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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.01.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-01-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000131028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900013102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900013102
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- LDP: Zeitungen
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Reel am en unter dem Redactionsslrich (4 ge spalten) 50 vor den Famiüennachrichren P gespalten) 40.^. Größere Schriften laut unserem Preis- Verzeichnis. Tabellarischer und Ziffernsap nach höherem Tarif. — — Extra »veika-en lgesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbetvrderung 60—, mit Postbesörderung 70.—. —— Annahmeschluß für 2i«)rige»l: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anjeioen sind stets an die Ertzetztlion zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. St. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3l. Januar. Man ist gewöhnt, im Schooße deS Freisinns Diffe renzen nach Wahlen und großen Entscheidungen entstehen zu sehen. Die Flottcnangelcgeuheit scheint hierin eine Wand lung vorbereilen zu wollen. Schon lange wird ohne Wider spruch behauptet, daß angesehene Mitglieder der freisinnigen Volkspartei im Lande die grundsätzliche Opposition ihrer Führer gegen eine Verstärkung der Marine nicht zu billigen, nicht einmal zu verstehen vermögen. Neuerdings hatte man auch der Ver sicherung begegnen können, in der freisinnigen Reichstags- fraction herrsche der Frage gegenüber nicht mehr die alte, auf den Nihilismus emgeschworene Einmülhigkeit. Bei den — Disciplinarverhältnissen in der von Herrn Richter geleiteten Reichstagögruppe ist diese letztere Angabe kaum glaublich, und die „Freis. Ztg." erklärt denn auch, es habe sich völlige Ein stimmigkeit ergeben. Aber Richter befehligt auch di« volks parteiliche Fraktion im preußischen Abgeordnetenhause und von deren Mitgliedern hat eines soeben wider den Stachel geleckt-: der rebellische Abgeordnete für Königsberg i. Pr., Iw. Krieger. Dieser Herr steht politisch sehr weit links, er verdient den Namen eines Demokraten, den man seinem von Grundsätzen gänzlich unbeirrlen Parleichef nur ironisch bei legt. Wie Dv. Krieger sich in der Generalversammlung deS Wahlvereins der Freisinnigen Volkspartei seines Wahl- und Wohnortes geäußert, theilen wir an anderer Stelle mit. Seine Ausführung enthält noch nicht einmal die Befürwortung der Bewilligung eines, auch nur eines einzigen Schiffes. Aber er würde, wenn er in der Lage wäre, prüfen, und er empfiehlt den Gesinnungsgenossen im Reichstage Prüfung, wo Herr Richter schon verworfen hat. Und er bleibt unter Verstärkung des Tones dabei, nachdem ein Partei genosse den Standpunkt der Berliner Fractionöselbst- beherrschers so getreulich vertreten, daß man glauben konnte, der Mann habe ein Richier'scheS Concept verlesen. Iw. Krieger batte den Muth, zu sagen, Laß er nicht „an der Kelte früherer Jahrzehnte liege". Die „Freis. Ztg." über geht das mit Stillschweigen, wie alles Unangenehme, was der Königsberger Frondeur bemerkt hat. Es ent spricht der Gewohnheit Nichter's, für die Bestrafung der Sclbstständigkeitsregungen im eigenen Lager die häusliche Züchtigung der öffentlichen vorzuziehen. Wie gesagt, I)r. Krieger hat keine Bewilligung von