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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.02.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990217018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899021701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899021701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-17
- Monat1899-02
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Leider aber dürfte sich in allernächster Zeit wiederum zeigen, daß es an diesem nothwendigen Zusammenhalt der bürger lichen Parteien durchaus fehlt. Im zweiten Berliner Wahlkreise wird, da der Abgeordnete dieses Wahlkreises sein Mandat angesichts der mit Sicher heit zu erwartenden UngiltigkeitSerklärung durch daS Plenum bereits niedergelegt hat, in Kurzem eine Neuwahl staltfinden müssen. Bei den vorigen Wahlen hatte, wie wiederholt sei, in diesem Wahlkreise bei der Hauptwahl der socialdemokratische Bewerber rund 26 000 Stimmen gegen 16 000 fortschrittliche und 12 000 konservative Stimmen erhalten; in der Stich wahl unterlag er dann mit einer Minderheit von kaum ein Dutzend Stimmen. Aus dem Stimmenverbälluiß ersieht man, daß die Socialdemokratie den Wahlkreis möglicher Weise schon in der Hauptwahl erobern kann, daß sie ihn aber in der Stichwahl mit Bestimmtheit erobern muß, wenn die bürgerlichen Parteien nicht zusammenstehen. Nun schreibt aber die „Deutsche Tageszeitung": „Tie Politik der Sammlung ist, soweit dabei die Freisinnigen als zu der staatserhaltenden Seite gerechnet werden, als verfehlt zu bezeichnen. Es kann der Rechten deS Reichstags und ebenso den verbündeten Regierungen gar nicht darauf ankommen, ob eia Socialdemokrat mehr oder irgend rin freisinniger Rentier in den Reichstag kommt. Man sollte bei der jetzt bevorstehenden Nachwahl den Freisinn seinem Schicksal überlassen. Für die Wahl deS Herrn Kreitling (so heißt der freisinnige Bewerber) dürfte von konservativer Seite kein Finger gerührt werden. Wir können uns nicht zu Rettern vom Untergänge mit Recht gerichteter Parteirichtungen auf- werfen. Dadurch würden wir nur Verwirrung anrichten." Und in ähnlichem Sinne läßt sich die „Kreuzzeitung" vernehmen: „Gewiß behält der bei den letzten Wahlen conservativerseits proclamirte Grundsatz: „Unter allen Umständen gegen die Social demokratie" seine volle Geltung, allein letzt handelt es sich nicht um allgemeine Wahlen, sondern um eine einzelne Stichwahl. Ist auch der Freisinn grundsätzlich als eine in seinen Zielen der social demokratischen Partei verschiedene zu erachten, so hat er doch selbst daS Möglichste gethan, um der Socialdcmokratie jo nahe wie nur thunlich zu rücken, deren Interessen zu fördern und über deren Gefährlichkeit hinwegzutäuschen. Für die parlamentarische Praxis ist es also vollkommen gleichgiltig, in wessen Hände daS wieder streitig gewordene Mandat gelangt, ob in die Les Freisinns oder der Socialdemokratie." Man kann die Auslassungen beider Blätter vom partei politischen Standpunkte aus sehr Wohl verstehen. Nicht nur in allen wirtbschaftlichen, sondern auch in fast sämmtlichen politischen und nationalen Fragen — beispielsweise gegen wärtig in der Frage der HeereSvermehrung und in der Frage der Ausweisungen aus Nordschleswig — besteht ein klaffender Gegensatz in der Auffassung der konservativen Parteien und der linken Seite der freisinnigen Partei. Bei den meisten dem Reichstage vorliegenden praktischen Fragen wird eS also vom konservativen Standpuncte aus sachlich gleichbedeutend sein, ob ein Fortschrittler weniger und ein