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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.11.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189711284
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18971128
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18971128
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-28
- Monat1897-11
- Jahr1897
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.11.1897
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Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Ztffernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbrsürderuug 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgab«: BormittagS 10 Uhr. Diorgen - Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 607. Sonntag den 28. November 1897. Sl. Jahrgang. Aus -er Woche. Die NeichStagserösfnung am Dienstag wird der Erörterung der brennenden Fragen die nothwendigen Unter lagen geben. Ob das Parlament auch amtliche Aufklärung über dieKiao-Tschau-Angelegenheit erkalten werde, wie ein hanseatisches Blatt im Interesse der Beruhigung des des deutschen Handels will, das steht dahin. Vorläufig muß man sich den für unsere Politik ungemein charakteristischen Standpunct der „Nationalzeitung" aneignen, welche sagt, die deutsche Action könne ihrerseits von jedem Gesichtspunkte ans gebilligt werden, aber „natürlich unter der Voraussetzung, daß sie und Alles, was daraus folge» kann, vorher reif lich überlegt worden". Da diese Art, auswärtige Maß nahmen des jetzigen Regiments anzusehen, nothwendiger- weise die vorherrschende in den nationalen Kreisen geworden ist, so kann es nur als Beweis politischer Voraussicht angesehen werden, wenn der Gedanke der Flottenverstärkung dennoch zusehends au Boden gewonnen hat. Man erkennt mehr und mehr, was ein Heidelberger Gelehrter auch in einer kürzlich erschienenen Schrift offen ausgesprochen hat: die Vermehrung der Schiffe muß als eine Nothwendigkeit unserer Entwickelung anaestrcbl werden, sie wird nicht dem Kaiser, sondern der deutschen Zukunst bewilligt. Daß dies an jeder Stelle klar erkannt werde, dafür wird die Kritik der positiven Elemente im Reichstage, der Gebenden, zu sorgen haben. Versagen diese wiederum, so wird der langsam aber stetig sich vollziehende Umschwung zu Gunsten der Flotte bei den nächsten Wahlen sich nicht mehr bemerkbar mache». Darüber soll man sich nur nicht täuschen. Daß die Stimmung zur Zeit eine erfreuliche ist, beweist auch die Wahl in Ploen. Man hat die „Marine-Opposition" auch dort in deu Wahlkampf hineingetragen und es sind weit mehr flottensrcundliche Stimmen abgegeben worden als 1803. Die Schädigungen von Deutschen im Auslande, die in der jüngsten Zeit stattfanden, haben natürlich Vieles zur Ausbreitung der besseren Ein sicht beigetragen. Ihre Sühne ist von künftigen Mehr bewilligungen, die erst nach Jahren in der Seemacht zum Aus druck kommen, unabhängig. DaS bleibt auf den redlichen Beurtbeiler natürlich ohne Einfluß. Die Centrumspresse aber ist bereits zu der Argumentation vorgedrungen: für die Ermordung der katholischen Missionare in China muß natürlich Geuugthuung erlangt werden, aber „dazu ist die Flotte zweifellos stark genug". Was evan gelischen Deutschen widerfahren ist und noch wider fahren kann, das hat den Reichstag nach ultramontaner Auffassung nicht zu kümmern. Es ist auch anzuerkennen, daß der Mitbegründer deS Zweibundes in Nom kein Interesse an der Verstärkung der Vertheidigungsfäkigkeit einer Dreibundsmacht hat und noch