Schiffen empfohlen. Aber er bricht mit dem Glaubenssätze, daß sich die äußeren politischen Ver hältnisse nicht geändert haben» — er findet sie „außerordent lich verändert", er spielt den Tirpitz vom bestehenden Flotten gesetze nicht gegen den Tirpitz der neuen Flottenvorlage aus und er verspürt gegenüber dem Plane der Regierung keinerlei konstitutionelle Beklemmungen. Von einer Beschneidung des Bürgerrechts des Reichstags sagt er kein Wort. Eine solche bringt die Vorlage auch nicht mit sich, aber sie darin zu finden, galt bisher für volksparteiliche Pflicht. Daß Herr Or. Krieger eigentlich nur wegen der Kostendeckung seine Parteigenossen „mitthun" sehen möchte und daß er dabei — trotz feierlicher Verleugnung durch den preußischen Finanzminister und obwohl er damit Wesen und Zweck des Schutzzolls in ihrGegentheil verkehrt — den Schwein- burg'schen Einfall der Deckung aus höheren Getreidezöllen für einen Plan der Regierung nimmt, kann dem radikalen Opposi tionellen zu Gute gehalten werden. Der Volksparteiler hat sich jedenfalls schon dadurch verdient gemacht, daß er anderen VolkSparteilern Gelegenheit gab, Worten verhältnißmäßiger Unbefangenheit Beifall zu zollen und von ihnen still schweigende Zustimmung für daS Urtheil zu erlangen, daß die ReichSlaggruppe der Partei an der Kette früherer Jahrzehnte liege. Das ist immerhin etwas. Für die Flottenvorlage darf man von dieser Fraktion nichts erwarten, im Fall einer Reichstagsauflösung würden aber die Königsberger Worte wertbvoll sein. Ob die Auslösung so gewiß nicht erfolgt und die Vorlage so sicher angenommen wird, wie Herr Krieger glaubt, steht dahin. Jedenfalls hat Herr Richter Angst vor Neuwahlen wegen der Marine. Er will zwar nichts bewilligen, aber als Flottengegner in den Wahlkampf zu treten, getraut er sich nicht mehr. Darum hat er sich eine Ausrede zurecht gezimmert. Nämlich: wir stimmen gegen die Vorlage, aber das schadet ja nichts, denn der vorliegende Etat enthält ja noch keine Forderung aus der Flotten vorlage. Die Künstelei erinnert einigermaßen an die Ent schuldigung von 1886/87: „Jeden Mann und jeden Groschen", aber die Wähler haben bei den Septennatswahlen das von Windlhorst übernommene Gerschleierungssprüchlein bekanntlich auch nicht geglaubt. Die lüontvckvrukion xvuvruls äu ll'ravuil und die I?vckörutiou ckos Uouv868 cku I'ruvail cko Iwunco berufen gemeinsam zwei internationale VletvcrkschaftScongrcssc, die während der Weltausstellung in Paris im Jahre 1900 tagen sollen, ein. Bon dem Organisationscomitv für diese Congresse sind der Generalcommission der Gewerk schaften Deutschlands Einladungscirculare zur Ver- theilung an die deutschen Gewerkschaften gesandt worden. Die Generalcommission kommt dem Wunsche der französischen Gewerkschaften zwar nach,erklärt sich aber gleichzeitig gegen die Beschickung der geplanten Congresse, indem sie ausführt: „Es ist das dritte Mal im letzten Jahrzehnt, daß der Versuch gemacht wird, liebendem allgemeinen internationalen sociali frisch en Arbeiter- und Gewerkschaftskongreß einen allgemeine» inter nationalen Gewerkschaftskongreß zu veranstalten. Im Jahre 1892 ging der Plan von dem Congreß der englischen Trades-Unions aus, und wir wandten uns damals ebenso bestimmt gegen das Projekt, wie im Jahr« 1895, als ein internationaler Gewerkschaftskongreß von Lem„6omits ck'OrKnoisLtiou cke I»6rövo xsneralo" in Paris einberusen werden