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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.09.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980919012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898091901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898091901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-19
- Monat1898-09
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Die Morgen-Au-gabe erscheint »m '/.7 Uhr, di« Abrnd-Au-gabe Wochentag- um b Uhr. Ne-artton und Erve-itio«: JahanneSgaffe 8. Dir Expedition ist Wochentag- ununterbrochen Geöffnet von früh 8 bi- Abends 7 Uhr. Filialen: Ott» Klemm'» Sortim. (Alfred Hah»), Universitütssiraße 3 (Paulinu»"), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, part. «ad IkSnig-platz 7. BezugSPrei? di der Hauptexpedttiou oder den t« Gtaidd» bezirk und den Vororten errichteten Aus» oavestellen abgeholt: vierteljährlich ^4.bO, ort zweimaliger täglicher Zustellang MS Laus LLO. Durch di» Post bezogen für Deuischland und Oesterreich: viertehSbrlich 6.—. Direkte tägliche Krenzbandsrnduug iuS Ausland: monatlich 7LO. Morgen-AusgaVe. rlpMr TaMalt Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig des NatHes nnd Nalizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. 475. Montag den 19. September 1898. Sln-Or-ON-Prs«F die -gespaltene Petitzeile X) Arclumru unter dem dddaettmisftrich (4a» spalten) üO>4, vor dea Kamilieunachrtch« (kgrspaltra) 40 Gröber» Schrift«» laut unser»» PreiS- ve^richntß. Tabellarischer uud Ztffrrosotz »och höhere» Tarif. Gxtra-Veilagen (gesalzt), ,,r »Ü do» Morgen-Ausoab«, ohne Postbeförderna, ^4 vö.—, »tt Postbesörderuug 7V.—. AnnahMschluß str Änzeize«: «bend.Ansgab»: vormittag« IO Uhr. «orge »-Ausgabe: «uchmiNug« 4 Uhr. Lei den Filialen und Aunahmesteven je eia» halb« Stunde früher. Antetge» Pud stet» au tzs« Gtzdeditts» t» richte». Druck »»d Verlag v», «. Pol» t» Leipzi» 92. Jahrgang. Die sächsischen Truppen in Rußland. (1812/13.) Nachdruck verboten. (Schluß.) Die Brigade von Thielmann schied am 10. April aus dem Verbände des 7. Armeecorps aus, um in den Verband des 4. Reseroe-Cavallerie-Corps überzutreten. Dieselbe hatte eine Stärke von 73 Officieren, 1256 Mann, 1210 Pferden, außer dem schied noch aus die Batterie von Hiller mit 4 Officieren, 171 Mann und 221 Pferden. Schon vom 13. April ab stellten sich Schwierigkeiten bezüglich der Verpflegung heraus, man war ge zwungen, das noch auf dem Halme stehende Getreide als Pferde futter zu verwenden. Den 19. Juni überschritt die Brigade den Bug, von diesem Tage ab kam die Brigade niemals wieder in Quartiere, sondern mußte unausgesetzte biwakiren. Den 5. Sep tember stieß die Brigade zur Hauptarmee, um mit dieser den Hauptstoß gegen die russische Armee am 7. September an der Moskwa zu führen. In russischen Berichten wird die Schlacht an der Moskwa als „Schlacht bei Borodino" bezeichnet. In dieser grausigen Schlacht vereinten sich auf dem Raume von einer Quadratmeile 120 000 Russen, 130 000 Franzosen und 1200 Geschütze. Der Tag von Borodino war für die Brigade von Thielmann ein Tag, an dem sie sich mit unvergänglichem Ruhme bedeckte. Schon seit zwei Tagen war an Mann und Pferd keine Verpflegung verabfolgt worden, der Mangel war groß, da traf noch rechtzeitig Lieutenant von Klengel ein, der eine erfolgreiche Requisition unternommen hatte. Am 6. traf der Befehl ein, daß die Brigade von fürh 4 Uhr ab aufgesessen der Anweisung zum Vorrücken in die Schlachtlinie gewärtig und die Officiere hierbei parademäßig gekleidet sein sollten. Vor Beginn des Kampfes ward nachstehende Proclamation Napoleon's verlesen: Soldaten! Endlich stehen wir vor der heiß ersehnten