Socialdemokrat mehr im Reichstage sitzt oder umgekebrt. Trotzdem wird man die von der „Deutschen Tageszeitung" ausgegebene Parole durchaus verwerfen müssen, denn eS kommt der Socialdemokratie gegenüber nicht sowohl auf die Frage an, wie der einzelne Abgeordnete zu den den Reichs tag beschäftigenden Verhanblungsgegenständen steht, als viel mehr auf daS Beispiel deS Zusammengehörigkeitsgefühls der bürgerlichen Parteien. Gerade die conservalive Partei hat als strengmonarchische Partei die Verpflichtung, hier mit gutem Beispiele voranzugeben und zu zeigen, daß über allen Partei streitigkeiten die Erhaltung deö monarchischen Systems im Staate steht. Es sollte vom konservativen Standpuncte doch nickt als gleichgiltig angesehen werden, ob die Zahl der Abgeordneten, die bei einem Hoch auf das Oberhaupt des Reiches den Saal verlassen, zunimmt. Es ist richtig, daß die Fortschrittler nicht überall die selbstverständliche Verpflichtung der bürgerlichen Parteien, unter allen Umständen einen bürgerlichen Bewerber gegenüber dem Socialdemokraten zu unterstützen,beherzigen. Wir sagen: nicht überall, denn daß vielfach wenigstens auch conservalive Candidaten gegen die Socialdemokratie von fort schrittlicher Seite unterstützt werden, stehl fest, weil sonst die Zabl der socialistischcn Abgeordneten eine noch größere wäre. Selbst wenn aber in einigen Wahlkreisen fortschrittliche Wähler sich vom Parteibaffe soweit verblenden lassen, daß sie für socialisttsche Bewerber eintreten, müßte man sie durch gutes Beispiel beschämen. Noch niemals ist es als richtiger Grund satz anerkannt worden, daß man das Recht habe, einen Fehler zu begeben, weil ein Anderer denselben Fehler begeht. Wenn daS sträfliche Verhalten eines Andern uns zu einem sträflichen Verhalten anreizt, so liegt darin vielleicht, um einen crimi- nalistischen Ausdruck zu brauchen, ein Strafmilderun gsgrund, aber durchaus noch nicht ein Strafausschließungsgrund. Wenn die bürgerlichen Parteien gegen einander nach dem Grundsätze verfahren „Auge um Auge, Zahn um Zahn", so wird lediglich die Socialdemokratie die Früchte deS lhörichten HaderS ernten. Wenn Jeder immer dem Andern vorhält, daß er sich nicht correct benehme, und wenn ein Jeder daraus das Recht berleitet, sich selbst incorrect zu benehmen, so ist das Zusammengehen der bürgerlichen Parteien schlechthin auSge- lchlossen. Die schärfsten wirtbschaftlichen und politischen Gegen sätze zwischen den bürgerlichen Parteien werden bestehen bleiben, so lange es überhauptParteien giebt. Deshalb ist auch die Auffassung falsch, daß erst nach einer völligen Niederwerfung der Fort schrittspartei ein Zusammenschluß der bürgerlichen Parteien ermöglicht werden könnte. Denn wenn die Partei, die sich heute freisinnige GolkSpartei nennt, vom politischen Schau platze abtritt, so wird eben an ihre Stelle irgend eine andere radicale bürgerliche Partei treten. Nur durch den Fehler der bürgerlichen Parteien, in dem Bemühen, sich gegenseitig den Boden abzugraben, die Socialdemokratie nicht genügend zu beachten, hat diese Partei ihre jetzige Machtstellung er langen können. Möge dieser Fehler nun endlich abgelegt werden! Deutsches Reich. Leipzig, 16. Februar. (WaS uns im Zukunfts staate blüht.) Die bürgerliche Presse hatte sich in ihrer Mehrheit gestattet, den socialdemokratischen Führern und Verführern die moralische Schuld au dem „Löb tau er Krawall" und seinen traurigen Folgen bcizumessen. Die „Sächs. Arbeiter-Zeitung" greift drei dieser Zeitungen, das „Leipziger Tageblatt", die „Magdeburgiscbe