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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt und Anzeiger : 21.04.1928
- Erscheinungsdatum
- 1928-04-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841112631-192804212
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841112631-19280421
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841112631-19280421
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungHohenstein-Ernstthaler Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1928
- Monat1928-04
- Tag1928-04-21
- Monat1928-04
- Jahr1928
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Hohmfttin-Emstthaler Tatzeblall m-Lcheiger Nr. 94 Sonnabend, den 21. April 1928 2. Beilage Briefe an uns OemNiHer Mies NBC schützen auf dem Wege — Winter im Frühling — Wo bleibt die Wohlsahrtspolizei? Gäste im Lentralthcater Schulanfang! Nund 5500 Kinder sind in diesem Jahre in Chemnitz der Schule zugeführi worden. Als ich selbst zur Schule gebracht wurde und unmittelbar nach Beendigung de-, Krieges meinen Jungen auf den ersten Schul- gang begleitete, gestaltete sich — es soll zumeist auch heute noch der Fall sein — der erste Schul tag als ein ziemlich trockenes Erlebnis. Wie ganz anders war der erste Schulbesuch 1n einem erzgebirgischen Dörfchen, wo eines meiner vielen Patenkinder sich als angehender ABC-Schütze auf den Weg machte und das zu begleiten ich das Glück hatte. Der jugendliche Lehrer hielt eine so herzerfrischende Ansprache, mit der er die meisten Kinderherzen im Sturm erobert haben dürfte. Er verglich zu Beginn die Kinder mit einer zarten Pflanze, die vom Elteruhause nach der Schule versetzt wird und daß das zarte Pflänzchen an dieser neuen Stelle auch gut ge deiht und den genügenden Sonnenschein für sein Leben hat, das sei eine der vorn»msten und schönsten Aufgaben der Lehrerschaft. Sich den Kleinen zuwendend meinte er, dass er viele schöne Märchen wisse, die er den Kindern er zählen könnte. Da die Geschwister daheim aber doch sicherlich auch Märchenbücher Hütten und daß sie eines Tages das Verlangen haben könnten, die Märchen selbst lesen zu wollen, des halb würden sie jetzt in der Schule lesen lernen. Da die liebe Mutter infolge ihrer reichen Arbeit am häuslichen Herd nicht immer selbst einkaufen gehen kann, hat sic euch immer alles ausgeschrieben, wenn ihr einmal für sie zum Kaufmann oder zum Fleischer einholcn gehen mutztet. Da ihr nun grötzer geworden seid und selbst aufpassen sollt, ob ihr das Geld richtig wiederbekommt, deshalb wollen wir in der Schule rechnen lernen. Wie lange wird es dauern, dann kommt das liebe Wcihnachts- fcst. Als ihr noch so klein wart, haben eure lie ben Eltern immer den Wunschzettel geschrieben. Um dies in Zukunft selbst tun zu können, des halb wollen wir in der Schule schreiben lernen. Als ich dieser Tage einmal spazieren ging, so führte er weiter aus, huschte in der Abenddämmerung plötzlich etwas über die Stratze. Ich bückte mich rasch und erwischte ein kleines vierbeiniges Tierchen am Schwanz. Beim näheren Hinsehen war es der Osterhaft, der sich auf dem Heimwege befand. Ich bat ihn, doch einmal nachzusehen, ob er in seinen Vor räten nicht noch etwas für eine Schar lieber Kinder hat, die in den nächsten Tagen das erste Mal zur Schule kommen. Ausgeschlossen, so sagte der Osterhase, bei mir ist mn Gründon nerstagabend um 8 Uhr Schluß und da ist jetzt nichts mehr zu wollen! Als er auf diese Ant wort mein betrübtes Gesicht sah, brachte er es doch nicht über das Herz, mich so des Weges da hin ziehen zu lassen. Er versprach, doch noch einmal gründlich nachsehen zu wollen. Sollte sich unter seinen Vorräten noch etwas finden, was den Kleinen Freude machen sollte, so würde er es in die Schule bringen! Als der Lehrer an diese Worte anschliessend die Zuckertüten aus packte, die sämtlich