sollte. Beide Congresse wurden nicht abgchalten, was wohl wesentlich infolge der ablehnenden Haltung der gewerkschaftlich organisirten Arbeiter Deutschlands geschah. Diese stehen nach wie vor aus dem Standpunkte, daß, soweit Fragen allgemeiner Natur auf internationalen Congresse» geregelt werden können, dies auf dem internationalen socialistischen Arbeitercongreß zu geschehen hat. Sind Vereinbarungen zwischen bestimmten Berufen zu treffen, so sind hierzu internationale Berusscongrrsse zu berufen, oder sie sind auf internationalen Bcrufsconferenzen im Anschluß an Len internationalen Arbeitercongreß zu erledigen." Der „unpolitische" Charakter unserer social demokratischen Gewerkschaften wird durch das beharrliche Bestreben der Generalcommission, die Verbindung der Gewerkschaften mit dem inter nationalen socialistischen Arbeitercongreß nur ja nicht durch besondere Gewerkschaftskongresse lockern zu lassen, hell beleuchtet. — Auf die obige Kundgebung beschränkt sich die Generalcommission noch nicht, sondern sie wiederholt ihre Erklärung vom Februar 1895. Offenbar geschieht daS hauptsächlich deswegen, weil nach der Tagesordnung der geplanten Gewerkschaftskongresse auch die Frage des Generalstreiks erörtert werden soll, lieber ihn sagte die Generalcommission vor fünf Jahren: „Einen Generalstreik, und besonders einen internationalen, halten wir für unausführbar. Nach dem gegenwärtigen Stande der gewerkschaftlichen Organisationen muß er als eine Utopie bezeichnet werden." Anderer Meinung scheint der französische Konföderative Rath zu sein. Denn unter seinen Anträgen für die geplanten Gewerkschaftskongresse steht an erster Stelle: „Der Generalstreik, seine praktische Organisation, seine Eventualität, seine Conseguenzen." Alle Welt war auf die englische Thronrede und die im Unter- wie im Oberbaus an dieselbe sich anschließende Adreß» dcbatte, die an anderer Stelle ausführlich mitgetheilt wird, auf Höchste gespannt. Mußte doch daS wichtigste und vor aussichtlich folgenschwerste Ercigniß der letzten Monate, ja der Geschichte Englands seil langen Zeiten, der Krieg in Südafrika, zur Sprache kommen. Daß die Thronrede davon auSzeht, die Republiken Kälten den Frieden gebrochen und England sei das vom Wolfe hinterlistig überfallene Lamm, darf nicht Wunder nehmen. Das ist officielle Tradition und muß es bleiben, wenn der Enthusiasmus der coutridueng plek8 — sie giebt nicht bloS Geld, sondern auch Blut — weißglühend erhalten werden soll. Der Anspornung der Opferwilligkeit zu weiteren Großthaten dient ja auch das Lob, welches die Königin freigebig und überschwenglich allen am Kampfe Betheiligten, namentlich den Colonien, spendet. Die Opposition freilich dürfte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, festzustellen, wem die Schuld an dem furchtbaren Kriege beizumessen ist. Prethman deutete im Unterhaus mit seiner Bemerkung, die Rassengegensätze, welche zum Kriege geführt, seien durch „oberflächliche und nicht tbatsächliche" Ursachen verschärft worden, schon nach dieser Richtung bin. Einmüthig werden in der Thron rede wie in der Dcbatte die schweren Verluste bedauert und betrauert, und es wird offen zugegeben, daß für Eng land Niederlage auf Niederlage gefolgt ist — selbst Lord Salisbury spricht von Demüthigunzen —, aber ebenso einmüthig ist der Entschluß, die einmal an den Pflug gelegte Hand, wie Chamberlain und Salisbury vor Beginn