Zeitung" und die „Hamburger Nachrichten", heraus und dictirt ihren Redakteuren daS Irren ha'uS zu. Sie schreibt nämlich: „Als mildernden Umstand für diese Blätter, besonders für die „Hamburger Nachrichten", nehmen wir an, daß sie verrückt geworden sind; wir wünschen daher den Herren auch nicht, daß sie inS Zuchthaus gesteckt werden — für sie wäre eine Gumm izelle weit zweckdienlicher." Wenn also der Zukunftsstaat erst eingerichtet sein wird, werden diejenigen Gegner der neuen Gesellschaftsordnung, die nach dem vor einigen Monaten gemachten Vorschläge nach einer fernen Insel verbannt werden, verhältnißmäßig sehr gut daran sein; die bösen Zeitungsschreiber, die sich noch gestatten würden, den früheren Zustand der Dinge zu vertheidigen, werden mit der kalten Douche und der Zwangs jacke regalirt werden, der Alexianer-Bruder Heinrich wird dann statt der Mönchskapuze die Ballonmütze tragen. Die zur Zeit vorhandenen Irrenhäuser werden dann freilich für die neuen Insassen nickt ausreichen, aber im „kriegslosen" Zn- kunftsstaate kann man ja die Casernen zweckentsprechend umbauen. L. Berlin, 16. Februar. (EinWinkandas Cent rum.) In einem Artikel „DaS Centrum und die Militär vorlage" spricht die „Post" die Erwartung aus, daß die Centrumspartei für diese Vorlage stimmen werde, ohne Con- cessionen auf anderem Gebiete dafür zu verlangen oder zu erkalten. Wenn man auch vielleicht nicht ganz so optimistisch veranlagt sein mag, so kann man ja jedenfalls der Tendenz dieser Auffassung beipflichten. Das Blatt schließt aber den Artikel mit folgendem merkwürdigen Satze: „Wenn dem Centrum Gegenleistungen gewährt werden sollen, so könnte eS sich nur um Leistungen auf anderen Gebieften als dem der Militärvorlage bandeln." Es wird also dem Centrum nahegelegt, daß eS von ihm aufzustellende Forderungen bewilligt erhallen könnte, wenn es sich in gewissen Fragen willfährig zeigt. Bedenkt man, daß die „Post" den Auffassungen deS Herrn von Stumm sehr nahe stehl, so kann man sich leicht vorstellen, auf welchen Gebieten compensations- würdige Leistungen vom Centrum erwartet und gewürdigt werden. Im Reichstage möchte man die CentrumSpartei der sogen. Zuchthausvorlage gegenüber willfährig sehen, im preu ßischen Abgeordnetenhause würde die im Sommer 1897 zu Grabe getragene Vereinsnovelle wieder zur fröhlichen Auferstehung gelangen, wenn daS Centruin auch nur andeuten wollte, daß eS zu einem Handel bereit wäre. Es ist ja längst bekannt, daß es nicht an Politikern und zwar recht einflußreichen fehlt, die, wenn ihnen ZwangSgesetze gegen die Socialdemokratie bewilligt werden, ihre An schauungen über den JesuitiSmus, über die Gefahr der Herrschaft des Klerus auf dem Gebiete der Schule und über andere Ziele des KlerikalismuS preisgeben würden; eS ist aber interessant, daß das führende Blatt der freiconservativen Partei den Klerikalen in dieser Weise Avancen mackt. Glücklicherweise aber giebt es nicht nur unter den gemäßigten Parteien, sondern bis tief in die Reihen der Conservaliven hinein noch genug besonnene Politiker, die an der Auffassung festhalten, daß eS sich nicht empfiehlt, den Teufet durch Beelzebub zu vertreiben, und die, selbst wenn sie sonst auck vielleicht Zwangsgesetzen gegen den SocialiSmus nicht absolut abbold sind, doch den hoben Preis einer weiteren Macht steigerung des KlerikalismuS zu zahlen nicht gesonnen sind. * Berlin, 16. Februar. (Eine scharfe Zurück weisung.) Ein neulich nack Berlin entsandter Mitarbeiter der Kopenhagener „Nationaltidende", Franz v. Jessen, hatte in einem Lobeshymnus