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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.06.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990607027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899060702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899060702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-07
- Monat1899-06
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Die in der Tbat wieder interessant gewordene DreyfuS - Asfaire, Pariser Straßen vorgänge mit Anklängen an „Mademoiselle Angot" und dennoch vielleicht mit ernstestem Hintergrund fllr di» fran zösische Republik, im Haag Schwierigkeiten für den Zaren, die es ihn bedauern lassen mögen, die Conferenz nicht nach Strelitz einberufen zu haben, wo er — siehe /S-Berlin — absolut zu befehlen hat — und in Berlin wieder Reichstag und preußisches Abgeord netenhaus mit reichhaltigem Programm. Beide Häuser haben gestern gleichzeitig wieder „angefangen", aber der Reichstag war trotz diese» Umstande» schlecht besucht. Der Hinweis auf dir Thatsache, daß 90 Reichsboten als preußische Landboten 15 Diäten beziehen und demgemäß da sei könnten, hat also anscheinend mehr Eindruck auf die Nichtinhaber von Doppelmandaten als auf die an ihren Sold gemahnten zwiefach AuSerschenen gemacht. Herrn von Bülow'S in Aussicht gestellte Mittheilung über den Ankauf der Karolinen konnte allerdings keine An ziehungskraft auSüben. Man wußte, daß er um vorläufige Abstandnahme von einer Erörterung ersuchen würde. Zwar wußte man auch, trotz der anfänglichen Begeisterung der freisinnigen Presse für die den Fürsten Bismarck angeblich in den Schatten stellende diplomatische Geschicklich keit des Herrn v. Bülow, daß Herr Richter sofort — und hätte eine Wahlprüfung auf der Tagesordnung gestanden — sein Anticolonialsprüchlein hersagen würde: aber solche Repetitionen haben keinen Reiz mehr und Herrn Bebel'S ebenfalls erwarteter erster parlamentarischer Anlauf gegen da» Arbe itsverhä ltniß - Ge se tz versprach und hielt auch nichts. Der Gebrauch von Ausdrücken wie „Schandgesetz" diente eher zur Empfehlung, als zur Verdammung von Ge setzen gegen die Socialdemokratie, denn er zeigt, wie die Ver rohung eines Tbeile» des Arbeiterstande» durch die social demokratischen Führer gefördert wird. Herrn Bebel ist übrigens ein Verdienst züzuschreiben. Er hat den Grafen Posadowsky veranlaßt, zu erklären, daß die jBerliner Regierung — auch der BundeSrath? — die als baldige parlamentarische Inangriffnahme de» ArbeitS- verhältniß«Gesetzes .wünscht. Es ist aber durchaus nicht abzusehen, wa» eine erste Lesung vor dem Herbst der Sache nützen könnte, und an die Dnrchberathung des Gesetzes in diesem Sommer werden selbst leicht über Schwierigkeiten sich hinwegträumende Berliner Stellen nicht glauben. Eine alsbaldige erste Lesung liegt auch gar nicht im Interesse der Regierung. Bei einem in seiner Fassung fast allgemein be mängelte Entwurf, wie dieser, behält bei erster Be- rathung die principielle Gegnerschaft die Oberhand, wenn die bedrängte Anhängerschaft nicht im Stande ist, einigermaßen greifbare Verbesserungsvorschläge zu machen. Da- wäre aber binnen Kurzem auch in einem tüchtigeren Reichstag nicht möglich. Daß „dieser" sich wahrend der Ferien nicht gebessert hat, zeigte gestern die auseinander- sluthende Debatte über den Nachtragsetat und der Beschluß, di, Reichsschuldenordnung durch einige ganz überflüssige CommisfionSberathungen hindurchgehen zu lassen. Feuilleton. Äußer