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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.11.1874
- Erscheinungsdatum
- 1874-11-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-187411030
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18741103
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18741103
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- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1874
- Monat1874-11
- Tag1874-11-03
- Monat1874-11
- Jahr1874
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.11.1874
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1874. Erste Beilage zum Leipziger Tageblatt und Anzeiger. W 3«7. Dienstag den November. Deutscher Reichstag. ^Dkrlin, 1. November. Der Reichstag wählte ichern sein Präsidium in der Weise, wie wir orgestern berichteten. Die ultramontane Partei >ll von der Aufstellung eines eigenen Candidaten irr die Stelle des ersten Vice-Präsidentcn Abstand gnommen, weil erst sehr wenige ihrer Mitglieder ilrva 20—24) in den Reichstag eingetreten sind. Dagegen machten die konservativen Fraktionen en fruchtlosen Versuch, einen eigenen Candidaten in der Person des Fürsten Hohenlohe-Langenburg durchzubringen, brachten es indessen nur auf einige w Stimmen. Die in derselben Sitzung vor- zenommene Schristsührerwahl ist eine vergebliche rnvesen, da nur 187 Stimmzettel abgegeben vorden sind, der Reichstag alo bei dieser Wahl vickrr nicht beschlußfähig war. Der Grund nesrs Vorfalles liegt daran, daß gleich nach voll zogener Präsidentenwahl mehrere Mitglieder (auch ein Erfolg der Frcifahrtskarten!) wieder nach Hause gereist sind. Die Reichsboten haben sich überhaupt noch sehr eärlich eingcsunden. Während am Sonnabend 21 l Mitglieder angemeldet waren, ist diese Zahl bis Sonntag auf 224 bestiegen. Dies ergicbt eine Zahl von nur 25 über die absolute Majorität, -nd da nach dem Vollzug der Schristsührerwahl ine größere Zahl der gemeldeten Abgeordneten oicder fehlt, eine sehr große Zahl auch bereits Urlaub nachgesucht hat, so ist die Besorgniß ent lauben, das; auch in der morgenden Sitzung sich :ic Beschlußunfähigkeit des Plenums Herausstellen önnte, und es sind deshalb sofort alle diejenigen Mitglieder per Telegraph ausgesordert zu er- cheinen, welche noch nicht eingetrofsen und weder eurlaubt noch krank gemeldet sind. Wir >'erden sehen, welches Resultat diese Maßregel abcn wird; es fehlen gegenwärtig noch die über große Zahl der Ultramontanen, die sämmt- üchen Polen, die Elsaß-Lothringer und die Lvcialdemokraten, von welchen Letzteren aller dings mehrere durch die Strafhaft, in der sie sich befinden, am Erscheinen verhindert sind. Dieser Uebelstand der Beschlußunfähigkeit, den wir früher m preußischen Parlament nur selten erlebt haben, ist sehr bedauerlich, da von den entfernt wohnenden Abgeordneten die meisten pünktlich eingetrofsen sind, der größere Theil der noch fehlenden gerade in größerer Nähe der Reichshauptstadt seinen Wohnsitz hat. Gestern ist seitens des ReichskonzleramtS auch rer Gesetz-Entwurf betreffend die Steuer- 'reiheit des NeichseinkommenS vorgelegt worden. — Au Petitionen sind in den letzten Tagen nur wenige eingegangen; die Gesamnitzahl ver bis jetzt eingegangenen Petitionen beläuft sich aus 83. — Der Gesetz-Entwurf, betreffend die Einführung der Reichsmünzgesetze in Elsaß-Lothringen, bestimmt, daß eine Ein- Setzung von Münzen der Frankenwährung nicht stattfinden soll. Die Münzen der Frankcnwährung sollen zu folgenden Beträgen in Zahlung genommen werden: FUuscentimen - Stücke --- 4 Pf., Zehn- .entimen-Stücke -- 8 Pf., Zwanzigcentimcn-Stücke 16 Pf, Fünszigcentimcn.Stücke --- 40 Pf, Ein- Frank-Stücke --- 8oPs,Zwei-Frank-Stücke---1 Mk. 60 Pf Der dem Reichstage zugegangene Etat für oas Auswärtige Amt auf 1875 weist eine Einnahme von 393,060 Mark, 211.920 Mk. mehr als 1874 nach. Die Gesammtsumme der sort- oauernten Ausgaben beträgt 5,415,340 Mk. — rS6,235 Mk. mehr als 1874, die einmaligen Ausgaben betragen 1,692,OOOMk.