dazu, wenn sie Deutsches Reich heißt. Nur müßte eine deutsche Regierung alles daran setzen, einer Partei, die diese Interessen vertritt, die ausschlaggebende Stellung im deutschen Reichstage zu entreißen. Von derartigen Bemühungen ist jedoch nickts zu verspüren, wohl aber vom Gegentheil. Man ist auf dem Wege, dem Cent rum in Lieser letzten Tagung der Legislaturperiode Gelegenheit zu einer Machtentfaltung zu bieten, die ihm bei den nächsten Wahlen in den Augen der Wähler zu statten kommen wird. Eine gesunde Politik würde darauf hiuarbeiten, daß die ultramontane Partei sich geben müßte, wie sie ist, und daß sie, wie 1887, die Probe darauf machen müßte, ob die Bekundung ihres naturgemäß unversöhnlich oppositionellen CkaracterS ihr bei Wahlen bekommen würde. Mit einer solchen Politik wäre es freilich unverträglich, das Centrum billige Lorbeeren als „Freiheitskämpferin" pflücken zu lassen, wie ihm das in der Angelegenheit des Verbindungs verbotes der politischen Vereine mit immer un begreiflicher werdender Bereitwilligkeit gestattet wird, wachsen erfüllt das Versprechen des Reichskanzlers auf parti- kulargesctzlickem Wege, Bayern zögert, wie man nunmehr aus dem Munde eines Ministers weiß, nur deshalb, weil er der Regelung durch die Reichsgesetzgebung nicht gern vorgreifen möchte. Die preußische, die „Reichsregierung" aber verharrt in der Abweisung. Man weiß von der Vor geschichte der sogenannten lex v. d. Necke und von der poli tischen Grundaussassung des Fürsten Hohenlohe genug, um der Vermutbung, das Hindcrniß könne bei dem Reichs kanzler liegen, nicht weit von sich abzuweisen. Es ist offenbar dort zu suchen, wo man Compensationen für die Aufhebung des K 8 des preußischen VereinögesetzeS als einen Schlag gegen den „Umsturz" geschildert und dadurch einen glühenden Eifer für die unglückliche Action des Frühjahrs und Sommers entzündet hat. Der Freisinn hat seine „Regierungssähigkeit" glänzend documentirt. Der schon erwähnte Beschluß der Berliner Stadtverordnetenversammlung, das Gehalt der G emeinde lehrer nur 100 höher als in den kleinsten Ge ¬ meinden des Ostens und niedriger als in vielen Dörfern des Westens anzusetzen, ist definitiv angenommen worden. Als im Abgeordnetenhause das LekrerbesolLungs- gesetz berathen wurde, fluchten die Freisinnigen Pech und Schwefel auf die „Juncker" herab, die den Lehrern nicht für das ganze, also auch für das flache Land bewilligen wollten, was dieselben Freisinnigen jetzt den Lehrern der größten deutschen Stadt verweigert haben. Es war damals nicht ernst gemeint, man verließ sich auf seine sichere Minorität; auch der Freisinn versteht staatsmännisch mit gegebenen Zahlen zu rechnen, und man könnte und sollte das Flehen der „Voss. Ztg." wirklich endlich einmal erhören und den Herren Rickert und Jaeckel Ministerportefeuilles verleihen. Zumal da die Berliner Demokratie auch gezeigt hat, daß sie „der Gasse" Widerstand zu leisten vermag. Eine Volksver sammlung, die gegen den Beschluß wegen der Lehrerbeso dnng protestirt hatte, bekam von den Regierenden böse Dinge zu kören. Herr Virchow, der als BolkSmann doch sonst für den souvcrainen Volkswillen ist, sprach als Machtinhaber sogar von „pöbelhaften" Reden. Wenn ein Minister oder ein Landrath einen solchen Ausdruck für Emanationen der frei sinnigen Volksseele gebraucht hätte! Die Entschließung der Berliner Gemeindevertretung ließe sich ja Wohl rechtfertigen, wenn ihre überwiegende Mehrheit nicht aus Freisinnigen be stände, die im Interesse der Lehrer nicht genug