Schlacht. Der Sieg hängt von Euch ab, er wird Euch Ueberfluß, gute Winter- ouartiere und baldige Rückkehr in das Vaterland bringen. Zeigt Euch gleich den Soldaten von Austerlitz und Friedland, und wenn Ihr zurllckgekehrt seid, wird man sagen: „Hier ist einer der Tapferen aus der großen Schlacht unter den Mauern Moskaus." Gegen zehn Uhr traf der Befehl zum Dorrücken auf das Dorf Semenowskoje ein. „Das Dorf stand in Flammen; über Haufen von Leichen, auf glimmendem Getreide und durch stehengeblicbene Geschütze und Wagen arbeiteten sich die Regimenter, oft abbrechend und wieder aufmarschirend, durch, um endlich auf den südlichen Hang der Höhe zu kommen." Von dem furchtbaren Kampf um das Dorf Semenowskoje berichtet der Oberst von Leyßer: „Der Feind ließ uns mit vieler Zuversicht auf 40—50 Schritte heran und gab dann eine Salve, — allein die Pferde waren im Laufen, die Sporen scharf, der Wille eisern und Ehre und Ruhm erwarteten uns in der Schlacht linie der Ruffen. Wir drangen unaufhaltsam ein und warfen Alles vor uns nieder. Selbst in dem gräßlichsten Gewühl schoß noch jeder einzelne Infanterist, und erst als sie niedergehauen waren, hörte das feindliche Feuer auf. Eine feindliche Batterie wurde auch noch genommen und das Geschütz zurückgebracht. Der Boden war mit Feinden bedeckt, denn kein Pardon war weder gegeben noch gefordert worden." Bei dem ungeheuerlichen Kampfe war die Brigade außer Ordnung gerathen, während d«S Sammelns rückte ein russische- Dragonerregiment zum Angriff, doch auch dieses ward von den tapferen sächsischen Reitern geworfen. In einer Senkung des Geländes suchte die Brigade Schutz vor dem überwältigenden russischen Geschütz feuer, da bemerkte Oberst v. Leyßer, der mit einigen Officieren und wenigen Reitern seinem Regiment weit voranritt, in ge ringer Entfernung einen höheren russischen Officier mit seinem Stabe. Sofort ritten sie gegen diese an und entfernten sich dadurch immer weiter von ihrem Regimente. Plötzlich aber tauchten vor den kühnen Reitern eine größere Zahl russischer Kürassiere auf, der Oberst suchte das freie Feld wieder zu ge winnen, ward aber von den feindlichen Reitern umringt, schwer verwundet und gefangen genommen. Oberst v. Leyßer ward nach Saratow gebracht, unter der menschenfreundlichen Pflege eines alten russischen Kürassier- genas er wieder von seinen schweren Wunden. Um 2 Uhr erhielt die Brigade von Thielmann den Befehl, an der Eroberung der Rajewski-Schanze mit zuwirken. Vergeblich war dieselbe bisher gestürmt worden, immer ward der Angriff abgeschlagen. Die Schanze bildete den Hauptstützpunct der russischen Stellung, daher war Napoleon sehr viel daran gelegen, sie so rasch als möglich in Besitz zu nehmen. In schnellster Gangart ritten die sächsischen Regimenter gegen die Verschanzung an, zuerst gelang es dem rechten Flügel der Garde du Corps unter der Führung des kühnen Brigade- Adjutanten von Minkwitz, in das Innere einzudringen. Die tapferen Vertheidiger wurden theils niedergehauen, theils flohen sie. Eine kleine Abtheilung der Zastrow-Kürassiere unter dem Rittmeister Senfft von Pilsach sammelte sich in der Schanze, die erneut von den Ruffen bestürmt ward. General von Thiel mann sammelte rasch einige Escadrons um sich und warf sich den Anstürmenden entgegen, da die wenigen Zastrow-Kürassiere sie nicht hätten halten können. Mit Unterstützung eines fran zösischen Infanterieregiment- gelang eS endlich, die wichtige Stellung zu behaupten. Den Ruhm, die Schanze erobert zu haben, gönnte Napoleon den kühnen, tapferen sächsischen Reitern nicht, obwohl Berthier, der den Kampf durch daS Fernglas beobachtete, dem Kaiser meldete: „Die Redoute ist genommen, die sächsischen Kürassiere sind darin." Dies wollte der Kaiser nicht Wort haben, in seinen Berichten hat er es auch nicht zu gestanden. Von russischer Seite wird jedoch berichtet: „Die sächsischen Garde du CorpS drangen in die Schanze." Napoleon erkannte die heldenhaften Leistungen der Brigade von Thielmann nicht an, er hatte für diese Helden kein Wort der Anerkennung und des Dankes, in seinem 26. Bulletin erwähnte er nur kurz, daß die Kavallerie Murat'S die große Schanze genommen habe. Für die ausgezeichneten Leistungen erhielten 18 Officiere das Ritterkreuz des St.