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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.07.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970710022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897071002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897071002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
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Wie kurzsichtig dieses Bor haben ist, geht recht deutlich auS de» Sorgen hervor, denen den Conservativen die durch die Ernennung des Herrn v. Podbielski zum Staatösecretair nothwendig gewordene Ersatzwahl im Neicbstagswahlkreise Westprignitz bereitet. Dort steht ein Einbruch der Antisemiten, eine Unter stützung der antisemitischen Candidatur durch den Bund der Landwirthe und damit der Berluft des Wahlkreises für die conservativc Partei in ziemlich sicherer Aussicht. Die „Eonserv. Corr." richtet daher an die Wähler des Kreises folgende Mahnung^ „Im Wahlkreise Westprignitz rüsten sich nach gewohnter Taklik die antisemitischen Agitatoren, nm durch Hcrbeiiniirnng von Slimmcnzersplitteruiigen das bisher von Herr» von Podbielski innegehabte Reichstagsmandat tn die Hände der vereinigten Demo kratie zu spielen. Es wird der emsigsten und aufopferndsten Thätigkeit der Conservativeu in dem bedrohten Kreise bedürfen, um diesem zersetzende» Einbrüche mit Erfolg begegnen zu können. Die Antisemiten mußten sich selbst darüber ganz klar sei», daß sie nur eine geringe Stimmenzahl für ihren Candidaten zu erwerben im Stande sein werden. Auch der schon im Voraus vom Freisinn bejubelte Umstand wird den antisemitischen Führern nicht verborgen sein, daß die Entscheidung im ersten Wahlgange durch die Ausstellung eines Sondercandidaten hinter, trieben wird. Da also ein praktischer Erfolg sür die Anti semiten ausgeschlossen ist, so kann ihr Vorgehen nur den Zweck haben, den Conlervativcn zu Gunsten der Demokratie eine Niederlage beizubringeu. Rechnet die antisemitische Parteileitung etwa auf eine Bevorzugung ihres Candidaten durch Leu Bund der Landwirthe, baut sie aus Liese Spekula tion etwa wirklich den Plan, den konservativen Wahlkreis zu erobern, so rechnet sie entschieden falsch. So kurzsichtig wird dir BundeSlcitttiig nicht sein, durch die Unterstützung deö antisemitischen Candidaten den für ihre Sache sonst sicheren Wahl- kreis in Gefahr zu bringen. Daran, daß etwa die Conservativen zu Gunsten eines — wenn auch officiell durch den Bund der Landwirthe unterstützten — antisemitische» Candidaten abdanken könnten, ist nicht zu denken." Die Sorge spricht aus jedem Satze dieser Mahnung; am deutlichsten aus den den Bund der Landwirthe betreffenden Worten. Und in der Tbat liegt Grund genug zur Sorge vor, denn in zahlreichen Wahlkreisen haben die Conservativen bereits Mandate au die Antisemiten abgeben müssen, in vielen anderen rüsten sich diese zur Bekämpfung der conservativen Bäter. Nicht das Mindeste bat es diesen genützt, daß sie in Königsbe r g durchUnterstützung des antisemitischen Candidaten dennationnalliberalcnzuFalle bringen und demSocialdemokralen im ersten Wahlgange den Sieg erringen halfen. Der Anti» seinitismus stattet sür diese Unterstützung seinen Dank in Westprignitz ab. Der Bund der Landwirthe aber, der wahrlich gleichen Grund zur Erkenntlichkeit hätte, benutzt das