hatten — schreien können. So aber bezeichnet sie einen in Deutschland Gott sei Dank selten sichtbaren Tiefpunkt der politischen Moral. Die Deutschen im Wiener Reichsrath sind zu Opfern schwerer körperlicher Mißhandlungen gemacht worden, um einen Vorwand zu haben, sie allsogleich zu Opfern eines unerhörten Rechtsbruchs zu machen. Es hätte deS Zeug nisses des officiösen „Fremdenblattes" nicht bedurft, um er kennen zu lassen, daß hier eine Offenbarung des Feigheit mit gewaltthätigem Sinne paarenden slawischen Charakters in die Erscheinung getreten ist. Die Regierung ihrerseits bestätigte prompt die Ansicht, daß die Deut schen in die Nothwebr gedrängt worden waren, durch die Beschlagnahme von sechs Zeitungen, in denen unabhängige Augenzeugen den Hergang schilderten. Wie für den schimpf lichen Ueberfall, so ist die Mehrheit des Abgeordnetenhauses auch für alle Folgen verantwortlich, die wohl kaum aus bleiben werden. Und mit ihr die Regierung. Die „neue" Ge schäftsordnung besteht ohne Zweifel nicht zu Recht. Das Haus ist zwar befugt, seineOrdnung von sich aus zu regeln. Aber dieRege- lung muß sich ordnungsgemäß in den vorgeschriebenen Formen vollziehen. Nun hat aber über die Geschäftsordnung that- sächlich keine Abstimmung stattgefnnden. Damit ist das Gesetz, wonach alle Beschlüsse durch Mehrheit gefaßt werden müssen, einseitig suSpendirt und mit ihr, da die Negierung nicht protestirt hat, die Rechtsgiltigkeit der Beschlüsse eines Factors der Gesetzgebung. Die Regierungspartei in Oesterreich hat mit stillschweigender Zustimmung der Negierung einen Zu stand geschaffen, der ein revolutionärer ist. Die Consegucnzen sind unabsehbar. Oer Entwurf eines Gesetzes, betreffend die deutsche Flotte. D Berlin, 27, November. (Telegramm.) Eine besondere Ausgabe des „Reichsanzeigers" veröffentlicht Nachstehendes: Die zur Zeit vorbandcnc Kriegsmarine bedarf der Verstärkung, um den erheblich gestiegenen Seeinteressen des deutschen Reichs im Kriege und Frieden den erforderlichen Schutz zu gewähren. Um für diese Verstärkung eine gesunde Grundlage zu gewinnen, müssen sich die beiden gesetzgebenden Factoren vor Allem darüber einigen, wie stark die deutsche Flotte werden soll. Zu diesem Zweck ist eine Beschlußfassung des Reichstags über die Sollstärke der Marine nicht zu umgehen. Eine solche ist aber nur zu erzielen, wenn dem Reichstage ein Plan in Form eines Gesetzentwurfes vorgelegt wird. Denn von Plänen, welche die verbündeten Regierungen in Form von Denk schriften vorlegen, nimmt der Reichstag nur Kenntniß. Nachdem in der Entwickelung der Technik eine gewisse Ruhe eingetreten ist und in allen Marinen im Wesentlichen dieselben Schiffstypen vorhanden sind, haben sich die Seemächte in den letzten Jahreu hauptsächlich der Durcharbeitung der organisatorischen, taktischen und strategischen Fragen gewidmet. Es sind heute die Anschauungen hierüber so geklärt, daß unbedenklich Stärke und Zusammensetzung der deutschen Kriegsmarine gesetzlich festgelegt werden kann. In dem von den Verbündeten Regierungen aufgestellten Gesetz- entwurf wird der Schiffsbestand der deutschen Flotte, abgesehen von Torpedofahrzeugen, Schulschiffen, Specialschiffen und Kanonenbooten wie folgt normirt: Berwendungsbereit sollen sein 17 Linien schiffe, 8 Küstenpanzerschiffe, 9 große und 26 kleine Kreuzer; als Materialreserve kommen dazu 2 Linien schiffe, 3 große und 4 kleine Kreuzer. Diese Stärke der Flotte wird von den verbündeten Regierungen als ausreichend, aber auch als unerläßlich bezeichnet, wenn