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Faustrecht lUms Jahr 1813) Bon Franz Rösler, Schirgiswalde In der Töpferschänke auf der Kleinseite gings wieder einmal hoch her. Der tolle Speckbacher war von einer gro ßen Pascherfahrt nach Böhmen glücklich zurückgekehrt. Nun verpraßte er mit seinen Kumpanen in der Schänke den Lohn, und die Leute wußten aus Erfahrung, daß er nicht eher aufhöreu würde, bis der letzte Kreuzer in der Tasche des Wirtes saß. Immer wüster wurde das Schreien und Singen. Fast bis an die Spreebrücke hinauf hörte man die grelle Stimme Speckbachers heraus, die sich unter dem Ge wirr immer wieder hervordrängte. Da und dort sah man Leute aus den Haustüren treten. Sie legten die Hände ans Ohr und horchten gespannt auf den wüsten Lärm. Auch der alte „Waberwenke", seines Zeichens Strumpf wirker, hatte das Gejohle vernommen und war vor die Tür getreten. Er schüttelte bedenklich den Kopf und als er seinen Freund, den Tischler, den Kopf zum Schieberchel hinausstecken sah, meckerte er zu ihm hinüber: „Hierscht'sc?", und deutete mit dem Finger nach der Schänke zu. „Heute macht ar wieder moul poulsch!" „Na," gab jener zurück, „'s schadt' nischt. Im su ehnder is ar fiert'g b'rmitte." „Rajcht hoäste," sprach der Strumpfwirker und schickic sich zum Hineingehen an. „Wenn ar ock schun wieder furt wär, dou is wingst'ns Ruhe ane Weile." Das war freilich der Wunsch der meisten Kleinseitner. Seit dem Mälzerseff hatte es auf dem rechten Ufer der Spree keinen solchen gewalttätigen Menschen mehr gegeben wie diesen Speckbacher. Er war nicht einmal ein gebürtiger Schirgiswalder. Wo er eigentlich herkam, wußte niemand. Er hatte Aufnahme in einer Paschergilde gefunden. In folge seiner Verwegenheit, seiner Kraft und Kaltblütig keit stieg er in kurzer Zeit bis zum anerkannten Anführer einer Schmugglerbande, von der allerhand tolle Taten er zählt wurden. Speckbacher war ein baumlanger Kerl von grobem Knochenbau. Seine muskulösen Arme und die ge waltigen Fäuste ließen auf große Kräfte schließen. Von seinem sonstigen Aussehen ist nichts weiter zu berichten, da die Nachrichten darüber spärlich sind. Nur seine Taten leben vielleicht noch bei einzelnen Trägern alter Volks überlieferungen. Wir wissen nicht einmal sicher, ob Speck bacher sein Familienname oder nur ein „Spitzname" ist. In jener Zeit wurden die Menschen infolge der unruhigen Zeiten arg durcheinandergewürfelt. Eines schönen Tages war er eben da. Speckbacher ist auch nicht hier gestorben, sondern plötzlich spurlos aus dem Städtlein, wo er so manche Gewalttat vollführte, verschwunden. Während die beiden Männer, deren Gespräch wir an fangs belauscht haben, wieder an ihre Arbeit gingen, zech ten die Pascher wacker weiter, bis einer nach dem andern unter den Tisch sank. Mit gläsernen Augen stierte Speck bacher auf die Kameraden. Schnaps und Vier waren auch ihm in den Kopf gestiegen. Nun trat der Wirt zu ihm und sagte: „Zahlst Du heute für alle?" Trotzig fuhr Speckbacher in die Tasche, klimperte mit dem Rest seines Geldes und krächzte heiser: „Bin ich Dir schon was schuldig geblieben?" „Nein doch," wehrte der Wirt, „'s is schon gut, Speck bacher, ich meine nur. Ich warte bis morgen. Dort habe ich alles ausgeschrieben." Dabei zeigte er mit dem Finger auf die Seitenwand des „Braates". Speckbacher glotzte auf die Kreidekritzel, als ob er sie lesen könne und nickte zu stimmend mit dem Kopfe, während der Wirt ihn listig blinzelnd anskbaute. Dann erhob er sj<b. warf mit einem Griff in die Tasche dem Schänker die Geldstücke aus der Tasche auf den Tisch, stieg behutsam über die Herumliegen den Männer und wankte heimwärts. Am nächsten Vormittag