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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.03.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980319026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898031902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898031902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-03
- Tag1898-03-19
- Monat1898-03
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Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-AuSgabe Wochentag» um b Uhr. Ne-aciion un- Erve-Mo«: JohanneSgasse 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geössart voo früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filiale«: Dtt» Klemm'» Eortim. (Alfred Hah», Universitätrstratze 3 lPauliuum), Louis Lösche, Letharinevstr. 14, pari, und Köuig»pl»hl 7, Vezug-'PreiA der Hauptexpedttion oder de» t« Stadt» te»irk und den Vororten errichteten Au»- oabestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, vei zweimaliger täglicher Zustellung in» Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich 6.—. Dirrcre tägliche Kreuzbandienduug in» Ausland: monatlich 7.ö0. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes nnd Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Sonnabend den 19. März 1898. Anzetgen-Drei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pf^ veclamen unter dem Redactionsstrich (4 g» spalten) bO^Z, vor den Familiennackrtcktq» (6 gespalten) Größere Schriften laut unserem Prei»- vrrzeichniß. Tabellarisch« und Zissernsatz uach höherem Tarif. Extra-Verlagen (gesalzt), nur mtt de» Morgen »Ausgabe, ohne Postbeförderunz' 60.—, mit Postbrsöcderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abrnd.AuSgabr: vormittag» 10 Uhr. Kiorgr»»Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ei»» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedits»» zu richt»». Dr»ck »ad Verlag von «. Polz tu Leipzig S2. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 19. März. Jene Optimisten, die in jeder gemäßigten Aeußerung irgend eines Socialdemokraten den Beweis dafür finden,^daß die Locialdcmokratie zu einer friedlichen Resormpartei sich entwickelt habe, würden auS der Art, wie die Führer dieserPartei die Vorgänge gefeiert haben, die am 18.März 1848 in Berlin sich abspielten, ihren Jrrthum erkennen können, wenn sie überhaupt mehr in der Welt der Thatsachen, als in ihren schönen Träumen lebten. Für die große Menge des Bürgertbums wird aber die Lehre nicht verloren sein, die ihr gestern jene Führer ertheilt haben. Was beim „Vor wärts" hinter den gelegentlichen Redereien von der „fried lichen Evolution" steckt, bewies das Organ Liebknecht's gestern besonders durch eine Verherrlichung der Pariser Eommune, nach deren blutigen Opfern sich die Blicke auch unserer Socialdemokraten immer wieder richten. „Die Pariser Eommune von 1871", so schrieb das Blatt, „stellt in jeder Hinsicht — an historischer Bedeutung, an Umfang und Kühnheit des Zieles, an Klarheit des ElassenbewußtseinS, an Heldenmulh, an Größe des Sieges, aber auch der Niederlage — die bis dahin gewaltigste Schlacht des Proletariats, die Junischlacht 1848, völlig in ren Schatten. Diese verhält sich zur Commune, wie eine locale Hungerrevolte zu einem national gedachten Classen- aufstanv." Und die Schlußworte der Verherrlichung lauteten: „Der Kampf der Commune war ein Plänkelgesecht im Vergleich mit der nach abermals einem Menschenalter sich vorbereitenden Generalschlacht zwischen dem nunmehr in ganz Frank» reich erstarkten Proletariat und der gealterten, an sich verzweifelnden Bourgeoisie. Eine aufstrebende Classe, lernt das Proletariat auch aus feinen Niederlagen. Wenn die geschicht liche Nothwendigkeit so oder