— 1,089.000Mk. mehr als 1874. Unter den letzteren figuriren große Summen zur Erwerbung, resp. Ausbau der BotschastS-Hotels in London und St. Petersburg 321,000 resp. 258,000 Mk ), für Ausgrabungen aus den, Boden des alten Olympia 171,000 Mk. :c. Tagesgeschichtliche Ueberslcht. In Bezug aus die Wahl des zweiten Vice- vräsidenten des Reichstag« ist ein ernster Zwiespalt der Meinungen zu Tage getreten. Derselbe hat, der „Nat.-Ztg." zufolge, nicht blos zwischen den konservativen und liberalen Parteien gespielt, sondern sich auch in die letzteren hinein- echreckt. Innerhalb der nationalliberalen Partei »ar in letzter Stunde mit Nachdruck von ver- ichndencn Seiten die Ansicht vertreten worden, r«ltz bei aller Geneigtheit, mit der FortschrittS- vartei daS Einvernehmen aufrecht zu erhalten, welche« durch die über ein weites Gebiet sich er streckende Gemeinsamkeit der politischen Grund sätze gegeben ist, doch die in gewissem Sinne außerhalb der politischen Aktion liegende und zvm Theil sogar eine Achtungsbe- i«qung enthaltende Unterstützung bei der Präsidentenwahl nicht einer Partei gewährt wer den dürfe, welche ein persönliches Gebühren 'inzelner ihrer Mitglieder dulde, wie die Abgg. Eugen Richter und vr Minckwitz sich ein 'olches gegen die nationalliberalc Partei in letzter Zeit erlaubt hatten. Die Selbstachtung, meinte .non, gebiete den Nationalliberalen, sich einer solchen Partei gegenüber auf-die unumgäng- ichen Politischen Beziehungen zu beschränken. Be, aller Anerkennung für d,e diesen Ausführungen zu Grunde liegende Auffassung hat die Mehrheit -er nationalliberalen Partei indessen doch geglaubt. ?>e Fortschiillöpartei «lg solche für die Ungehörig- keittil einzelner Mitglieder nicht verantwortlich machen zn dürfen. Nachdem überdies ein frülvrer Parteibeschluß sich für die Wiederwahl deS vr. Hänel entschieden hatte und dieser Be schluß auch der Fortschrittspartei zur Kenntniß gebracht worden war. mußte für alle Mitglieder der nationalliberalen Partei die Rücksicht aus das gegebene Wort ausschlaggebend sein. Dazu kamen noch geschäftliche Rücksichten. Die Schwie rigkeit einer angemessenen und prompten Erledi gung der dem Reichstag in seiner gegenwärtig knapp bemessenen Session obliegenden Geschäfte ist so groß, daß eS unstatthaft erscheinen müßte, eine schon in der parlamentarischen Leitung ge schulte Kraft wi« die des vr. Hänel durch eine noch nicht bekannte wie diejenige des von den konservativen Parteien vorgeschlagenen Fürsten von Hohenlohe-Langenburg zu ersetzen. lieber denselben Gegenstand schreibt die „Köln. Ztg." Folgende-: Jedenfalls war es sehr unge nau, wenn einige fortschrittliche Organe die Wiederwahl des vr. Hänel als zweiten Vice- präsidentcn als von Hause anS gesichert hinstellten. Bis zur entscheidenden Stunde, unmittelbar vor dem angesetzten Wahltermine, stand noch nicht fest, ob die entscheidende nationalliberale Fraktion in ihrer Mehrheit einem Mitglieds der als Fraktion zusammengebliebenen größeren Hälfte der Fortschritts - Partei ihre Stimme geben werde. Nickt, als wenn die Persönlichkeit Hänel's oder seine Amtsführung in der vorigen Session zu einem Abgehen von seiner Candidatur Anlaß geboten; aber das unwürdige Auftreten der Herren Richter und Minckwitz gegen die national-liberale