hören und auch sehen können, baß das Obst auf den Bäumen verfaulte. Die Löhne der Pflücker waren zu hoch, die Obstzüchter bekamen von den Händlern nicht die Preise gezahlt, die erforderlich waren, die Unkosten zu decken. Aus diesem Grund haben sie das Obst auf den Bäumen verfaulen lassen, und oft konnten wir hören: „Wenn ihr Obst haben wollt, so pflückt es euch, wir wollen gar nichts dafür haben." Der Obstbau steckt bei uns noch in den Kinderschuhen. Erst im vergangenen Jahre ist man daran gegangen, unser inländisches Obst in einer derartigen Aufmachung anzubie ten, wie bas amerikanische Obst. Es sind ausgesuchte Stücke, jeder Apfel extra in Papier gewickelt usw. Ferner gibt es einen großen Teil Haushaltungen in Deutschland, die ihren Einkauf an Aepfeln so tätigen, wie es der Bedarf verlangt. Die Hausfrau ist vorsichtig gewor- den, denn ihr sind mitunter Sorten als haltbar angeboten worden, die oft schon nach ganz kurzer Zeit nicht mehr zu verwerten waren; bei dem amerikanischen Obst weiß sie, es sind ausgesuchte Stücke, hier kann ihr nicht minderwertiges Obst aufgehangen werden. Wir sehen daraus, daß der niedrige Zoll hier einen be stimmten Zweck verfolgt. Der Obstbauer soll durch die Konkurrenz zu besseren Leistungen angespornt werben. Hätten wir hohe Zölle auf dem ausländischen Obst, so wäre er bestimmt der Meinung, man ist auf sein Obst angewiesen, da das ausländische Obst zu teuer ist. Hier sehen wir, baß die Weltwirtschaft dafür sorgt, daß nur Waren mit einem angemessenen Preis auf den Markt kommen. Wie steht eS bei den Südfrüchten, z. B. Apfelsinen, Bananen usw? Diese Früchte haben mit dem Vorhergehen den nichts zu tun, und doch liegt auch auf ihnen nur ein niedriger Zoll. Wir beziehen z. B. die meisten Apfelsinen auS Spanien. Mit Spanien haben wir einen Handelsvertrag geschlossen, der besagt, baß Spanien uns für den gleichen Betrag Waren abkauft wie wir aus Spanien einsühren. Solche Beweise lassen sich schließlich für manch andere Tinge auch fuycen. Theorie bleibt Theorie, das praktische Leben — cs geht einen anderen Weg. All das, es läßt sich leicht auf Papier bringen, doch verwirklichen läßt es sich nie. Deutschland ist und bleibt ein Industrieland, seine Industrie ist vom Ausland abhängig. Heute sind wir mit den anderen Völkern so verflochten, daß das Lösen dieser Bande Folgen zeigt, wie wir sie heute haben. Autarkisierung bedeutet Verzicht auf rationell« Wirt- schastsführung und wachsende Bedürfnisbefriedigung, aus wirtschaftliche, soziale, ja auf nationale Kultur. Es gibt wohl keinen ernsthaften Volkswirt, der nicht müßte, daß jede, auch die scheinbar sinnreichste und wohl überlegteste Organisation der planmäßigen Binnenwirtschaft in ihrem wirtschaftlichen Wirkungsgrad unendlich viel schlechter und in ihrem Kostenaufwand unendlich viel teurer arbeiten müßte, als das fruchtbare System der natür lichen oder historisch entwickelten, historisch auch weiter ent wicklungsfähigen Arbeitsteilung — selbst wenn dieses System der Arbeitsteilung aus zeitlichen Gründen nur mangelhaft arbeitet. Tie Flucht in die Autarkie wegen sol cher zeitlicher Mängel im System der Arbeitsteilung würde ähnlich anmuten wie die Abschaffung der Eisenbahnen, weil ein falsch ausgestellter Fabrplan Störungen, Entgleisungen und schwere Betriebsunfälle im Eisenbahnverkehr verursacht hatte. Würde es nicht ungleich vernünftiger sein, den Fahr plan in Ordnung zu bringen, statt die Eisenbahn zu zerschla gen und an ihre Stelle wieder die überholten Vehikel auS der Zeit unserer Vorfahren zu setzen? Ist es für Deutsch land nicht tausendmal vernünftiger, die Roh- und Halbstosfe, die es im Inland« nicht gewinnen kann und zu deren Er satz eS sich unter Aufwand großer