das Reich seine maritimen Aufgaben erfüllen soll. In Anrechnung kommen auf diesen Sollstand von den am 1. April 1898 vor- handenen und im Bau befindlichen Schiffen als Linienschiffe 12, als Küstenpanzerschiffe 8, als große Kreuzer 10 und als kleine Kreuzer 23. Es sind also an Neubauten noch erforderlich: 7 Linienschiffe, 2 große und 7 kleine Kreuzer; die gegenwärtige Zahl der KüstenPanzerschiffe wird für ge nügend erachtet. Unzertrennlich von der Ausstellung eines gesetzlich begrenzten Sollbestandes der Flotte ist die Festlegung der Frist, binnen welcher dieser Bestand erreicht werden muß. Es ist dieS nur die logische Consequenz aus der ersteren Thatsache. Würde hier eine Lücke ge lassen, so würde die Erreichung des Sollbestaudes ganz ins Un gewisse gerückt und damit ein Zustand verlängert, dem man eben durch die gesetzliche Regelung der Dinge ein Ende machen will. In dem Entwurf wird daher folgerichtig verlangt, daß die Mittel für die erforderlichen Neubauten so rechtzeitig in den Reichs haushalts - Etat aufzunehmen sind, daß der Sollbestand der Flotte bis zu einem bestimmten Zeitpunct, nämlich bis zum Schluß des Rechnungsjahres 1ik04 erreicht wird. Auf die Dauer kann aber der Sollbestand nur aufrecht erhalten werden, wenn für die nach Ablauf ihrer natürlichen Lebensdauer unbrauchbar gewordenen Schiffe rechtzeitig Ersatzbauten eingestellt werden. Diese Lebensdauer wird von der Marineverwaltung für Linien- und Küstenpanzerschisfe auf 25 Jahre, für große Kreuzer auf 20 und für kleine Kreuzer auf 15 Jahre bemessen. Auch hier fordert der Gesetzentwurf, daß die Mittel für diese zur Erhaltung des Sollbestandes nothwendigen regelmäßigen Ersatzbauten recht zeitig in dein Etat ausgenommen werden. Damit schließlich im Kriegsfälle die Schlachtflotte leisten kann, was man von ihr erwartet, ist ein bestimmtes Maß von Jndienst- stellungen während des Friedens und das dazu erforderliche Personal unerläßlich. Von dem Umfange der Judicnsthaltuktgen hängt die zu wählende Organisation der Schlachtflotte ab. Da jede Organisation etwas Dauerndes sein muß, so müssen auch die zur Durchführung derselben nöthigen Jndiensthaltungen gesetz- lich gesichert sein. Zu diesem Zweck bestimmt die Vorlage, daß die Mittel für die Jndiensthaltungen der heimischen Schlachtflotte jähr lich bis zu solcher Höhe in den Reichshaushalts-Etat einzuslellen sind, daß dauernd im Dienst gehalten werden können erstens zur Bildung von activen Formationen 9Liuienschifse, 2 große und sechs kleine Kreuzer, zweitens als Stammschiffe von Reserve- formationen 4 Linienschiffe, 4 Küstenpanzerschifse, 2 große Kreuzer und 5 kleine Kreuzer, drittens zur Activirung einer Reserveformation auf die Dauer von zwei Monaten 2 Linienschiffe oder Küstenpanzerschifse. Nach Maßgabe des Bedarfs unterliegt der jährlichen Festsetzung durch den Etat die Bereitstellung der für die Jndiensthaltung der Torpedo sahrzeuge, Auslandsschisse, Schulschiffe, Specialschiffe und Kanonen- boote erforderlichen Mittel. Was den Personalbestand betrifft, so sollen nach dem Gesetz entwurf an Deckosficieren, Unterofficieren und Gemeinen der Matrosendivisionen, Werjtdivisionen und Torprdo-Abtheilungen vor handen sein: 1) ein und einhalbfache Besatzungen für die im Aus lande befindlichen Schiffe, 2) volle Besatzung für die zu activen Formationen der heimischen Schlachtflotte gehörigen Schiffe, die Hälfte der Torpedofahrzeuge, die Schulschiffe, die Specialschiffe, 3) Besatzuugsstämme für die zu Reserveformationen der heimischen