Diensten. L2s Roman von Ernst Wichert. Nachdruck vertet n. Man betrat eine Estrade, auf welcher ein langer Tisch stand, hinter den eine Reihe Stühle für das Wahlcomite und die Gäste gestellt war. Etwas seitlich erhob sich, um eine Stufe erhöht, ein Katheder mit puUartigrm Vorbau, der das übliche Glas Wasser trug. Bis dicht heran drängte die vielköpfige Menge; nur für einen kleinen Theil waren Sitzplätze vorhanden. Sobald man des Freiherr» ansichtig wurde, entstand tiefe Stills. Es mochte doch einen ganz eigenen Reiz haben, den Mann, den man sonst nur bei feierlichen Gelegenheiten in der Nähe des Herzogs bemerkt ckder in einer Hofequipage schnell vorüberfahren gesehen hatte, hier am Dorstandstisch einer Wahlversammlung in Augenschein nehmen zu können, als wäre er da gerade für die Masse zur Schau gestellt. Der Commerzien- rath drückte zweimal auf di« Glocke und erklärte die Versamm lung fllr eröffnet. Wenn sich kein Widerspruch erhebe, werde er da» ihm vom Wahlcamitv der freisinnigen Partei angetragene Präsidium übernehmen und zu Beisitzern und Schriftführern die Herren Planfeld und Dr. Pletter berufen. Er wartete eine halbe Minute und verneigte sich dann gegen di« beiden Herren, die ebenfalls durch «ne Verbeugung ihre Zustimmung erklärten. Er leitete darauf di« Verhandlung durch die Mittheilung ein, daß, wir ja auch allgemein bekannt sei, der Herr Freiherr von Attendorn sich bereit erklärt habe, «ine auf ihn fallende Wahl in den Reichstag anzunehmen, und daß Sein« Excellenz den Wählern die Ehre geben und die große Freude bereiten wolle, sein Programm eingehend zu entwickeln. ES entstand nach diesen Worten ein anscheinend beifälliges Gemurmel im Saal. „Ich ersuche daher Ew. Excellenz, die Rednertribün« zu betreten und" — er bückte sich seitwärts zu dem Freiherrn, der ihm etwas zuflllsiert« — „und den Vortrag zu beginnen, nachdem ich den geehrten Anwesenden noch Kenntniß davon gegeben habe, daß der Herr Freiherr leider infolge einer Erkältung recht un päßlich ist und deshalb im Voraus um Entschuldigung bittet, wenn er nicht mit so lauter Stimme spricht, als es ihm selbst erwünscht wäre. Ich hoff«, diese Mittheilung wird zugleich ge nügen, die geehrten Herren zu einem recht ruhigen Verhalten zu dercmlassm, damit Seine Excellenz vor Urberanstrengung be Die dem Gesetzentwürfe über den Schutz de» ArtzettS- verhältNifscS nachgesandte und von unS im heutigen Morgen blatte ihrem Hauptinhalte nach wiedergegebcne „Denk schrift, betr. die Ausschreitungen bei den ArbeitSkämpfen der letzten Jahre" verdient ohne Zweifel Beachtung und wir schließen uns dem gestern im Reichstage vom Grafen Posadowsky geäußerten Wunsche an, das deutsche Publicum möge die Darlegungen eingehend studiren. Ob solcher Fleiß den zahlreichen Freunden eines verbesserten Schutzes der Arbeitswilligen starken Zuwachs bringen könnte, ist freilich nicht sicher, während eS außer Frage steht, daß die Denkschrift nicht geeignet ist, der Regierungsvorlage, wie sie ist, neue unbedingte Anhänger zu den vereinzelten alten zu werben. Cs ist aber an- znerkennen, daß diese Zusammenstellung nicht Weniges zur Ällustrirung der Verbesserungöfähigkeit deS tz 153 der Ge werbeordnung beibringt. Freilich stand es für den Unbe fangenen schon bisher fest, daß die Beschränkung der Strafbarkeit der Anwendung von Zwang, Verrusserklä rung, Drohung, Ehrverletzung auf die Fälle, in denen es sich um Erzielung günstigerer Lohn- und Arbeitsbedingungen handelt, dem Bedürfnisse nicht mehr