3 hängnisvollen Zweig der »Rassenhygiene« hervor, und zu den Reformern in den Künsten zählten auch die Nationalisten mit ihren Neogermanisc-Dekorationen. Allen unbewußt, wurde das Stundenglas gestellt, das 1945 auslief. Die Industrialisierung hatte Jahrhunderte alte Lebens- und Produktionsformen in kurzer Zeit verschlissen. Alle gesellschaftlichen Bereiche mußten neu formiert werden, und dies in Sachsen intensiver als in allen anderen deutschen Ländern. Meyers Lexikon belegt: »Im Vergleich zu anderen Teilen des Reiches nimmt Sachsen insofern eine sehr abweichende Stellung ein, als nur Berlin und die Hansestädte einen geringeren, alle anderen Länder und Provinzen einen erheblich größeren Prozentsatz an landwirtschaftlicher Bevölkerung haben«. 1909 lebten 53,7 Prozent der Landesbewohner in Städten, aber nur 15,1 Prozent arbeiteten in der Land- und Forstwirtschaft. Es waren vor allem Gesundheitsprobleme, die die exponentiell wachsenden Städte be drohten. Erst im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts begann man, Systeme von Wasser leitungen, Kanalisation und Rieselfeldern anzulegen. Dennoch wurden die Kommunen von Cholera, Typhus, Syphilis und Tuberkulose heimgesucht. In den Armenvierteln grassierte Rachitis. Die Chemotherapie aber wurde erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt. Krankheitserreger wechselten aus den Vorstädten in die Villenviertel, und Todesfälle, die heute Seuchenalarm auslösen würden, gehörten zum Alltag. Unter die sem in Sachsen besonders heftigen Druck richtete die Regierung bereits im Jahre 1871 eine »Chemische Zentralstelle für öffentliche Gesundheitspflege« in Dresden ein und gründete 1878 einen Lehrstuhl für Hygiene an der Leipziger Universität - die ersten Institute dieser Art in Deutschland. Im Kampf gegen die Rachitis und im Sinne der Ge sundheitserziehung zur Umwandlung tradierter Lebensgewohnheiten, die der Leipziger Orthopäde Dr. Schreber propagierte, wurde dort schon 1864 der erste Schreberverein gegründet mit Familiengärten und einem Kinderspielplatz. Dies waren die Wurzeln, aus denen die erste deutsche Gartenstadt Hellerau und 1911 die erste internationale Hygiene ausstellung in Dresden hervorgingen. Wenn man das Ausmaß damaliger Großstadtpro bleme erkennt, begreift man auch, warum diese vielleicht erfolgreichste aller Ausstellun gen fünf Millionen Besucher anzog. (Heute reift die Zeit für eine erste internationale Ökologieausstellung heran.) In diesen Zusammenhang gehört auch die Naturheilbewegung, die schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Kampf gegen die Schulmedizin begann. Der Bauer Prießnitz und der katholische Pfarrer Kneipp waren die bekanntesten und erfolgreichsten Protagoni sten. Einer der ersten Ärzte, die deren Ergebnisse anerkannten und sie in die medizinische Lehre integrierten, war Dr. Heinrich Lahmann. Er gründete 1888 auf dem Weißen Hirsch sein berühmtes Sanatorium, in dem er die sogenannte physikalisch-diätetische Heilmethode anwandte: Licht- und Luftbäder und leichte, körpergemäße Baumwollkleidung - soge nannte Reformkleider, ohne das bis dahin obligate Korsett, und Reformdiät, wohl auch sogenannte Reformbetten mit einer Grundlage aus Drahtgeflecht. Die soziale Entspre chung zu dieser Kuranstalt für die oberen Schichten war die Heilstätte Bad Gottleuba, eröffnet 1913 als erste große Anlage im Reich zur Rehabilitation von Arbeitern. 1 ’ Bauherr