Kapitalien neue unratio nelle Produktionsanlagen im Inlands schassen müßte, auS dem Auslande zu beziehen und dafür die Fertigerzeugnisse berzugeben, auf die seine Veredelungsindustrie und die Schulung großer Teile seiner Arbeiter seit Jahrzehnten ein gerichtet sind? Hat es selbst für ein Land, bas alle oder fast olle Rohstoffe in seinen Grenzen gewinnen kann, einen Sinn, aus die Ausfuhr der Ueberschüsie zu verzichten, weil es darauf besteht, seinen Bedarf an Fertigerzeugnissen bis zum letzten Rest im Inland herzustellen und dadurch dem Auslande die Realisierung der Tauschwerte unmöglich zu machen, die eS zur Einfuhr jener Rohstoffe erst befähigen? Wenn ein Volk keine genügende Kauf- oder Tauschkraft hat, so beschränkt und reguliert sich seine Einfuhr von ganz allein; das sehen wir gerade jetzt bei Deutschland. Einfuhrbeschränkungen, die sich einseitig gegen gewisse Waren und Länder richten, die jene angeblich überflüssigen oder volkswirtschaftlich weniger wichtigen Waren liefern, fallen für ein Land wie Deutschland nur auf den Export zurück. Ter Schaden, den sie anrichten, ist unendlich größer als der Nutzen, den sie bringen. Eine große Rolle spielt vor allen Dingen -er Preis der Güter; von ihm ist ja die Absatzmöglichkeit bedingt. Binnen wirtschaft aber wirkt verteuernd. Heute, wo man versucht, das Leben des Arbeiter? angenehmer zu gestalten, es ihm ermöglichen möchte, abgesehen von Genußmitteln, möglichst alle? sich zu kauten und seine Bedürfnisse zu befriedigen, er reicht man durch Autarkisierung gerade das Gegenteil. England zum Beispiel, das Land der Wolle verarbei tenden Industrie, bezieht die groben Garne aus Deutsch land. Warum das? Aus dem einfachen Grunde: In Eng land herrscht ein feuchtes Klima und das begünstigt die Er zeugung von feinen Garnen. England kann auch die groben Garne Herstellen, -och hat es seine Fabrikation nur auf seine Garne eingestellt und die groben Garne führt eS ein. Wir in Deutschland sind auch in der Lage, feine Garne her- zustellen, doch da bei uns ein viel, viel trockeneres Klima alS in England ist, würbe der Faden öfter reißen, und wir brauchten bedeutend mehr Kräfte, die den Faden wieder zu- sammenknüpsen müßten, oder wir müßten dafür sorgen, daß eine dementsprechende feuchte Temperatur in den Spinne reien ist, die das leichte Reißen -es Fadens verhindert. Dies alles verteuert aber die Fabrikationskosten erheblich, und aus diesem Grunde werden wieder im gegenseitigen Austausch diese Güter bezogen. Ter Zoll, der bei der Einfuhr dieser Waren darauf liegt, spielt eine nur geringe Rolle gegenüber der Verteue rung dieser Güter durch die Herstellung in jedem der beiden Länder. Adam Smith, der Vater der Wirtschaftswissenschaft sagt, „daß ein guter Hausvater dort einkauft, wo er die Waren am billigsten erhält, so soll auch ein Volk alle Güter dort kaufen, wo sie am billigsten zu haben sind, auch wenn dieser billige Lieferant ein Ausländer ist". Es ist irrig, Weltwirt schaft und Volkswirtschaft in Gegensatz zu stellen. Tie Ver bindung beider, ist die Aufgabe, die das Schicksal Deutschland gestellt hat. Tie Hoffnung, sie zu erfüllen, müßte allerdings sehr gering sein, wenn eine solche nur für Deutschland allein vorgezeichnet wäre; in Wirklichkeit ist sie es auch für die an deren Länder. Kiner, -er kdemnitz mit M Mte. Chemnitzer Bries. tsd. Nicht zu den ersten, die der Chemnitzer Industrie die Bahn bereitsten, gehört der Gründer der Chemnitzer Reinecker-Werke, Julius Eduard Reinecker, der in den letzten Julitagen feinen 100. Geburtstag hätte feiern kön nen, wenn ihn nicht schon frühzeitig ein tückisches Leiden auS arbeits- und erfolgreichem Leben gerissen hätte. Schon vor ihm hatten ein Richard Hartmann, ein