auf den Abgeordneten Gustav Johannsen auch eine Verunglimpfung gegen den deutschen Abgeordneten Amts ge richtsrath Jürgensen auö Husum gerichtet, deren Quelle kaum zweifelhaft sein kann. Unter Anderem war darin erzählt worden, daß Iürgensen's Vater, einer der alten deutschgesinnten Großbauern NordschleSwigS, s. Z. von einem an derKüste liegenden dänischen Kanonenboote aus er schossen worden sei, weil er diesem vom Lande auS wiederholt durch Zeichen und Geberden zum Theil höchst beleidigender Art seine Verachtung ausgedrückt hätte. In einer Zuschrift an die „Nationaltidende" führt nun Jürgensen alle jene Ent stellungen uud Lügen deS Aussatzes auf ihr richtiges Mas; Feuilletsir. Geographisches über Großstädte. In der „Geographischen Zeitschrift" (herausgegeben von Prof, vr. Hettner, Verlag von B. G. Teubner in Leipzig), die sich ja nicht nur an den Fachmann, sondern an jeden Gebildeten wendet, dec für geographische Dinge Interesse hat, veröffentlicht I)r. O. Schlüter „Bemerkungen über Sirdelungsgeographie", denen wir die nachstehenden geographischen Betrachtungen über die Großstadt entnehmen, die viele unserer Leser interefsiren dürften, da sie uns Manchem, das wir als alltäglich kaum zu bemerken pflegen, im Lichte der wissenschaftlichen Geographie Beachtung schenken und Interesse abgewinnen läßt. Zunächst freilich fragen wir wohl: was läßt sich „Geo graphisches" über die Großstadt sagen? Hören wir unseren Gewährsmann! „Denken wir uns die Entwickelung einer großen Stadt. Der einzelne Bürger baut sein Haus, wo es ihm angenehm und zweckmäßig scheint, der Wille des Herrschers oder der Beschluß der Stadtverwaltung läßt ganze Stadttheile nach vorher bestimmtem Plan entstehen, die hohen Ladenpreise steigern die Höhe der Gebäude, soweit nicht durch Bauvorschriften Schranken auferlegt werden, und so fort — alles Sachen, die nichts mit der Landesiratur zu schaffen haben und darum anscheinend den Geographen wenig angehen. Aber aus allen diesen, scheinbar willkürlichen Handlungen geht die in sich außerordentlich mannig faltig gestaltete Großstadt hervor; und sie ist etwas in hohem Grade Geographisches, weil sie einen sehr wesentlichen Theil der Landschaft ausmacht. Wie Mineralien und selbst Gesteine die Aufmerksamkeit des Geographen nur mittelbar auf sich ziehen, während doch die Erforschung der Gebirge eine seiner vornehmsten Aufgaben bildet, so ist auch der einzelne Hausbau, die einzelne Straßenanlage nicht eben sehr geographisch; wohl aber die Ver bindung der Theile, wie sie in einer Ansiedelung vorliegt. In der That haben Städte und Dörfer ja stets als Gegenstände des erdkundlichen Forschens gegolten und in geographischen Dar stellungen, Lehrbüchern und Reisebeschreibungen, in Wort und Bild einen oft nur allzu breiten Raum beansprucht. Doch geht die Darstellung ihres Aussehens nicht über die Schilderung hinaus und besteht häufig nur in der Anführung von Einzel heiten. Eine wissenschaftliche Betrachtung des Antlitze» der Siedelungen fehlt bis jetzt noch." In der Richtung, die eine Betrachtung seines Erachtens nehmen müßte, führt Or. Schlüter nun, indem er al» thatsächlich« Unter lage dabei in erster Linie die größeren Städte des deutschen Reiches ins Auge faßt, etwa Folgende» aus. Seitdem die Städte aufgehört haben, sich durch Mauern, Wälle und Gräben von ihrer Umgebung abzuschließen, sind ihre Grenzen nicht mehr scharf ausgeprägt. Namentlich die größeren unter ihnen, aber auch viele kleinere, wachsen nach dieser oder jener Richtung über ihr Gebiet hinan». Sie rauben den