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Ottendorfer Zeitung : 25.01.1907
- Erscheinungsdatum
- 1907-01-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190701253
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19070125
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19070125
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungOttendorfer Zeitung
- Jahr1907
- Monat1907-01
- Tag1907-01-25
- Monat1907-01
- Jahr1907
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- Ottendorfer Zeitung : 25.01.1907
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Oolitilcke KuncLlckau« >^Zur Wahlbewegung. Die Frauen nehmen an der Werbearbeit für die Reichstagswahlen regen Anteil. An den Vorstand des deutschen Verbandes für Frauen stimmrecht kommen, wie das Verbandsorgan milteilt, aus allen Teilen des Reiches An fragen, in welche» Weise die Frauen sich bei der Wahl betätigen kö'imten. Auch die Taktik der liberales Parteien hat sich seit 1903 merkbar geändert. Sie suchen die Mitarbeit der Frauen, die anzunehmen sie sich ehemals kaum ent schließen wollten. Die Nachfrage nach weib lichen Hilfskräften ist jetzt so groß, daß ihr kaum entsprochen werden kann, und gar mancher städtische und ländliche Wahlkreis sieht in diesem Jahre Frauen bei der Organisation - und Lei tung der Wahlvorbereitungen an der Arbeit. — In den Berliner Wahlkreisen tauchen jetzt noch in elfter Stunde verschiedene Sondergnippen im freisinnig - demokratischen Lager auf, um gegen die liberalen Reichstags kandidaten Stimmung zu machen: Eine Anzahl Hirsch-Dunckerscher Gewerkvereinsführer erlassen einen Aufruf, in dem sie miiteilen, daß „einem Teile der Gewerkvereinsmitglicder keiner der auf gestellten Reichtagskandidaien genügt", und des halb den Generalsekretär Gustav Hartmann-Berlin als Zählkandidaten empfehlen. * * * Deutschland. * Im Königl. Schloß zu Berlin wurde am Sonntag das Krönungs» und Ordens- f e st begangen. * Der Kaiser wird in de« nächsten Tagen Rekrutenbesichtigungen vornehmen. * Die Verhandlungen der Regierung mit der amerikanischen Tarifkommission zwecks Abschlusses eines Handelsvertrages sind sicherem Vernehmen nach nicht abgebrochen worden. Es besteht im Gegenteil die Hoffnung, die Beratungen zu einem beide Teile befriedi gendem Ergebnis zu führen. Lsterreich-Ungarn. * In Gegenwart des Kaisers Franz Joseph wurde am 19. d. in Gmunden die Traucrfeier für die Königin-Witwe von Hannover abgehatten. * Die Angriffe gegen den ungarischen Justizminister Polonyi, die zeitweise das politische Ansehen der Negierung zu er schüttern drohten, haben, was ihren Haupturheber betrifft, ein plötzliches Ende gefunden. Wie aus Budapest gemeldet wird, hat der frühere Bürger meister Halmos an Polonyi ein Schreiben ge richtet, in welchem er alle gegen ihn erhobenen ehrenrührigen Beschuldigungen zurücknimmt. Es heißt, die Ärzte hätten Halmos, der infolge der Aufregung hochgradig nervös ist, geraten, jetzt keinen Prozeß zu führen. Der Justizminister dankte in einem Schreiben Halmos für seine Zuvorkommenheit. Wie verlautet, wird die An gelegenheit noch einmal das Abgeordr Kubaus beschäftigen. Frankreich. * Im Ministerrate gab der Minister des Äußern, Pichon, den Inhalt einer zu ver sendenden französisch-spanischenNote bekannt, die die Rückberufung der Kriegsschiffe beider Nationen von Tanger ankündigt, da die europäische Truppenmacht ihre Aufgabe erfüllt, die Ordnung in Marokko hergestellt habe und die Einführung der Polizeireform gesichert sei. " Der Kirchenstreit hat in der Provinz wieder zu