-Heinrichs-Ordens, 9 Unterofficiere und ein Kürassier die goldene Medaille, 25 Unterofficiere und Mann schaften die silberne Medaille. Premierlieutenant von Minkwitz ward, weil er der Erste in der Schanze war, außer der Reihe zum Rittmeister befördert; General von Thielmann erhielt daS Commandeurkreuz des St.-Heinrichs-Ordens und ward in den erblichen Freiherrnstand erhoben. Der Verlust der Brigade von Thielmann stellte sich in diesem Kampfe auf 37 Officiere, 445 Mann und 492 Pferde. Am 9. September folgte die sächsische Kavallerie den ab gehenden Russen nach Moskau, wegen der großen Ermattung brauchte man sechs Tage, um die Stadt zu erreichen. Die Stadt war wie ausgestorben, daher bereitete die Verpflegung Sie größten Schwierigkeiten. Das Cavalleriecorps Latour-Mau- bourg, zu dem auch die sächsische Kavallerie gehörte, erhielt Befehl zur Beobachtung und Verfolgung der abziehenden russischen Armee, da aber täglich die Verpflegung schwieriger ward, entschloß Napoleon sich zum Rückzug. Murat ward angewiesen, denselben zu decken, am 18. October ward er bei Tarutino plötzlich überfallen, hierbei verlor die Brigade Thiel mann von ihren 180 diensttauglichen Pferden 60 und die ge- sammte Equipage. Durch die Umsicht und Pflichttreue eines Wachtmeisters und eines Trabanten wurden die silbernen Trom peten der Garde du Corps und drei Standarten gerettet. Ueber diese That berichtet General von Thielmann dem König: „Am 18. verloren wir auch unsere Wagen. Auf einem der Garde du Corps befanden sich drei Standarten. Der als Escorte dabei befindliche Trabant Jonas wurde von den Kosaken gemiß- handelt und ausgezogen; er stellte sich todt und warf sich in einen Graben. Die Kosaken verweilten sich unterdessen mit Aufschlagen der Regimentscaffe, die noch einige Hundert Thalcr in Gold enthielt, und ließen die Standarten im Stiche. Jonas spannte geschwind ein Wagenpferd aus, ergriff die Standarten und einige silberne Trompeten und brachte sie noch während des Gefechtes zum Regimente. Ich ernannte ihn auf der Stelle zum Standartenjunker und bitte um Verleihung der goldenen Medaille für ihn." Auf dem weiteren Rückmärsche erreichte am 30. October die Brigade von Thielmann die große Heerstraße von Smolensk nach Moskau; Smolensk ward am 10. November erreicht, die Brigade löste sich immer mehr auf, die wenigen noch berittenen Mannschaften mußten ihre Pferde an oie berittene Batterie von Hiller abgeben, da dieser erklärt hatte, er müsse sonst die Geschütze stehen lassen. Ueber den Abschied der Reiter von ihren Werden berichtet ein Augenzeuge: „Betrübend war die Trennung der Soldaten von ihren Pferden. Aber Ehre dem Geiste, der diese braven Leute beseelte. Es bedurfte nur der Erinnerung, daß diese Geschütze von dem König der Brigade an oertraut wären, und sie schieden — mit nassen Augen, aber ohne ein Wort zu verlieren — von ihren Pferden." Am 2. November ward die Batterie zum letzten Male gesehen, die Art und Weise ihres Unterganges ist niemals gelichtet worden. Ihrer gedenkt auch General Roth von Schreckenstein, er berichtet: „Die Ar tilleristen schleppten bei dem Rückzüge mit einer bewunderungs würdigen