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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.06.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-06-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920613025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892061302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892061302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-06
- Tag1892-06-13
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UHiMMemkrtlGHrelA U der Haupterpedittcm »d« de» d» t«trk uud de» Vorort«» «rttchteieu A»S- Aabksievrn ob geholt: vietteljährltch^l-ckO; hei zweimaligrr täglicher Zustellung in» Hai»« SckO. Durch dienst bezoqen für Deutschlaad uud Oesterreich: oter»el>ähclich >i 6.—. Direct» tägliche Keeuzdaudseuduug tat Autlaud: «ouullich ^l 9.—. Di« M orgeu-Butgab» erscheint täglich'/,7 Uhr, die Adrud-AuSgab« wocheutagt b Uhr. Le-actio» and Lrpe-Moa: Johanue-gaffr 8. N»Eg>edtttou ist Wocheutagt auunterbrvche» geöffnet voa früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filiale»: ' btt» «,««'» Lorti». (Alfred Abend.Ansgabe. Miger.TMblaü Anzeiger. Me Ügrspaltme Petttzeile »0 Pfg^ Nrclamra unter dem Redactioutstrich (4gu^ spalte») 50^, sor den Famtlieanachrichte» (8 gespalten) 40-ch. Größere Schriften laut unserem Prrit« verzeichniß. Tabellarischer nnd Zifferusatz »ach höherem Tarif. Hftra-Beilagen (gesalzt), a«r mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ^l 60.—, mit Postbesürderung 70.—. 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Di« Sprache derjenige» Prcßorgane, denen Beziehungen zu Fricdrichsruh zugeschrieben werden, zeigte deutlich, daß man dort weder da» Bedürfniß noch die Absicht hat, einen Versuch zu einer Aenderung der derzeitigen Beziehungen des frühere» Reichskanzlers zum Kaiser zu unternehinen. In hiesigen maßgebenden Kreisen wird aber ebenso bestimmt ver. sichert, daß eine Annäherung von der anderen Seite nicht anaestrebt wird Mau wird stets daran festhalten müssen, daß eine Initiative zu einer solchen nur von Friedrich«, ruh ausgehen müßte, das aber erscheint für absehbare Zeit ausge. schlossen. Wie wett Vermittlungsversuche stattgefunden habe», mag dahingestellt bleiben; mit Rücksicht aus die ganze Sachlage aber könnte eine Aenderung des bestehenden Berhältnisse-, wenn je eine solche eintreteu sollte, nur durch einen direkten und spontanen Act der einen Seite und ohne Mittelsperson angebahnt werde». Es mag ja vielfach der Bedanke einer „Aussöhnung" gut gemeint sei», es läßt sich aber leider die Befürchtung nicht unterdrücken, daß die be- treffende Rachricht vielfach nur zu dem Zwecke von Zeit zu Zeit in di« Welt geworfen wird, um zu beunruhigen und die jetzig« Regierung zu schwächen." Wie es scheint, kommt eS dem Verfasser, der in den Kreisen der ehemaligen Bismarck-Officiösen zu suchen ist, darauf an, durch seine Darlegung in der Umgebung des Kaisers Stimmung gegen eine Wiederannäherung des Monarchen an seinen früheren ersten Rathzeber zu machen und in diese Kreise die Ansicht zu pflanzen, Fürst Bismarck habe einen Schritt zu thun, den er ohne direcle oder indirekte kaiserliche Aufforderung nicht unternehmen kann. Aus alle Fälle sind derartige ÄuSeinandcrsetzuMn nicht geeignet, einer „Versöhnung" die Wege zu ebnen. Wir können nur wieder- holen, daß Jeder, der eine Aenderung de» derzeitigen Ver HLltnifscS zwischen den beiden dem Herzen des deutschen Volkes am nächsten stehenden Persönlichkeiten wünscht, am besten thut, diesen Persönlichkeiten die Wahl des Wege» zu überlasten, der zu dem ersehnten Ziele führt. Ein Anderes aber ist cs, wenn gewisse