einem größeren Zusammenstoß zwischen Bevölkerung und Truppen geführt. Der Ver such, die Seminaristen aus Beaupröau bei Angers auszuweisen, veranlaßte Tumulte, bei denen dec Unterpräfekt, der Gendarmerie- Kommandant und ein Polizeikommissar ver wundet würden. Die Truppen stürmten am Nachmittage gegen die Manifestanten an, wobei 15 Offiziere und Soldaten leicht ver wunde: wurden. Die Manifestanten ergriffen s daraus die Flucht. * Im K i r ch e nstreit steht abermals eine ! Änderung der Gesetzgebung bevor, wodurch die! viel erörterte, in der letzten päpstlichen Enzyklika verworfene „Erklärung", Gottesdienst abhalten i zu wollen, nunmehr in das Belieben der Geist lichen gestellt wird. * Die von der Regierung erwarteten Straßenkundgebungen gegen die Aus führung des Gesetzes der Sonntagsruhe wurden in Paris von den behördlichen Organen auf friedliche Weise unterdrückt. Schweiz. *Der Bundes.rat wird bei der spanischen Regierung anfragen, welcher Gerichtsbarkeit der schweizerische Polizei-Inspektor in Marokko unterworfen sei, ferner, welche Ent schädigung ihm im Falle eines Unfalles verab folgt werde. Italien. * Der Kammer wird in den nächsten Tagen ein Weißbuch über Abessinien vorgelegt werden. Darin wird die Regierung den Nach weis versuchen, daß sie in keiner Weise von England oder Frankreich beim Abschluß des Vertrages über Abessinien übervorteilt worden sei. (Der amtliche Depeschenwechsel wird also in dem Weißbuch fehlen müssen, da sich Italien vor einiger Zeit bitter über das Vorgehen Englands in Abessinien beklagte!) Schweden. * Durch vermittelndes Eingreifen der Regie rung wurde die allgemeine Arbeiter aussperrung verhindert. Es kam zwischen den Unternehmern und den Arbeitern, die ge streikt halten und ausgesperrt werden sollten, ein Vertrag zustande, der solange in Geltung bleiben soll, bis im Reichstag ein Gesetz beraten ist, das die Beziehungen der Arbeiter und Arbeit geber regelt. Spanien. * Der Minister des Äußern lehnte auf eine Anfrage in den Cortes eine Erklärung über die spanische Expedition nach Marokko ab, indem er darauf verwies, daß die Verhältnisse erst genau geregelt sein müßten, ehe er öffent lich sich zur Lage äußern könne. Die Er klärung rief große Unruhe unter den Abgeord neten hervor. Balkanstaaten. * In Mazedonien wurde das griechische Dorf Zervovo von einer bulgarischen Bande in Brand gesteckt und ein Test der Einwohner er mordet. *Äus Anlaß der letzten Studenten unruhen wurde die Universität in Sofia, der Hauptstadt Bulgariens, geschlossen. Der Senat der Universität beschloß jedoch, dem Negierungserlaß keine Folge zu geben, und die Universität nur der Polizei auszuliefern. Amerika. * Präsident Roosevelt hat seine Ansicht über seine Präsidentschaftskandidat^ geändert. Während er früher den Gedanken einer Wieder wahl weit von sich wies, ist er jetzt nicht ab geneigt, gegebenenfalls noch ein paar Jahre auf dem Präsidentenstuhl zu bleiben. *Der engeren Ausgestaltung der Be ziehungen zwischen Kanada und den Ver. Staaten dient ein Besuch, den der ameri kanische Staatssekretär Root in der Hauptstadt Ottawa abgestattet. Sein Ziel ist zunächst, einen günstigen Handelsvertrag mit Kanada vor zubereiten. * Die ch i l e ni s ch e Ka mm er hat ein stimmig die vertrauliche Einladung der Negie rung in Washington, dort eine Botschaft zu errichten, angenommen. Präsident Roosevelt be gründete seine Aufforderung damit, er wolle den Eindruck verhindern, als ob Washington allein Südamerika bemuttern wolle; Chile und Argen tinien sollen an der Herrschaft teilnehmen. (Darüber