34 Hans-Jürgen Sarfert In Dresden denunziert: Elfriede Scholz, Schwester von Erich Maria Remarque 0 Der promovierte Germanist Dr. Joseph Goebbels (1897-1945), seit 1926 Gauleiter von Ber lin und Herausgeber der nationalsozialistischen Parteizeitung »Der Angriff«, begann mit der Lektüre des pazifistischen Romans »Im Westen nichts Neues« wahrscheinlich am 21. Juli 1929 während einer Eisenbahnfahrt von Berlin nach Dresden, wo er seine ehemalige Freun din Anka Stahlherm' 1 , verheiratete Mumme 21 , besuchte. In drei Tagen las er das Buch von Erich Maria Remarque zu Ende, das seit dem denkwürdigen Erstverkaufstag am 31. Januar 1929 zum grandiosen Weltbestseller gewachsen war. Es wurde natürlich zur mißvergnügten Lektüre, denn der Vielleser Goebbels hatte den heftigen Meinungsstreit um Remarques Roman sehr genau verfolgt. Zehn Verdrängungsjahre nach Kriegsende, in durchrauchten Nächten geschrieben in einer Art Selbstbefreiungsprozeß, thematisierte der noch weitgehend unbekannte Autor aus Osnabrück nicht die Ursachen des Weltbrandes, sondern schilderte die Erlebnisfelder des sinnlosen Mordens und leidvollen Verreckens als tiefe Entwürdigun gen und antihumane Exerzitien. Dieser unverstellte Gegenpart zu den kalkulatorischen Ehrenrettungen des klischeebehafteten Offizierskorps fand ein Massenpublikum in breite sten Kreisen; die Druckereien und Buchbindereien arbeiteten pausenlos, um die ungebrem ste Nachfrage befriedigen zu können. Millionen ehemaliger Soldaten, die einfachen Landser erkannten sich wieder im geschundenen Ich-Erzähler Paul Bäumer. Goebbels erahnte diese für ihn katastrophale Reaktion, seine feindselige Abkanzelung geschah außerordentlich haß erfüllt: »Ein gemeines, zersetzendes Buch ... es hat seine Wirkung getan in Millionen Her zen. Das Buch ist gemacht. Deshalb so gefährlich« 31 . Am 23. Juli: »Eine elende Tendenzma che ... Von uns fällt keiner mehr auf dieses Buch herein« 41 . Für den verschlagenen Satrapen gab es keinen Zweifel, daß Remarque weniger an den Verstand, sondern vielmehr an das »gefährliche« Gefühl appellierte. Deshalb versuchte Goebbels, den »Geist der Novemberre publik« fanatisch und rigoros zu tilgen: »Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Welt krieges, für Erziehung des Volkes im Geiste der Wehrhaftigkeit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque!« 51 , tönte der »siebte Rufer« schließlich am 10. Mai 1933 vor der Berliner Universität. Der demokratisch gesinnte Individualist Remarque, noch unerfahren in dieser Welt der Ver leumdungen, vertraute sich dem generösen Harry Graf Kessler an, der den Besucher am