Schlachtstotte gehörigen Schisse, sowie die zweite Hälfte der Tor- pedosahrzeuge, 4) der erforderliche Lanöbedars, 5) ein Zuschlag von 5 Proeent. Die nach Maßgabe dieser Grundsätze erforderlichen Etatstärken des Personals dieser verschiedenen Kategorien bleiben FeniHstsn. „k08tiI1on ä'amour!" Humoristische Novellette von Erich Fließ (Berlin). Nachdruck verboten. Das Vorderhaus in der Kurfürstenstrabe präsentirt sich sehr vornehm mit dem breiten Portal, dem im Barockstil gehaltenen Sims und den weit ausladenden Ballonen; den hohen Spiegel scheiben und sonstigen Verzierungen in Sandstein und Gips; aber — im Hinterhause wohnen auch noch Leute! Der vordere Aufgang darf natürlich nur von den hohen Herrschaften benutzt werden; aber die Dienstboten in den Hinterzimmern mit ihrem ganzen Verkehr und Anhang kommen sich deshalb doch nicht min der vornehm vor. Wenn die Herrschaften ihre Routs, tko-ckau- 8ants, Diners, Dejeuners, tive-o'etoclr-tokw, ihre Kaffeklatsch« haben: die Dienstboten wissen auch zu leben! Und ihre kleinen Jntriguen, Techtelmechtels und Rendezvous haben der Gustav, der Paul, die Marie, die Anna, die Gustc nicht minder. In die Zimmer der Gnädigsten flattern nicht allein süßduftende Billets; auch ins Hinterhaus gelangen täglich allerhand Couverts, die mit einem Vergißmeinnichtstrauß, einer Brieftaube oder einem andern Zeichen des kleinen Liebesgottes versehen sind... Der selige Stephan hätte sich aber auch für dieses Revier gar leinen besseren ko8tillon ck'umour aussuchen können, als Herrn Ferdinand Kleinschmidt; der „schöne Ferdinand", wie er in sämmtlichen Hinterhäusern des ganzen Reviers genannt wurde. Selbstverständlich hatte dieser „schöne Ferdi" bei seinen alltäg lichen Liebespostgängcn selbst allerhand zarte Bande angeknüpft; Gelegenheit macht Liebe. Aber er hatte es immer brillant ver standen, im rechten Augenblicke, wenn die Sache ernsthaft zu werden drohte, und die Anspielungen auf den Standesbeamten immer deutlicher wurden, einen gedeckten Rückzug anzutretcn. Das hatte dann weiblichrrseits einige Thränen und unschädliche Racheschwüre gekostet, sonst aber dem Renommee des „schönen Ferdi" nichts geschadet. Im Gegentheil! Die Weiber sind nun mal so. Der größte Strick hat gewöhnlich das größte Glück. Der „schöne Ferdi" war und blieb die beste Partie für alle Feen aus dem Bereiche des Hinterhauses; besonders seit er in der letzten sächsischen Lotterie mit einem kleinen Treffer von rund drei tausend Mark herausgekommen war. Damit ließ sich schon ein ganz hübscher kleiner Hausstand anfangen. Auch hatte Herr Kleinschmidt Connexionen bei seiner hohen Behörde. Er wurde über kurz oder lang Geldbriefträger — was immer einen an ständigen Batzen an Trinkgeldern abwirst — und kam dann in die Packetlammer als Expedient u. s. w. Wahrhaftig, man konnte es der Anna, der Marie, der Guste nicht verdenken, wenn sie alle davon träumten, Frau Kleinschmidt zu werden. Sie machten auch gar kein Hehl daraus; es hatte schon genug Eifersüchteleien, aufgeregte Scenen und Feindschaften des schönen Ferdi wegen gegeben. Aber von derjenigen, die sich am meisten um den leichtsinnigen Herzensbrecher grämte, wußte keine Men schenseele etwas in dem großen Hause in der Kurfürstenstraße. Das war die Beate, die Kammerzofe der gnädigen Frau Baronin von Holleben in der Beletage! Die Beate zählte überhaupt in den Liebesaffairen bei ihren Colleginnen und College» gar nicht mit. Man betrachtete sie und sprach von ihr immer mit einer gewissen mitleidigen