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zubauen,' doch es schien mir, als müßte ich erst durch ein Feuer des Schmerzes und des Leides hindurch. Und was sollte daheim nun werden, wenn ich die Alten mit aller Plage allein ließe'? Es ist dem Vater recht, dachte ich wie der ergrimmt, nun mag er sich allein schinden! Aber warum soll die Mutter, die gute, mit leiden? Und warum soll ich die Geliebte verlassen, da ich doch mit dem Vater darum kämpfte, mich ihr zu verbinden? Nun, so und ähnlich ging es kreuz und quer in meinem Kopfe, und es war ein ganz toller Sonntag, den ich nie vergessen werde. Ich gelangte im Weiterwandern schließ lich über die Grenze ins böhmische Land, und es bildete sich nach und nach so etwas wie ein Plan in mir, irgendwo tiefer in Böhmen bei einem Bauer Dienst zu suchen. Vor läufig aber marschierte ich noch weiter trotz aller Hitze und trotz des Hungers, der sich begreiflicherweise einzustellen be gann. Zwar hatte ich eine geringe Barschaft zufällig bei mir,' aber die Läden in den Dörfern waren ja doch ge schlossen,' auch wollte ich mit keinem Menschen etwas zu tun haben. In den Wäldern fand ich jedoch viel Brom beeren, und die Haselnüsse waren fast ganz reif,' das ge nügte mir zur Sättigung. An frischem Quellwasser fehlte es nicht. Es nahte der erste Abend in der Fremde. Wohin sollte ich mein Haupt zur Ruhe legen? Die Dörfer waren spär licher geworden, die Wälder dichter und ausgebreiteter. Immer öfter mußte ich rasten,' die Sohlen brannten mir von dem ungewohnt weiten Marsch,- die Müdigkeit be drückte mich. Die Sonne war schon untergegangen, und das Nachtgetier begann sich zu regen, als ich auf meinem ein samen Pfade durch einen endlosen, menschenleeren Wald an einer Stelle anlangte, die mich durch ihre unerwartete Lieblichkeit in tiefe Rührung versetzte. In einem kleinen Umkreis standen da die Buchen und Fichten etwas ver einzelter, und Farnkraut, Stauden von Walderdbeeren, Heidelbeergestrüpp, winzige Fichtchen, weiche rötliche Grä ser und viele andere üppig in Wuchs stehende Pflanzen bildeten mit den dazwischen gestreuten grauen Felsbrocken eine reizvolle Lichtung. Was mir aber am innigsten an mutete, das war ein frommes Bildchen, das an einer Buche befestigt war. Eine kleine, aus Holz geschnitzte Christus- gestalt hing am Marterkreuz, von einem Widerschein des Abendrotes umzittert und verklärt. Ein Schutzdächlein war darübergebogen, ein Fichtenkranz mit verblichenen roten Wachsblumen daruntergeheftet. Der sterbende Gottessohn neigte mit sanfter Gebärde das dornengekrönte Haupt zur Rechten, und der heilige Friede, der von der kleinen Ge stalt am Kreuze ausströmte, floß auch in mein unglück liches, trotziges Herz hinein, so daß ich plötzlich von einer seltsamen Wehmut ergriffen ward, mich dem Kreuzbild gegenüber im Heidekraut und Moos niederließ und es un verwandt lange betrachtete, mit dem Rücken gegen einen Baumstamm gelehnt. Es wurde immer dunkler, und zuletzt schimmerte der weiße Leib des Gekreuzigten allein aus der Schwärze des Baumstammes hervor. Mir war es, als wüchse die kleine Figur, bewegte das Haupt, löste die nagel durchbohrten Glieder, schwebte zu mir herab. Doch dies war nicht Wirklichkeit, dies war der Anfang eines holden Traumes- denn der Schlaf hatte mich überwunden, und meine schmerzenden Gliedmaßen ruhten gar wohl aus dem grünen Wnldespolster. Die Nacht war schon weit vorgeschritten, als ich plötz lich erwachte. Ich war erschrocken und wußte im ersten Augenblick freilich nicht, wo ich mich befand. Dann aber ge wahrte ich, daß es feierlich still und schön war um mich her. Ein märchenhafter Mondenschein erfüllte den Wald, und da nicht der geringste Windhauch sich spürbar machte, so stan den die Bäume regungslos da wie Bildsäulen. Eine Grabesstille herrschte, nur dann und wann unterbrochen von einem Rascheln oder Knistern. Sogleich aber fiel mein Blick auch