zu nächst liegenden Vororten ganz und gar ihre Selbstständigkeit und drücken sie zu bloßen Stadttheilen herab. Aber sie finden auch hier nicht ihr Ende. Darüber hinaus beeinflussen sie auf weiter« oder geringere Erstreckung hin Bauart, Größe und Wachs« thum der Siedelungen, so daß eine Stadt in der Regel nur der Kern eines ausgedehnteren, städtisch besiedelten Gebietes ist. Eine Stadt wächst, wenn sie durch das Gelände nicht be hindert wird, der Regel nach strahlenföermig: nach allen Seiten schreitet sie den Hauptwegen entlang fort, während die zwischen den Straßen gelegenen Theile erst später in das Wachsthum hineingezogen werden. Als Beispiel kann Hannover dienen, welches diese Form verhältnißmäßig deutlich ausgeprägt zeigt. Die rasch zunehmende Stadt sendet ihre Ausläufer etwa zwei Stunden weit auf allen Landstraßen vor. In den Winkeln zwischen den Straßen hat sich dagegen das Alterthümliche und Ländliche oder Vorörtliche noch in großem Umfang erhalten. Unweit des innersten Kernes der Stadt finden sich an derartigen Stellen noch in größerer Zahl die kleinen, einstöckigen Fachwerk häuser, die zerstreut in Gärten umherliegen und bis vor nicht zu langer Zeit noch den größten Theil der jetzigen Stadtfläche bedeckten. Nur allmählich dringt von den Hauptstraßen her das Neue in diese entlegenen, wenn auch nahen Winkel ein. Diese Form, dem Netze der Kreuzspinne vergleichbar, ist im Innern der Städte höchst selten klar zu erkennen, sie bestimmt aber durchgehends deren Umrißlinie; und das um so entschiedener, je kräftiger die Entwickelung ist. Die Kräfte, welche die Entwickelung des Ortes bestimmen, haben aber kaum jemals in allen Richtungen die gleiche Stärke. Indem die Stadt auf der einen Seite mit Entschiedenheit einer starken Anziehung folgt, schreitet sie an anderen Stellen nur langsam vor, oder die Ausbreitung geräth auch wohl ganz ins Stocken. So erleidet die Regelmäßigkeit des Umrisses vieler lei Störungen, ohne daß der allgemeine Formcharakter deshalb verloren ginge. Das Beispiel von Hannover mit seinem stärkeren Ausgreifen nach Süden ist schon erwähnt worden. Darin spricht sich mit großer Deutlichkeit die Wirkung der verkehrsgeographischen Lage aus, auf der die Bedeutung der Stadt hauptsächlich beruht, der Lage am Ende des wichtigsten Verbindungsweges zwischen Süd deutschland und dem westlichen Theile des norddeutschen Flach landes. Eine der auffallendsten und bekanntesten Abweichungen dieser Art ist das raschere Anschwellen zahlreicher europäischer Städte auf ihrer Westseite. Man hat darin eine Wiederholung des allgemeinen Zuge» nach dem Westen erblicken wollen. Wenn das auch, besonders bei den allergrößten Städten, in gewissem Sinne richtig sein mag, so ist diese Erklärung doch etwa» ge- heimnißvoll und wird durch die Thatsachen wenig gestützt. Wenigstens ist nach meiner Kenntniß die bedeutendere Aus breitung in westlicher Richtung durchaus nicht so allgemein und die Ausnahmen können mit der angeblichen Regel nicht in Ein- klang gebracht werden. Das gelingt aber, wenn wir statt de» „Zuges nach dem Westen" die gleichfall» allgemein wirkenden klimatischen Bedingungen zur Erklärung benutzen. Die neuen Stadttheile sind überwiegend für die Wodldabenberen bestimmt, die dar Bestreben haben, dem Rauche der Stadt und der Fabriken auSzuweichen. Da nun in Mitteleuropa westliche und süd westliche Winde vorherrschen, so ist es leicht erklärlich, daß im Westen und Südwesten al» auf der Luvseite, der stärkste Anbau stattfindet. Stehen örtliche Hemmnisse dem Anschwellen