Ausdauer und übermenschlicher Anstrengung ihre Ka nonen bjs in die Umgegend von Krasnoi nach. Sämmtliche Mannschaften waren jetzt zu Fuß und halfen den sehr ermatteten Pferden, von denen nur noch je zwei vor jede Kanone gespannt waren. Die Batterie blieb natürlich stets zurück und erreichte nur unter unsäglichen Anstrengungen die Ueberreste der Brigade am späten Abend oder in der Nacht. Ich wurde eines Tages zurückgeschickt, um mich nach der Artillerie zu erkundigen, er innere mich aber nur, daß ich die Batterie in dem besagten Zu stande auf dem Marsche antraf, und glaubte es mit angehört zu haben, als kapitain von Hiller am folgenden Tage dem General von Thielmann die Meldung machte, daß er sich genöthigt gesehen habe, die Rettungsversuche aufzugeben, wobei er noch besonders hervorhob, daß die Ruffen die Kanonen nicht so leicht auffinden würden, indem er dieselben nach Möglichkeit zerstört und sodann in eine tiefe, mit Schnee angefüllte Grube gestürzt habe." Die Feldacten heben ausdrücklich hervor, daß von der Batterie kein Officier oder Mann zurückgekehrt sei. Bei der äußerst mangelhaften Verpflegung löste sich die Brigade fast vollständig auf. DaS Fleisch von crepirten Pferden und Hunden bildete noch die einzige Nahrung. Von Napoleon kam der Befehl, daß die wenigen Mannschaften der Brigade von Thielmann Zurückbleiben sollten, um den Vor postendienst zu versehen. Hiergegen erhob er Einspruch. Die Kälte stieg bis 26 Grad, andauernde, heftige Schneegestöber stellten sich ein; das Fleisch der gefallenen Pferde bildete noch di einzige Nahrung. Mitte November erreichte Napoleon mit 40 000 Mann und 2000 Pferden Smolensk, die gesammte Ka vallerie der großen Armee war auf 500 felddienstfähige Officiere und Unterofficiere zusammengeschmolzen, sie ward vereinigt und dem Befehl des Generals Latour-Maubourg unterstellt. In Krasnoi erfolgte die Bildung der Legion Sacree, welch« als Leibwache Napoleon's Verwendung finden sollte; von Thielmann befehligte die 4. Compagnie derselben. Am 24. November er reichte Napoleon das rechte Ufer der Beresina; hier erhielt er «in: Verstärkung von 20—25 000 Mann durch das Eintreffen der Corps Victor und Oudinot, in denen sich auch die geringen Reste der sächsischen Infanterie-Regimenter von Low und von Rechten sowie die Prinz Johann Chevauxlegers befanden. Durch einen Angriff Oudinot's wurden die russischen Heerführer über die gewählte Stelle zum Uebergang über die Beresina getäuscht. Dieselbe war offen und das Eis trieb auf ihr. Mit dem Brückenschlag ward am 26. November um 8 Uhr Vor mittags begonnen, um 1 Uhr war die für die Kavallerie und In fanterie bestimmte Brücke fertig, um 4 Uhr die für das Fuhr werk, letztere brach bald zusammen und konnte nicht mehr benutzt werden. Die Beresina hatte eine Breite von 100 Schritt und eine Tiefe von 3ß bis 5 Fuß, die Ufer waren morastig und mit Gebüsch bestanden. Der Brückenbau war sehr erschwert, da es an geeignetem Material fehlte und Eisgang eingetreten war; doch nichts konnte die tapferen Pontoniers abschrecken, obgleich durch Entbehrungen entkräftet, arbeiteten sie ununterbrochen, bis an die Brust im Wasser stehend, um ihre Kameraden zu retten. Ueber den Zustand, in welchem die Truppen an der Beresina ankamen, berichtet ein Mitkämpfer: „Der größte Theil unserer Leute hat kein ganzes Kleidungsstück mehr auf dem Leibe, die Pferoe seit Tagen kein Futter, die Füße sind mit Pelzlappen umwunden. Bei Borissow erblickten wir die Retraitc der großen Armee, — ein schauderhafter Anblick, Alles wirr durcheinander, Infanterie ohne Armatur, Kavallerie ohne Pferde, fast gänzlich entblößt von Bekleidungsstücken, vor Hunger und Strapazen voll ständig