Uebergewicht, das ihm in vielen Kreisen die konservative Wählerschaft — nicht selten auf einen Druck der conservativen Parteileitung — verschafft hat, nicht minder rücksichtslos zur Vermehrung seiner Mandate und zögert nicht, die Bundes genossenschaft der Antisemiten durch Gegenleistungen auf Kosten der Conservativen zu bezahlen. Zn solcher Lage ist es jedenfalls keine kluge conservativc Taktik, die Natioualliberalen mit grimmem Hasse zu verfolgen. Bon dem immer demokratischer und particularistischcr werdenden Cent rum hat die conservativc Partei doch so viel nicht zu erwarten, wie eS von nationallibcralcr Seite in allen Fällen erwarten darf, in denen die Gegensätze nicht ohne Notb verschärft wordeu sind. Bon der „umgebildcten" Regierung aus die Dauer so unter die Fittige genommen zu werden, daß jede andere Unterstützung zu entbehren wäre, darauf rechnen bei dem beständigen Schwanken des Curses in Preußen und im Reiche die conservativen Führer doch sicherlich nicht, obgleich die „Conserv. Corr." sich den An schein giebt, zn meinen, cs sei bereits die Zeit gekommen, in der man, ohne selbst etwas befürchten zn müssen, jede Kritik eines Ministers oder einer Negierungsmaßrcgel zur Majestätsbeleidigung stempeln dürfe. Und wenn eine solche Zeit wirklich anbrechen sollte, so würde der „Zug nach links" so gewaltig werben, daß trotz einer solchen Stempelung die conservativen Mandate in die größte Gefahr kämen, aus der eine Rettung nur mit Hilfe des gemäßigten Liberalis mus möglich wäre, der sich dann wieder einmal als daS sicherste Bollwerk gegen dcn Ansturm der Demokratie er weisen würbe. Die alte Erfahrung, daß übereifrige und täppische Freunde schlimmer sind als boshafte Feinde, hat Fürst Bismarck schon ost macken müssen, selten aber in so peinlicher Weise wie neuerdings, seitdem einige seiner mehr enthusiastisckeu als scharfsichtigen Bewunderer aus dem Besuche des Fürsten Hohenlohe uud des Herrn v. Bülow in Friedrichsrnh auf eine baldige Aussöhnung zwischen dem Kaiser und dem Altreichskanzler und einen erneuten Einfluß des Letzteren aus den Gang der preußischen und der deutschen Politik geschlossen habe». Einer dieser „Freunde", der in der „Augsb. Abendztg." das Wort nimmt, erdreistet sich, die Voraussetzungen zu be zeichnen, unter denen jener neueste Besuch die politischen Folgen haben könnte, die der am 13. Januar 1805 vom Fürsten Hohenlohe in Friedricksruh abgcstaltete uicht hatte. Wörtlich schreibt der „BiSinarckfrcund": „Vor 2 Jahren standen jeder ausrichtigrn Aussöhnung zwischen Schloß Berlin und Schloß Friedrichsrnh die beiden Staats- secretaire im Wege, die nunmehr durch den Grafen Posadomsky und Herrn v. Bülow ersetzt worden sind. So lange Frhr. v. Marschall der nächste Vorgesetzte und Auftraggeber der deutschen Botschafter war und so lange für einen hohen Reichs beamten eine officielle Begegnung mit dem Staatssecretair v. Boettlcher unter Umständen unvermeidlich war, konnte von irgend einer Wiederverwendung des Grafen Herbert Bismarck im Reichsdienste schlechterdings keine Rede sein. Nun ließe sich hierüber schon eher sprechen, und Diejenigen dürfen immerhin aus Gehör, wenn auch vorerst nur auf schwachen Glauben rechnen, die bereits davon munkeln, daß Graf Herbert Bismarck nach Ablauf des Provisoriums iin Auswärtigen Amte und nach der endgiltigen