Partei, jener Männer, von denen der Eine sich als Geschäftsreisender der Firma in verschiedenen Theilen Deutschlands auS- gespielt hat und der Andere, wenigstens in Sachsen, unter der dortigen Fortschrittspartei als ein großer Mann (! !) galt, legte sehr Vielen den Gedanken nahe, ob es nicht geradezu eine Pflicht sei. bei der ersten Gelegenheit darzuthun, daß Männer, welche die politischen Genossen der Herren Richter und Minckwitz waren und noch bleiben, eine Vertrauensstellung aus der Mitte der von diesen Volkstribunen bekämpften Partei nicht beanspruchen können. Wir glauben, die National-Liberalen haben Recht gehabt, wenn sie ihren gereckten Anspruch aus Genugthuung nur in solcher Weise in- Werk setzten. Sie baden — und daS Zahlenergedniß thut dar — so gut wie einstimmig nach ihren Candidaten Forckenbeck und Staüffenberg als zweiten Vicepräsidenten Dr. Hänel gewählt, nicht weil er, sondern obgleich er der alten Fort- schrittssraction angebört. Durch die Einmüthig- keit, womit dieser Schritt seitens der national- liberalen Fraktion gctban worden, bat sich aufs Neue bewährt, daß diese große Fraktion sich ihrer Politischen Bedeutung und der damit verbundenen Verantwortlichkeit bewußt ist. Die Abrechnung mit den Schuldigen, welche im Interesse des politischen Anstandes cintreten muß, wird des halb nickt weniger gründlich sein, weil man sie einen Dritten nicht bat entgelten lassen wollen. Der Proceß Kullmann ist unseres Er achtens — sagt die „Weser-Ztg." — so befrie digend abgelaufen, wie es von einer so häßlichen Asfaire überhaupt erwartet werden konnte. Das Gericht, der Staatsanwalt, der Vertheidiger haben sich in den verständigsten Grenzen gehalten, alles Sensationelle vermieden, jeder Versuchung zu Streifzügen in das Gebiet der hoben Politik widerstanden, einfach die vorliegende Aufgabe ins Auge gefaßt, welche darin.bestand, einen gewöhn lichen Verbrecher abzuurtheilen. Denn daß Kull- mann nichts Anderes ist, scheint uns genügend aus den Verhandlungen zu erhellen. Das Außer gewöhnliche liegt nicht in ihm, sondern in dem Opfer, das er sich ersehen hatte. Selbst das Motiv des religiösen Fanatismus, welches der Sache einen etwas edleren Anstrich geben könnte, scheint nur in sehr beschränktem Sinne Einfluß geübt zu haben. Von irgend welcher schwärme rischen Ueberspannung. von einem Drange, für ein heilig gehaltenes Ideal sich selbst zu opfern, findet sich keine Spur. Kaltblütiger Ingrimm leitet die Hand de- Mörders, und sobald er sein Pistol abgeseuert, ist sein erster Gedanke, sich selbst in Sicherheit zu bringen. Räthselhaft kann man allenfalls daS nennen, daß der Ingrimm einer niedrigen, untergeordneten Natur fick) an ein so hervorragendes Ziel heftete, daß überhaupt die verbrecherische Thätigkeit in diesem Kalle sich durch Dinge bestimmen ließ, welche mit dem größten weltgeschichtlichen Conflicte keü Jahrhunderts in Verbindung stehen. Man sollte denken, ein sol cher Mensch könne höchstens durch gemeine Privat zwistigkeiten in Bewegung gesetzt werden. Indes sen daS Räthsel verschwindet, wenn nian erwägt, daß durch die geistliche Demagogie der weltgeschicht liche Conflict längst im schlimmsten Sinne des Wort» populär geworden ist. Die von Haß und Bitterkeit erfüllte Seele deS Böttchergesellen fand in Demjenigen, was er über den kirchlichen Kamps erfuhr, nur einen willkommenen Anlaß, ihre Wuth aus einen bestimmten Namen zu concentriren. Seine Natur war es, wenn er einen Feind fah oder zu sehen glaubte, sofort denen Vernichtung zu wollen. Je ferner ihm der Reichskanzler stand, desto stärker muß die angeborene Bosheit gewesen sein, welche ihn zu