deS Krieges sagten, nicht zurückzuzichen, ebenso einmüthig auch die Ueberzeugung, daß, so schwer und angst voll die Zeit für England sei, eS doch schließlich als Sieger aus dem Kamps hervorgehen müsse und darum auch hervor gehen werde. Auch Campbell Bannermann, der Führer der Opposition im Unterhause, ist für Fortsetzung des Krieges mit unbeschränkten Mitteln auch jetzt noch, jetzt erst recht. An raschen Erfolg freilich glaubt Niemand, sondern man ist noch auf eine weitere „Periode von Unglückssällen" gefaßt, man ist sich bewußt, einen „großen" Krieg, wie die Thronrede sagt, zu führen, eine Anerkennung deS kleinen, scheinbar unbedeutenden und schwachen Gegners durch daS scheinbar allgewaltige England, wie sie schmeichelhafter und ehrenvoller nicht gedacht werden kann. Die Macher deS Kriegs freilich, die Diplomaten, Minister und militärischen Rathgeber der Krone, hatten geglaubt, man bereite sich vor einem halben Jahre auf einen Spaziergang nach Pretoria vor, wo man Weihnachten unter dem Schatten der englischen Flagge zu feiern hoffte. Ein leiser, aber nicht mißzuverstehender Tadel liegt schon in den Worten der Thronrede, die Erfahrung dieses Krieges müsse „denmilitärischenBehördendeSLandes nothwendiger Weise Lehren von der größten Be deutung" bringen. Noch deutlicher wurde Lord Kimberley im Oberhause, der der Regierung „Mangel an Sach» kenntniß und Voraussicht" vorwars. Am bezeichnendyeu aber war das Lied ohne Worte, das das Unterhaus den, Manne widmete, der die furchtbare Verantwortung für das in Afrika fließende Blut in allererster Linie trägt. Als der Colonialminister Chamberlain den Saal deS Unterhauses betrat, empfing ihn eisiges Schweigen, während andere hervorragende Parlamentarier, namentlich die Führer der Opposition, mit lebhaftem Beifall begrüßt wurden. Aber, wie wir sckon dieser Tage vermutheten, an Kopf und Kragen wird es den Schuldigen nicht gehen, man will — wenigstens ist daS die Meinung im Oberhause — die Regierung mit seiner Kritik „nur unterstützen in den: Bestreben, den Krieg mit vollem Erfolgt zu Ende zu führen." Salisbury schiebt die Schuld auf die vertragschließenden Minister früherer Cabinette und klagt die — aber auch erst später ins Gebet zu nehmenden — Militärbehörden allein an, und selbst der „große Liberale" Rosebery will die Ab rechnung auf einen späteren Termin verschieden. Campbell Bannermann freilich will nichts von Schonung wissen und geht scharf mit Regierung und Militärbehörde ins Gericht, aber schließlich dürfte er sich doch nicht als Ministerstürzcr ansspielen. Der Grund der vorläufigen „Schonung" ist natürlich nur darin zu erblicken, daß Niemand in verantwortlicher Stellung die Hand an den verfahrenen Karren legen will, nnd Jeder denkt, eS sei daS Richtigste, die Männer, die die Suppe eingcbrockt, sie auch auSessen zu lassen. Es ist daher noch fraglich, ob Fitzmaurice'ö Mißtrauensvotum im Unterhause die Mehrheit findet. Nebenbei sei erwähnt, daß Campbell Bannermann die „manchmal widerstrebende" Art tadelt, mit welcher das Kriegsamt die Nachrichten vom Kriegsschauplatz bekannt giebt. Dieser Tadel dürfte nicht fruchten, denn schließlich werden doch die Stimmen über wiegen, welche in der Praxis des Kriegsamts ein geheiligtes Mittel zu höherem Zweck und — eine zarte Rücksicht auf die Nerven deö Publikums erblicken. Nicht ohne Ironie kann man die Belhcnerung der Thronrede entgegen