Politiker auS Parteirücksichten und persönlichen Beweggründen die Thatsache zu verschleiern suchen, daß der allergrößte Theil der Nation ein hcrzliche« Verhältniß des Enkels Wilhelm'- I. zu dessen großem Berather aufs innigste ersehnt. Dieser Verfälschung der öffentlichen Meinung entgegenzulrete», ist publicistische Pflicht. Bis weil in die Kreise hinein, die seiner Zeit den Stur: deS Fürsten BiSmarck niit Genugthuung begrüßten, hat sich der Wunsch nach einer Aussöhnung sortgevflanzt. Freilich ist rS gerade dieser Umstand, der einzelne dcutschfrrisinnigc Führer und Zeitungen in der letzten Zeit zu einer verstärkten An feindung der Person de» ersten Kanzler- bewogen hat. Wenn der Hatz gegen BiSmarck erlischt, wird das Rückgrat des Dcutichfreisinns gelähmt; daher die Versuche, das Zorngesühl zu galvanifiren, Versuche, deren scrnpellvse Natur die Be zeichnung Umtriebe nicht ungerecht erscheinen läßt. Fürst BiSmarck wollte, wie Herr Lte. Bambcrger behauptet, der Verfassung nöthigenfalls mit Gewalt beikommen, er wollte den jungen Kaiser mit dem Volke verfeinden, er hat — was jene heißlodernden monarchischen Gemüther besonder» ver letzen mußte — den Kaiser schwer beleidigt und beleidigt und verleumdet ihn noch täglich, kurz Kaiser und Vaterland haben keinen schlimmeren Feind, al» den „zum Glück Deutsch land»" gestürzten Alten >n Friedrichsruh, dem zuletzt und wenn man e» genau betrachtet, überhaupt niemals etwa» gelungen ist. Derartig« Treibereien sind nicht nur für die Masten, sondern — was allerdings auf einer grotesken Selbstüberschätzung beruht — auch für die Krone berechnet. Ein Berliner dcutschfreisinnigeS Blatt, das sich einbildrt, die Kluft zwischen Kaiser und Bismarck erweitern zu können, ver tritt heute mit Nachdruck die Auffassung, daß der Kaiser ohne eine „formelle Abbitte" BiSmarck'S sich dem Letzteren nicht nähern dürfe, weiter aber läßt sich dasselbe Blatt bci- gchcn, eine — eS fragt sich noch, ob mit Recht — dem ehe maligen Kanzler zugeschriebene Aeußcrung in ihr gerades Gegentheil zu verkehren. Zu der Versicherung deS Herrn Bamberger, BiSmarck habe der Reichsverfassung Gewalt an- tbun wollen, hatten die „Hamb.Nachr." bemerkt: „Entweder bat Herr Bambcrger von Jemandem, der heute größeren Einfluß besitzt, als damals, eine falsche Darstellung über Vorgänge erhalten, die im Winter 1890 gespielt haben, oder er hat die richtige Darstellung falsch aufgefaßt." Bei dieser Andeutung konnten die „Hamb. Nachr." oder BiSmarck unzählige Per sonen >im Auge gehabt haben, nur eine nicht: den Kaiser. Aber gerade auf diesen lenkt das deutschsreisinnigc Blatt den Blick, indem eS meint, Fürst BiSmarck laste die Möglichkeit offen, daß der Kaiser selbst Herrn Bamberger in» Vertrauen gezogen, und diese Insinuation passe schlecht zu der vor bereiteten VersöhnungSaction. AuS dieser plump-frechen Dcnunciation erhellt so recht die auch sonst bemerkbar gewordene knieschlotternde Angst gewisser dcutfchsreisinnigcr Größen vor einer Annäherung deS nach seinem Rück- tritt so schamlos verunglinipslcn Staatsmannes an den Kaiser. Im Lande, und auf diese Feststellung kommt eS an, sind die Empfindungen ganz andere, auch da. wo man 1890 mit Richter und Wiudthorst gegen BiSmarck gewühlt hat. Dort herrscht das Gefühl vor, daß der Glanz und die Anziehungskraft der Kaiserkrone durch die Näbe Dessen, der sie geschmiedet, nur gewinnen würde. An diesem Glauben hat das Gerücht den größeren Antheil; verkennen aber läßt sich nicht, daß das Vertrauen beispielsweise zur auswärtige» Politik vieler Orte» sich erhöhen würde, wenn man wüsste, daß eine Berathschlagnng mit BiSmarck