entspricht. Auch der Gebrauch jener Mittel gegenüber der Frage, wer „Herr im Hause" sein soll, der Arbeitgeber oder eine Streikorganisation, kann zur Calamität werden und ist vielfach dazu geworden. Es ist ferner zuzugeben, daß die Denkschrift die Üeberzeugung befestigt, daß die allgemeinen Strafgesetze keine hinlängliche Hand habe zur Ahndung schlimmer Ausschreitungen im Arbeitskampfe darbieten. Die Bedrohung z. B. ist nur strafbar, wenn sie eine strafbare Handlung, ein Verbrechen oder Vergeben in Aussicht stellt, und die an sich völlig ausreichenden Be stimmungen gegen Beleidigungen, leichte Körperverletzungen, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch versagen sich der allgemeinen Anwendbarkeit, weil ihre Verfolgung von der Stellung eines Strafantrags des Beschädigten abhängig ge macht und der Verzicht auf einen solchen Antrag seiner seits wieder der Zweck häufig verübter Beleidigungen, Drohungen u. s. w. ist. Bei alledem ist aber zu erwägen, daß die rechtliche Beurtheilung und die praktische Einschätzung von Handlungen, die Drohungen, Beleidigungen rc. sein könne», die Rücksicht auf die Umgangsformen der Arbeiterkreise nicht außer Acht lassen dürfen. Die Denkschrift scheint unS dieses Moment zu wenig beachtet zu haben und wir fürchten, manche der von ihr als Belege für die Noth- wendigkeit eines gesetzgeberischen Eingriffes angeführten Fälle werden wegen dieser Verwerthung vielfach als Beweise der Empfindlichkeit, des UebereiferS, der Weltunkenntniß der Verfasser und ihrer — wie erwähnt sei — aus aller deutschen Herren Ländern herangezozenen Mitarbeiter angesehen werden. Wir finden auch, auf Seite 66, in zwei Fällen als Opfer rechts widrigen Zwanges aufgeführte Arbeiter, von denen es dock recht zweifelhaft ist, ob sie unter einem Drucke oder auS Corps geist einem Ausstande sich angeschlossen haben. In dem einen Falle ist daS Letztere jedenfalls daS Wahrscheinlichere. Die Größe derGefahr, das Kind CoalitionSsreibeit auszuschütten mit dem Bade dieser Vorlage, da» ihm die Flecken des Miß brauches derCoalitionSsreibeit abwaschen soll, diese große sociale Gefahr kommt auch dem Leser der Denkschrift zum Bewußt sein. Auch sie weist das Mal der Entstehungsgeschickte dieses Gesetzentwurfs auf. Anzucrkennen ist, daß die Denkschrift über die Bedeutung, die daS Streikpostenstehen, die „plan mäßige Ueberwachung" für die Gefährdung des Rechtes auf Arbeit hat, Helles und Wohl für Viele neues Licht verbreitet. Die Bedenken, welche die Fassung der gegen diese wahrt bleibt. Es versteht sich von selbst, daß ich nach Schluß der Rede Jedem, der sich zum Wort meldet, dasselbe bereitwilligst ertheilen werde." Er verneigte sich wieder vor dem Minister. „Wenn ich also jetzt bitt«n darf, Excellenz . . Der Freiherr erhob sich und schritt um den Tisch auf die Rednertribüne zu. Ihm war zu Muthe, wie einem Verurtheilten, der zur Richtstätte geführt wird und nun eine große Anstrengung aufwendet, den Gaffern ein heiteres Gesicht zu zeigen. Er meinte wenigstens selbst, sich ihm vergleichen zu können. Gleich bei seinem Eintritt in den Saal stieß ihm eine Luft entgegen, in der zu athmen ihm unmöglich schien. Und die da unter den trüben Gaskronen Kopf an Kopf standen bis in den fernsten Winkel, an den Wänden entlang auf Bänken und Stühlen, in allerhand Werktagskleidern, wie sie aus den Comptoiren, vom Ladentisch, von der Arbeit gekommen waren, Viele den Hut auf — was gingen sie ihn an, was hatte er bis dahin von ihnen gewußt? Ein Schauspiel sollte