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Wu gihlr denn hie? „Zerr Kirms!" Eine Kirmcsplaudcrei von Hermann Schneider KA^^obald die Tage abnehmen, Feld und Garten uns den Herbstfegen spenden, dann rüsten unsere lausitzer Dörjer zum Kirchweihfeste, zur „Kirins". Es scheint, als wenn die einzelnen Ortschaften dieHervitsonn- WiMI rage hübsch untereinander für das Fest verteilt hätten, denn selten fallen die Kirmsen benachbarter Dörfer zusam men. Und tritt der Fall wirklich ein, dann führt dies wegen des Kirmsbesuchs zu mancherlei Überlegungen in den Fami lien. Meistens aber ist „de Oderwitzer und de Herschdorfer, de Seierschdorfer und de Wittendorfer" an einem Sonntage für sich, so daß dem gegenseitigen Besuche von Verwandten und Bekannten nichts im Wege steht.Iür die Festsetzung des Kirchweihtages spielen mehrfach die Tage der Kalenderhei ligen Michael (29. September) und Gallus (16. Oktober) eine besondere Rolle; „Goalle" und „Michel" dürfen hier und da mitvacken, aber nicht mitessen. Mancherlei Vorbereitungen sind zur Feier einer richtigen Kirmes nötig, am wichtigsten von allen aber ist und bleibt das „Kuchnbackn". Das erfordert manche lange Unterhal tung zwischen den Frauen der Nachbarhäuser, vis man sich endlich in dem jchon lange feststehenden Entschlüsse einigt: „Mär warn o a poarPlatzlbuckn", gemeint sind dabei min destens zwanzig Siück. Aber ja nicht alle von emer Sorte! „3 behüte!" Es ist immer der Stolz jeder Hausfrau, die Kuchenarten möglichst vollzählig zu haben. „Süäßel- und Käse-, Zucker- und Mandel-, Quoark» und Pslaumkuchn" dürfen bet keiner Kirms fehlen. Fst es da ein Wunder, wenn es beim Bäcker viel zu besprechen gibt, wieviel die oder jene „Buüer und Zucker, Rusinken unb Mandeln verbrämst?" Aber „der Teg g>hl", und bald duftet es nn ganzen Dorfe nach „Neubackn". Und er wird probiert, mag der Verstand auch aus gefundhelttichen Gründen dagegen jein. Man, bas heitzt nicht nur die eigene Familie, sondern auch die Nach barschaft, will doch wissen, „ob der Kuchn gegang is" und vor allen Dingen, „ob woas brinne is". Eine Kirmes ohne Kuchen gibts einfach nicht, gegen die Wahrheit dieses Satzes konnte selbst die Kriegszelt nut ihrer schweren Not, ganz abgesehen von den Backoerboten, nicht auskommen. Auch sonst wird für das leibliche Wohl Vocforge getroffen; man cher Stallhase muß sein Leben lassen, manch „Bockt" wild für die Kirms aufgehoben. Aber der Dörfler will die Kirmes nicht nur selber mit den Srinlgen gemetzelt, er will zu diesem Feste auch feine Ver wandten und Bekannten um sich jehen. Das wäre ein schlech tes Zeichen von Familienzusammengehörigkeit, wenn Eitern, Kinder und Geschwister nicht zueinander zur Kirmes gingen, und manch ein weüläusiger Verwandter findet sich „zufällig" auch noch mit ein. Für den Nachmittag wird der Besuch er wartet, oft ist er aber jchon zu Mittag da. Auf zwei, drei Per sonen hat man sich eingerichtet, aber, o Schreck, „die ganze Goahtche kimmt", Vater, Mutter und Kinder und womög lich noch eins von NachbarsKindern mit. Aber deshalb keine Feindschaft. „Nickt oak a brinki nähnderzusamm", sagt die Kirmsmuiter, und schon ist Platz sür alle da. Beim Mittag essen wird tüchtig mitgelan, aber von der besten Seite zeigen sich die Kirmesgäste erst beim Kaffeetrinken. Da ist cs Ehren sache, und sei es ost auch buchstäblich im Schweitze des An gesichts, die Kuchenberge von den Tellern abzuräumen, immer noch „a Strefl" und noch „a Strefl", selbst wenn der Magen nicht mehr mittun will, sonst ist der „Kirmsooater" gar schnell mit der bescheidenen Anfrage da: „'s togt'ch wull erne ne?" und das will sich kein Gast nachsagen lassen. Wer könnte auch den Tellern mit den abwechselnden Schichten von „Käse" und „Sträßi" widerstehen? Pfiffige, besonders unter der lieben Jugend, wissen es schon übrigens so einzurichten, daß ihre Lieblingssorte dran ist, wenn sie ihr „Strefl" verzehrt haben, denn „unn asllr", das heißt aus anderen Schichten, „wird ne gegossen". 