nicht grund sätzlich ausgeschlossen sei. Da- gewaltige Ansehen, daS der große Staatsmann bei unseren Freunden im AuSlande genießt, ist durch die Vorgänge seit seinem Rücktritt zum Mindesten nicht gemindert worden, ebenso wenig seine Popularität, namentlich in Italien. Dieser Tage erst wurde bekannt, daß Biöuzarck einst ans die Bemerkung Napoleon « III., er wolle auS Italien eine mächtige Nation machen, geantwortet hat: „Ew. Majestät, da« ist rin Mündel, da« stärker als sein Vormund werhen kann." Wir zweifeln keinen Augenblick, daß dieser, eine Hobe Meinung von dem italienischen Volke verrathende Ausspruch jenseits der Alpen einen starken, dem Dreibunde günstigen Eindruck bervorrufen und daß dir weitere Aeußerung BiSmarck'S, eS sei kein gutes Zeichen, daß in Italien jetzt so verhältnißmäßig unbekannte Leute an der Spitze seien, die Autorität deS entschiedensten DrcibuudpolitikcrS Criöpi, er höben wird. So nützt der große Patriot seinem Vaterland« selbst in seinem jetzigen Verhältniß zur Negierung; wir viel mehr könnte eS geschehen, wenn diese im einzelnen Falle sich an ihn wenden würde. Wie dem aber auch sei, waS der Nation am meisten am Herzen liegt, bleibt die Wieder herstellung eines guten persönlichen Verhältnisses zwischen dem Kaiser und BiSmarck, gleichviel, ob eö politisch nutzbar zu machen sein wird oder nicht. Mit Recht hat man eö den Interessen der Monarchie und deS RcichSaedankenS wider strebend genannt, wenn einst BiSmarck unversöhnt mit seinem Herrscher, dessen Hau» ihm so Große- verdankt, dahin fahren würde. „Die Stunde kommt, die Stunde kommt, Wo du an Brüdern stehst und klagst." Während aus den Auslastungen der deutschen Presse über die Kieler Kaisrrbegegnung fast durchgäng die Rücksicht herauSznlcsen ist, die aus den hohen Gast unsere- Kaiser- genommen werden muß, spricht die österreichische Presse, selbst die ofsiciöse, frei von der Leber. Für sie steht eS fest, daß die Reise de- Großfürsten Konstant», nach Nancy nicht nur mit Genehmigung, sondern auf direkten Besebl de- Zaren erfolgt sei und der Kieler Begegnung ihren charaktc- ristischen Stempel ausdrücke. So meldet uns heute ein Wiener Telegramm: „ ^ . „Lin anscheinend officiöser Artikel ber „Montaasrevur Liißert ich über die Kieler Entrevue und sagt, dieser sowohl, wie der Rene deS Großfürsten nach Nancy sei jede Bedeutung abzusprechen; d>e Entrevue sei die Folge einer politischen Zwangslage, die Reise nach Nancy ein neues Hrrzensbekeniitniß ohne schätzbaren Belang. Beide Vorgänge harmonirten trefflich mit dem Doppelspiel russischer Politik. Hier ein Act der Courtoisie, welcher nur z» Gn»,ien de« Zricdcns zu dcuten sei, dort eine Demonstratio», bei welcher leicht- eklig die Fahne LeS Zukunsiskrieges vor einer streitlustigen Menge enirvllt wurde. In diesem Gegensatz seien wieder einmal die de- cheidenen. längst bekannten Mittel der heutige» Petersburger Staat», untz refleetirt." Das ist recht unhöflich, ja grob. Vergleicht man eS aber inhaltlich mit dem, was ein Berliner Officiöser der Wiener „Polit. Corr." über daS gleiche Thema schreibt, so ist kein gioßcr Unterschied zu finde». Ter Berliner schreibt nämlich: Zu dee Kmserbcgegnung in Kiel kann der Epilog nicht anders lauien. wie der Prolog. Ohne die friedlichen Symptome z» unters» ätzen, die der Zusammenkunft der beiden Monarchen z» Grunde lagen, muß man bei der Aufastung verharren, daß derselben eine irgendwie in- Gewicht fallende politische Be- deutung nicht beiziimesseu ist. Darüber, daß von diesem Ereignisse eine Veränderung in der gegenwärtige» Situation zu erwarten sei, hat sich kein Mensch in Deutschland