sind sich hoffentlich die Herren in Santiago völlig klar, daß die Washingtoner Rederei von einer „Teilung der Vorherrschaft" Unsinn ist. In wichtigen Angelegenheiten wird man Chile und Argentinien überhaupt nicht fragen.) Afrika. *Die Marokkoangelegenheit scheint trotz der wochenlangen Verhandlungen von Algeciras nicht in der wünschenswerten Weise geregelt zu sein. In französischen und spanischen s Regierungstreisen rechnet man bereits mit der i Möglichteil neuer Verhandlungen. Besonders i würde man sich über die Begrenzung der Macht befugnisse des schweizerischen Polizei-Inspektors zu einigen haben. Asien. * Das japanische Ubungsge- schwader, das am 15. d. nach Honolulu in See ging, hatte während der letzten drei Tage heftige Stürme zu bestehen und erlitt mehrfach Beschädigungen. Das Geschwader befindet sich auf der Rückfahrt nach Jokosuka. *Die chinesische Regierung über stürzt förmlich die Maßregeln zur Neuordnung der gesamten Verwaltung des Riesenreiches. Nachdem die Probe mit einer Art Verfassung sich glänzend bewährt hat, beschloß der Kaiser, durch eine Kommission von Gelehrten unter Mitwirkung japanischer Rechtslehrer, ein neues Gesetzbuch ausarbeitcn zu lassen. Die Vorarbeiten sollen sofort in Angriff genommen werden. 6me XanOlerreäe. Am 19. d. war der Reichskanzler ins Berliner Palasthotel geladen, um an einem Diner teil zunehmen, das vom kolonialpolitischen Aktions komitee veranstaltet worden war. Der Reichs kanzler hat iw diesem Kreise von Künstlern und Gelehrten eine hochbedeutsame Rede gehalten, die gewissermaßen als Ergänzug seiner Silvester- botschaft angesehen werden darf. Fürst Bülow führte u. a. folgendes aus: Meine Herren! Der Anregung, unter Ihnen zu erscheinen, bin ich gern und dankbar gefolgt. Ich befinde mich hier unter Vertretern der Wissenschaft, der schönen Künste, in einem Kreise höher Bildung, höchsten Strebens. Sie alle kennen das Goethesche Wort: „Was ist deine Pflicht? Die Forderung des Tages." Sie, die geistigen Führer der Nation, haben es als eine Forderung des Tages erkannt, au'klärend mit zuwirken an einem politischen Geschäft der Nation, und Sie wollen hören, was etwa der oberste Beamte des Reiches am Vorabend des Tages noch zu sagen hat, der über die künftige Zusammensetzung des deutschen Parlaments ent scheiden soll. Der Streit zwischen den verbündeten Regie rungen und der Mehrheit von Zeninim und Sozialdemokraten im Reichstage ist ausgebrochen bei einer Frage, bei der es sich um die Beendi gung des Krieges in Südwestafrika und weiter hin überhaupt um das Maß von Einsicht und Energie bei unsern kolonisatorischen Bestrebungen handelte. Ich bin froh, sagen zu können, daß an der Spitze der Kolonialabtestung jetzt eine außergewöhnlich tüchtige und umsichtige Kraft tätig ist. Es ist Herrn Dernburg in kurzer Zeit gelungen, das erschütterte Vertrauen in Wert und Verwaltung unsrer Kolonien neu zu beleben. Ich hege die Zuversicht, daß mit zähem Fleiße aus unsern Kolonien ein Besitz zu machen ist, der die dafür gebrachten Opfer reichlich lohnen, für unsern Wohlstand und für die Erhaltung unsrer Volkskräfte von größtem Nutzen sein wird, und den keiner unsrer Söhne und Enkel mehr missen möchte. Die Kolonien sind nicht nur ein Prüfstein für unsre nationale Tatkraft, sie können auch ein Bindemittel sein für unsre in ein Dutzend Fraktionen gespaltene politische Betätigung im Innern. Zu ihrer Entwickelung brauchen wir die Paarung konservativen Geistes mit liberalem Geiste, und es ist hoffentlich nicht zu optimistisch, wenn ich es als einen