nehmen, daß die Beziehungen zu den anderen Staaten freundschaftliche seien; liest man doch die schwere Besorgniß vor internationalen Verwickelungen allergefährlichster Art deutlich zwischen den Zeilen. Einen Kampf um die Sicherung der Suprematie in Südafrika nicht nur — daß darum, nicht um das Stimmrecht der UitlanderS gerungen wird, wußte man längst —, sondern einen Kampf um die Aufrecht erhaltung deS Reiches nennt die Königin den gegen wärtigen Krieg und weist dabei auf die Flotteurüstungen anderer Nationen hin. DaS zeigt zur Genüge, waS man fürchtet, und es bedurfte nicht erst der Mahnung Kimberley'S, „für jeden Fall vorbereitet zu sein". Von größtem Interesse war die Aeußerung deS Premier ministers: „Die englische Verfassung, wie sie jetzt besteht, bildet keine gute Maschine im Krieg". Also so weit sieht man sich schon gedrängt, daß man an die Veränderung der „unantastbaren", Jahrhunderte alten Verfassung denkt. Gemeint ist die Umwandlung des Söldnerheeres in ein stehendes Heer nach dem Muster der Continental staaten. — In der Thronrede, wie in der OberhauS- debatte wurde des Samoa-VertrageS mit Deutsch land nur rekerencks gedacht. Campbell Bannermann erklärte, er werde noch weitere Informationen fordern, ehe er sich ein Urtheil bilden könne. Im Allgemeinen ist man bekanntlich in England der Ansicht, man habe Deutschland mit der Abtretung Samoas einen Lieblings wunsch erfüllt und daher einen Gefallen gethan, für den man aber im Hinblick auf die ominöse Flottrnvermehrung Lös Die ganze Hand. Roman von Hans Hopsen. Nachdruck verbotcn. Der launische Mensch sah nun wohl, daß das Fräulein etwas gedrückt schien und an der Aussicht auf drei oder vier brod- lose Lehrjahre keine Erhebung fand. Es that ihm leid, aber, dachte er, bester jetzt abgeschreckt, als nach Jahr und Tag ver lorenen Strebens enttäuscht! Um aber selbst nicht unter der Entmutigung, die er anderen verursachte, an seiner not wendigen Stimmung Einbuße zu erleiden, sprang er schnell auf sein Lieblingsthema über. Nichts erquickte den berühmten Mann so innig, als über seine Mitstrebenden zu schimpfen. Darum fuhr er gleich fort, während er sich schon zum Malen an schickte: „Es giebt freilich auch verschiedenerlei wirkliche Künstler! Auch solche, die sich nicht scheuen, durch allerhand Mätzchen und Kniffe Gelo einzustreichen. Kommt da nicht neulich ein alter exotischer Aristokrat zum Sekretär der Genossenschaft und will, daß im Künstlerhause eine Reihe bemalter Fächer von einer Dame seiner Verwandtschaft oder Bekanntschaft ausgestellt würden. Nichts Außerordentliches, aber ganz artige nette Dinger mit alt modischen Schnörkeln und Schikanen drum herum. Die Herren College» krochen auch auf den Leim. Ich aber kannte die Hand. Es war die Hand meines verehrten Herrn College» und Auch- akademikers dort drüben in der Lennc-straße. Den einen Fächer kannte ich schon vor zwanzig Jahren. Darauf hatte er zu einem Künstlerfest in Rom aus Jux die Simonetta des Botticelli copirt und wedelte sich, als Florentinerin im Cinquecentocofküm, Wind unter den Knebelbart. Ich erkannte ihn aus den ersten Blick wieder, ich lachte, daß sich die Balken bogen, und sagte, man solle uns mit solcher Comödie zufrieden lasten. „Nandafächer!" Schwindel, um das Publicum zu locken und auf dem Umwege Geld zu machen. Unlauterer Wettbewerb, nichts weiter. Di« aristokratische Dame kennten wir, ließ ich vermelden, sie