entkräftet." Der Uebergang über die Beresina wird in den Erlebnissen des Generals von Thielmann folgendermaßen gc schildert: „An den Zugängen zur Brücke herrschte ein un beschreibliches Gedränge. In der Breite von einer halben Stunde vor den Brücken war das Armeefuhrwerk in dichten Reihen zusammengefahren und hinderte, fortgesetzt neuen Zu wachs erhaltend, das Vorwärtsdrängen der Flüchtigen, deren Leben und Rettung nur von der Ueberschreitung des Flusses ab hing. In diesen unentwirrbaren Menschenstrom fiel Vormittags 10 Uhr die erste feindliche Granate. Das grauenvolle Getöse erreichte nun den höchsten Grad. Während eine Granate zwei oder drei Menschen tödtete oder verwundete, wurden fünfzig andere erdrückt oder zertreten. Diejenigen, denen die Kräfte Fenrllstsit» Der Kranke. Heilere Künftlergeschtchte. Von Harry Nitsch. Nachdruck vcrdotni. Nizza, die Königin der Modebäder, stand im Höhepunkt der Saison. Glänzende Namen zierten die Listen der großen, fashionablen Hotels, der simple Bürgerliche fand in dieser internationalen Vereinigung des Adels, der Titel und der Geldbeutel kaum Be achtung, wenn ihm nicht ein Weltruf vorausging. Es war wenige Tage vor dem großen Blumencorso, den „dataiiles ckes tiours", und es wimmelte daher auf den eleganten Promenaden von Schönheiten weiblichen und männlichen Geschlechts, blos daß sich erstere Kategorie durch geschmackvollere, kleidsamere Ge wandung von den Vertretern der zweiten vortheilhaft abhob. Dies sand auch M., der berühmte deutsche Heldendarsteller und Hofschauspieler, welcher sich von den Strapazen einer amerika nischen Tourn4e im göttlichen Nizza rin wenig erholen wollte. Vielleicht wollte er auch einen Theil des reichlich geflossenen Dollarregens wieder in kleine, hübsch lithographirte Rechnungs formulare und Quittungsschemas mit den in Nizza üblichen mehrstelligen Ziffern umsetzen. Diese lassen sich ja auch diel leichter transportiren und haben noch den unschätzbaren Vorzug, späterhin den „theueren" Andenken zugezählt zu werden. Also M. gefiel es ganz großartig in Nizza, besonders freute er sich auf den Blumencorso, welcher bekanntlich den Höhepunkt der Nizzaer Saison bedeutet. Dem den Fenstern seine- wunder schön nach der Promenade gelegenen Salon- betrachtete er sich wohlgefällig das bunte, elegante, bewegte Bild, hin und wieder einer vorbeipromenirenden Schönen, welche dem bald bekannt ge wordenen berühmten Mimen schmachtende Blicke zuwars, «inen seiner berühmten, von sämmtlichen Backfischen der Residenz an gehimmelten Feuerblicke schenkend. Da wurde bescheidentlich an seine Thür geklopft. Auf sein „Herein" betrat der dlnitre ck'iwt«! den Salon. „Herr M.", begann derselbe nach höflicher Verbeugung mit einem Derleaenheitshusten, „ich bin gezwungen, Ihnen eine un angenehme Eröffnung zu machen!" „Mir? Dann legen Sie los!" Wieder ein verlegenes RäuSpern: „Wir müssen Ihre Zimmer leider anderweit vergeben, Herr M., der englische Colonel, welcher dieselben alljährlich be wohnt und sie auch fvr diese- Jahr wieder bestellt hat, trifft morgen ein, und " „Herr, sind Sie der Teufel»? Fällt mir gar nicht ein, Ihrem Beefsteak-Colonel meine herrlichen Zimmer abzutreten! Er mag auf den Boden ziehen und in einer Dachstube logtren, mir Alles gleich." „Sie vergessen aber, Herr M., daß wir Ihnen feiner Zeit die Zimmer nur unter der Bedingung eingeräumt haben, daß Sie dieselben mit anderen vertauschen, falls der englische Colonel doch noch kommen sollte — wir glaubten allerdings nicht, daß derselbe noch eintreffen würde." „Schon recht, Herr Director. Aber was wollen Sie mir alsdann für Zimmer anweisen?" Der Herr Direktor hustete verlegen: „Es ist mir recht fatal, Herr Hofschauspieler, aber