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332 Gberlausitzer Hoimatzeitung Nr. 2S Ernstfälle dem Kinde gegenüber zielbewußt durch, vermeidet aber — so sehr als möglich — zu verletzen! Die Liebe diktiert nötigenfalls die Strafe. Bediene dich nur natürlicher Strafen in deinem Hause und sei gewiß, du kommst damit aus! Natürliche Strafen sind je nach der Natur der damit zu rügenden Unart: Versagen eines Teiles einer Mahlzeit, Ausschlüßen von einer Vergünstigung, von der Hausordnung abweichendes zeitigeres Zubettgehen, Ersatzleistung aus den Sparpfennigen für ungerichteten Schaden u. a. m. Das müßte ein Erziehungsstümper fein, der keine geeignete im gc- gebenen Falle fände. Widernatürliche Strafe ist die körperliche Züchti gung innerhalb der Familie. Der Vater, die Mutter, die ihre Kinder verprügeln, stellen sich damit ein Armutszeugnis aus, erklären damit den Ban kerott ihrer Erziehersähigkeiien. Wir haben noch kein Tier in der Natur beobachtet, das seine Jungen körperlich strasle, seine Nachkommenschaft durch Stoßen, Puffen, Schlagen fürs Leben rüstete, wohl aber züch tigende Väter bewaffnet mit Knüppel, Knute und dergleichen, ohrfeigende Müller. Wie weit ist die Menschheit auch in dieser Hinsicht gesunken, gesunken bis unter das Tier. Es gibt immer noch Eltern, deren pädagogische Weisheit in dem widersinnigen Satze gipfelt: „Es ist schade um jeden Schlag, der daneben fällt!" Das ist billige Erzieherweishett. Von den gesundheitlichen Schädigungen körperlicher Züchti gung und vom verrohenden Einfluß derselben zu reden, wäre ein Kapitel für sich. Rohlinge und Verbrecher haben in der Regel nicht zu wenig, sondern zu viel Schläge erhalten, ihr Elternhaus war keine sonnige Stätte der Liebe, sondern eine Dunkel- und Folterkammer des Daseins. Es gibt viel Erzieherlugenden — aber die Liebe ist die größte unter ihnen. b) Die Familie als Erziehungsgemeinschaft sei eine Stätte frisch-fröhlichen Gei st es. Es ist nicht leicht jür Vater und Mutter, unter dem Druck der vielen großen und kleinen Sorgen des Alltags ihren Kindern Sonnentage zu schaffen, und doch bedauern wir jedes Kind, das davon ausgeschloffen ist, Sonnenkind zu sein. Ih en Kindern gegenüber sollten cs Eltern mit der Mahnung Cäsar Flaischlens ernst nehmen: „Hab Sonne im Herzen, obs stürmt oder schneit, Ob der Himmel voll Wolken, die Erde voll Streit!" Und die Mutter sollte sich noch dazu die Strophe beherzigen: „Hab ein Lied auf den Lippen!" Mutter und Kinder singend — so wie sie der Maler des deutschen Familienlebens Ludwig Richter nicht müde wurde zu malen —, dann haben wir im Hause eine Stätte frisch-fröhlichen Geistes. Eltern müssen sich die Fähigkeit erhalten, mit ihren Kindern jung zu sein, fröhlich, frohgemut. Ein mißliches, trübes Gesicht steht niemand schlechter als dem Iugenderzieher und paßt nir- gendwo weniger hin als in eine Kinderstube. Kinder mit vor zeitig gealterten ernsten Gesichtszügen sind — wenn Krankheit nicht die Ursache ist — eine stumme Anklage gegen den Geist des Elternhauses. c) Will die Familie einen tiefgehenden dauernd wertvollen erzieherischen Einfluß ausübeu, so muß sie weiter sein: eine Stätte sittliche nWollensundtzandelns. Wir leben bedauerlicherweise in einer Zeit der Degeneration und Korruption. Die Kinder sehen bereits im Elternhause zu weilen mehr unrechtmäßiges als rechtmäßiges Handeln, ganz abgesehen von den nicht seltenen Fällen, in denen sie zur Heh icrei oder Mittäterschaft angehalten werden. Der Jugendrichter wie der Lehrer wissen genug davon zu reden. In andern Häu sern wieder sind sie Zeugen zügellosen, schamlosen Lebenswandels, wie er sich in den vier Wänden ihrer Eltern abspielt. Ursache sind auch hier wieder ost Wohnungselend und Kohlennot, die ganze Familien in einen Raum zusammenpferchen — ost noch zusammen mit Untermietern, Schlafburschen und Schlafmädchen. Kinderaugen sehen aber sehr scharf und Kinderohren hören sehr fein und gar bald verderben böse Beispiele gute Sitten. Lassen wir unsere Kinder deshalb Zeugen sein edlen Den kens und