noch dieser Richtung entgegen, so läßt doch die Lage der neueren Stadt« theile in der Regel die Absicht, den Rauch zu vermeiden, deutlich erkennen. Westlich von Halle verbietet die Saalniederung einen Anbau in größerem Umfang. Gleichzeitig wird die Stadt auf der Ostseite durch den, hier sehr hinderlichen, Bahnkörper ein geengt. So hat sic sich mit der Zeit zu einem nordsüdlich ge richteten Rechteck herausgebildet, an dessen Südende die Fabriken liegen, während sich die Wohlhabenderen immer mehr nach dem Norden hinziehen. Umgekehrt wächst Essen nach Süden, weil der Rauch der im Westen gelegenen Krupp'schen Fabrik über den nördlichen Theil der Stadt geweht wird. Wenn Umriß und Zonensystem einer Stadt hauptsächlich ein Ausdruck der heutigen Beziehungen sind, so bildet der innere Bau den unmittelbaren Niederschlag des historischen Werdeganges der Ansiedelung. Von dem Grundriß eines Ortes läßt sich bis zu einem gewissen Grade seine Geschichte ablesen. Der ursprünglich« Kern einer Stadt kündigt sich meistens durch ein Gewirr von engen, gewundenen Straßen und Gassen an. Dabei weisen häufig gleichlaufende Bögen auf die alte Mauer hin, während Promenaden an den früheren Verlauf von Wall und Graben erinnern, oder zickzackförmige Straßenzüge, wie in Berlin, vollkommenere Befestigungen ins Gedächtniß rufen. In einem zweiten Stadtviertel werden wir durch die eintönige Regelmäßigkeit gerader, sich rechtwinkelig schneidender Straßen darauf aufmerksam gemacht, daß zu einer bestimmten Zeit eine willkürliche, planmäßige Erweiterung statt gefunden hat. Wieder andere Theile geben sich durch die Breite ihrer wenig gekrümmten Straßen gleichfalls als planmäßig an gelegte Systeme zu erkennen, lassen aber, weil sie mit besserer Einsicht den Verkehrsverhältnissen angepaßt sind, ein noch ge ringeres Alter vermuthen. Schließlich deutet vielleicht irgendwo ein dichteres, regelloseres Wegenetz innerhalb gleichförmiger Stadtviertel die Einverleibung eines ehemaligen Vorortes an. Willkürlich Geschaffenes und aus den Bedürfnissen des Verkehrs heraus Gewordenes stehen neben einander, durchdringen sich wechselseitig und verschmelzen zu einem Ganzen, in welchem trotz der zum Theil künstlichen Zusammensetzung das Organische die Oberhand behält und dieses Uebergcwicht in der Umrißlinie zum Ausdruck bringt. Jeder wirthschaftliche Wechsel ist von Einfluß auf das Antlitz des Ortes. Ein Aufschwung läßt größere, gleichartige Stadt theile entstehen, die ersichtlich aus einer und derselben Zeit stammen; Stillstand und Rückgang ziehen das Hehlen von sicht baren Zeuge» aus der betreffenden Periode nach sich Aehnlich wie das zeitweilige Fehlen der Meeresbedeckung Lücken und Sprünge in der Ausbildung der geologischen Schichtenreihe ver ursacht. so vermissen wir im entsprechenden Falle bei der Stadt die Uebergänge und sehen Neuestes oft unmittelbar an das Aelteste herantreten. So in Braunschweig. Hier ist der alte Iheil von einem Umfang und stellenweise von einer ursprünglichen Breite der Anlage, wie sie in den wenigsten Orten wiederzufinden sein dürften, die heute dieser Stadt gleich stehen oder die sie überflügelt haben. Dann ober fehlt aus zwei Jahrhunderten so gut wie jede Spur; unmittelbar an das alte Braunschweig, von ihm nur durch die Promenaden getrennt, schließen sich ringsum die allerjüngsten Stadtviertel an. DaS Vorhandensein von zwei, zeitlich weit auseinander liegen den Perioden größerer Blüthe ist in diesem Falle zugleich des halb lehrreich, weil Grund und Art der Entwickelung beide Male ander» sind. Der