irgend welchen Täuschungen hingegebeii. An den guten Inten tionen deS KaiierS Alexander III. in Betreff der Erhaltung deS Friedens hat ohnedies Niemand gezweifelt. S» wird abzuwcrten sein, ob daS Kielholten der russischen Regierung »nd die Sprache deS verständigeren TheileS der russischen Presse sich weiter in de» ruhigeren Bahnen bewegen wird, di» jetzt ein- geschlngen zu sei» scheinen. WaS die Vvraänge in Nancy betrifft, wird der Anwesenheit deS jugendlichen Grvsjsiirstcn Konstantin nicht die geringste Bedeutung beigelegt; dieses Symptom bringt durchaus nichts Neuartiges, svudern paßt zu der gesammten Situation. Wenn es dem 34jährig,n Prinzen Vergnügen gemacht hat, sich inmitten der Nancycr Studenten und der czechischen Sokolbrüder feiern zu lassen, so wird ihm da- gewiß Niemand hier verargen." Zn der Hauptsache ist man über die Kieler Begegnung und die Vorgänge in Nancy, in Wien und Berlin der gleichen Meinung, und da- ist die Hauptsache. Morgen, Dienstag, finden in Belgien die Wahlen zu den gesetzgebenden Körperschaften statt. Wir halten es für ein müßige- Unterfangen, heute, am Tage vor den Wahlen, die Aussichten der beiden mit größter Leidenschaft lichkeit mit einander kämpfenden Parteien zu erörtern, da Niemand auch nur mit einiger Sicherheit den Ausfall der Wahlen vorherzusagen im Stande ist und bei früheren Wahlen oft die größten Uebcrraschungen zn Tage traten; immerhin läßt sich, nachdem sämmtliche Candidaten ausgestellt worden sind, die äußere Lage am Wahltage selbst übersehen. Der neu zu wählende Senat, der in 38 Wahlbezirken gewählt wird, besteht a»S 16 Mitgliedern (bisher 69). Da die Liberalen in 23, die Klerikalen in 3 Wahlbezirke» keine Can- didatcn ausgestellt und aus jeden Wahlkamps verzichtet habe», so wird also thaisächlich nur in 12Wahlbezirken einKampf um die SenatSsitzr stattfinden. Entscheidend für die Zusammensetzung deS Senat- ist der Ausfall der Wahl in Brussel, Antwerpen, Lüttich, Gent und NivelleS. Die Abgeordnetenkammer, die bisher auS t38 Mitgliedern bestand, soll künftig 152 Mitglieder umfassen, die in 41 Wahlkreisen zu wählen find. In 16 von diesen haben die Liberalen vorweg a» den Kampf verzichtet, so daß also nur 25 Kreise übrig bleiben, in denen Klerikale und Liberale sich messen werden. Zn der Hauptstadt sind von beiden Parteien je 18 Candidaten ausgestellt, zu denen ganz unerwartet noch in zwölfter Stunde der Advocat Ioffou als Candidat der Vlamländer hinzugekommen ist. Immerhin ist hier von Bedeutung, daß die Arbeiterpartei sich endlich entschlossen hat, für die liberale Liste einzutreten, nachdem sie vorher auf daS Entschiedenste abgclebnt hatte, ür die gemäßigten Liberalen zu stimmen, die sich nicht rückhaltlos für daS allgemeine Stimmrecht verpflichteten. — DaS nachstehende Telegramm läßt erkennen, mit welchem Eiscr und welchen Mitteln von den Parteien gekämpft wird: Brüssel, 13. Juni. DaS Volksreferendum in Gent, organisirt von den Demokraten, ergab LI 462 Stimmen für und nur 186 Stimmen gegen das allgemeine Wahlrecht. Der Wahl- kamps führt fortgesetzt zu Krawalle». Die Katholiken übersielen Abends die liberalen Journalisten und mißhandelten sie mit Knütteln. Die klerikale» Placate künden de» Triumph des SociaUsmus an und sage» eine permanente Revolution und Anarchie voraus, falls die Liberalen siegen. Diese wieder verkünden die gleichen Folgen, wenn die Katholiken die Oberhand behielten. Die Polizei, Gen- darmerte und Feuerwehr bleiben in Permanenz consigntrt. Da» italienische Cabinet hat mit der entscheidenden Abstimmung am Sonnabend in der Dcpulirtenkammer einen viel größercnErfolg erzielt, als