ich könnte Ihnen momentan, wenigsten- bis der Corso vorüber ist, nur noch ein Zimmer im vierten Stock " „Sehr liebenswürdig, mein Herr", meinte der Mime ironisch. „DaS heißt also auf gut deutsch: Reisen Sie bitte ab, denn ich weiß genau, daß ich auch in keinem anderen Hotel jetzt eine standesgemäße Wohnung erhalten könnte. Das fällt mir aber nicht rin! Außerdem kann ich von meinen Fenstern aus die wunderschönsten Beobachtungen machen, sehen Sie, da ist z. B. die reizende, kleine, weiße Dame, die Goldblondine! Wie sie schmachtend nach meinem Fenster heraufblickt! Und dort kommt auch schon die feurig« Spanierin — nein, mein Herr, ich weich« und wanke nicht, und wenn daS stolze Albion uns deshalb den Krieg erklären sollt«. Noch dazu wenige Tage vor dem Blumen torso, auf den ich mich unbändig freue!" „Aber, ich bitte Sie, Herr M., waS soll ich denn mit dem Colonel anfangen, ein solch' treuer Kunde des Hauses " „Bringen Sie ihn doch auf das Bodenzimmer, das Sie mir so freundschaftlichst offerirten. Was für mich recht ist, ist wohl auch für Albions Helden billig!" „Wie soll ich e« ihm aber plausibel machen", rang der Director verzweifelt die Hände. „Der Herr Colonel ist ja so entsetzlich jähzornig und geräth so leicht in Wuth " „Sagen Sie ihm doch, im Zimmer spuke eS seit einiger Zeit, oder eS läge ein Todter darin, oder zwei Todte. So viel Sie wollen, meinetwegen. Nur geben Sie die Hoffnung auf, mich zu vertreiben, Deutschland ist stark, e» weicht nicht vor England. Auch ich bin „m»6s in Oernmvzr"." Sr schlug sich stolz auf die Brust. Während der Mime sprach, verklarte sich plötzlich das Gesicht deS Direktors. „Ich wüßte vielleicht ein Mittel, Herr M., den Herrn Colonel zum Verzicht zu bewegen, ohne daß er e» dem Hause nachträgt, aber ich weiß nicht, ob Sie mir helfen wollen?" „Warum nicht? Soll ich ihm Rattengift streuen? Sprechen Sie!" Der Herr Colonel hat zwei Eigenheiten. Er fürchtet sich vor ansteckenden Krankheiten und haßt Musik, besonder- da» Clavier. Wenn ich dem Herrn Colonel sagen dürfte, daß ein Kranker, ein Lungenkranker vielleicht, seine Räume bis jetzt bewohnt hat, während zur Rechten eine angehende Claviervirtuosin haust, die täglich nur acht Stunden Etüden spielt, vielleicht begnügt er sich dann mit dem freien Zimmer im vierten Stock, welches übrigens sehr hübsch ist, bis bessere Räume frei werden!" „Aber Mensch, Herr, das ist ja grandios! Erzählen Sie ihm von zwei Lungenkranken, die zusammen nur noch von einem AchtelLungenflügei leben, und von einerClaviervirtuosin, dievier Hände hat. Stellen Sie ihm die Sache so grausig vor wie möglich — meinen Segen haben Sie. Im Gegentheil, ich werde Sie noch unterstützen. Wenn der Mann kommt, führen Sie ihn in den Salon, ich werde dann im Schlafzimmer husten, Hüsten werde ich, daß kein Arzt mich mehr in Behandlung nehmen möchte. Sie können ihm ja sagen, ich sei mit dem Packen meiner Sachen beschäftigt, dazu postiren Sie im Nebenzimmer, wo mein Diener schläft, Jemand, der Etüden «spective Tonleitern spielt, am liebsten ein Kind, oder ihren Hausdiener. Sagen Sie Ihrem Englishman, oben wohne eine Harfenistin, unten ein berühmter Flötenbläser, links der Cellovirtuose Wimmer holz, und alle im Besitze ihrer Instrumente " Der Director lachte. „Sie haben eine ziemlich blühende Phantasie, Herr M.! Offen gestanden, es liegt mir nicht zu diel am Colonel. Er ist sehr anspruchsvoll, dabei ein Knicker. — Sie sind viel nobler und bei uns Allen beliebter." „krxo! Also, wir verstehen uns!" Der Colonel kam und wurde mit der Kunde empfangen, daß die gewohnten Zimmer zur Verfügung ständen, nur sei der jetzig« Bewohner noch mit dem Packen seiner Sachen beschäftigt. „Macht