anders, friedlich oder gewaltthätig, die Stunde der Entscheidung geschlagen hat, wird das französische Proletariat mit dem Muthe der Com- munards die Umsicht der gemachten Erfahrungen zu vereinen wissen". Diese mahnenden Worte richteten sich zwar zunächst nur an die französischen Genossen, aber sie bewiesen doch auch, wie gern die Leiter des „Vorwärts" in blutigen Erinnerungen schwelgen und durch sie die Arbeiterclasse erregen, und sie ließen zugleich erwarten, auch die gestrige Sitzung deS Reichs tags werde nicht vorübergehen, ohne von einem der social demokratischen Parteiführer zu dem Beweise für die nach Thaten sich sehnenden Genossen benutzt worden zu sein, daß die Parteileitung an eine „friedliche Mauserung" nicht im Entferntesten denke. Daß etwas Besonderes für diese Sitzung geplant sei, bewies denn auch ein auf dem Platze des aus dem Gesängniß zurückerwarteten Abg. Liebknecht (nicht Singer, wie es irrthümlich in dem Parlamentsberichte des Morgenblattes heißt) niedergelrgten, mit blutrotben Rosen geschmückter Lorbeerkranz. Und kaum war daS Haus, daS die zweite Lesung der Militairstrafproceßordnung fortsetzen sollte, in die Weiterberathung des 8 172 (Sonder stellung der Officiere hinsichtlich der vorläufigen Festnahme) cingetreten, so brach der Abg. Bebel die Gelegenheit zu einer Verherrlichung des Revolutionsjahres vom Zaune und er reichte eS, daß der größte Tbeil der Debatte zu einer leiden schaftlichen Erörterung der Berliner Vorgänge vom 18. März 1848 sich gestaltete und Scenen sich abfpielten, wie sie der Reichstag lange nicht gesehen hat. Die Absicht Bebel'S, auf die Massen, außerhalb des Reichstags fanatisirend zu wirken, wurde gefördert durch einen „historischen" Excurs des Abg. Munckel, der nichts Geringeres behauptete, als daß den Barrikadenkämpfern vom März 1848 die preußische Verfassung und das deutsche Reich zu danken sei, was Herr Bebel monumentaler dahin faßte, das Reichstagsgebäude sei ein Denkmal der Märzrevolution, und wenn diese ihr Ziel erreicht hätte, würde es des Jahres 1870 nicht erst bedurft haben. Die Entgegnungen der Abgg. v. Putt kämer und v. Stumm und besonders die Behauptung des Ersteren, 1848 sei das preußische Volk von „ausländischem Gesindel" zur Revolution verführt worden, gaben dann dem socialdemokratischen Redner willkommene Gelegenheit zu den maßlosesten Jnvecliven, die ihm von den folgenden Rednern dasZeugniß eintrugen, daß ein solches Maß von Fanatismus und Gehässigkeit im deutschen Parlamente noch nicht erlebt worden sei, wie es hier der Führer der angeblich auf „friedliche" Umwälzung gerichteten socialdemokratischen Partei in wilder Verherrlichung der Revolution über das Königthum in der Person Friedrich Wilhelm's IV., über das Heer und daS „Junkerthum" aus schüttete. Dieser rednerische Exceß, der das bewunderns- werth geduldige Präsidium zu mehrmaligem Einschreiten nöthigte, legte, wie der Abgeordnete v. Putt- kamer treffend bemerkte, das wahre Wesen der Social demokratie in dankenswerthester Weise einmal für jedes Auge bloß; denn so fanatisch kann die Revolution nur verherrlichen, wer, sobald er die Kraft dazu zu haben glaubt, die Revolution anzufacben beabsichtigt. Das war daS Er- gebniß dieser socialdemokratischen Action, und wenn Herr Bebel wiederholt versicherte, er könne mit dem Gange der DiS- cussion zufrieden sein, so wird die Befriedigung bei Denen, welche wünschen, daß daS Volk sich über die Ziele der Herren nicht täuschen lasse, jedenfalls nicht geringer sein. ES half dem Propheten des großen Kladderadatsch auch nichts, daß er nachträglich diesen Eindruck zu verwischen suchte, indem er die Revolution als eine Sache des „bürgerlichen" Liberalismus hinstellte. Herr von Bennigsen, der von