Geringschätzung... „Ach, die Beate!" hieß es im Dienstbotencasino, bei den Conferenzen auf der Hintertreppe und unten beim Portier... Die? die bekam überhaupt keinen Schatz! — Kein Mensch schrieb an sie!.. Nie bekam sie einen Brief, der sie zum Rendezvous im Circus Busch, im Reichshallentheater oder zum Tanzvergnügen in der Victoria-Brauerei einlud! Die Beate that so, als merkte sie nichts davon, daß man sie über die Achseln ansah; und doch verzehrte sie sich innerlch vor Liebeskummer um den wankelmüthigen Stephansboten. Zwar, daß er keiner der Colleginnen, mit denen er getändelt, die Treue bewahrt, nahm sie ihm nicht weiter übel. Aber, daß er sie, die viel feiner und liebens würdiger als die meisten Stubenfeen des Reviers war, bisher beinahe gar nicht beachtete, kränkte sie oftmals tief. Und doch konnte sie ihm eigentlich keinen Vorwurf machen. Er hatte ja so wenig Gelegenheit, sie zu sehen und zu sprechen, so daß ihm ihre Vorzüge verborgen bleiben mußten... Ja, wenn er ihr ebenso wie der Anna, der Marie, der Guste zwei bis drei mal in der Woche einen Brief zu bringen hätte, dann würde er bald merken, wie viel mehr werth sie war, als alle übrigen Em pfängerinnen der Liebespost. Wenn doch auch Jemand an sie schriebe so oft als möglich! . . . Hatte sie denn gar keinen Bekannten hier? . . . Und plötzlich wurde es Licht in Beatens liebeskrankem Busen. Die natürliche Schlauheit aller Evatöchter kam auch in ihr zum Durchbruch; nach kurzem Ucberlegen lag der kleine Kriegsplan vor ihr ausgearbeitet da, als wäre der Geist des seligen Moltke über sie gekommen . . . Am nächsten Morgen geschah etwas Wunderbares. Der „schöne Ferdi" klingelte bei der Frau Baronin von Holleben und gab einen Brief ab; auf dem rosenrothcn Couvert stand mit ener gischer steiler Handschrift geschrieben: „An Fräulein Beate Mittel stadt." Die Empfängerin, die dem Postboten selbst die Thür öffnete, erröthete tief, als ihr der galante Postbote das Brieflein mit einer neckischen Bemerkung hinreichte. Sie verbarg das Schreiben schnell unter der Tcindelschürze und schloß die Thür geräuschvoll zu. Der schöne Ferdi aber ging nachdenklich die Treppe hinunter und konnte den ganzen Tag über nicht das niedliche Gesicht der kleinen Zofe vergessen... Wo hatte er nur so lange seine Augen gehabt?... Das nächste Mal wollte er et was länger an der Thür der Frau Baronin sich zu schaffen machen. Nach drei Tagen kam der schöne Ferdi wieder die Treppe herauf. Er trug abermals einen Brief an Fräulein Beate, der dem ersten so ähnlich sah, wie ein rothgefärbtes Osterei dem andern. „Von Ihrem Schatz!" sagte der Ferdi dreist, als die Zofe ihm öffnete. „Das geht Sie gar nichts an!" klang es in schnippischem Tone zurück. Bums! fiel die Thür zu. Der schöne Ferdi machte gerade kein sehr geistreiches Gesicht, als er so kurz abgefertigt wurde. Er kraute sich den Kopf und trollte ziemlich kleinmüthig davon. Nach drei Tagen wieder holte sich dieselbe Scene und das ganze Hinterhaus hielt Conferen zen über Conferenzen ab, deren Refrain stets derfelbe war: die Beate hat einen Schatz!... Einen heimlichen!... Und ein ganz vornehmer mußte es sein!... Denn der Ferdi, der sich doch auf allerhand Briefschaften verstand, hatte ärgerlich versichert: solch eine Handschrift komme nicht jeden Tag vor. Da stecke ganz was Besonderes, Apartes dahinter!.... Und als die Beate gar von da ab jeden Sonntag Nachmittag ousging und auch in der Woche einmal den Cirkus oder das Theater besuchte, da kannte die Auf regung unter den Bewohnern des