merkwürdigerweise nicht über 65 Zentimeter groß waren, dann hätten meine Leser einmal die Augen der 30 Kinder sehen sollen! Wir wollen hoffen und wünschen, daß aus unseren Kindern, die wir jetzt zur Schule gebracht haben einst echte deutsche Män ner und Frauen werden! Nach den strahlenden, fast sommerlichen Ostertagen hat der April uns am Dienstag wie der eine Schncelandschaft hervorgezaubert, wie wir sie selbst im strengsten Winter nicht gehabt haben. Katzberg, Stollberger Viertel, Crim mitschauer und Zeisigwald boten märchenhafte Bilder. Vor diesem Schneeweiter sind aber zahlreiche Chemnitzer nach dem Süden geflüchtet. An der großen ÄDAC-Fahrt, die über 3000 Kilometer geht, nehmen rund 250 Wagen teil, davon allein über 60 aus dem Chemnitzer Be zirk. Die Teilnehmer an der Fahrt haben mit großem Schneid die deutschen und Schweizer Alpenpässe überwunden und in Genua, San Nemo und Nizza das herrlichste Frllhlingswctter gehabt, während uns in der Heimat Schnee und ein unbeschreibliches Matschwetter beschieden war. Chemnitz machte wieder einmal einen regelrecht schmutzigen Eindruck . Dazu kommt noch, daß viele Leute noch nicht das nötige Ver ständnis für die Sauberkeit der Straßen haben Papier- und Obstreste werden einfach auf die Straße geworfen. Obwohl die Stadtverwaltung Hunderte von Papierkästen an den Straßen bahnhaltestellen usw. ausgestellt hat, hat man erkennen müssen, daß das alles keinen Zweck hat. Das Papier wird nun neben die Papierkästen geworfen. Durch die Leichtsinnigkeit und Rück sichtslosigkeit vieler Einwohner werden viele andere der Gefahr ausgesetzt, durch Ausgleiten auf einem Obstrest zum Krüppel zu werden. Alles andere wie angenehm waren in der allerletzten Zeit Spaziergänge nach dem Zeisig wald und KUchwald. In dem mit Wasser an gefüllten teichartigen alten Steinbruch im Zei sigwald lagen nicht weniger als sechs große Fischkörbe mit verdorbenen Fischen, die einen nicht zu beschreibenden Geruch verbreiteten. Obwohl zahlreiche Besucher des Zeisigwaldes wegen dieser Geschichte bei der Wohlfahrts polizei Beschwerde geführt haben, ist bis jetzt nicht bekannt geworden, ob es gelungen ist, den Eigentümer der Fischkörbe festzustellen. Herr liche Zustände herrschen auch am Küchwaldring. Auf dem großen Grundstück der Stadtgemeinde liegen viele Reste vom beendigten Bau der ver längerten Dorotheenstraße umher und weiter ist wieder viel Schutt aller Art hingeworfen wor den. Dadurch ist der Wasserabfluß völlig ver stopft worden. Wie lange wird es dauern, dann wird sich ein Teich bilden, der dem Schlotzteich Konkurrenz macht. Der Baumbestand des Küch- waldes wurde unlängst gelichtet, damit Luft und Sonne besser durchdringen können — und auf der anderen Seite der Stratze rostet im Grund wassertümpel altes Blechzeug, es verfaulen alte Matratzen und viele andere Sachen. Ein wenig erfreuliches Bild bietet auch der Lortzingplatz, der fast einem Sturzacker gleicht. In das Centraltheater ist unter der Leitung von Karl Suckfüll und Georg Wörthge das Gesamtpersonal des Dresdner Residenzthea ters zu einem auf zwei Monate berechneten Gastspiel mit Eyßlers „Die Goldne Meisterin" eingezogen. Der erfolgreiche Komponist, dessen „Bruder Straubinger" und „Die Schützenliesel", „Der lachende Ehemann" usw. vor etwa 20 Jah ren über alle Bühnen gingen, ist sich treu ge blieben und hat eine liebe Wiener Operette im alten Stil geschrieben, die alle Mätzchen ver meidet und die in ihrer musikalischen Durchfüh rung stellenweise einer komischen Oper gleichzu stellen ist. Das Gastspiel der Dresdner bedeutete für die Chemnitzer Opcrettengemeinde eine fröh liche Wiedersehensfeier. Wer denkt nicht gern an die mehr als ein Jahrzehnt zurückliegende Zeit zurück, wo Karl Suckfüll, Willy Karl, Bruno Hellwig, Nicco Larger im Verein mit der in Chemnitz noch unvergessenen Grete Brill jetzt