3a, ja, der alte derbe Reim kommt einem zur Kirmes immer wieder ins Gedächtnis: „A Kirmsgoast und a Schwein, die wulln gefiltert sein!" Die Kirmes ist auch das besondere Fest der Fugend. Sie sieht sich schon vor, daß sie beim Essen nicht zu kurz kommt, und macht ihre Ansprüche zum Ergötzen der übrigen An wesenden mit mehr oder weniger Stimmaufwand energisch geltend. Der eine will nur„Koaiglsuppe" *), die andere nur „beiden Tuchn" 2) und so fort, uno die Mutter, die gern ihre Sprößlinge als Musterkinder vorsühren möchte, hat viel zu tun, um die Mängel der Erziehung notdürftig zu verbergen. Aber ebenso wichtig wie das Essen sind die Kirmesvergnü* gungen sür die Kinder. O wüßtest du, Familie Grundmann aus Oderwitz, welch ein Freudenbringcr für die Fugend du seit Fahrzehnten mit deinem Karussell gewesen bist! „Reit maschine" hieß das Ding sonst, und es war immer schon lange vorher ein wichtiger Gesprächsstoff, ob die „eestöckge", oder die feinere, die „zwästöckge", kommen würde. Und endlich war sie da mit ihren Kutschen und Pferden, von denen sich jeder Funge schon eins zu eigenem Gebrauche aussucht. Als dann später sogar Löwen zum Reiten und bewegliche Pferde mükamen, so war das der Gipfel des Erreichbaren überhaupt. Das war ein Ereignis, wenn im „Kratschnhofe" die Welle stand, das übrige drum und dran kam schon noch dazu, und Sonnabend gegen abend war „Prubesoahrn", natürlich um sonst, da durfte keiner fehlen. Und dann die Kirmeslagesel ber! Die Muller stiftete einige Pfennige, etwas gab der Kir- mesbesuch, und mit 25 Pfennigen in der Tasche war man damals ein gemachter Mann. Was konnte man nicht alles dafür haben! Natürlich zuerst mutzte für drei oder fünf Pfen nige einmal „gefahrn" werden, die stille Sehnsucht wäre ja das „Berakkordieren", die freie Fahrt sür den ganzen Tag, gewesen, aber dies hohe Glück war nur wenigen beschielten. Dann gab es zur Abwechselung „aneFischlsamml, ane Lim- noade", sauren Fruchtzucker, Pfeffernüsse und Weintrauben. Da war auch die „Schißdude". Wie wurden die Großen an gestaunt, die sich wagten, ein Gewehr in die Hand zu neh men und wohl gar „freihändg" nach Tonscheiben und Pfeifen schossen, dem „Koaiglfrasser" die Scheibe, die das Klotz dar stellen sollte, vor dem Munde zertrümmerten und den Affen 00m Baume mit Blitz und Knall aus sein Hinterteil fallen ließen. An Spott fehlte es seitens der Fugend auch nicht, wenn eine Kugel ihr Ziel verfehlte und an die Leinwand klatschte, „as Hemde!" schrieen dann die Sachverständigen. O genügsames Kiiiderherz! Du wußtest noch nichts von Auto- und Tunnel- und Berg- und Talbahn, von Luftschaukel und anderen Errungenschaften der neueren Zeit, und doch lag vielleicht mehr Poesie über diesen Volksfesten als in der Gegenwart mit all den lauten, raffinierten Vergnügungen. Der Abend der Kirmestage aber gehört dem Tanze. Ge rappelt voll ist der Saal, denn zur Kirmes ist nicht nur die Fugend da, da findet sich auch mancher Hausoater mit seinem Besuche ein. „'s giht zu wie an Nudeltoppe". Manches Pär chen versucht seinen ersten öffentlichen Tanz, das Ungeschick fällt bei dem allgemeinen Durcheinander nicht auf, selbst wenn 1) Nudelsuppe mit Klößen, Kugeln. 2s Gelben Kuchen, Quark-, Käsekuchen.