Abberufung des Herrn von Bülow aus Rom zu dessen Nachfolger beim Quirinal ausersehen sei. Würde dann noch Graf Wilhelm BiSmarck das ihm Lurch bekannte Vor gänge unbequem gewordene Obcrpräsidium von Ostpreußen mit demjenigen Schleswig-Holsteins vertauschen und bannt zu gleich dem Vater dauernd nahegebracht sein, wodurch ein Herzens wunsch des Letzteren erfüllt wäre, dann könnte allerdings aus festeren und dauerhafteren Grundlagen, als im Jahre 1893 94, die Aussöhnung zwischen Schloß Berlin und Schloß FriedrichSruh herbeigesührt werden. Was dies sür die Regierung bei den nächst jährigen Reichstagswahlen, bei denen sie ohnehin „Feinde ringsum" zu bekämpfe» haben wird, zu bedeuten Hütte, braucht nicht erst auseinandergesetzt zu werden. Der edle „Bismarckfreund" traut also dem Altreichskanzler zu, daß cS ihm auf gar nichts Anderes, als auf eine ihm zusagende Verwendung seiner Söhne im Reichs- und E-taats- dienste ankvmme, daß er mit dem bekannten „Wurstigkeits gefühl" auf die fernere Verleugnung seiner Politik herabsebc, sür die seine Söhne in den genannten Stellungen ja gar nickt einzutreten vermöchten, und daß er gegen die Benutzung seines Namcuö zn Gunsten einer seine eigenen Grundsätze verleugnenden Politik nichts einzuwenden hätte, sofern nur seine persönlichen Wünsche erfüllt würden. Es wäre kein Wunder, wenn auf Grund dieser „biömarcksrcuudlichen" Auslassung die Herren Or. Lieber, Richter und Liebknecht ihren nltramontancn, demokratischen und s.ocial- temvkratiscken Anhängern vorredeten, Fürst Bismarck habe den in Stellungen für seine Söhne bestehende» Preis für seine Versöhnung und seine Unterstützung deö neuen Curses bekannt gemacht und harre nun in bangender Sehn sucht der Zustimmung des Kaisers zu diesem Handel. Für die Kenner des Charakters des Mannes,, der lieber seine eigene Stellung auf bas Spiel setzte, als seine Zustimmung zu einer ihm verderblich erscheinenden Politik gab, ist es selbstverständlich, daß der Fürst jener Auslassung völlig fern siebt und sie als Beleidigung empfindet. Die Thatsache indessen, daß sie in der „Augöb. Abendztg." Aufnahme ge funden, legt den Wunsch nahe, daß sie in den „Hamb. Nachr." eine gründliche Abfertigung erfährt. Tie Verhandlungen der Pariser Togocoufcreu; sind n in zu einem vorläufigen Abschluß gelangt, der, wenn auch nicht der Form nack, jedenfalls aber dem Inhalte nach im Wesentlichen als die endgillige Regelung Lieser Streitfrage betrachtet werden kann. Da eö sich dabei um die voraussichtliche endgillige Abgrenzung der letzten deutschen Colonie handelt, deren Grenzen bisher noch nicht vertrags mäßig festgelegt waren und, wo allein noch eine erwerbende Colonialpolitik getrieben werden konnte, so ist es «»gezeigt, da jeden Tag die Formulirung der Pariser Abmachungen erwartet wird, in einigen Worten auf die in Betracht kommenden Verhältnisse einznzeben. Togo concnrrirt mit dem westlich davon gelegenen englischen Gebiet der Goldküste und dem östlich von ihm gelegenen Dahomeh um das Hinter land zwischen dem Golf von Guinea und dem Nigerbogen. Alle drei Länder reichen hinauf bis zum 9. Breitengrad n. L.; bis zur Mitte des Jahres 1891 war dieses Land frei und gehörte dem, der zuerst die Hand darauf legte. Der einzige Vertrag, der zu Reckt bestand, datirte vom 5. August 1890 und war zwischen Frankreich uud England