er ihnen geben, wie ein Komödiant um ihren Beifall werben; Laß er, der Hochgeborene, der frühere Minister, sich dazu verstand, mußte ihre Eitelkeit kitzeln. Ja, von ihren Gesichtern war's abzulesen: nun demiithige Dich! tiefer das stolze Haupt, tiefer! Es war «in Geruch im Saal — er fürchtete, ohnmächtig zu werden. Und wie dieser Commerzien- rath, der sich sonst durch «in halbes Wort geehrt gefühlt hatte, ihn mit Protectormiene vorstellte, wie eine Sehenswürdigkeit, und dem Wohlwollen der geehrten Zuschauer empfahl — ah! er hätte aufspringen und hinabrufen mögen: wählt mich, wählt mich nicht, es gilt mir gleich! Aber laßt mich fort, keine Minute halt ich'» unter Euch aus. Schon zu tief habe ich mich entwürdigt, als ich mich Euch zeigte! Und dann hatte er doch geduckt, und nun trat er auf die Rednertribüne und verneigte sich nach rechts und links, die Augen halb zugedrückt, um nichts zu sehen. Ein Händeklatschen brach los und verstärkte sich mehr und mehr. Dann wurden Zischlaute hörbar. Sie kamen aus einem Haufen, der sich gegen die Mitte des Saales hin zusammen gedrängt und beim Klatschen nicht betheiligt hatte. Sie waren erst vereinzelt, dann in jenem Kreise allgemein. Je mehr ge klatscht wurde, um so eifriger wurde das Zischen; je lauter man da in der Mitte zischte, um so wüthender wurde von allen Seiten geklatscht. Die Beifallslustigen befanden sich in der sehr großen Mehrheit, aber die Minderheit schien entschlossen zu sein, sich im Widerspruch zu behaupten. Man schrie und drohte, drängte gegen den Haufen der Mißvergnügten an. Der Präsident setzte die Glocke in Bewegung. Endlich verstummte das Zischen, und die Sieger fetzten nun noch einmal mit einem Beifallssturm ein, der nicht mehr gestört wurde. Form der Einschüchterung gerichteten Bestimmung der Vor lage wie bei uns so fast überall hervorgerufen hat, zerstreut allerdings auch diese Zusammenstellung nebst der an sie ge knüpften RaisonnemenlS nicht und in keinem Betracht recht fertigt die Denkschrift die Höhe der angedrohten Strafe. Die hier zu Tage tretende „Opulenz" weist am deutlichsten auf den Ausgangspunct dieser Gesetzgebungsaction hin. Sie scheint aber einer nicht allzu oberflächlichen Psychologie nicht im Widerspruche mit der Vermuthung der „Münch. N.N."zu stehen, daß „man im preußischen Ministerium mit Unlust an die Arbeit gegangen" sei. Daß der Bundes rath nur von Rücksichten der „Courtoisie" geleitet war, als er „wenigstens irgend etwas" zu Stande brachte, stellt das Münchener Blatt, das es wissen kann, al» That sache hin. Ueber die Schadenersatzansprüche von Deutschen aus den Philippinen und aus Samoa bringen die „Preußischen Jahr bücher" einen Artikel mit der Erwartung, daß die Reichs regierung Alles thun werde, um den Geschädigten zum Ersatz des Verlorenen zu verhelfen, und daß sie in Fällen, wo dir völkerrechtlichen Gebräuche keine Ersatzpflicht kennen, wenig stens auf Ersatz dringen und mindestens verhindern werde, daß irgend eine andere Macht sich in der Stille Vorzugs rechte sichert. Ueber die Schädigungen auf Samoa lesen wir: „Vielleicht könnte man auch daran denken, unter Hin weis auf Artikel III Abschnitt 7 der Samoa-Acte, w Ide Okiek flustiee die englische und die amerikanische Negierung, die trotz dieser Bestimmung zu kriegerischen Maßregeln geschritten sind, verantwortlich zu macken. ES würde zur Anwendung dieser Bestimmung gegen England und Amerika eines Antrages der samoanische» Regierung bedürfen, deren Activ - Legitimation in dieser