trat er wieder in die Schänke. Auch seine Kameraden stellten sich ein. So gings ein paar Tage fort, bis der allerletzte Kreuzer vertan war. Nun schritt Speckbacher hinüber zum Markte, um neue Pasch aufträge zu holen. Er hatte aber diesmal kein Glück. Kei ner der Kaufleute hatte genügend „Transitgut", daß sich ein großer Pascherzug gelohnt hätte. Mit langem Gesicht kehrte Speckbacher in die Schänke zurück. Ohne „Arbeit" waren er und seine Leute noch nie gewesen. Ans Sparen dachte keiner. Was tun? Mißmutig saßen sie vor den lee ren Gläsern. Der Wirt, vor dem sie allen Respekt hatten, schenkte nichts mehr ein. Es dauerte nicht lange, war die schönste Stichelei gegen ihren Anführer im Gange. Speck bacher biß die Zähne zusammen. Auf sein Ansehen als Führer bildete er sich viel ein. Er fühlte sich verpflichtet, für Verdienst zu sorgen. Bisher hatten sie unter seiner Leitung stets gut abgeschnitten. Nun er das erste Mal ohne seine Schuld versagte, höhnten sie ihn. Seine starken Arme konnte er gegen so viele nicht in Tätigkeit setzen. Auch würde es dann mit seiner Führerrolle, auf die er sehr eitel war, aus sein. Was tun? Dumpfbrütend hörte er die Sticheleien der Kameraden an. Da trat ein Bäuerlein in die Stube. Es war ein heißer Tag. Wenn man draußen den Lärm der Pascher hörte, wagte sich so leicht niemand in die Schänke. Weil aber der Bauer nichts gehört hatte, glaubte er, die Luft sei rein. Nun, da er die wüsten Ge sellen sah, erschrak er. Zum Umkehren war es zu spät. Er verlangte ein Glas Bier und bezahlte den Wirt mit Eiern, die er seinem Tragkorbe entnahm. Da kam dem Speckbacher ein Gedanke. Der Bauer hatte sich kaum fortgetrollt, schlug er auf den Tisch und schrie: „Ich will was sagen! Habt Ihr den Bauer gesehen?" Alle bejahten. „Er hat Eier und Butter und wer weiß was noch. Die verkauft er für teures Geld. Was hat der Callen- berger Bauer in unserer Republik zu suchen? Er kommt über die Grenze, also muß er Zoll bezahlen." „Jawohl," riefen alle durcheinander. Die wüsten Ge sellen wußten sofort, wohinaus ihr Anführer wollte. „Führ uns an, Speckbacher," schrie einer, den sie Knte- chelnaz nannten. „Wir gehen mit! Zoll bezahlen sollen die Fremden!" riefen andere. Wirr erschollen die rauhen Stim men durcheinander. Die Männer umringten ihren Führer und drängten sogleich zum Aufbruch. Speckbacher wählte 3 Burschen aus, die sich au der Stadtgrenze gegen Callen- verg—Crostau auf die Lauer setzen sollten. Eine gleiche Zahl bezog die Wache nach Kirschau zu. Er selbst begab sich mit seiner Mannschaft nach Sohland, um die Leute von den südlichen Orten abzufangen. Speckbachers Bande besorgte die zugedachte Aufgabe gründlich. Jeder Fußgänger, der Waren trug, wurde nun angehalten und nach seinem Passe befragt. Auf die Ware legten die Räuber, denn etwas anderes waren sie nicht, ganz nach Willkür einen Zoll. Sie gaben an, ihn im Auftrage des Stadthauptes erheben zu müssen. Die erschrockenen Leute zahlten, was ihnen abverlangt wurde, und waren froh, mit dem Leben davon zu kommen. Besonders an der Stabtgrenze nach Callenberg zu sollen arge Stücklein vor gekommen sein. Hier widersetzten sich verschiedene Bauern und Händler den Plackereien, da sie vermeinten, aus den nahe liegenden Häusern Hilfe zu bekommen. Sie hatten sich aber arg getäuscht. Niemand kam auf ihr Schreien herbei. Alle hatten Furcht vor der Rache der Bande. Einem wohl habenden Bauer aus Niedercrostau sollen die Strolche die Kleider bis auf das Hemd vom Leibe gerissen haben, weil er sich weigerte, auf sein Fuder Korn, das er in die Mühle fahren wollte, Zoll zu bezahlen. Dazu schlugen sie ihn braun und blau, nahmen einige Säcke Korn als „Zoll" in