hieße mit ihrem wahren Namen: Herr Professor. . ." „Entschuldigen Sir, Herr Professor", unterbrach jetzt Nanda, die sich vor Zorn wie vor Freude nicht länger zuriickzuhalten ver mochte, den Polternden. „Die ärgerlichen Dinger heißen mit vollem Recht „Nandafächer" und sind nicht von einem Akademiker vor zwanzig Jahren in Rom gemalt, sondern von einem leib haftigen Fräulein in den letzten zwei Jahren in Berlin, und e» hat die Ehre, für das Lob, das Sie ihm wider Willen spenden, in Person zu danken." Sie knixte tief vor dem Ueberraschien, der sie alsbald an schrie: „Ja, wie heißen Sie denn?" „Wie meine Visitenkarte ausweist: Nanda von Wesselbrunn." „Aber Sie hatten sich nicht mit Ihrem Vornamen unter schrieben!" „Aas Zufall oder Gewohnheit, keineswegs in der Absicht, etwas zu verheimlichen. Wozu auch?" „Ei, wenn dem so ist", sagte der Professor, blaß vor Aergcr und Beschämung, daß er sich sowohl im Künstlerausschuß vor seinen Kollegen wie vor der jungen Malerin in seinem eigenen Atelier solche Blöße gegeben hatte, „dann betupfen Sie doch Ihre Fächer weiter mit allerhand Farben und lassen Sie sie sich von Ihren Magen und Sippen abkaufen für theueres Geld. Was brauchen Sie dann noch meinen Rath? Das heißt ja die Leute zum Narren halten. Ich habe die Ehre . . ." ,)Jch wollte ja durchaus nicht verschweigen", begann Nanda noch einmal, aber sie sah, was sie angerichtet hatte und daß der Mann jetzt himmelweit davon entfernt war, ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lasten. Darum brach sie ab, packte hurtig ihre Blätter zusammen und verließ den verlegenen Maler, der ihr als Mensch nun viel kleiner denn als Künstler erschien und auch als Künstler nicht mehr so bedeutend wie vordem. „Entschuldigen Sie nur!" war Alles, was sic sagte. „Bitte! War mir ein Vergnügen!" versetzte der Andere und grinste dazu, als hätte er die fatale Unterhaltung mit einem ungemein geistreichen Worte beschlossen. Nanda ging durchaus nicht unbefriedigt von ihm fort. War es auch mit der Landschaftsmalern noch weit hin, so mußte an ihren Fächern doch ein gewisses Können zu Tage getreten sein, wenn ein Mann wie der, von dem sie eben kam, ihre Arbeiten mit denen eines namhaften Künstlers hatte verwechseln können. Das hob sie, das beflügelte ihre Schritte. Mt jedem wuchs ihr Hoffen, ihre Zuversicht, durch ihre Kunst, was sie für den kranken Vater und für sich brauchte, zu verdienen. Und auch herzliche Dankbarkeit für Don Petro mischte sich in ihr Empfinden, der so treu und beflissen für sie thätig war, ohne sich dessen zu berühmen, und mit einer Ausstellung ihrer Fächer im Künstlerhaufe deren Werth zu erhöhen und ihren Ruf zu ver breiten bestrebt war. Ach, eS gab doch noch gute Menschen. Hoffentlich war auch Der einer, zu dem sie jetzt auf dem Wege war. Zu wem Andern sollte sie auch nach diesem Erlebniß und in dieser Stimmung vor Allen gehen, al» zu jenem Geschäft». Principal, der ihre Arbeiten wieder in Schwung und Mode bringen konnte. Sie ward mit vielen Bücklingen empfangen, wir ihr scheinen wollte, mit größerer Aufmerksamkeit als je vordem. Da faßte sie Muth und machte dem Kaufmann, der ihres Baters Unglück mit so theilnehmenden Worten erwähnte, den Vorschlag, nun, da ihre Fächer wieder begehrt würden, mit ihr einen Vertrag ab zuschließen auf Lieferung von zwanzig Stück binnen anderthalb oder zwei Fahren. Das würde sie in den Stand setzen, den