Frage ebenso wenig wie ihre Passiv-Legitimation im Falle eines Rückgriffes gegen Samoa zu bestreiten sein dürste. In einem solchen Verfabren könnte etwa auSgeführt werden, daß zuwider der obigen Bestimmung factisch ein Kriegszustand zwischen den englisch-amerikanischen Truppen und der Mehrheit der Einwohner von Samoa geherrscht bat. Während dieses Krieges waren die völker rechtlichen Gebräuche hinsichtlich der Schonung von Neutralen innegehalten. Es ist aber in hohem Maße fraglich, ob dies immer geschehen ist. Namentlich haben sich die Leiter der englisch-amerikanischen Streitkräfte wider einen völkerrechtlich anerkannten Brauch vergangen, als sie am 15. März die Beschießung von Apia und Umgebung vornahmen, ohne den fremden Einwohnern, wenigstens den Deutschen, durch Ver mittelung der Consuln oder anderweit die übliche Nachricht gegeben zu haben .... Gerade die letzten Jahre haben mehrfach Beweise für daß kraftvolle und er folgreiche Vorgehen der Regierung in dieser Richtung gebracht. Wir erinnern nur an die sehr schwierige, aber glücklich durchgeführte Maßnahme zum Schutze der Gläubiger Griechenlands, die allein Deutschland zu verdanken ist, an da- wiederholte Einschreiten in Marokko, wo Deutsche an Leben und Eigenthum geschädigt waren, an die prompte Demonstration vor Haiti, die die dortige Regierung zur Nachgiebigkeit zwang, an den Fall Roth in Brasilien, an die Ereignisse in China u. A. m. Solche Vorgänge geben dock Wohl rin Recht, an der Erwartung festzubaltcn, daß auch die Deutschen auf den Philippinen und auf Samoa, soweit sie durch Verschuldung fremder Mächte Schäden und Ver luste erlitten haben, durch Vermittelung der deutschen Regierung nach Recht und Billigkeit wieder zu dem Ihrigen kommen werden." Zur ,,Lv» von Rom"-Bewegung hat der steierische Dichter Peter Rosegger abermals das Wort ergriffen. Am Schluß einer längeren Ausführung in der Monatsschrift „Heim garten" über die Frage: „Soll man übertreten?" führt er auS: „Der wirkliche Christ in uns — sei er gut oder schlecht — bleibt derselbe, ob man die Form wechselt oder nicht. Und dennoch wurde ich mich bitter schwer entschließen, selbst di« Form zu wechseln. Cs ist doch immerhin die Möglichkeit vorhanden, daß die Kirche, die schon oft den elementaren Ansprüchen der Zeit ein wenig nachgegeben hat, auch jetzt klug, im heiligen Geist handelt. Wenn aber nicht, wenn die Heißsporne des Klerus und ihr Anhang unbeschränkt sortfahren, die Deutschen und ihre geistigen Güter zu beschimpfen, den nationalen SelbstcrhaltungS- kampf der deutschen Oesterreichcr zu verdächtigen, aus Kirche und Gottesdienst deutsches Leben gänzlich zu entfernen, Schule und Bildungsbedürfniß blos für kirchliche Zwecke auszunntzen, andere christliche Bekenntnisse öffentlich zn verfluchen und einzelne Persön- lichkeiten ihres redlichen FreimuIheS wegen zu verfolgen — daun wird eines Tage- die Sache entschieden sein. Aehnlicher Meinung sind Tausende — und kaum von den schlechtesten. Doch nein, ich hoffe noch immer, daß es so weit nicht kommen wird. Die katholische Kirche soll, anstatt der schlechtesten, ihre besten Selten hervor- kehren; dann mag sie beruhigt sein." Für den Kenner der Papstkirche ist es kein Zweifel: Peter Rosegger wird vergebens hoffen. Damit aber ist die Wahr scheinlichkeit gegeben, daß er über kurz oder lang den ent scheidenden Schritt thut, nicht zum Protestantismus — tvaS er perhorrescirt — sondern zum AltkathoiicismuS überzu treten. Das wäre ein Ereigniß und würde die jetzt