dem Mordversuche trieb. Andere Menschen Haffen auch, aber glück licherweise denken sie nickt sofort daran, den Ge haßten umzubringen. Bei Kullmann scheint diese Regung abnorm entwickelt zu sein. Jedesmal, wenn ihn etwa« ärgert, greift er zum Messer, zum Wurfgeschosse oder zur Feuerwaffe. Er ist erst eben zwanzig Jahre alt geworden und hat bereits drei- oder viermal lebensgefährliche Atten- täte unternommen, die unbekannt gebliebenen nicht mitgerechnet. Offenbar spielt die Religion eine ganz zufällige Rolle bei dieser Geschichte. Ebensogut könnte Kullmann ein Socialdemokrat, ein Welfe oder ein weggejagter Bedienter sein; das corpns ckelicti würde im Wesentlichen dasselbe geblieben fern. Kein vernünftiger Mensch hat geglaubt, daß Kull- mann ein gedungener Bandit der Priester sei. Wer den Jesuiten das Schlimmste zutraut, hält sie doch nickt für so dumm, sich em so elende- Werkzeug auszusuchen. Aber die Lügen und die Perfidsten der kirchlichen Demagogie wiesen der Waffe deS Mörders daS Ziel. Ohne sie würde er höchst wahrscheinlich auch inS Zuchthaus ge wandert sein, aber nicht über Kissingen. Aus der Dominsel zu Posen wurde am Sonn abend eine scharfe Nachforschung nach amtlichen Dokumenten des apostolischen Delegaten gehalten. Im bonap artistischen Lager bereitet sich eine tiefgehende Reform deS Parteiprogramm« vor. Rouher, welcher zu stark unter dein kleri kalen Einflüsse der Ex-Kaiserin steht und dem man in bonapartistiscken Kreisen auch seine feind selige Haltung gegen daS Mac Mabon'sche Sep- tennat vorwirft, soll der Führerschaft der Partei enthoben und durch General Fleury ersetzt wer den, welcher sich von Chiselhurst emancipiren und daS Septennat unterstützen will. Dem Prinzen Jerüme Napoleon wird übrigens von der Chisel- hurster Partei arg zugesetzt. Vor einigen Tagen hat sich Emil Ollivier gegen die Plvn-Plon'sckc Politik erklärt, und jetzt fordert der Gaulois den rothen Prinzen auf, nachdem er jede Gemeinschaft mit dem Kaiserreiche, sowie die Verantwortlich keit für dessen Thaten zurückweist, auch das Geld zurückzugeben, was er während der Negierung Louis Napoleons eingesackt hat Der Gaulois beziffert die Summe, welche Plon-Plon durch Aneignung verschiedener Aemter und Würden in, Laufe der Jahre bezogen hat, auf 4B/z Millionen Francs. Aus Madrid, 31. Oktober, wird gemeldet: Nach hier cingegangcnen Meldungen vom Kriegs schauplätze hat bei Billasranca zwischen den Re- glcrungStruppcn und 12 Bataillonen Carlisten unter dem Commando von Cucala ein heftige« Gefecht ftattgcfundcn. Die Carlisten wurden vollständig geschlagen und verloren 120 Todte, zahlreiche Gefangene und eine Fahne. Die deutschen Kanonenboote „Albatros" und „Nautilus" haben am vorigen Sonnabend den Hafen von Santander verlassen. Das eng lische Kriegsschiff „Sappho" ist dort enigetroffcn. Die Behörden haben die Zölle für mehrere Aus fuhrartikel erhöht. Durch diese Auslagen und durch andere Abgaben, welche als Kriegsabgaben unter verschiedenen Vorwänden erhoben werden, dürste der Handel eine nickt unwesentliche Einbuße erleiden. Die letzten Nachrichten aus Peking und stjeddo lassen die Situation als durchaus friedlich er scheinen und dürfte ein Krieg zwischen China und Japan, wie man allgemein annimmt, ver mieden werben. — Die japanische Regierung hat in Hongkong angezeigt, daß, wenn der Krieg ausbrecken sollte, die in Japan ansässigen chine sischen Untertbanen unbehelligt bleiben würden. Das Wahlprogramm für Herrn Fink im 14. sächsischen Wahlkreise. Leipzig, 31. Oktober. Selten hat die Soeialdemokratie ihre Wahlagitation ungeschickter emgeleitet als durch das Flugblatt, welche« „das