in Stettin) über die Bretter des Thalia- Theaters wirbelten. Egon. VMM Mies Neriame Verstehen wir in Berlin überhaupt etwas von Reklame? Verglichen mit Amerika, nein! Einige Ansätze gibt es, es den Amerikanern gleich zu tun, und diese Ansätze bleiben zumeist im guten Willen stecken. Es kommt aber auch vor, datz sie über das Ziel Hinausschietzen. Ganz darf man doch nicht nach amerikanischem Muster arbeiten, denn was in Amerika gang und gäbe ist, was man in Neuyork täglich hundertfältig sieht, kann in Berlin abstoßend, aber nicht anziehend wirken. Dieses zuvor. Zwei Fälle einer wenig schönen, man kann sagen geschmack losen Reklame sind uns in letzter Zeit in Berlin begegnet und haben den beiden Kinos, die da glaubten, wer weiß welche glücklichen Einfälle gehabt zu haben, mehr geschadet, als genützt. Man hat sich ja auch bereits in der Provinz über diese beiden Neklamefälle, wenn man diese Ausgeburten zweier Reklamechefs so nennen will, unterhalten. Zunächst einmal: Wir lasen in Berliner Zei tungen eine Anzeige etwa des Inhaltes: Zwölf Girls, die durch die Unzuverlässigkeit ihres Direktors auf die Stratze gesetzt, ohne Quartier und ohne Mittel seien, suchen mildtätige Men- s scheu, die ihnen Nachtquartier gewähren. Man konnte aus der Anzeige herauslesen, als ob diese Tänzerinnen sich liebes- und lebenslustigen Männern an den Hals werfen wollten. Wer lein scharfes Empfinden hatte und die Einstel lung der Zeitungen nicht kennt, die selbstver ständlich solche Anzeigen, wenn sie tatsächlich ge meint wären, ihrer Unmoral wegen nicht ge bracht hätten, mußte unbedingt des Glaubens sein, es mit einer Wahrheit zu tun zu haben. Die meisten Zeitungsleser waren jedenfalls dü piert. Die Berliner Zeitungen erhielten ent rüstete Zuschriften, und in einigen Provinz zeitungen las man bei Zitierung dieser Anzeige heftige Angriffe gegen die Berliner Unmoral. Was war's aber? Die Entrüsteten und Empörten, die an solchen Neklamcunfua nicht im entferntesten dachten, die vielen jungen und satten Herren, die sich liebenswürdiger Weise be reit erklärt hatten, einer jungen Dame Obdach und Nachtquartier zu gewähren, mußten lesen, daß sie sämtlich einem Bluff zum Opfer gefallen seien. Denn just an derselben Stelle in der selben Form und Aufmachung teilten die zwölf Girls mit, sie dankten für die vielen Zuschriften, sie wären aber versorgt, da sich inzwischen ein Film ihrer angenommen hätte und sie in den nächsten Tagen in dem Filmstück „Zwölf Eins suchen Nachtquartier" oder so ähnlich im Kino Zitterlich zu sehen seien. Ist diese Reklame schön? Gewiß nicht! Sie hat mehr böses Blut gemacht als sie Erfolg brachte. Sie war eine Entgleisung übelster Art, eine Entgleisung, dir nur auf dem Eroßstadtboden gedeihen konnte, in Berlin, das amerikanisch sein möchte und, wenn es darauf ankommt, daneben trifft. Eine derartige Anzeige in Neuyork würde die dort regierende ganze Weiblichkeit mobil machen. Eigentlich hätte die Polizei gegen diesen Unfug eingreifen müssen. Sie hat es jedoch nicht getan, denn sonst wäre die nächste Reklann- idee eines Filmpropagandisten nicht möglich ge wesen, eine Anzeige des Inhalts: „Erben gesucht! Herr Gilbert van Horn, der mit der „Titanic" untergegangen ist, hinterließ ein Ver mögen von fünf Millionen Dollars". Bisher hätten sich keine Erben dafür gemeldet. Sie sollten sich melden. Die Anzeige hatte durchaus das Ansehen einer Bekanntmachung. Und aus diese Anzeige fielen tatsächlich die gewiegtesten Zeitungsleser herein, bis sie einige Tage später lesen mußten, der Erbe sei gefunden, die ganze Angelegenheit wäre in dem Film, nennen wir ihn „Bluff", zu sehen. Da hat sich doch dieser oder jener, der dicke Bünde gewälzt hat, ob er irgend eine Verwandtschaft mit dem sagen haften Gilbert van Horn, Herstellen könne, die Haare gerauft. Die Empörung Tausender machte