Tuns, hilfreichen, opferfreudigen Sinns. Halten wir sie dazu an, an ihrem Teile schon Geben seliger zu empfinden als Nehmen, so schwer es auch ihrer kleinen Egoistennaiur wird. Und wenn sonst die linke Hand nicht wissen soll, was die rechte tut, so dürfen Vater und Mutter ihren Kindern gegenüber darin eine Ausnahme machen um des erzieherischen Einflusses willen. Die Eindrücke des Elternhauses hasten fürs Leben, das kann ihr Vorzug, aber auch ihr Nachteil sein. Nun steht aber noch im inneren, untrennbaren Zusammen hänge damit, daß die Familie eine Stätte sittlichen Wollens und Handelns sei, ein weiteres: 6) die Familie sei eine Stätte treuer Pflichterfüllung. Unser Volk ist einmal arbeitsscheu geworden und zum andern in der Arbeitsfähigkeit herabgesetzt durch schlechte Ernährungsverhältniffe, durch im Kriege zugezogene körperliche Schädigungen und Neroenzermürbung. Dos aber ist in unfern Tagen um so furchtbarer, als uns nur noch eins retten kann vor dem völligen Untergang, und das ist: Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit! Treue Pflichterfüllung an jeder Stelle ist das einzige Heilmittel. Diese treue Pflicht erfüllung mutz das Elternhaus in Vater und Mutier täglich anschaulich den Kindern vor Augen sühren, um in ihnen Arbeitsfreude zu wecken und Arbeitskraft zu stählen. Wie kann ein Kind zur Arbeit, zur Pflichterfüllung Lust und Fähigkeit bekommen, wenn der Vater ein Müßiggänger und die Mutter ein Tagedieb ist? Dort aber wo.Vater und Mutter sich in treuer Arbeit nicht genug tun können, geht der Ardeitssinn auch auf die kleine Schar über. — Arbeit wird ihnen etwas so Selbstverständliches wie Essen, Trinken und Schlafen. Um aber zu selbständiger Arbeit zu erziehen, muß man dem Kinds einen eignen kleinen Pflichtenkreis einräumen, in dem es allein verantwortlich ist: Sei cs das Inordnunghalten seiner Spielecke, das Versorgen des Siubenoogels oder irgendwelcher Kleinhaustiere, das Anbauen, Pflegen und Abernten eines Gartenbeetes, das Aussühren regelmäßig wiederkehrendrr Be sorgungen u. a. m. Das Kmd muß sich als notwendiges, viel leicht sogar in einer oder der anderen tz'nsicht als unentbehr liches Glied der Familiengemeinschast fühlen lernen. Wir wollen kein Ausnützen der kindlichen Arbeitskraft anempkehlen, denn unfern Kindern soll zu freier kindestümlicher Beschäftigung, zum Spiel, viel Zeit bleiben. Spiel ist ja unfern Kindern auch Arbeit, Spielkinder sind brave Kinder, denn sie kennen nicht die üble Langeweile, der Unarten sprudelndste Quelle. III. Wenn die Familie den ausgezeichneten Anforderungen ent spricht, die an eine wirksame Erziehungsgemeinschast zu stellen sind, so ist das oft wesentliches Verdienst der Mutter. Die Zahl der Väter, die sich in umfassender Weise der Er ziehung ihrer Kinder widmen können, ist gering, sind doch die meisten tagsüber durch Berussgeschäsie vom Hause serngehalten, dann aber kehren sie ermüdet zurück. Damit soll nicht gesagt sein, daß der erzieherische Einfluß des Balers in der Normal- familie so ziemlich gleich Null zu setzen wäre, denn das Fern sein von Millionen von Vätern im Kriege hat sich als eine die Familiensrziehung recht ungünstig beeinflussende Erscheinung gezeigt. Werfen wir noch ein Streiflicht auf die Bedeutung derMutteralsErziehertn. Das Christentum hat der Frau eine weit bedeutungsvollere Stellung im großen und ganzen und auch innerhalb der Familie im besonderen eingeräumt als das Heidentum. Immerhin ist die Frau erst verhältnismäßig spät voll und ganz gewürdigt worden als die an der Kindererziehung am meisten beteiligte Person. I. H. Pestalozzi, von dessen hundertsten Todestage uns nur noch wenige Jahre trennen, läßt seine Sozialpäüagogik letzten Endes in folgenden beiden Sätzen gipfeln: „Die Hebung des Volkes erfolgt am sichersten durch Volkse rziehung: die Volks erziehung aber ruht am besten in den Händen der Mütter." Sein noch viel zu wenig gelesener Erziehungsroman „Lienhard und Gertrud"*) fühlt diese Ideen anschaulich vor Augen. Und *) Erschienen in PH. Reclams Univcrsalbibliothek.