nichts, führen Sie mich aufs Zimmer, der Ab reisende genirt mich nicht", meinte der Englishman, welcher sich in der seinen Landsleuten eigenthiimlichen, liebenswürdigen Be scheidenheit nicht darum kümmerte, ob „er" nicht schließlich den „Abreisenden" genire. Der Director führte den Colonel hinauf, doch kaum hatten sie den Salon betreten, als aus dem Nebenzimmer ein hohles, schauerliche- Husten heriiberkkang. Der Colonel blickte erschreckt auf, während da« Husten sich erst verstärkte, und dann in einem leisen, grausig klingenden Röcheln erstarb. „WaS ist das?" fragte er erbleichend den Director. „O, e» ist nur Ihr Vorgänger, Herr Colonel, der Herr, welcher das Zimmer bis jetzt bewohnte. Der Nermste ist krank, lungenleidend "er konnte nicht vollenden, denn vom anderen Nachbarzimmrr tönten di« Klängt eine- Slaviers her- über. Sine anscheinend nicht sehr geübte Hand spielte Ton leitern, mit denen sich der Husten de» Kranken zu einem wenig harmonischen Ganzen vereinigte. „O Gott, und was ist daS?" „Ihre Nachbarin, Herr Colonel, eine junge Pianistin, die täglich einige Stunden übt!" „Einige Stunden? Das ist ja schrecklich! Und, Herr Director" — der Colonel zog den Director, welcher sich nur mit Mühe das Lachen verbeißen konnte, am Knopf näher zu sich — „der Herr da drüben ist sehr krank, sagen Sie?" Der Director nickte bekümmert. „Und hat er — hat er lange in diesen Räumen gewohnt?" „Nun, drei Wochen dürften es wohl sein! Lange wirs der wohl überhaupt nicht mehr wohnen können!" „vsmn it! Herr Director, haben Sie keine andere Woh nung für mich?" „Es ist Alles besetzt, Herr Colonel, alle Hotel- sind jetzt, wenige Tage vor dem Corso, überfüllt. Aber wenn Sie sich kurze Zeit mit einem sehr freundlichen, „gesunden" Zimmer im vierten Stock begnügen wollten, bis eine bessere Wohnung frei wird " Er konnte nicht ausreden, denn die Thür zum Schlafzimmer ging auf und eine gebeugte, hohläugige, krank aussehende Ge stalt trat heraus, die von einem beständigen, hohlen, quälenden Husten erschüttert wurde. „Verzeihung", wandte sich der Kranke, mühsam sprechend, von beständigen Hustenanfällen unterbrochen, an die beiden Herren, „dies ist gewiß der Herr, welcher mich von hiev vertreibt. Ich gehe schon, ich räume Ihnen die Wohnung, mein Herr, eS wird zwar mein Tod " Der Engländer war entsetzt aufgesprungen und hatte mit zwei Sätzen die Thüre erreicht: „Bleiben Sie, bleiben Sie, mein Herr, ich will Sie nicht vertreiben. Ich habe schon ein grsundeS Zimmer im vierten Stock, mir ist diese Wohnung an und für sich zu feucht, zu un gesund, bleiben Sie nur " hinaus war er. M. ließ den Schlafrock fallen und riß die Perrllcke ab. „Sieg, Sieg auf der ganzen Linie", rief er lachend. „Wer hätte ge glaubt, daß Old England so leicht vor einem fahrenden Mimen daS Hasenpanier ergreift." Leise wurde die Thür geöffnet, die Clavi«rspielerin — »Ilng Hausknecht — steckt« den lachenden, rothrn Kopf durch dir Spalte. „Jst's genug?" „Uebrrgenug! Doch Ihr habt Eure Sache famos gemacht, hier der Lohn für ehrliche Arbeit", lachte der Mime. Ein funkelndes Zehnfrankstück glitt in die Hand der Mannes. Wohl noch nie sind ohrenzrrreißende Cladiertonleitern so fürstlich honorirt worden! — Der geniale Schauspieler sonnte sich ungestört im Besitz seiner Zimmer und dehnte im Laufe der Zeit seine interessanten Beob achtungen noch auf eine schöne Tochter Italien» und eine solche de- Lieb-Heimathlande- aus. Doch zu seiner Ehre sei r» gesagt, daß er die berühmten Feuerblick, gerecht und gleichmäßig auf sämmtliche interessanten Schönheiten oerthkiltr. Sr war eben in Herzensangelegenheiten international, der berühmte deutsch« Mime ,
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