abgeschlossen, betraf aber nur das Gebiet östlich des Niger und zog eine Grenze^zwischen der französischen uud englisckenIiiteressenspbäre von Sah am Niger bis nach Barrua am Tschadsee. Für die vorstehenden Ver handlungen kommt aber vorwiegend nur das Land am Niger in Betracht. Im Spätsommer des Jahres l891 brachen die concurrirenteii Expeditionen nach Norden auf: cnglischerseits der Mulatte Fergusson, der bezeichnend sür die von dieser Seite allezeit in colonialen Fragen Deutschlands gegenüber ein genommene Haltung im „gemeinsamen Auftrag" von Deutschland und England handeln sollte, im neutralen Gebiet von Salaga aber, der Togo von der Goleküste einige Meilen landeinwärts trennt, die englische Flagge lsißte. Deutscherseits marschirle Di. Gruner mit Lieutenant Passarge nordwärts, nachdem er durch ein Detachement noch zu gulerletzt die englische Flagge in Salaga hatte herunterholen lassen. Ocstlich von Togo waren in Dajomeh mehrere Monate früher drei französische Expeditionen unter Decoeur, Capitain Tontee und dem Gouverneur von Dajomeh nach Norden aufgebrochen. Das Wettrennen der Expeditionen Decoeur und Gruner, vou denen letztere die erstere am lO. Januar 1891 in Sausannc-Mangn überholte, ist bekannt. I)r. Gruner kehrte schließlich vou seiner Expedition über dcn Niger zurück und aus seinen Berichten ergab sich, daß die dentscke Togoexpetiliou sogar nach der Hauptstadt des Reiches Gurina, Matsckaknale, von den ortskundigen .Königs boten von Sausanne-Mangu und Pama geleitet wurde, daß das der Expedition nachfolgende Gros unter Iw. Gruner in Pama und Matschakuale die deutsche Fahne webend vorfand, daß der mit dem Könige Tunenturiba abgeschlossene Vertrag über Gurina sowohl vou dem Könige vou Bissnzu als auch von dem zu diesem Zwecke bcrbeigerufeiicn Sohne des Königs von Fada N'gurma selbst bestätigt wurde. Französischerseits ist natürlich die entsprechende Gegenrechunug gemacht worden. Am 21. Mai b. I. ist dann in Paris die Conferen; zusammengetreten, der von deutscher Seile der Botschaftsrat)» v. Müller, der Landeshauptmann von Togo, Köhler, Herren Consul Ist-. Zinimcrmaiiu und Consul a. D. Vohscn und Professor von Daiickelmaiin angchören. Die Verhandlungen werden aus beiden Seiten geheim gehalten bis zum Schluß. Nur soviel verlautet, daß auf französischer Seile bc- acklenswerthe Rechte geltend gemacht und eine starke Machteutfaltung im Hinterland von Dahomeh nachge wiesen werden konnte. Zm klebrigen waren die Verhand lungen auch französisckcrscils von dem Bestreben geleitet, ein freuntnachbarlicheS Vcrbältuiß zwischen den beiden Colonien für die Zukunft zu begründen. Insofern darf man wohl hoffe», daß die entgiltige Abgrenzung von Togo im Vergleich zu dcn in dieser Richtung gemachten Anstrengungen mehr befriedigen wird, als die Abgrenzung der anderen Colonien, die nicht die Freude des deutschen Volkes waren. Der für den 11. Juli in Eger festgesetzte dcutsch-böh- mischc Vollst«» ist bekanntlich von der Bezirkshauptmann schaft untersagt worden; es scheint aber nickt, als ob ter Sonntag ganz ohne Kundgebungen vorübcrgehcn werde. Man erwartet trotz des Verbotes deö Volkstages den Zuzug vieler Deutschen uach Eger und es verlautet, daß der wohl weisen Bczirkshauptmannschaft zum Trotze die Stadt am Sonntag reich beflaggen werde. Es ist also Wohl möglich, daß -ö