gewissen Wendepunkt in unserm Pacteileben betrachte, daß am 13. De zember im Reichstage konservative und liberale Parteien mit den verbündrt-n Regierungen zu sammen gingen. (Sehr richtig!) Ich möchte, daß diese Verständigung vorbildlich wirkte für die Behandlung andrer großer nationaler Fragen, und daß so von dem überseeischen Be sitz ein günstiger Einfluß ausginge zur Mäßigung der Parteigegensätze, namentlich gegenüber dem Auslande. In der Frage, wie viele Truppen zur Niederwerfung des Aufstandes und der Pazifi zierung der Kolonie nötig wären, konnte ich mich nur nach dem Urteile der Truppensührer und des Generalstabes richten. (Sehr richtig!) Gegenüber dem klaren und bestimmten Verlangen der sachkundigen und verantwortlichen Stellen gab es für mich, gab es sür die verbündeten Regierungen kein Schwanken und keine Zweifel. Blieb die Mehrheit auf ihrem Standpunkt be stehen, so mußten wir an das Volk appellieren. Man hat ferner den Standpunkt der Mehr heit damit motivieren wollen, daß dann der Reichstag der Truppenleitung und den ver bündeten Regierungen die Verantwortlichkeit mit tragen helfe, und daß er, wenn nötig, die Truppenzahl wieder heraufsetze» könne. Ja, meine Herren, das heißt eben Hofkriegsrat spielen. Einem solchen Eingriff in die Kriegs leitung, einer solchen Ermutigung aller uns feindlichen Elemente in der Welt durften und konnten die verbündeten Regierungen sich nichr unterwerfen. (Bravo!) Man hat mir auch das in der Hitze der Debatte gesprochene Wort vorgeworfen, daß nicht die Parteien, sondern die Regierung die Verantwortung trüge für die Sicherheit und das Ansehen des Landes. Meine Herren, ich Halle dies Wort bei ruhigem Blute vollständig auf recht. Verantwortlichkeit ist zunächst eine höchst persönliche Sache. Mögen sich nun auch Parteien moralisch für ihr Verhalten verant wortlich fühlen — und je mehr, desto besser! —, so ist doch die Regierung keine Partei, ihre Verantwortung reicht viel weiter. Sie hat, insbesondere nach außen, alle Parteien zu ver treten, und sie trägt allein die moralische und die politische Verantwortlichkeit in großen nationalen Fragen. Das ist auch so in rein parlamentarisch regierten Ländern: Wenn da die Männer der Regierung eine Verantwortlich keit für Mehrheitsbeschlüsse nicht tragen wollen, so lösen sie das Parlament auf, oder sie treten ab. Ein Reichstag, dessen Mehrheit in nationalen Fragen nicht versagt — das ist die Forderung des Tages. Und nun, meine Herren, will ich Ihnen auch sagen, warum es mir eine besondere Freude war, Ihrer Einladung zu folgen. Gerade Sie, Vertreter von Wissenschaft und Kunst, Denker und Forscher, Dichter und Bildner, sind am besten berufen, im Dienste der politischen Forde rung des Tages dem alten deutschen Schicksal des Parteigeistes und Fraktionshaders entgegen zuwirken und den Glauben zerstören zu helfen, daß wir wieder bloß ein Volk von Denkern und Dichtern und Träumern werden und nicht auch eine große, friedlich strebende und in schweren Zeiten einige und tapfere Nation bleiben könnten. (Lebhafter Beifall.) Mögen so wie Sie hier, meine Herren, alle nationalen Elemente von der konservativen Rechten bis zur fortschrittlichen Linken, ohne Ansehen der Reli gion, bei den Wahlen ihre Sonderinteressen zurückstellen hinter die nationale Pflicht und Schuldigkeit. Von unci fern. Kaiserliche Diamanthochzcitsspcude. Der Kaiser hat neuerdings genehmigt, daß auch beim 60 jährigen Ehejubiläum, der sogenannten Diamanthochzeit, solchen Ehepaaren, die bereits anläßlich der goldenen Hochzeitsseier mit