ihm dazu herausgefordert wurde, beleuchtete die ganze Frage in der großen Art, die diesem Politiker eigen ist. Er vollendete die Niederlage dieses haßerfüllten Vorstoßes der Feinde deS monarchischen Staats. — Die zur Debatte stehende Frage wurde, weil auch hier das Eentrum an der Commissionsvorlage festhielt, zu Gunsten dieser entschieden. Ebenso blieben in den folgenden streitigen Puncten bis zum tz 232, wo die Berathung abgebrochen wurde, die Beschlüsse der Commission aufrecht erhalten. Gestern Abend ist die CentrumSfraction deS Reichs tags zur Berathung über die Flottcnvorläge zusammen getreten. Die „Germ.", die einen Widerstand des linken Flügels gegen die Zustimmung zur Vorlage befürchtet, wendet noch einmal einen zwei Spalten langen Artikel daran, um der Fraktion die etatsrechtliche Bindung beim Flottengesetz so annehmbar wie möglich erscheinen zu lassen. DaS CentrumSblatt erklärt hierbei freilich selbst: „Die jährliche Bewilligung des Budgets in seinen einzelnen Positionen erscheint uns Deutschen so sehr als ein verfassungs mäßiges uneingeschränktes Recht des Reichstags, daß es schwer hält, eine Bindung auf eine Reihe von Jahren uns anders als eine Beeinträchtigung, wenn nicht gar als eine Verletzung der Verfassung vorzustellen." Die „Germ." sucht jedoch den widerstrebenden CentrumS- mitgliedern klar zu machen, daß die Flottenvorlage eine Aus nahme von der Regel bilde. Die „Köln. VolkSztg." be merkt zu den Berathungen der CentrumSfraction über die Flottenvorlage, daß ein großer Theil des Centrums für daS Gesetz stimmen werde. Ein Zerwürsniß im Centrum brauche deSbalb nicht zu entstehen, es bestehe im Centrum kein Fraktionszwang; auch beim Flottengesetz habe jeder das Recht, zu stimmen, wie er es für richtig halte. Im Stillen freilich wird das Blatt nicht ohne Sorge wegen einer Spaltung sein, zu der es selbst durch seine anfängliche Opposition gegen die Vorlage den ersten Anstoß gegeben hat. Die friedliche Culturarbeit, welche die deutschen Marine mannschaften seit der Besitznahme von Kiaotschau mit unermüdlichem Fleiß in freudiger Pflichterfüllung an dem unseren Interessen erschlossenen Theile der ostasiatischen Küste verrichten, ist abermals durch einen blutigen Zwischen fall unterbrochen worden, bei dem aber Dank der Geistes gegenwart der bei der Affaire betheiligten deutschen Soldaten glücklicher Weise auf deutscher Seite Niemanv verletzt worden ist. Der inKiaotschau befindliche Berichterstatter deS „Berl. Loc.-A.", Hauptmann a. D. Dannhauer telegraphirt darüber unterm 18. März aus Tsintausort: Der Unterofficier Lehmann hatte mit zwei Seesoldaien Len Abbruch der von den Besatzungsmannschaften bald nach ihrer Landung erbauten Telephonlinie zu besorgen. Als er nun in dem Dorfe Konfhuntino den bei den Abbruchsarbeiten beschäftigt gewesenen Kulis ihren Lohn auszahlen wollte, mußte er zu diesem Zwecke acht Dollarstücke in kleineres Geld umwechseln lassen. Hierbei bemerkten der Wechsler und die ihn umringenden Chinesen, daß Lehmann noch eine größere Summe in seinem Besitz hatte. Dies erregte ihre Begehrlichkeit. Sie folgten den Soldaten, als diese einer anderen Arbeiter» colonne nachmarfchirten, in einiger Entfernung, verhielten sich indeß so ruhig, daß die Verfolgten nicht den geringsten Verdacht schöpften. Plötzlich aber stürzten sie sich gleichzeitig von hinten aus die Sol daten, ergriffe» ihre Gewehre und versuchten, die Ueberfallenrn niederzuwcrsen, in der Absicht, sie ihrer Baarschaft zu berauben. Zum Glück gelang es dem Unterofficier Lehmann, sein Seiten gewehr zu ziehen. Er versetzte damit einem der Angreifer einen Hieb über den Kops, gleichzeitig feuerte der See» soldat Schilling, der zur Erde geworfen war und sein Ge- »Lehr