nur in vereinzelten Bächen dahinrinnende „LoS von Nom"- Bewegung zum Strom anschwellen lassen, worauf wir sehnlichst warten. Rosegger'S Name ist in Oesterreich und namentlich bei den zäh am Alten hängeuden Alpenbewohnern, für welche der KatholiciSmuS (wohlgemerkt der alte, unverdorbene) noch auf lange hinaus Bedürfniß sein wird, einer der populärsten, und wir kennen kaum eine Persönlichkeit, die so wie Rosegger die Masten mit sich zu ziehen vermöchte. Er eignet sich zum Führer gerade deshalb, weil er nickt stürmend »nd zerstörend voraugebk, sondern vorsichtig, zögernd, treu und pietätvoll der Väter Erbtheil bewahrend, so lange eS geht — genau wie die biederen Hinterwäldler deutschen Stammes, die er unüber troffen geschildert hat. Der bapttirn TreyfttS — so muß man ihn jetzt wieder nennen — wird bereits als Untersuchung-gefangener, nicht mehr als Sträfling behandelt. Er hat der TeüfelSinsel — voraussichtlich für immer — den Rücken gekehrt und befindet sich unter Aussicht der Militärbehörde auf der Insel Royale. Dort bleibt er bis Donnerstag Abend» um dann auf dem Kreuzer zweiter Elaste „Sfax", welcher am Donnerstag eintrifft, die Fahrt üver den Ocean an- zutrelen. Zwischen dem 24. und 26. Juni wird seine Ankunft in Brest erwartet. An Bord der „Sfax" wird DreyfuS eine OfsicierScabine bewohnen, in der er auch seine Mahlzeiten einnehmen wird; von 1 bis 4 Uhr Nachmittags darf er auf dem Verdeck spazieren gehen. In Brest wird er den Militärbehörden übergeben, die ihn dann nach Rennes in« Militärgefängniß schaffen. Befehlshaber des in Rennes liegenden 10. ArmeecorpS ist der DivistonSgeneral LucaS; RegierungScommissar deS Kriegsgericht» ist der Der Freiherr hätte vielleicht, wenn er zu reden begann, diesem Lärm Einhalt thun können. Aber er fühlte seine Zunge wie ge lähmt, und es brauste ihm vor den Ohren, und sein Kopf war so wirr, daß er sich auf das Pult stützen mußte, um nicht vom Schwindel niedergeworfen zu werden. Als dann Stille ein getreten war, dauerte es noch eine peinliche Weile, bis er das Mißbehagen, das dieser Vorfall verstärkt hatte, überwinden konnte. Er überlegte die Möglichkeit, sich überhaupt herauszu ziehen. Schon ließen sich wieder verräthcrische Zeichen der Un geduld vernehmen, als endlich das die Aufmerksamkeit anrufende „Meine Herren" von seinen bleichen Lippen ertönte. Es ant wortete darauf ein vielstimmiges „st—st!" und er sprach nun ziemlich leise, aber doch überall im Saale vernehmbar die ein leitenden Sätze seiner so weit gut memorirten Rede. Mehrere Minuten lang fetzte sie sich in gutem Flusse fort, und Jungenheim, der an der Ecke des Tisches hinter ihm saß, athmete schon erleichtert auf. Da entstand plötzlich rin Stocken, der Satz wurde nochmals angefangen und wieder nicht glatt zu Ende gebracht; die Worte stolperten über eine Gedächtnißlllcke hin und überwanden sie doch nicht. Dem Redner drang das Blut nach der Stirn, die Hand griff zitternd nach dem Wasserglas«, er reichte es aber nicht. Aengstlich schaute er um und sagte mit heiserer Stimme: „Bitte — einen Stuhl." Jungenheim sprang zu und stellte den seinen hin. „Aber was hast Du?" flüsterte er ihm zu. Der Freiherr ließ sich nieder und senkte den Kopf auf die Hand, so daß er vom Saale aus nicht sichtbar war. Die Herren vom Comit« standen auf und traten hinzu, sich nach der Ursache des Zwischenfalls erkundigend. Nur Commcrzienrath Schorn blieb auf seinem Platze, ließ die Glocke einmal kurz anklingen, da daS Publicum wieder laut zu werden