Schwalbe, ein Zimmermann und Diehl und so manche andere den Grund stock zu der machtvoll emporstrebenden Chemnitzer Industrie gelegt. Aber fast alle ihre Werke sind heute tot, die letzten, die Opfer der Wirtschastskrisis, die durch Deutschland geht, die Hartmannwerke, reißt man in diesen Wochen nieder. An den Zimmermannwerken künden riesige Schilder: „Zu verkaufen oder zu vermieten" — sein Lebenswerk steht, von feiner würdigen Enkeln geführt, noch heute in alter Größe und konnte auch von dem Sturme unserer Tage nicht erschüttert werden. Noch immer werden hier Spitzen leistungen des deutschen Werkzeugmaschinenbaues voll bracht, und noch immer kennt die ganze Welt den Namen I. E. Reinecker. Ter schlichte, so tatensrohe Mann hat wie alle erfolg reichen Bahnbrecher der Chemnitzer Industrie ganz allein angefangen, Schritt vor Schritt hat er sich in zähem I Existenzkämpfe emporgearbeitet, und wie eigenartigerweise I alle diese erfolgreichen Pioniere der Chemnitzer Weltindu strie war er kein Chemnitzer Kind. In dem kleinen Wies kau bei Halle wurde er 1802 als siebentes Kind deS dor tigen Landwirtes und Gemeindevorstehers Reinecker geboren und kam auf die Latemstadtschule in Loebe-jün. Aber ein bitteres Schicksal waltete über seiner Jugend. Mit vier Jahren verlor er di: Mutter, mit 14 Jahren den Vater. Ta war eS auS mit der Lateinschule, und Reinecker kam, um möglichst bald auf eigenen Füßen stehen zu können, in die außerordentlich harte, aber wertvolle Lehre eines Zeugschmiedemeisters in Schönebeck bei Magdeburg. Nach der Lehre ging er auf die Wanderschaft, kam nach Chemnitz und arbeitete hier bei Schnicke L Diehl, bis ihn das Wanderblut noch einmal packte. Er ßing nach dem Süden, kehrte aber 1850 wieder nach Chemnitz zurück und arbeitete hier erneut, diesmal als Vorarbeiter bei T.G. Diehl. Aber er blieb nicht lange: noch im selben Jahre erwarb er von dem Schwiegervater seines Arbeitgebers, dem Zeug schmiedemeister Apffel, dessen Ladengeschäft in der Schmalen Bretgasse, legte die Meisterprüfung ab und begann dann mit einem Lehrling, dessen Name später ebenfalls durch eine weltbekannte Firma berühmt werden sollte, Emil Leistncr, eine Zeugschmiede und Werkzeughandlung. Ter Anfang hielt sich in recht bescheidenen Grenzen. Ter Handel und die Reparatur von Werkzeugen für daS Kleinhandwerk und die Landwirtschaft befriedigten den regen Geist nicht auf die Tauer. Er strebte weiter, und in der Fremde hatte er die Bedeutung von gutem Werkzeug kennengelernt. Ta begann er selbst mit den einfachsten Mitteln den Bau von Werkzeugen, und ob ihm auch bittere Cnttäuschungen nicht erspart blieben — eS ging vorwärts. 1864 gab er den Laden aus und zog in eine neue Werk statt, die schon nach drei Jahren eine abermalige Ver größerung erforderlich machte. 1871 zog er abermals um, in «in Grundstück, das vor ihm Hartmann und Zimmer mann beherbergt hatte und das Glück, das diesen hold ge wesen war, blieb auch ihm treu. Ein Arbeitssaal nach dem ' anderen mußte dazu erworben werden. Ter Werkzeug maschinenbau wurde Anfang der Mer Jahre ausgenommen, und 1891 errichtete Reinecker den Neubau in Gablenz, der den Grundstock zu dem heutigen Weltwerke bildete. Mit 211 Arbeitern und 226 Arbeitsmaschinen hielt er hier seinen Einzug: der rasche, der beispiellose Aufstieg begann. Freilich Neinecker selbst jollte nur einen Teil davon erleben, schon 1895 riß ihn ein unheilbares Leiden aus dem Leben. Er ging, sein Geist aber blieb in dem Werke lebendig, ein Geist, der in uns allen wieder lebendig werden muß, wenn wir nach tiefem Fall die deutsche Wirtschaft noch einmal empor zu ihrer einstigen Höhe führen wollen! Lvhengrtn.
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