64 Reiner Gross Dresden und die polnischen Emigranten zwischen 1830 und 1864 0 Das Ereignis der Französischen Julirevolution von 1830 beeinflußte die Entwicklung in vielen Teilen Europas. Diese Revolution bekräftigte mit dem endgültigen Sturz der Bourbonen-Dyna- stie und dem Banner der Trikolore als Sinnbild der bürgerlichen Republik die Revolution von 1789. Sie war zugleich Fanal für die Bürger in vielen Territorialstaaten des Deutschen Bundes. In Preußen, Österreich, Braunschweig, Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt, Hannover kommt es ebenso zu bürgerlichen liberal-demokratischen Bewegungen wie in Sachsen. 11 Von den Ereig nissen in Paris vom 27. bis 29. Juli 1830 konnten wenige Tage danach die Bürger der größeren sächsischen Städte im »Dresdner Anzeiger« und in der »Leipziger Zeitung« aufsehenerregende Berichte lesen. Wenige Wochen später brachen in Sachsen selbst revolutionäre Unruhen aus. Von Leipzig griffen sie auf die Residenzstadt über. In den Abendstunden des 9. September wurden das Rathaus auf dem Altmarkt und das Gebäude der Polizeideputation in der angrenzenden Scheffelgasse demoliert und in Brand gesteckt. Aus allen Teilen des Landes setzte eine Peti tionsflut ein. Der am 13. September 1830 in Nachfolge des zurückgetretenen Kabinettsmini sters von Einsiedel berufene liberale Bernhard August von Lindenau und andere reformwillige Kräfte erreichten es schließlich, daß die weitere gesellschaftliche Entwicklung in ruhigere Bahnen gelenkt wurde. Sie führte zur konstitutionellen Monarchie mit der Verfassung vom 4. September 1831 und einer großangelegten sächsischen Staatsreform. 21 In jenen Monaten des Umbruchs vom September 1830 bis April 1831 trafen in Sachsen aus den polnischen Landen, mit denen man seit den Tagen Augusts des Starken mehr oder weniger eng verbunden war, ebenfalls Nach richten über Volkserhebungen ein. In Warschau, der Hauptstadt des 1815 gebildeten und mit Rußland in Personalunion verbundenen Königreiches Polen, das als Kongreßpolen in die Geschichte eingegangen ist, erhob sich unter dem Eindruck der französischen Julirevolution und einer befürchteten Einberufung von polnischen Soldaten zur Intervention des Zaren in Frank reich die Fähnrichschule. Am Abend des 29. November 1830 besetzten die polnischen Revolu tionäre, seit 1828 in einer Verschwörung organisiert, die Schlüsselpositionen der Stadt. Nahezu ein Jahr dauerte der Befreiungskampf des polnischen Volkes. Diese Nationalerhebung von 1830/1831 gegen die zaristische Fremdherrschaft war zugleich ein Ausdruck des Ringens um ein neues Europa. »Polens Unabhängigkeit wurde zu einer zentralen Frage des bürgerlichen Fort schritts aller Völker, die unter dem Joch der Heiligen Allianz lebten.« 31 Als mit der Kapitulation von Warschau im September 1831 die polnische Nationalerhebung dem Zaren unterlag, setzte die »Große Emigration« ein, in deren Verlauf über 4000 Aufständische die Grenzen nach Preußen und Österreich überschritten.** 1