zwischen dcn Deutschen und dcn Behörden bei dieser Gelegenheit zu unerquicklichen Zusammenstößen kommt. Daß die Stimmung der Deutschen im höchsten Grade gereizt ist, ist sehr verständlich. Abgesehen davon, daß cs sich nun schon um das zweite Ver bot eines VolkStagcS hantelt — der erste hatte gerade vier Wochen vorher abgchalten werden sollen —, ist man mit Recht auch entrüstet darüber, daß der Bezirkshaupliuann es für angemessen gehalten hat, in dein Schreiben, welches das Verbot enthielt, dem Bürgermeister gegenüber einen sehr unhöflichen Ton «»Zuschlägen. Er hat als Motiv deS Ver botes angegeben, daß die Versammlung einen demonstrativen Charakter tragen sollte; er kann sich dabei auf eine alte Ministerialverfügung berufen, wonach Handlungen, die eine Abneigung gegen die Negierung verrathcn, bestraft werden sollen. Ist aber die österreichische Negierung den uichtdcutschen Nationalitäten gegenüber ebenso streng, wenn diese Demonstrationen veranstalten? Der Bürger meister Podlipny von Prag beruft sür Ende dieses Monats nach „dem königlichen Prag" einen großen „Manisestations- cvngreß" der Vertreter tschechischer Stätte und Land gemeinden, um die „ungebührlichen Angriffe" der Deutschen gegen die Tschechen in der letzten Ncichsrathsscssion znrück- zuweisen. Hier wird also eine Versammlung einberuscn mit cLeirrlleton Nanny Trauner. 16s Roman von C. Schroedet. Naldttuck verboten. „Phrasen!" backte sie, „wieder Phrasen!" und wünschte vom Grunde ihres Herzen-, der Onkel möge zurückkehren. Da dies nicht geschah und SccNnde auf SktuNve verging, ohne daß sich der Professor nach einem Gesprächsthema um- that, zog sie in der Verzweiflung nochmals eilteS herbei, „Gefällt Ihnen der Platz hier?" fragte sie. „Der Platz? wiederholte er, die Augen langsam von ihrem Antlitz lösend und sie gedankenvoll schweifen lassend. „Der Platz ist ideal. Der sonnige Garten ringsum, der Wald drüben mit seinen ewig jungen Bäumen — Man vergißt das Uralter der Welt, von dem in der Stadt die fatalen Steine reden, man träumt, daß sie von gestern sei und man selber mit." Sie winkte lächelnd, denn was er sagte, gefiel ihr, aber ein kleiner Schelm ist ihr zwaiig sie einzuwenbeN: „Von beit ewig jungen Bäumen da soll der jüngste siebzig Jahre zählen und der Linde hinter Ihnen " hier streifte sie mit dem Blick, ohne sein Gesicht Zu berühren, den knvrrigen Stamm, an dem tt lehnte — „der giebt Man mindestens dreihundert." „Thut man Vas?" lachte er, sich NmwendeNd, nm den BaNtN zn beslckkigen. „Dann kann ich nur sagen, di« Alte hat sich trefflich cortservidt. Frtilick — «Ili bischen umfang reich ist sie geworden und — jetzt merke ich's — Erfahrungen Hal sie auch gesammelt. Betrachten Sie nur die Nullen auf der Rind«, die verschlungenen Namenszüge Und pfeildurch« bohrten Herzen. Gar kein Zweifel, sie weiß allerlei zu erzählen. Wenn der Abendwind kommt, Werd« ich die OhreN spitzen." „Der Abendwind!" rief sie erschrocken. „Unmöglich dürfen Sie im Abcndwind hier sitzen!" „Meinen Sic nicht?" „Ter Doctor würde schelten". „WaS geht mich der Doctor an?" „Aber Sie wollen doch nicht wieder krank werden?" „Wer weiß? Ich hatte es so gut, als ich krank war, hatte wirklich einmal daS Gefühl, als ob ich irgendwo hin gehörte auf der Welt. Gestern einsam — morgen einsam —" Er brach mit plötzlich verdüsterter Miene