Hinterhauses keine Grenzen. Alle wären vor Neugierde beinahe gestorben! Wer sich aber diese Affaire am meisten zu Herzen nahm, war der schöne Ferdi. Er hätte sich am liebsten prügeln mögen. Denn je öfter er die Beate sah, desto reizender erfchien sie ihm in ihrer stolzen Zurückhaltung, desto verliebter wurde er. Was hätte er jetzt nicht darum gegeben, wenn er mit der kleinen Kammerkahe nur ein Viertelstündchen hätte plaudern können, sie dabei zärtlich um die schlanke Taille fassen und ihr einen Kuß hätte rauben dürfen!... Bei den klebrigen hatte er das Alles längst durchge macht; sie reizten ihn schon lange nicht mehr, den leichtfertigen Herzensbrecher; aber diesmal kam's umgekehrt. Er seufzte und schmachtete umsonst. Und dazu hatte er einen Nebenbuhler, einen glücklichen dazu!.. Denn er schrieb ja pünctlich alle drei Tage! — Und er, selber der Hansnarr, war dazu verdammt, diese Liebesbriefe der Beate auSzuhändigen... So ging das nicht weiter!... Entweder er ließ sich in ein anderes Revier versetzen, oder...? ja, was dann?... Ob er es selbst einmal mit einem Briese versuchte?... Am Tage darauf geschah das lächerlichste Schelmenstück Cupidos. Der schöne Ferdi hatte einen Brief an die angebetete Beate in den Briefkasten gesteckt, und trug ihn jetzt abgestempelt eigenhändig seiner Herzensflamme ins Haus. Er wurde dunkel- roth, als die Beate öffnete und das Schreiben, das eine ganz andere Handschrift trug als die bisherigen Liebesbriefe, entgegen nahm. Diesmal schloß die Empfängerin sich ein, als sie die Epistel öffnete und durchlas. Ein triumphirendes Lächeln ließ erkennen, daß sie ihre Jntrigue siegreich durchgeführt; der Herzens brecher des Reviers war in die Falle gegangen; er hatte ihr einen veritablen Heirathsantrag gemacht! Schon am Sonntag darauf erschien der verliebte Stephans bote in einem sehr flotten Gentlemensanzug in der Hinterstnbe der Beletage. Die Beate hatte zur Vorsicht gleich zwei Ringe besorgt; die Frau Baronin war selbst zugegen, als die Verlobung stattfand. Sie ermahnte den schönen Ferdi, der ein sehr ver dutztes Gesicht dazu machte, daß er fortab einen soliden Lebens wandel einschlagen und die Beate — die ein reines, tugendhaftes Mädchen sei, das nie einen Schatz gehabt — in Ehren halten und ihr treu bleiben sollte bis an sein Lebensende. So war der schöne Ferdi ins Fangeisen gegangen. Er trug es am Finger. Natürlich gabs einen kleinen Aufstand im Hause, als die Beate zum ersten Mal mit ihrem Bräutigam ausging. Als dieser dann seine hübsche Braut ins Gebet nahm und nach dem Absender der rothen Briefe fragte, sagte die Beate leichthin: „Diel wissen macht Kopfweh!... Du wirst's schon noch er fahren!... Von jetzt ab kommen keine Briefe mehr!" Und so war's auch. Die Beate bekam wirklich von da ab nie mehr eien rosenfarbenen Liebesbrief von einem heimlichen Schah! Als die Beiden zum Standesbeamten gingen und die Beate ihren Namen unter die Urkunde schrieb, zuckte der junge Ehe mann ein wenig zusammen: das waren ja dieselben steilen Schriftzüge, die auf den rosafarbnen Liebesbriefen an seine Beate vormals gestanden!... Ihm fing jetzt an, etwas zu schwane», daß er sich ein wenig ins Garn hatte locken lassen. Natürlich war er so thöricht, die Beate nachher im groben Ehemannston zur Rede zu stellen. Die junge Frau aber fuhr ihr» nur mit der Hand leicht iiber's Gesicht: „Schöpskristel! Wenn Ihr Männer nicht von allein bei rathet, dann werdetihr eben geheirathet! — Punctum!'
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