Arbeiter-Centralwahlcomiti für den 14. sächsischen Wahlkreis" für seinen Candidaten, den sogenann ten „Buchhändler" W. Fink auS Leipzig, soeben ausgegeben hat. Wenn man nickt aus dem „Vvlksstaat" wüßte, daß dieses sogenannte „Arbei- ter-Centralcomite in Frohburg par Ordre de Mufti von Leipzig aus ins Dasein gerufen wurde, so tonnte man meinen, die beiden Frohburger Freunde des Herrn Fink hätten in einer weisheits verlassenen Stunde den Unsinn selbst geschrieben, von dem hier in fetter Schrift angeordnet wird, ihn „von Hand zu Hand weiter zu geben." Aber man weiß wohl, daß im ..BolkSst'aat" und der deutschen Internationale kein Fink vorn Zaune füllt ohne die gütige Erlaubnis der Parteihäupter in Leipzig und'obendrein des Groß-Kophta Karl Marr m London, und daß keine Zeile geschrieben, kein Wort ^gesprochen werden darf, das nickt sofort als „Volksstaat"-Papagaienspracheerkennbar wäre. So ist eS denn zweifellos, daß nickt der harm lose Herr Häusler in Frohburg, sondern das Leip ziger' Hauptquartier diesen Wahlaufruf für Herrn Fink geleistet hat. Und da ist denn mit Freuden zu bekennen: etwa« so Schwache« wie diese« Schriftstück haben die Herren noch selten zu Wege gebracht. Und das will doch viel sagen! Es gab eine Zeit, wo in keinem Wahlpro- gramn, der Socialdemokraten von der Farbe Bebel-Liebknecht das blutrünstige Versprechen deS „Arbeitercandidaten" fehlte, daß er den ver . . . . Norddeutschen Bund (oder später: den Racker von Deutschem Reich) bei der ersten Begegnung nnt Bismarck im „Berliner Reichstage" kaltlächelnd in die Brüche schlagen werde. Heute scheinen diese Herren doch schon gelernt zu haben, daß sie sich mit solchen Albernheiten höchsten« noch vor der grünen Jugend hören lassen dürfen, welche an den „Bereinsabenden" privatissime in den HcilS- lchren der Socialdemokratie unterrichtet wird. In dem vorliegenden Wahlaufruf ist diese Bravour arie ganz verstummt. Wenn Herr Fink gewählt würde und nicht etwa am Tage nach seiner Wahl Gegenbefehl aus dem Hauptquartier in Leipzig bekäme, so wäre da« Deutsche Reich vor ihm stcher. Er haßt es, wie wir sehen werden, wie die Sünde; er will, „daß gerechtere Zustände ein- geführt werden sollen, als sie jetzt herrschen, daß die sauer verdienten Groschen, die der wenig Be mittelte als Steuer bezahlen muß. nicht immer zu neuen FcstungSbaulen und für immer ver mehrtes Militair verwendet werden" — sein Comit« schwingt sich sogar zu der Behauptung auf, daß nur die srühern und künftigen Wähler des Herrn Fink „Freunde der Freiheit und de- Rechtes" seien. Aber trotzdem wird Herr Fmk in seiner unbegreiflichen Langmuth das Dculsbe Reich bis auf Weiteres nicht aus den Angeln heben. Die absolute Nothwendigkert für die Wahl des Herrn Fink ist vielmehr nach Ansicht ferne- Wahlcomite einzig und allein begründet in der Gesetzesvorlage über den Landsturin! Bekanntlich verfügt die Socialdemokratie, wenn man die ihr gesinnungsverwandten Geister hinzu- rechnet, über strategische Capacitäten, welche Mvltke bei weitem überstrahlen. Wer gedächte nicht der großen Offenbarungen des Milizgreises Papa Kolb in München, welche einst vom „Volksstaat" dicht neben die talmndischc Weisheit von Karl Marx gestellt wurden, bis die Weltgeschichte so taciloS war, sie vom- Tage von Weißenburg an Lügen zu strafen? Oder wer erinnerte sich nicht jener geistvollen Belehrungen, welche der socialdemokra- lische Reichstagüabgeordnete Moteller im Früh jahre dieses Jahres Moltke ertheilte: die Sechst er Haltung des Individuums sei allemal wichtiger als die Selbsterhaltuug des Staates. In einem Kreise so bedeutender Militairs Herrn Fink als Referenten