mit aller Gewalt vertheidigte, im heftigsten Ringe» und ohne anzujchlagen einen Schuß ab, durch den ein Chinese tödtlich verwundet wurde. Nun war es mit dem „Muth" der übrigen Angreifer vorbei; iu wilder Flucht jagten sie davon. Die frei gewordenen Soldaten wollten ihnen in begreiflicher Erregung sofort ein paar Schüsse nachsenden, doch Unterofficier Lehmann verbot es ihnen, und so gelang cs den Räubern, einstweilen unbehelligt zu entkommen. Die deutschen Soldaten sind völlig unverletzt. Nach diesem aufregenden Zwischenfall wurden die Ab» bruchsarbeiten ungestört fortgesührt und beendet. Nach erstatteter Meldung an den Gouverneur Truppe! leitete dieser sofort eine Untersuchung ein. An Gesindel schlimmster Sorte fehlt es also auch in China nicht. Der Vorgang hat sich auf deutschem Gebiet abgespielt, und wir gehen wohl nicht mit der Annahme fehl, daß den Chinesen in sehr exemplarischer Weise zum Bewußt sein gebracht werden wird, daß wenigstens innerhalb unserer Grenzen es für Verbrechen keinen Pardon giebt. Die chinesische Rechtspflege liegt ja entsetzlich im Argen, und wer gut zahlen kann, ist vor Strafe ziemlich sicher. Daß dies keine deutsche Gepflogenheit ist, dürfte den Herren Zopf trägern sehr bald klar werden. Es verlautet bekanntlich, daß bald nach der Wiedereröffnung des österreichischen ReichSratheS der Ministerpräsident Gras Thun die Erklärung abgeben werde, das? die Regierung bereit sei, die Sprackenverordnung durch eim Sprachengesetz zu ersetzen. Wie wird dieses Gesetz beschaffen sei» müssen, um dem wohlverstandenen Jnterrsse deS österreichische» Staates zu entsprechen? Ist der Anspruch der Slawen auf die Gleichberechtigung der verschiedenen Sprachen begründet? Oder empfiehlt sich im Staatsinteresse die Bevorzugung einer Sprache, und zwar der deutschen? Zur Beantwortung dieser Frage sei eS gestattet, die Erinnerung an ein Ereigmß auf zufrischen, daS in wenigen Monaten sein 50jährigeS Jubiläum feiern wird. Im Juni 1848 traten die österreichischen Slawen auf Anregung der Tschechen in Prag zusammen, um über die Zurückdrängung deS deutschen Elemeuts zu berathen und einen Zusammenschluß deS slawischen Clementes anzubabnen. Bald nach dem Zusammentritt deS Cmigrcsses stellte sich die wahre babylonische Verwirrung heraus. Die Herren Slowenen, Tschechen, Polen, Ruthenen rc. hielten die schönsten Reden, aber unglücklicherweise verstand Keiner den Anderen, und so mußten sie sich denn dahin einigen, den Congreß in deutscher Sprache abzuhalten, um sich darüber klar zn werden, wie man die Deutschen am besten bekämpfen könnte. Das klingt wie eine Ironie, aber es ist eine Thatsachc, und wenn heute wieder ein derartiger Congreß zusammen berufen würde, so würde den Herren wiederum nichts Anderes übrig bleiben, als in deutscher Sprache zu verhandeln. Es ist das in Oesterreich nicht anders wie in Ungarn, wo vor einigen Wochen der Kriegsminister der Anzapfung einiger magyarischer Chauvinisten gegenüber unter großer Heiterkeit des Hauses erklärte, er sei ja gern bereit, statt der deutsche» HeereSsprache die französische einzuführen, wenn man glaubte, daß die Officiere und vie Soldaten dabei besser führen. So ist auch in Oesterreich die Kenntniß der deutschen Sprache für jeden Staatsbürger unerläßlich, sowohl wegen seiner Beziehungen zum Staate, z. B. in Bezug auf den Heeresdienst, wie in seinem eigensten privaten Interesse. In Oesterreich (Cisleithanien) sprechen eben 8»/» Millionen Menschen einheitlich ein und dieselbe Sprache, die deutsche. Und wenu dein gegenüber 14 Millionen Menschen slawische Sprachen reden, so vertheileu /sch diese eben auf 5 verschiedene Idiome. Ein Eprachengesetz wird daher die berechtigten Interessen der nichtdeutschen