ab und starrte vor sich hin. „Wäre es da so arg zu tadeln, wenn ich das Heute ein bischen zu verlängern trachtete?" So hatte sich Nanny seinen Satz vollendet und dirkct aus dem Herzen war ihr eine warme Thräne in das Auge gestiegen. Diese zu ver bergen stand sie jetzt hastig auf uns bückte sich über das Asterbeet, „Es siebt fast auS, als ob die Hühner hier an der Arbeit gewesen wären", murmelte sie, nahm ein entwurzeltes, ver schmachtendes Pflänzchen und schob eS Mit sanfter Hand in die mütterliche Erde zurück. „Die Blumen erfreuen sich wobl Ihrer ganz besonderen Fürsorge?" fragte Franz, schon wieder in dem ruhig heiteren Tone von vorhin. „Ja," nickte sie, „mag sie steif nennen, wer will — ich liebe die Astern." „Und ich nicht minder," versickerte er, „Aster — Stern!" Ohne sich etwas dabei zu denken, hatte er eS vor sich hin gesagt, nun aber kam ihm eine plötzliche Erinnerung und mit äh verdüstertem Gesicht, Mit höhnischem Auflachen fuhr er ort: „Jä, ja, ich bin ein Sternennarr gewesen mein Leben ang, hatte sogar — ha, ha, ha! — meinen speciellen Stern, der mir verloren ging, deu ich suchte — die langen Jahre — am Himmel Und auf der Erde und den ich schließlich wiederkano im — ha, ha, ha, ha! — im Sumpf, wo die Irrwische tanzen!" Nanny hatte sich staunend umaedreht, mit großen, er schrockenen Äugen, all« Scheit vergessend, sah sie den Maler an. Was redete er nur für merkwürdige Dinge von Sternen Und Irrwischen und warttm blickse er auf einmal so zornig vor sich nieder? — Zornig? Oder traurig? Ach lieber Gott! vielleicht doch nur traurig! Vielleicht — wer Mochte wissen? — war seiner dunklen Worte Sinn wieder daS Nirgenbhingehören auf der Welt, daS trostlose Alleinstehen unter den Menschen, auf das er vorhin hingcdeutet hatte. „Wenn Sie die Astern wirklich lieben, so will ich Ihnen rasch ein paar pflücken." Mit diesem Vorschlag, den sie nach einer kleinen Pause schüchtern und erröthend wagte, hatte Nanny den Maler auS seinem düsteren Brüten aufgeschreckt. Langsam wandte er ihr sein Gesicht zu. Mit einem fast feierlichen Ernst entgegnete er: „Sie sind sehr gütig, mein Fräulein! Die Blumen nehme ick mit tausend Dank an. Was aber die Sterne betrifft —" hier hob er den Blick und seine Augen begegneten zum ersten Male offen und gerade den ihrigen — „die locken mich nicht wieder von meiner Bahn — nein, und mögen sie auch noch so hold und herrlich strahlen!" Wie ein Gelübde hatte das geklungen — verstanden batte es Nanny nicht, aber merkwürdig bang halte es ibr um daS Herz gemacht. Mil zitternder Hand griff sie »ach der nächsten Blume und köpfte sie mehr, als daß sie sie pflückte, dann richtete sie sich aufathmend in die Höbe. Gottlob! Das Psörtcken klirrte — der Onkel war zurück! Er kam mit stark geröthctem Gesicht und streng richter licher Miene. „Nun fängst Du mir auch schon an nervös zu werden?" grollte er Nanny entgegen. „NervöS, Onkel?" „Jawohl! Nervös nenne ich ein Frauenzimmer, das vor jedem gefällten Baumstamm die Flucht ergreift und Strolche wittert, wo keine sind." „Das heißt, Tu hast keinen gefunden! Ja, Onkelchen, da hat er Dich sicher kommen gehört und sich rechtzeitig davon gemacht." „So? Naseweis! Kannst Du beschwören, daß Du den Kerl gesehen hast — mit eigenen Augen?" „DaS gerade nicht, aber —" „Da haben wirs, Herr Professor! — DaS gerade nicht — soll mit anderen Worten beißen: „Rascheln habe ichS gehört im Gebüsch und weil es natürlich weder ein Hirsch, noch ein Reh sein konnte, so —" „Onkelchen —!" „Ach was — Onkelchen! In der Gluthhitze auf ein gebildete Strolche Jagd zu macken, ist — bol mich der Henker! — kein Vergnügen — kalt! Wo willst Du bin?" „Schnell den Kaffee holen, Onkelchen, damit Tn wieder guter Laune wirst" „Das laß nur lieber bleibe». In der Küche ist der Teufel loS. Die Christi hat der Susanne den fertigen Kaffee stimmt der Kanne vor die Füße geworfen — unabsichtlich heißt das — nun wird unter Blitz nnd Hagel an einer neuen Auflage gearbeitet. Bis die fertig ist, bat's noch Zeit. Da setz' Dich hin — neben dcn Herrn Professor auf die Bant!" „Auf der Bank ist's Wohl Dir am bequemsten, Onkel, ich habe ja meinen Stuhl." „Auch gut", brummte der Oberförster und manövirte, indem er sich niederließ, so, daß der Professor an daS äußerste Ende seiner Bank zu rücken hatte, und nun, wenn auch in anderer Weise, doch dicht neben Nanny zu sitzen kam. Ter offenbare Schrecke», mit den, diese daraus ihren Stubl seit wärts riß, genügte vollständig, um des Alten gute Laune wieder herzustellen. „Ja, ja, die Nanny!" schmunzelte er vor sich bin. „Be- berzter wird sie nicht mit dcn Jahren. Neulich ist sie vor Augst fast in den See gelaufen und —" bicr wandle er sich mit fragender Miene an seinen Gast — „daß sie bei kein Eiscnbahnunfall mörderisch geschrien bat, kann ich mir denken!" „Ursacke zum Schreien hätte das Fräulein jedenfalls ge habt", meinte Franz Flemmiiig. „McincS Erinnerns aber bat sie keinen Laut ausgeslvßen — bat sich mulhiger gezeigt, wie ivir Alle." „Freut mich zu hören!" nickte der Oberförster, den Maler scharf i»S Auge fassend, aber wenn aus dessen Stimme etwas wie Bewunderung geklungen batte, auf seinem Gesichte war nichts davon zu entdecken. „Freue Dich nur nicht zu sebr, Onkel", lächelte Nanny, „wenn Einem die Zunge vor Schrecken gelähmt ist, kann man nicht schreien." „Na, na! War ja am Ende auch eine böse Geschichte. Wollin Nicht mehr leichtfertig drüber reden, sondern dem Himmel danken — und Ihnen auch, Herr Professor — daß sie gut abgelaufen ist!" Franz verwahrte sich dagegen, das; ibm irgend welcher Dank gebühre. Ec habe »nr getkan, erklärte er, waS einige Minuten später jeder Andere ebenso gut besorgt hätte. Ties veranlaßte ein kurzes Hin- nnd Herreden zwischen ihm nnd kein Oberförster, während welcher Zeit Nanny'S Blicke un willkürlich nach des MalerS linker Hand hinwanderten, die auf der Banklebne lag. Plötzlich entfuhr eS ihr: „Nicht wahr, Sie trugen doch Handschuhe in jener Nacht?" „Meinen Sic, eS wäre nicht kalt genug dazu gewesen?" fragte Franz verwundert lächelnd „Entsinne ich mich recht, so halten wir zwölf Grad unter Null." „Ach! nein, daS ist cS nicht—" begann Nanny und stdckte verwirrt. Wenn sie ibm sagte, daß ibr seine Hand bekannt vorkomme, so machte sie sich am Ende lächerlich. „Handschuhe? I, dabei fällt Mir 'waS ein", brummte der Oberförster, in die Rocktasche greifend, ein gelbliches Etwas an das TagcSlickt fördernd und spöttisch besichtigend: „Handschuh — wenn mich nickt Alle« täuscht — von schwe dischem Leder, anderthalb Fuß lang und zwei Zoll breit! Wen» ich Ihnen damit dienen kann, Herr Professor —"
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