drohte, und rief hinab: „Ich bitte um einen Augenblick Geduld, meine Herren. Es scheint, daß der geehrte Herr Redner bedauerlicher Weis« mit seinem Un wohlsein schwer zu kämpfen hat. Hoffentlich ist Seine Excellenz bald wieder so weit erholt, die interessante Rede fortsetzen zu können. Bitte um Ruhe, meine Herren. " Der Freiherr erhob sich aber nach einer kleinen Weile nur, um sich von Jungenheim aus dem Saal führen zu lassen. Planfeld und Pletter folgten ihnen, bald auch der Commerzienrath, der die Versammlung auf zehn Minuten vertagt hatte. Hinter ihm wurde gelacht, gelärmt und gepfiffen. Jttenborn erklärte sich gänzlich außer Stande, heute sprechen zu können. Er hätte sich nur gar nicht bereden lassen sollen, den Versuch zu wagen; die entsetzlich schlechte Lust im Saale hätte sein Unwohlsein rasch gesteigert. „Aber wa» soll nun geschehen?" fragte Schorn. „Es macht den allerübelsten Eindruck, wenn wir die Leute nach Hause schicken." Er zuckte die Achseln: „Ich kann es nicht hindern." Dann kam ihm ein Gedanke. Er zog das Eoncept seiner Rede aus der Brusttaschc. „Vielleicht übernimmls einer der Herren gütigst, von Diesen Blättern abzulefen . . . Die Schrift ist freilich nicht sehr deutlich . . ." Er sah sich im Kreise um, die Herren senkten verlegen die Blicke. „Tu, Hans?" Jungenheim hatte über den ganzen Verlauf der Angelegenheit seinen stillen Aerger gehabt. Er wußte, was das Unwohlsein des Freiherrn zu bedeuten hatte, und verschonte sich nicht mit Vor würfen, ihn in eine Lage gebracht zu haben, der er offenbar nicht gewachsen war. Zugleich fühlte er sich verantwortlich, dafür zu sorgen, daß wenigstens ein Scattdal vermieden werde. Vielleicht war noch durch eine entschlossene That etwas für den Wahlcandi- datcn zu retten. Durch eine Vorlesung der Rede schwerlich, aber ... Er schob, während ihm dies hastig durch den Kopf ging, die Blätter zurück, die Jttenborn ihm hinhielt, uNd sagte: „Wenn es den Herren genehm ist, werde ich einspringcn und sprechen. Ich kenne ja meines Onkels Meinung." „Du wolltest — in freier Rede —?" fragte Jttenborn erstaunt. „Ohne jede Vorbereitung —?" „Ilia liliockns, i>ie ünita! Den Kopf kann's ja nicht kosten. Und wenn doch — höchstens den meinen." Der Commerzienrath fühlte sich durch diese Lösung ein wenig erleichtert und gab seine Zustimmung. „Aber dann sogleich!" „Ich stelle nur die eine Bedingung", sagte Jungenheim, aus stehend, „daß Excellenz mich in den Saal begleiten und höchst eigenmündig als Vertreter nominiren. Ich spreche nicht für mich selbst und brauche das zu meiner Legitimation." Der Freiherr verstand sich dazu. Er fühlte sich, seit er jeder Verbindlichkeit für den Abend ledig war, wieder leidlich wohl, und fand sich nun auch recht geschickt mit dieser Aufgabe ab, indem er nach Mederöffnung der Versammlung in etwas heiserem Tone um Entschuldigung wegen der Unterbrechung bat und hüstelnd hinzufügte, er würde eS als eine freundliche Rück sichtnahme auf seinen Zustand anerkennen, wenn die geehrten Herren statt seiner seinen Reffen, Herrn Redacteur Doctor von Jungenheim anhören wollten, der seine Intentionen ausreichend kenne. Er selbst werde sich die Ehre geben, am Vorstanditische Platz zu nehmen. Aeußerungen de» Beifalls unterblieben, aber auch gezischt wurde diesmal nicht. Der Doctor von Jungenheim erregte gleich durch seine gute Haltung und sein klangvolle» Organ die all gemeinste Aufmerksamkeit. Er sprach lebhaft, fließend, bald
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