Natio nalitäten wohl berücksichtigen können, und dennoch den Unter schied zu Gunsten der Deutschen machen müssen, daß die Deutsche» in den reindeutschen LandeStheilen (dazu gehören natürlich auch die reindeutschen Grenzgebiete in Böhmen, Mähren, Krain u. s. w.) von der Nothwendigkeit, die tschechische oder eine slawische Sprache zu erlernen, verschont bleiben muffe.., während in den slawischen LandeStheilen die Erlernung der deutschen Sprache obligatorisch wird sein müssen. Ebenso wird man von den deutschen Beamten in den reindeutschcii Theilen nicht zu verlangen haben, daß sie eine der slawischen Sprachen beherrschen, Wohl aber von den slawischen Beamten, daß sie der deutschen Sprache mächtig sind. Diese im Interesse des Staates erforderliche Bedingung wird freilich eine Einigung zwischen den Parteien nicht gerade erleichtern. An der Berliner Börse traf, wie gemeldet, am Freitag einTelc- gramm ein, nach welchem für den nächsten Montag eine scharfe Erklärung des amerikanischen Präsidenten bezüglich der Cubafragc zu erwarten sei. Nickt viel vertrauen erweckender klingt eine Meldung des „Daily Chronical", die im Vordersätze freilich besagt, daß die Lage sich bessere, aber den Nachsatz enthält, daß Amerika unter allen Umständen die Feuilleton. Durch eigene Lrast. 29) Roman von Alexander Römer. Nachdruck verboka. Ihr Benehmen, ihre Erscheinung waren auffallend, mit einem starken Stich ins Abenteuernde, aber das kümmert« sie nicht. Der häufiger auftauchende Detter, von dessen verheirathetem Stande nichts verlautete, galt für ihren vielleicht bevorzugtesten Galan, sie nährte die Auffassung und lachte. Sie lachte über die Eifersucht des Italieners, den sie geflissentlich glauben ließ, Felix steh: ihr sehr nahe, während sie zu anderen Zeiten, um ihn zu besänftigen, ihm wieder allKlei Gunst erwies und ihn zu Hoffnungen berechtigte. Baronin Cäcilie merkte gar nichts von diesem Treiben. Felix fand, daß die Mama geistig sehr abnehme. Ihm war cs nicht möglich, nur eine Viertelstunde allein bei ihr auszuhalten. Die italienischen Damen, deren Sinn allein von Kleidern und Brillanten erfüllt war, paßten am besten zu ihr. Es war ein wundervoller Abend; Emily und Felix saßen auf der Terrasse des Hotels, welch« die Aussicht auf das Meer hatte. Dor einer halben Stunde waren sie von Monte Carlo zurück gekommen. Felix hatte heute eine beträchtliche Summ« verloren und war tief verstimmt. Der Conte Malatesta war auch dort gewesen, hatte den Platz hinter Emily beharrlich beschlagnahmt, sich ostentativ feindselig gegen Felix gezeigt, und Emily hatte ihn nicht wie sonst in seine Schranken zurückgewiesen. Sie saß auch jetzt, sich graziös in ihrem Schaukclstuhle wiegend, in ihrem Hellen Gewände, mit den dunkelrothen Rosen in ihrem Schooße spielend, sehr gleichmüthig da, schaute aufs Meer hinaus und summte halblaut eine bekannte Melodie. „Bist Du etwa eifersüchtig, Felix?" fragte sie plötzlich, während sie ihn spöttisch fixirte. „Das wäre wirklich komisch." Felix schleuderte seine halb ausgerauchtr, kalt geworden« Cigarre mit ärgerlicher Bewegung über die Brüstung und ließ nur einen unartikulirten Laut hören. Es lvar eine eigenthümliche Erscheinung in ihrem Berhältniß, daß zwischen ihnen nie seiner Frau Erwähnung geschah. Die Mama vermied ja in herausfordernder Weise jede Anspielung auf die Thatsache seiner Verheirathung und Emily ahmte ihr nach. '' In ihm regten sich heut« Gewissensbisse. Er sah Ottiliens ernstes Gesicht vor sich, als er Abschied nahm. Sie wußte genau, was es bedeutete, wenn er nach Nizza ging; es war nicht dir Pietät und das Pflichtgefühl für di« Mutter, die ihn dahin trieben, es war Dcrrath an ihr. Und in dieser Stunde erstand nach all dem Taumel der