sich wieder in empörten Zuschriften an die Berliner Zeitungen Luft. Durchaus be greiflich, denn, wenn es etwas zu erben gibt und ein Erbe — jeder möchte es sein — ent ¬ täuscht wird, kann man seine Entrüstung schon verstehen. Datz eine Reklame sie aber genas- führt hat, wirkt niederschmetternd auf sie und macht sich in einer ausgesprochenen Antipathie gegen jede Reklame überhaupt bemerkbar. So schädigen solche Reklameauswüchse mehr, als sie nützen, denn cs ist nicht anzunehmen, datz die liebeslüsternen Jünglinge, die den Puppen Nachtquartier anboten, ihre Enttäu schung noch einmal im Kino erleben wollen, oder jene Erben, die mit den fünf Millionen Dollars rechneten, nun gerade ins Kino gehen, um hier ihre Galle noch mehr in Wallung brin gen zu lassen. Reklame ist gut, Auswüchse wie diese verdienen niedriger gehängt zu werden. Offensichtlich liegt hier grober Unfug vor, was das Einschreiten der sonst ja schnell arbeitenden Polizei fordert. Einem Geschäftsmann sollte einmal eine Neklameidee verrutschen, sofort würde das Strafmandat eintreffen. Die Kino reklame in Berlin aber darf sich anscheinend io etwas leisten. Es ist in diesem Zusammenhang angebracht, überhaupt etwas von der groß städtischen Reklame zu reden. Sie will und kann nicht so recht. Das heißt, sie möchte den großen Zug zeigen und bleibt in Kleinigkeiten stecken. Wo sie aber einmal ins Große geht, haut nr gehörig daneben: Siehe oben! Schauen wir das Land der Reklame, Amerika, an. Die Zeitungen sind von einem Umfang, wie sie keine deutsche Zeitung aufweisen kann. Jeder Geschäftsmann inseriert zunächst. Schreiend, auffallend, aber immerhin, datz jeder weiß, es handele sich um Reklame. Daneben erst werden neue Reklame- ideen geboren; die Lichtreklame, die Plakat reklame, die Reklame in Broschüren, das Be malen von Häuserfronten. In Deutschland hat man bisher nicht erkannt, datz jedes Unterneh men zunächst einen Retlameetat auswcrfcn mutz, da sich Reklame bckanntermatzen immer bezahlt macht und die gute Reklame die Grundlage jedes Geschäftes ist. Junge Leute, die nichts von der Presse verstehen, keine Erfahrungen besitzen, um die Psyche der breiten Masse zu beurteilen, nennen sich bei uns Neklamechess. Und sie lassen sich alle möglichen Ideen aus schwatzen, die denn auch zumeist ins Nebensäch liche gehen und das Folgerichtige der Reklame übersehen. Die schlagende Reklame in den Zei tungen, die am wirksamsten ist, wird übergan gen, dafür werden für Broschüren und Plakate Abertausende geopfert und, wer durch die Großstädte geht, erlebt sein Wunder an den vielen Ncklametafeln und Reklamehäuschen, die zumeist ohne Wirkung bleiben, denn nie mand pflegt sich vor diese Tafeln.aufzupflanzen und zu studieren. Außerdem sind sie allmählich in ihrer Ueberfülle ein Verkehrshindernis ge worden. Die Stadt Berlin glaubte viel Geld aus der Vermietung solcher Ncklametafeln und Retla- mehäuschen und Reklamesäulcn schlagen zu können. An jeder Ecke, die für den steigenden Verkehr freien Ausblick fordert, ist ein Hinder nis gesetzt, das schon in vielen Fällen Schuld an Unfällen trägt. Immer mehr und lauter geht der Ruf zur Beseitigung dieser Verkehrshinder nisse. Kann man sich da nicht sehr leicht aus- malen, wie nutzlos es ist, an solchen Tafeln Schmierseife und Schuhwichse anzuprcisen? An der Ecke hat der Berliner auf den Verkehr und nicht auf die Reklame zu achten. Rcklamc- organisationen und -beratungen schießen aus der Erde, neue überwältigende Gedanken, die ans dem üblichen Rahmen fallen, sind noch nicht geboren. Jeder neue Gedanke auf dem Rc- klamegebiet ist importiert. Die großstädtische Reklame müßte von Grund auf ein anderes Gesicht erhalten und vornehmes Vorbild sein auch für die Provinz, die schließlich ihre An regungen aus der Großstadt holt. Eine deutsche Reklame, ergründet aus dem Wesen des