einem Geldgeschenk bedacht worden sind und deren Ver hältnisse sich inzwischen nicht gebessert haben, bei fortdauernder Würdigkeit abermals eine Geld spende von fünfzig Mark aus dem Dispositions fonds in Zukunst gewährt werden kann. Drei deutsche Dampfer gestrandet. Bei dem furchtbaren Unglück, das Kingston, die Hauptstadt Jamaikas, betroffen hat, bat auch die deutsche Handelsmarine einen empfindlichen Verlust erlitten. Der Dampfer „Prinz Walde mar" hat das Schicksal seines Schwesterschiffes „Viktoria Luise" geteilt; er ist bei Plum Point aufgelaufen. Passagiere und die Besatzung sind glücklich gerettet. Die Lage des Schiffes wird als nicht ungünstig bezeichnet; Bergungsdampfer sind zur Stelle, und man hofft, den Dampfer abzubringen. Außerdem aber ist auch der Dampfer „Prinz Eitel Friedrich" in der Nähe des Wracks „Prinzessin Viktoria Louise" auf den Grund gelaufen. So liegen jetzt binnen wen'gen Tagen drei prächtige deutsche Schiffe in den tückischen Antillengewässern. K Getreu bis in äen Hoä. Sj Erzählung von Martha Neumeister. (Fottjexunz., Kurt schreckte empor, als ob er aus tiefem Traum erwache, ein Zittern überflog seine Ge stalt; er fiel auf die Knie vor seinem Weibe nieder und drückte sein erblaßtes Antlitz mit heißen Tränen auf ihre Hand: „Elisabeth!" flüsterte er, „vergib mir und auch du, liebe, verklärte Entschlafene, ich habe wie ein Wahnsinniger gehandelt, eurer und meiner selbst nicht würdig." Sie erwiderte nichts, nur tiefe, unendliche Trauer sprach aus ihren Blicken, als sie ihn mit sanfter Gewalt emporzog und ihm den Lehnstuhl am Bette der Mutter zurechtschob, während sie sich selbst auf den Rand desselben setzte, dicht neben der teuren Toten, deren ahnungsvolle, mütterliche Sorge sich so bald schon bewahrheiten sollte. „Vielleicht, Elisabeth," fuhr er mit leiser, gebrochener Stimme fort, „wird deine Liebe zu mir erloschen sein, wenn ich dir gebeichtet, was ich in unseliger Verblendung getan habe, und glaube mir, dies wäre die furchtbarste Strafe für meinen freventlichen Leichtsinn, was mir auch sonst noch geschehen mag. Aber offen und rückhaltslos will ich dir alles bekennen. „Ohne dein Wissen, Elisabeth, war ich vor kurzem, um einige ausstehende Forderungen auszugleichen, eine hohe Wette beim Rennen eingegangen, die mir unbedingt sicher erschien, da erhielt ich gestern, als ich vom Dienst heim kehrte, die mich wie ein Blitzstrahl treffende Nachricht, daß ich durch einen unberechenbaren Zufall die Wette verloren habe. Dieselbe mußte sofort ausgezahlt werden, was mir selbstver ständlich von den laufenden Einnahmen unmög lich war; ich war zu stolz, ich schämte mich, Elisabeth, die du mich so oft gewarnt, meinen abermaligen Leichtsinn einzugestehen und dich um Hilfe und Rat zu bitten, so sann ich in quälender Angst und Sorge vergebens auf Rettung. Da durchzuckte mich wie ein Hoffnungs strahl der plötzliche Gedanke, dieses Mal in umgekehrter Weise, wie ich sonst getan, also durch Glück beim Kartenspiel, zu dem ich mich abends mit den Kameraden bereits verabredet hatte, meinen Verlust beim Wetttennen auszu gleichen. Zu gewohnter Stunde ging ich ins Kasino, und mein Vorschlag, heute sogleich eine kleine Bank aufzulegen, ward dort mit allge meinem Jubel begrüßt. Was weiter geschah, Elisabeth", — er blickte düster vor sich hin, — „wirst du wohl ahnen! Ich spielte wie unsinnig, zuerst mit Erfolg, der mir gänzlich Vernunft und Besinnung benahm, fast schon hatte ich die notwendige Summe erreicht, da setzte ich, von Leidenschaft berauscht, den zweifachen Gewinn