letzten Tage das Bild der Heimath, seiner Häuslichkeit vor ihm — der .Papa, Ottilie, das Kind. Ja, wer dafür geschaffen war, solch stilles Glück zu genießen — er war nicht dafür geschaffen. Hätte ihm ein« Gefährtin wie diese Emily getaugt mit ihrem auf reizenden Temperament? Er beobachtete sie, wie sie da vor ihm saß, mit dem eigen- thümlichen, perlmutterfarbenen Teint, dem glänzend schwarzen Haar und den Augen, in denen dir versteckte Gluth loderte. Der goldene Pfeil, der den schweren Haarknoten hielt, blitzte in der Abendsonne, der kleine, schöngeformte Fuß, in eleganten Leder stiefeletten steckend, klopfte unruhig den Steinboden der Terrasse. Eine blauschillernde Eidechse, vom letzten Sonnenstrahl angelockt, huschte ihr darüber hin, sie machte eine scheuchende Bewegung, auf ihrer weißen Stirn irrten spielende Lichter. „Hast Du eigentlich die Absicht, den Italiener zu heirathen?" fragte er unvermittelt. Sie fuhr wie aus tiefen Gedanken empor und ein stechender Blick traf ihn. „Heirathen", wiederholte sie, „langweiliges Wort. Wenn Du noch fragtest, ob ich ihn liebe. Aber freilich. Du bist seit Jahr und Tag Philister, armer Felix, wir sprachen noch nie von Deiner Frau — wie gefällt Dir denn auf die Dauer Dein Püppchen? Kocht sie Dir Wassersuppen und braut sie Dir schwachen Punsch? Jedenfalls nicht stärker, als daß Du hübsch bei Sinnen bleibst und nicht über daS eng gezogene Fädchen hinausspazierst. O, ich habe das wohl verstanden, warum Du nie von ihr gesprochen hast." Sein Blut fing gelind au zu kochen, aber er beherrschte sich noch. „So, ei, das wär« allerdings viel Sachkenntmß, wenn Du den Grund errathen hättest", entgegnet« er in aufreizender Ge lassenheit. Tie warf den Kopf empor. „Willst Du mir etwa vorheucheln, daß Du glücklich bist? Pah! Ich bin frei »ewordon, Du nicht. Versuche eS doch, Dich zu lösen auS meinem Bann, hahaha!" Sie war aufgesprungen und stand herausfordernd vor ihm, in all ihrer üppigen, dämonischen Schönheit. Er haßte sich selbst in diesem Moment, aber seine Augen hingen an ihr. Bor seinem Hirn tanzten Lichter. „Trufolin!" kam es zwischen seinen Zähnen hervor. „Ja, Teufelin!" lachte sie, „sie sind interessanter, als die Engel, das ist das Unglück. Deine sanfte Madonna, mit ihren kleinen, matten Künsten, wie langweilt sie Dich! Wie zahm, Ivie kalt machte sie Dein Blut! Meinst Du, daß ich es nicht gesehen habe, wie Du hier erst wieder anfingst zu leben, wie jede Ader in Dir eingetrocknet war und Deine Kinnbacken vom Gähnen verzerrt? Du hattest noch kaum so viel Muth, Deine Kamillen- blüthe da oben zu verlassen, um hier —" Felix, der wirklich wie unter einem Bann dageseffen, fuhr wie gestachelt empor. Seine Augen sprühten, er war aus seiner Apathie wach gerüttelt. Unwillkürlich trat Emily einen Schritt zurück. Sie erinnerte sich nicht, ihn je so gesehen zu haben. — „Halt!" kam es mühsam und heiser aus seiner Kehle, „wagst Du Dich an sie, di« Reine! Hast Du die Stirn, Dich in einem Äthern zu nennen mit ihr — hüte Dich! sage ich Dir. Wenn ich es duldete, daß man meines Weibes hier nicht erwähnte, wenn auch ich ihren Namen nicht nannte, so geschah es, weil ich ihn nicht entweihen wollte, weil er nicht paßt« in die Welt, in der Du lebst, die Dein Element ist. Ich sage Dir noch einmal, hüte Dich, sic und Dich zu vergleichen." Emily war todtenbleich geworden, ihre Augen traten fast aus ihren Höhlen. „Unseliger!" knirschte sie, aber er wandte ihr schon den Rücken und trat befreit aufathmend in das Haus. Einmal hatte er den Sieg erfochten, die Verhöhnung seines Weibes, der Mutter seines Kindes, hotte seine schlaffe Natur aufgewühlt und ihm die Waffen in die Hand gedrückt. Dennoch blieb es dumpf in seiner Seele. Ottiliens Bild