erwartet werden konnte. Zn dieser Beziehung haben sich die politischen Berhältnisse Italiens wieder einmal als so im Voraus unberechenbar er wiesen, daß man eigentlich niemals vor Ueberraschungcn gesichert ist. Der Antrag der Regierung, nach welchem die Dauer des proisorischen Budgets bis Ende Dccember festzu- seyen sei, wurde in geheimer Abstimmung mit 26l gegen 189 Stimmen und daS Budgetprovisorium im Ganzen gleich falls in geheimer Abstimmung mit 256 gegen 72 Stimmen- angenommen. Die äusserste Linke erklärte sich ausdrücklich sür das Cabinct. ES wird sich nun bald zeigen müssen, welchen Ein fluß die neuesten Beschlüsse der Tepuiirtenkammer aus die Maßnahmen des Ministeriums Giolitti haben werden. Nach einem beute eiugegangciicn Telegramm hat sich der Minifler- rath mit der Frage der Auslösung der Kammern und der Ausschreibung »euer Wahlen »och nicht beschäftigt, cs sind auch die Nachrichten bezüglich der die Neuwahlen be treffenden Interpellation in der Kammer unbegründet. Des gleichen ist eS unrichtig, daß das Ministerium ei» Ccntral- wahlcomitö gebildet habe. Man nimmt an, daß, falls die Kammer morgen wegen der Abreise vieler Deputirten be schlußunfähig sein sollte, die Vertagung derselben auf unbe stimmte Zeit erfolgen werde. Die Zustände in Barcelona scheinen sich zu einem förmlichen Aufruhr seitens der jedenfalls von anarchistischen Emissären aiifgehetzten streikenden Arbeiter zuzuspitzen. Die nachstehenden Telegramme stellen außer Zweifel, daß eS in der großen spanischen Industriestadt sehr bedenklich aussieht: Barcelona, 1L. Juni. Die Aufregung Hierselbst dauert sort. Zwischen den Truppen und den Streikenden kam eS zu neuen Zusain ine» stüßen, bei denen mehrere Personen verwundet wurden. Die Fadrikanten in der Umgegend von Barcelona haben bl» zur Beendigung des Streiks die Arbeiten eingestellt. Barcelona, 13. Juni. Der Gouverneur hat die Schließung aller Fabriken und Werkstätten ln Barcelona und der ganzen Umgegend besohlen. Die Zahl der Feiernden beträgt 87 0»). Er- hebliche Truppenverstärtungen sind eingetroffeu und fortwährend finden Zusammenstöße zwischen den Ausständigen «nd dem Mtlitair statt. Aus beiden Seiten giebt e» zahlreiche Verwundet». Der Marsetller Expreßzug wurde vvn der Menge mit einem Steinhagel angegriffen, der Zugführer ist dadurch schwer ver- letzt worden, während drei weitere Personen, Passagiere, leicht »er- mundet sind. Tie Hafenarbeiter« und Verladungen sind eingestellt worden, ebenso mußte ber Tramway-Verkehr ststtit werde». A»S Rußland dringen von Heft zu Zeit immer wieder Mittheilnngen in die Oesfenllichkeit, welche beweisen, daß in diesem Ricsenreich nach wie vor unter der höheren Be- amtenwelt haarsträubende Zustände von Eorruption Feuilleton. Das Lildniß -er Geliebten. Is Ein« dramattsche Novelle von Earl Ld. Klopfer. (A-chdruck und Dramatifinint »kidcten.) Erster Act. In einer der Sommerfrischen, nicht weit von der Residenz, steht ein reizende- Landhaus. Die Zeitungen hatten« gleich brühwarm den Residenzlern auSgeplaudrrt, als im Iung- sommer der Schriftsteller Hermann von Pruck, von zwei jährigen Reisen heinikehrend, mit seiner schönen Gattin diese Villa bezogen, welche er kurz zuvor mit seinem Schwager, rin'm wohlhabenden Kaufmann, erstanden batte. Pruck genvß die Sommerfrische, di« Rast nach einem ruhelosen Reiseleben im vollkommensten äolos kur uionto, aus dem sanften Ruhekissen eine» unbescholtenen Gewissens und — seiner Tantiämen. Da- Leben in der Billa wäre vielleicht all,» ruhig verlaufen, hätten nicht zwei Damen in sehr verschiedener Weise für einige Emotion gesorgt. Die eine war Fräulein