über den Landsturm sich zu denken, hätte in der That einen unwiderstehlichen Reiz gehabt, wenn auch vielleicht nur für diejenigen Muskeln, welche Herr Fink und sein Comits sich dabei wohl weniger in Bewegung dachten. Aber daS Schlimmste für Herrn Fink, wenn er zum Abgeordneten gewählt würde, wäre, daß er ül>er das Landsturmgesetz gar nicht in dem Sinne rese- riren könnte, wie sein Comits dies wünscht — und zwar auS dem einfachen Grunde, well ein solche- Landsturmgesetz, wie es im Krohburger Volksstaat- bureau gedacht wird, gar nicht beabsichtigt wird. Herr Fink soll „seine ganze Kraft" einsetzen gegen ein Gesetz, nach welchem „jeder Reichsangchörige bis in das höhere Mannesalter militairpflicktig sein soll, selbst Männer mit zahlreicher Familie und vielleicht grauem Haar im Falle eines Krieges zu den Fahnen gerufen werden können". Wenn Herr Fink sich einmal diesen Gesetzentwurf ansähe — waS er bis jetzt sichtlich Unterlasten hat, da er seine Freunde diesen Unsinn „von Hand zu Hand" weiter geben läßt — so würde er, als geaichter „Freund des Rechtes", unzweifel haft sagen: „Kinder, das ist ja gar nicht wahr! DaS hat man euch weisgemacht! Die Zahl der Familie hat schon bisher Niemand von der Mili- tairpflicht befreit, denn beim wievielten Kinde sollte diese Freiheit loSgehen? Aber da« Land sturmgesetz denkt nicht daran, „im Falle eine» Krieges" ohne Weiteres Leute „aus den, höheren ManneSalter" zu den Fahnen zu rufen, sondern nur. wenn der Feind vor den Thoren sieht. Wollt ihr Frohburger etwa auch dann noch hinter dem Ofen sitzen bleiben? Wenn das der Fall ist, möchte man allerdings schon vorher „graue Haare" bekommen, nämlich darüber, daß ihr daran denkt, Jemand als Vertreter eurer Flunke reien im Reichstage hinzustellen." So würde Herr Fink in seinem berühmten Drange nach absoluter Wahrhaftigkeit sprechen, wenn er das Landsturmgesetz gelesen hätte. Aber glücklicherweise hat er bas nicht gethan. Glück licherweise? Ein seltsame- Glück für einen Can didaten zum Reichstage, wenn er die Gesetze nicht gelesen hat, die er und seine Genossen tagtäglich im Munde führen und vor dem „Volke" schlecht machen. Einen solchen Candidaten kann der 14. Wahlkreis gar nicht brauchen. Die einzige Brauchbarkeit de- Herrn soll ja ohnehin nach Versicherung seines Wahlcomit6 darin belieben, daß er, „wenn er das Reichstagsmandat erringt, energisch protestire gegen ein solches Gesetz, weiche- unendlich drückend für das Volk werden müßte". Die Wähler des 14. Wahlkreises kennen aber den Gesetzentwurf besser als der sociale Candibat. Sie wissen, daß darin nur ausgeführt wird, waS bereit- im KciegSdienstgesctze vom 9. November 1867 steht. Sie wissen, daß der Landsturm erst unter Gewehr tritt, wenn der Feind im Lande ist. Sie würden diese vaterländische Pflicht auch erfüllen, wenn sie dazu nicht durch ein Gesetz ge- nöthigt wären. Und denjenigen, der die Stirn hätte, diese äußerste Pflicht der Vaterlandsliebe und VcllcrlandSvertbeidcgung für „unendlich drückend für das Volk" zu erklären, würden sie für einen vaterlandS>osen, ehrvergessenen Menschen erklären, der den Namen eines Deutschen nicht mehr ver diente, am wenigsten aber die Ehre eine- Neichs- tagsmandatS. Ebenso wahrheitSwldria, wie in den citirten Stellen, verfährt der Wahlaufruf de- Finke'schen Comits durchgängig. Es wird da behauptet, daß der Ausruf „an die NeichStagSwähler im 14. Wahlkreise" sich richte an „Landleute. Bürger und Arbeiter", und daß eS sich darum handle^ einen Mann zu wählen, der deren Interessen zu Berlin vertreten soll. Und eine Seite später sehen wir
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