Glanz de» mittelalterlichen Braunschweig kam der Stadt ausschließlich zu, die damals zu den allerersten in Deutschland zählte. Ihr Wachsthum im 19. Jahrhundert ist kaum mehr als der Wiederschein des allgemeinen wirthschafl lichen Aufschwunges und der Bevölkerungszunahme im ganzen Lande, die in neuerer Zeit die Besiedelung und besonders das Bild der Städte so völlig umgestaltet haben. Anders liegt es bei dcm benachbarten Hannover. Erst in der Neuzeit hat dies« Stadt angefangen, sich kräftiger zu entfalten; dann aber ist dec allgemeine Aufschwung sehr bald in den individuellen über gegangen, und Hannover hat die Rolle des früheren Braun schweig übernommen. Während die alte Hansestadt trotz der Fortschritte der letzten Jahrzehnte reckt still ist, sehen la'.r dort überall Leben und Entwickelung: bei bescheidener Vergangenheit eine bedeutende Gegenwart, der eine noch größere Zukunft folgen wird. Auch die politischen Zustände und Begebenheiten, sowie der allgemeine Charakter des geistigen Lebens der verschiedenen Zeitalter sind nicht obne Einwirkung auf die Siedelungen ge blieben. Wir brauchen nur an die Stadtgründungen und Stadterwciterungen zu denken, wie sie im vorigen Jahrhundert auf Geheiß der Fürsten des öfteren erfolgt sind. Sic waren allein möglich bei dcm politischen System des Absolutismus und bei der an den kleineren Höfen jener Tage herrschenden Sucht, es den französischen Königen an Prunk gleichzuthun. In ibrer Form aber erscheinen sie als ein Abbild der ganzen Denk weise des Zeitalters. Das Nüchterne dieser Neuschöpfungen nut ihren geraden, in gleichen Abständen von anderen rechtwinkclig gekreuzten Straßen ist sicherlich als ein Ausfluß des rein logischen Rationalismus der Aufklärung anzusehen. Zu diesen allgemeineren Verhältnissen gesellt sich die Wirk samkeit einzelner hervorragender Männer, die bei der Bebauung fast jeden Landes eine äußerst wichtige Rolle gespielt hat. Manche Städte, die sich Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch eine große Bedeutung bewahrt haben, verdanken, wie Petersburg oder Alexandria, einem einzigen weitblickenden Staatsmanne ihr Dasein. Eine bevorzugte Lage läßt eben allein noch keine Stadt entstehen, wie es nach geographischen Darstellungen mitunter scheinen möchte. Die natürlichen Bedingungen sind nur mittel bar wirksam und setzen den Menschen voraus, der sie ausnntzt; ihr Einfluß äußert sich darum auch sehr verschieden, je nachdem in welcher Art und in welchem Grade sie von dem Ansiedler in ihrer Bedeutung erkannt werden. Wie entscheidend auch heute noch ein Einzelner auf die Be siedelung eines Gebietes einwirlen kann, lehrt ein Mann wie Alfred Krupp, der sowohl unmittelbar durch seine gewaltige Fabrikanlage und die Schaffung zahlreicher, ausgedehnter Arbeitercolonien das Bild der Landsck-aft stark verändert hat, wie auch mittelbar auf die Entwickelung der Stadt Essen nebst ihrer Umgebung von allergrößtem Einfluß gewesen ist. Die allgemeine neuzeitliche Entwickelung, die besonderen Verhältnisse jenes Gebietes und das Genie eines einzelnen Mannes haben hier zusammengewirkt. Wenn wir ferner nach Fällen suchen, in denen hervorragende Persönlichkeiten mittelbar auch die Bebauung des Landes beeinflußt haben, so brauchen wir, als zwei nahe liegende Beispiele, nur den Freiherrn vom Stein mit seiner Städteordnung und der Einführung der Freizügigkeit, sowie den Fürsten Bismarck zu nennen, dessen Einigungswerk nament lich Berlin unendlich viel zu danken hat.
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