Käthe von Pruck, die achtzehnjährige Nichte und Mündel de- Schriftsteller-, die den Sommer hier al- Gast verweilt«, die andere Frau Laura Gröner, die Schwester der Frau von Pruck, welche sich und ihr« Um gebung durch ihre GesühlSeigrntbüinlichkeiten nervo« macht«. Bon Fremden verkehrt« nur eia Baron von Werdern, benach barter Guttbesitzrr und alternde „schöne Seele", auf der Billa, aber der gute Mann wäre keineswegs dazu angrthan gewesen, den fünf Hausbewohnern anregende Gesellschaft zu bieten. Da sollte, um den technischen AnSdruck de» Lust- spieldichterS zu gebrauchen, plötzlich „dramatische Handlung" »n da» Familirnidyll kommen. Die „erste Scene" begann mit der Ankunft eines gewisse» Jemand; derselbe stellte sich an einem Abend im ArbcilSzimmrr de» Schriftsteller» als „Doctor Emerich Hilberg, Privatgelehrter" vor. „Ich komme direct von Hamburg, sehr geehrter Herr von Pruck, um Ihnen — eine Lustspielidre zu unterbreiten. Sir m>d Routinier und Praktiker, wohlan, ich mache Ihnen d« Vorschlag — einer gemeinschaftlichen Arbeit l" Pruck sah den Herrn, einen auffallend hübschen, sehr eleganten Mann von etwa dreißig Jahren, mit wohlwollen dem Erstaunen an, stellte ein paar Fragen, die der schneid-ge Doctor in derselben kurzen, unverfrorenen Weise beantworlcte — und zehn Mwuten später erging an die Dienerschaft der Bcfebl, daS Fremdenzimmer in Stand zu fetzen und das Gepäck deS Herrn Doctor« an- dein Gastbofe zn holen. Venn Abendessen stellte Pruck den wie vom Himmel berab- geschneilen Herrn Hilbera den erstaunten Hausgenossen als feinen Gast und — künftigen literarischen AssociS vor, der ihm ein ganz vorzügliches dramatische« Sujet vorgelegt bade, da» er gemeinsam mit ihm ohne Zeitverlust auszuarbeiten gedenke. Am andern Morgen war Käthe die Erste, die sich in dem geräumigen Gartensalon einfand, welcher den beiden Familien zum hauptsächlichen Anfenthalt diente. Im Kamin brannte ein kleine- Feuer; die Morgenfröstr gemahnten ja bereit« an da« Ende der schönen Jahreszeit. Sie war noch nicht lange »wischen dem wohlige Warme auSströmenden Kamin und der kleinen, nach dem ooeren Stockwerk führenden Wendeltreppe auf und nieder gegangen, al- sich Baron Werdern zum gewohnten Morgenbesuch einstellte. Der Mann trug trotz der kühlen Witterung eleaanteste lichte Sommer- klridunz, ein Symbol der ewigen Jugend, die in seinem Herzen blühte. Käthe, di« sich sonst voll Uebermutb an den lächerlichen Galanterien diese« Don Ouijote ergötzte, fand diese Visite heute nicht ganz gelegen, aber schließlich überwog dock die schalkhafte Lust in ihr, den komischen Menschen auf seine eigene Art zum Besten zu halte». Werdern präsentirt« ihr mit vieler Grandezza ein blaue- Sträußchen. „Gestatten Sie mir, meine Gnädige, Ihnen den täg lichen HuldigungStribut zu Füßen zu legen", flötete er mit einer Miene, al« schlürf« er Zuckerwasser. ,E» ist ei» Gruß de« Herbstes." „Enzian! Wie reiziadl Und Sie haben ih» wieder selbst gepflückt?" „Vor eiuer Stunde, auf meinem Morgenspaziergang durch Flur und Nu." Käthe hielt da» Bouquet an da» keck« Stumpfnäschen und > belohnt« den grinsenden Spender mit «ine« kofttte» Seiten blick, wie ihn die Eva-töchter wakrscheinlich schon — in der Wiege sich zu eigen zu machen wissen. „Herr Barom es ist wahr, was man mit neidloser Be wunderung von Ilmen spricht: Sie verkörpern in sich die feine, poetisch« und wirklich ritterliche Courtoisse einer leider ent schwundenen Epoche." Und der Schelm seufzte mit der Zimperlichkeit eine- alle» Iüngfrrchen«. Werdern « Gesicht verklärte sich immer mehr. Mit einer geradezu unternehmenden Verve setzte er sich auf den