war ihm unter der Wucht dieses Spottes emporgewachsen, es Ivar eine echte Empfindung, die ihn antrieb, sie und Emily zu scheiden, wie Himmel und Hölle, aber in seinem Herzen blieb es kalt und leer. War er innerlich verbunden mit seinem Weibe, so fest und unlöslich, daß keine Teufelin mehr Macht über ihn hatte? Liebte Ottilie ihn? Nein — rief eine innere Stimme ihm zu, ihre Kühle von Anfang an war nicht Beherrschung, nicht Berechnung, sie war der wahr« Ausdruck ihrer Empfindungen für ihn. Sie hatten sich nicht zusarnmengelebt. Ottilie liebte ihr Kind und that ihre Pflicht, aber war es nicht oft etwas wie Geringschätzung, ivas er in ihren Blicken las, auch jetzt bei seinem letzten Scheiben von ihr? Auch ihre und sein« Welt trennten sich — er schwebte, ein Ruheloser, Unseliger, zwischen Himmel und Erde. Emily stand mit wankenden Knien an der Brüstung des AltanS. Er hatte sie beschimpft, gedemüthigt — sie starrte mit irren, lodernden Augen vor sich hinaus und sah doch nichts von der schönen Welt draußen. Ihr ganzer Körper zitterte, und die Gedanken tobten in ihrem Hirn. Hatte sie sich denn so weit getäuscht, liebte er seine Frau.' Aber wie kam er dann hierher? Abgerissene, unzusammenhängende Bilder rollten in wilder Jagd an ihr vorüber. Ihre früheste Jugend, als sie reines Herzens war, als die nächste Verwandte sie im Stich ließ, sie anwirs, für sich selbst zu sorgen, da ging sie nach Ungarn — lustige Bilder — hei, hopsa! Ein wilder Tanz — dann jener Abend, als sie Claus suchte — in Todes angst, in Gewissensnot!) — und als sie, die jetzt Felix' Weib war, da einsam bei der Lampe saß, mit dem unschuldigen Blick in den weltfremden Augen, die scheue Taube, die sich duckt vor dem Sturm. Und dann kam das wechselnde Spiel, der Kampf auf Tod und Leben mit ihm. All ihre Kraft, all ihr Herzblut ward ihm geopfert, er ward der Angel- und Mittelpunct ihres Lebens. Und er gehörte ihr, sie genossen selige Stunden, sic allein verstand seine Natur und meisterte sie. Und doch, dieser passive, hartnäckige Widerstand bei ihm gegen das feste Band vor der Welt! Tie hatte eS so richtig zu deuten gemeint und hatte es doch nicht richtig gedeutet. Er spannte sich in das Joch der Ehe mit einer ganz Uncbenbürtigen, und jetzt sollte sie glauben, daß er diese wirtlich liebte. Ha, ein grimmiger Hatz auf Den, der sie verrathen, beschimpft, erniedrigt, der, was das Schlimmste war, ihr diese unlöschbare Gluth erzeugt hatte, an der sie sich verzehrte, iiberfluthete jede andere Regung in ihr. Warf er ihr ihr Leben vor? Durch ibn war es so geworden, und ihr öebcn, wie sie cs führte, war ihr Recht. Man hatte sie in den Kampf gestellt, schutzlos — sie brauchte die Waffen, welche die Natur ihr gegeben hatte. Lange stand sie da, starr, finster, furchtbare Gedanken in ihrer Seele. Ihre Züge verzerrten sich. Wenn sie es auch richtig würdigte, dieses erbärmliche Aufflackern eines momentanen Zornes, mit dem er sich an eine philisterhafte Rechtschaffenheit klammern wollte, die Würfel waren gefallen. Ihre Augen, die in jeder Farbe spielen konnten, schillerten jetzt ins Grünliche, wie die einer Schlange, sic ballte die Hände, in ihren Zügen lag eine ivild« Entschlossenheit. „Du sollst nicht zuruck zu Deiner Heiligen", sagte sie mit einem leisen, unheimlichen Lachen vor sich hin. Mit raschem, festem Schritt trat sic in den Salon und von dort in ihr Zimmer, um Toilette zu dem Maskenball« zu machen, dem letzten im Carneval, den ein reicher Amerikaner veranstaltete. Felix saß unterdessen bei seiner Mutter. Er wollte es ver suchen, bei ihren eintönigen Gesprächen, die meistens in Klagen auSklangen, ruhig zu werden. Die Scene mit Emily hatte
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