nochmals ein, um ihn zu verdoppeln, und — verlor doppelt alles! „Wie ein Wahnsinniger stürzte ich im Morgendämmern nach Hause, nur von dem einen Gedanken erfüllt, daß mir jede Zahlung, jede Quittung meiner Ehre unmöglich war; es blieb mir nichts übrig, als mir kurz entschlossen eine Kugel durch deu Kopf zu jagen. Ich trat an meinem Schreibtisch, die Pistole herauszu nehmen, da lag dort deine soeben eingetroffene Depesche: „Unsre liebe Mutter sanft emschafen, komm sofort zu Deiner tiestraurigen Elisabeth." „Die Todesnachricht, die mich aufs tiefste er schütterte, rief mich zum Leben zurück. Wie eine jähe Erkenntnis kam es über mich, was ich zu nächst den Meinen schuldig sei, denen ich feige entfliehen wollte; ich durste dir und unserm Kinde zu deinem tiefen Leid nicht noch Schmerz und Schande hinzufügen. Du hattest mich ge rufen, und mit Allgewalt zog es mich in Schuld und Trauer zu meinem Weibe hin. In fliegender Eile schrieb ich meinen Vorgesetzten, daß der plötzliche Tod meiner Schwiegermutter meine sofortige Abreise erfordere, ebenso den Kameraden, denen ich zur Zahlung verpflichtet bin, und ist daher die Einlösung meiner Ehren schulden bis zu meiner Rückreise aufgeschoben. Mit dem ersten Morgenzuge reiste ich fort, denn ich durfte niemand daheim mehr begegnen; wie ein Schlafwandelnder fuhr ich hierher. Erst dein Erschrecken bei meinem Anblick erweckte mich wieder zur vollen, trostlosen Wirklichkeit, und hier, am Sterbebette unsrer teuren Mutter, be kenne ich dir voll Reue und Verzweiflung meine Schuld, die unser Lebensglück vernichtet hat!" Seine Stimme brach in wildem Schluchzen, und er barg sein tränenüberströmtes Antlitz tief in ihrem Schoß. Still und regungslos, ohne ihn zu unterbrechen, hatte sie ihm zuge hört, nur ein schmerzlicher Seufzer drang über ihre Lippen. Nun strich sie leicht mit der Hand über sein krauses, blondes Haar, hob seinen Kops empor, und aus ihren klaren blauen Augen leuchtete ihm ein fester, opferfreudiger Entschluß hoffnungsvoll entgegen. „Sei ruhig, Kurt, sei verständig," sagte sie mit sanfter Stimme, „was du getan hast, be klage auch ich aus tiefstem Herzen, aber das Geschehene läßt sich nicht mehr ändern, so tief du es auch bereust. Es ist eine eigenartige Fügung, daß, während du so höhe Summen verspieltest, unsre liebe Blutter hier in meinen Armen sanft und friedlich entschlafen ist. So hoffe ich, dir nun helfen und die traurigen Folgen deines Leichtsinns von dir abwenden zu können. „Die Mutter hat mir und unsrer Kleinen," fuhr sie langsam fort, „zu eigener, freier Ver fügung je ein besonders abgeteiltes Kapital hinterlassen, wie sie mir am Abend meiner An kunft noch mitgeteilt. Ich will dir nun das meine sofort zur Deckung deiner Schulden über lassen; sollte die Summe noch nicht genügen, so fügen wir von der übrigen Erbschaft hinzu, soviel eben erforderlich ist. Siehst du, nun werden wir es doch noch lernen müssen, uns auch mit verringerter Einnahme fortan zu be schränken," setzte sie mit schmerzlichem Lächeln hinzu. Eine dunkle Röte der Scham überflog sei« blasses Antlitz, und seine Augen blickten zagend, wie ein Ertrinkender seinen Netter begrüßt, mit angstvoller Freude zu ihr empor. „Du willst mir Helsen, mich erretten aus Schuld und Schande?" stammelte er, „Elisabeth mein Weib, wie soll ich dir danken!" Er wollte sie mit stürmischer Bewegung in die Arme schließen, aber dec tiefe, traurige Ernst ihres lieblichen Antlitzes, das sie der teuren Entschlafenen zugewendet, hielt ihn in
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