Fauteuil neben dem ihrigen. „Sie sagen, daß man mein Festbalten an den Sitten der gute» alte» Zeit rühmt." Und seine Stimme nahm eine melancholische Färbung an. „Vielleicht thut man e- deShalb, weil man mich nicht mehr für gcsährlich nimmt. Man wird — alt . . ." „Ohl WaS nennen Sie altl" „Vier — und — fünf — zig Jahre» mein Fräulein." „Sie scherzen!" Da« Erstaunen der Kleinen schmeichelte ihm natürlich ganz so — wie e« beabsichtigt war. — „Aber waS thut da-? Wenn Geist und Herz nur jung bleiben, fleht man kaum die Rune, welche die Zeit in das Antlitz grub." Da» bewog den alten Seladon, seinen Fauteuil — etwa« näher zu rücken. Seine Stimme zitterte vor Bewegung. „In Ihrer Sprache finde ich echte Poesie, mein Fräulein. Mit jedem Tag verstärken Sie den herrlichen Eindruck, den Cie gleich beim ersten Anblick auf mich her- rorgebracht haben. Sic erinnern sich hoffentlich noch? E« war hier in diesem Salon, wo ich di« Ehre hatte, Ihnen durch Herrn von Pruck vorgeilellt zu werden. — Sir waren soeben vom Majorat Ihre- Bruder« eingetrosfrn. ... AHI da belebte sich eine holde Vergangenheit in meinem Innern. Es war mir, al» stünde wieder jene« Ideal meiner Jugend- zeit vor mir — Sie wissen, da« Mädchen, da« ich — vor achtuudzwanzig Jahren anaebetet habe, meine unvrrgeßlicke Amelie, welche damals eben in diesem Hause, aus dem- selben Boden mein Her» gefangen nahm. ES war der Traum meine« Leben». Ich war damals, so wie heute, ein oft gesehener Gast in diesen Räumen. Mein Papa rirth mir, mich offen um di« Hand der Theurrea zu bewerben — unglückselige« verhänguißl — ich war z» schüchtern, ich batte kein Selbstvertrauen — ich wagte mich nur Zoll um Zoll vorwärts — und als ich mit meinen» Papa endlich Alles abgemacht batte und mich mit einem frrimüthigen Geständmß an Amelie wenden wollte, da — hm! Aber ich glaube, ich habe Ihnen da« sckon einmal erzählt, mein Fräulein?" „Schon — sechsmal, verehrter Herr Baron. Sir kamen zu spät. Amelie war bereit- die heimlich Verlobte — eine« Anderen." „Ich kam zu spat, ja. Zu spät! Wissen Sie, mein Fräulein, daß ich überhaupt fürckte, immer eine gute Strecke hinter der günstigen Stunde zu sein? Vielleicht tragen meine Inzcndeiiidrücke, ErziebiingScinflüsse Schuld daran. Ich war nie das, was man einen Lebemann nennt. Mein Papa war sehr streng — er ist cs in gewisser Hinsicht noch heute —; ich war immer hinter meinen Jahren zurück. Zur Zeit, als meine Altersgenossen schon Panlalons trugen, mußte ich noch in PumphöSchcn herumlaufen Mit drciundzwanzig Jahre» durste ich erst meine erste Cigarre rauchen, und wen» von schönen Frauen die Rebe war — wurde ich roth." „Wie rührend I" hauchte Käthe. -Aber da ist es zu be- ßrrifcn, daß Sie sich — die ganze Energie der IünglingS- zahre bewahrt haben, nur geläutert durch die reifere Urber legung de« ersabrenen Mannes." „Glauben Sir wirklich?" girrt« der verliebte Freiherr und wollte ihr weiche- Händchen erhaschen, al« er durch den Eintritt de« Ehepaare» Gröner unterbrochen wurde, da« au« dem Spcifezimmer kam. Herr Noreert Gröner war im Ueberziehrr, trug den Hut auf dem Kopf und eine Reisetasche in der Hand und war i»i Begriff, sich »ach dem Ovlnibu» zu begeben, der ihn jede» Morgen in die Residenz, nach seinem Geschäft brachte. Es war ein Cigarren- und Tabak-Export-Hau« unter der Firma Gröner ck Schmidt. — Frau Laura knöpfte ihm sorglich den Ucberrock zu, zupste an seiner Cravattr und redete immerfort sehr lebhaft in ihn hinein, oha« sich um die beiden anderen Personen in dem gemeinsamen Garten salon zu kümmern. (Fortsetzuug so»,».)
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