wieder auf die Christusgestalt an der Buche. Sie war jetzt wundervoll silbern übergossen vom Monblicht; nur das schmale Gesicht war leidend in den Schatten ge wendet. Vom Dächlein aber tropfte förmlich die Mondes helle herab und sie küßte im Herabgleiten auch die bleichen Wachsrosen im dunklen Kranz. Mit weitgeöffneten Augen sog ich das unvergleichliche Bild in mich ein, und mein Herz erschauerte von seltsamem, nie gefühltem Weh,' die ganze Schwere meiner Verlassenheit ward mir jetzt offenbar; die Gedanken quollen marternd, fragend und klagend aus den heimlichsten Tiefen meines Inneren herauf; plötzlich stan den meine Augen voller Tränen und ich schluchzte fassungs los, so unsäglich allein wie ich war in dieser Hellen, kühlen Spätsommernacht. Was hatte ich getan und was sollte ich tun? Aus dem Vergangenen nahmen meine Gedanken immer neue Bitter keit; an der nächsten Zukunft prallten sie wieder und wie der ab, mutlos, zweifelnd und verzagend. Ach, es war nicht meinem Wesen gemäß, so leichthin in alle Welt zu laufen und unter alles Gewesene einen entschiedenen Strich zu ziehen! Ich hatte mich wohl verrechnet in meinem ersten Taumel; jetzt fand ich mich langsam wieder und ermaß die Strecke der Bande, die mich unlöslich an Heimatscholle und Vaterhaus fesselten. Menschen mit leichterem Sinne brach ten es vielleicht fertig, einem solchen Sprung ins Un gewisse feste Schritte nach vorwärts anzureihen; ich aber, ich junger Bauer mit meinem schweren, unlenksamen Lau sitzer Wesen, ich besaß solch eine Fähigkeit kaum; mir konnte nichts anderes gegeben sein, als wieder zu wenden und das verlassene Ufer mühsam wiederzugewinnen. Im Geiste sah ich die kleine Schlafkammer der Eltern, wo jetzt der bleiche Mondschein zu den weinumsponnenen Fenstern hereinlugen mochte. Beschien er nicht vielleicht auch zwei kummervolle Gesichter, des Vaters und der Mutter Züge? Schimmerte er wider in Elternaugcn, die in dieser Nacht noch kein Schlaf berührt und geschlossen hatte? Stilles Weinen der Mutier, schweres Aufstöhnen des Vaters: das alles konnte ich mir wohl vergegenwärtigen in meiner nächtlichen Waldeinsamkeit, zu Füßen des stummen Kreuz bildes. Und Sehnsucht und Heimweh ergriffen mich erst recht, als ich der verlassenen Geliebten dachte. Wußte sie schon von meiner Flucht? Vermißt hatte sie mich zum Sonntagabend sicherlich gar sehr. Ach, es konnte davon gar keine Rede sein, mich von der einmal Erkorenen zu tren nen. Ich wollte zurückkehren wie ein verlorener Sohn, wollte dem Vater unterwürfig sein wie ein Sklave, von ihm alle Mißhandlungen demütig entgegennehmen; aber in dem einen Punkte würde ich nicht wanken noch weichen. Vielleicht ist es mancher Väter Art, ihre Kinder undank bar und mißraten zu finden, wenn sie anders sind und anderes wollen als sie selbst. Vielleicht entwaffnet man sie am ehesten durch innere Entschlossenheit und äußere Ge duld. In der schweren Kunst des Wartens wollte ich mich üben, und eines Tages würde der Sieg mir zusallen, so oder so. Diese Gedanken und Entschlüsse wurden in jener Nacht am Kreuze geboren. Ich fand keinen Schlaf mehr; die Kühle des herannahenden Morgens machte mich erschauern; ich hatte auf Gesicht, Händen und Kleidung die klebrige Feuch tigkeit des Taues. So erhob ich mich, während eine fahle Morgendämmerung die tiefen Schatten des Waldes schon erblassen ließ und das erste Vogelgezwitscher im Gezweigs laut ward. Die Glieder schmerzten; mein Magen war voll Unbehagens; doch mein Herz durchströmte jetzt die Kraft des Entschlossenen und die Freude des Heimkehrenden. Ich kniete nieder vor dem Bilde des Gekreuzigten, blickte lange hinauf in das friedevolle Antlitz und fühlte in mir eine heiße Regung von Dankbarkeit aufquellen; denn das Wunder der Besänftigung und Heilung meines ruhelosen, irren Herzens hatte sich hier vollzogen in dieser Nacht; ewig denkwürdig mußte mir diese Stätte sein. Ich stammelte