Volkes, fehlt uns. Diese zu schaffen müßten wirkliche Reklameleute sich als Aufgabe setzen. Ein Mer Zag in NenyM Von einem anien Kenner Ncmwrker Ncr- döltnissc wird uns fvlacnücr, nernde jedt UUereniercnüci' Bcitrna mr Bersiicmna nc- Ncllt, der oeradc ievt besonderes ZZmercye Naben wird. Ein großer Tag in Neuyork! Was heißt das, welche Umstände bringen einen großen Tag? Der Amerikaner lebt in und mit der Re klame. Tine großzügige Reklame für irgendeine nichtige Begebenheit kann Tausende auf die Beine bringen, Neuyork in Wallung setzen und den großen Tag schassen. Abgesehen von den stürmischen Wahltagen sind cs zumeist große sportliche Ereignisse, die die Neuyorker bewegen und aus ihrer sonst üblichen Ruhe bringen. Jede besondere Leistung, die aus dem üblichen Nah men fällt, jeder Rekord, auch solche, über die wir lächeln würden, hat für den Amerikaner eine große Bedeutung. Er scheut nicht, die Nacht zum Tage zu machen, scheut keine Kosten, keine weiten Wege und Fahrten. Er muß daran teilnehmen. Ein Ozeanflug nun ist für jeden Amerikaner eine Tat, die ihn zittern und mit allen Nerven anteilnehmen, läßt. Wer es miterlebt hat, als Lindbergh, Chamberlin mit Levine, Byrd und die übrigen Amerikaner zum Ozeanflug aufstie gen und wie Tausende von Neuyorkern sich zum begeisterten Abschied einfanden, kann ermessen, wie die Neuyorker auf die Ankunft der Flieger gewartet haben, die bisher von Europa aus das große Wasser überfliegen wollten, um bU Neu york zu landen. Der Amerikaner ist — das liegt in seinem Wesen — trotz der geschäftlichen Kätte und Korrektheit, sehr leicht für jede außer ordentliche Tat begeistert und hat den unbeirr baren Glauben, datz sie vollbracht werden kann. Er ist also in dieser Richtung ausgesprochener Optimist, er hält nichts für unmöglich. Was übrigens im Lande der unbegrenzten Möglich keiten selbstverständlich ist. Dieses vorausgeschickt, kann man ohne weite ¬ res sich ein Bild von dem Tage machen, als Neuyork auf die Ankunft der „Bremen" war tete, Wir wissen aus den Meldungen der Zei tungen, daß der Flugplatz bei Neuyork Mitchell- field von 20 000 Neuyorkern belagert war. Wir wissen, daß bereits von 8 Uhr morgens, Neuyor ker Zeit, Tausende und Abertausende zum be stimmten Landungsplatz der „Bremen" pilger ten. Und wir wissen ,daß die Ankunft der „Bre men" erst um 6 Uhr Neuyorker Zeit zu erwar- len war, die Begeisterung der Neuyorker also eine große Zähigkeit offenbarte. Sie opferten die Stunden von 8 Uhr früh, obwohl erst spät nachmittag das Ereignis eintreten sollte. Wie es aber auf einem Platze, den 20 000 Menschen füllen, aussieht, kann sich der Deutsche keinen Be griff machen. Die Menschenmenge steht nicht tatenlos herum, sondern ist in dauernder Be wegung. Zunächst sorgt die Neuyorker Presse mit Extraausgaben und Extrablättern dafür, daß immer eine lebhafte Diskussion herrscht, die Masse aus- und abwallt und die Spannung von Stunde zu Stunde steigt. Sodann werden der artige Massenversammlungen gründlich jür Re klamezwecke ausgenutzt, die zumeist derart origi nell sind, daß sie ebenfalls die Menge in Bewe gung bringen können. Man unterhält sich auf jede mögliche Art, obwohl es keinen Alkohol gibt. Der Neuyorker weiß auch auf dem Flug platz zu leben. Er lebt nicht schlecht, und läßt sich auch an solchem Tage, wo er viele Stunden auf das große Ereignis warten muß, nicht ans den üblichen Gewohnheiten bringen. Er lebt, das heißt, es ist viel Gelegenheit vorhanden, zu Frühstücken, zum Diner. Es gibt Musik und es gibt das Radio. Dazu verstehen cs sehr viele von sich aus, für spannende Unterhaltung zu sorgen und die Stunden des Wartens zu ver kürzen. Aber nicht nur auf dem Flugplatz selbst, son dern auch in dem Häusermcer von Neuyork sind stundenlang die Dächer belebt, die Straßen
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