größeren Theil der Summe, die der Kranke brauchte, zu ver dienen und ihr die Seelenruhe gewähren, die sie zum Schaffen nöthig hatte. Der Händler schmunzelte verlegen, als er dies Angebot ver nahm, er drehte den Kopf nach rechts und nach links, und dem armen Mädchen, das wie von Hoffnung getragen bei ihm ein getreten war, lief die Enttäuschung erbarmungslos eiskalt über den Rücken, noch ehe er angesangen hatten zu reden. Zwanzig Fächer! Wer sollte ihm zwanzig Fächer abkaufen? Also nur auf zwölf abfchließen. ,Ja, wo war denn die Sicherheit, auch nur ein Dutzend ab- zusetzen! Jetzt am Schluß der Saison! Er konnte doch sein Geld nicht unverzinslich anlegen. Waare muß umgefetzt werden, Wenn sich das Geschäft nähren soll. yllber es war doch wieder Nachfrage nach Nandafächern ergangen. Der Händler schmunzelte noch deutlicher als zuvor und schon etwas dreister. „Mein Gott, ja, es hatte eine vornehme . . . Dame vor einiger Zelt nach solchen Fächern verlangt ..." Er sprach das Wort „vornehme Dame" so nachdrücklich und humo ristisch betont aus und klappte dabei mit den Augendeckeln so vielsagend, daß Jeder daran merken konnte, die bewußte Dame sei eigentlich ein Herr und er im Besitz eines interessanten kleinen Geheimnisses, daß eben ckin Herr aus der Gesellschaft sich für das hier anwesende Fräulein so sehr intereffirte, daß es shm nicht darauf ankam, etliche Hundertmarkscheine für verlegene Waare, nach der kein Mensch mehr begehrte, zum Fenster hinaus- zuwerfen. So wie so kam's ihr ja zu Gute. Doch hütete er sich wohl, es seinen Kunden zu verrathen. Nur einen ganz kkeinenWink mit den Augen und Betonung eines Wortes hatte er der jungen Dame zu geben gewagt, damit sie ihn nicht für so dumm hielte, daß er nicht wüßte, woher der neue Wind in alte Fächer wehte, und sie nicht darauf Ansprüche baute, für deren Befriedigung er nirgends Gewähr erblickte — auch bei der „vornehmen Dame" nicht, die sich so viel Mühe gab, vergangene Moden wieder ouf- zufrischen. E» war Nanda, al» redet« der Mensch, derweil er noch neben ihr stand, weit, weit weg von ihr. Es war ja gleichgiltig, wie er sein Nein begründete. 'Thatsache war, daß auch hier nichts zu gewinnen war und ihre Lage nicht hoffnungsärmer, nicht verzweifelter gedacht werden konnte, als sie sich ihr hier zwischen einem kleinen Comptoirpult und etlichen mit Raritäten voll gestopften Glasfchränken in der höflichsten Form mit leisen Worten enthüllt hatte. Was nun? Sie war schon hundert und mehr Schritte von dem Magazin entfernt, ohne zu wissen, wie sie an dem sich tief verbeugenven Neinsager vorbeigekommen war, ohne zu wissen, wohin sie ging. Sie ging eben weiter. Wohin, war gleichgiltig. Ihrem bösen Schicksal entging sie doch nicht. Da flammte der Zorn mit einem Mdle heiß in ihr auf. Sie stampfte mit dem Fuße das Pflaster und blieb schwer athmcnd stehen. Was war das doch für eine Welt, in der sie lebte? Schurken und Feinde ringsum, lauter Bestien, von denen keine der anderen das Futter gönnte, Zvie der Künstler, so der Händler, nur nach Gela uno wieder Geld gierig und vor dem Durst nach Geld jede andere Neigung zurückvrängend. Und sie selbst, lies sie nicht durch die Stadt, um Geld zu suchen, das verfluchte, un erläßliche Gelo, das sie haben mußte, mußte, mußte, wenn der wahnsinnige Mann dem Leben erhalten und behandelt werden sollte, wie sie's nicht anders wünschen durfte? Sie mochte wohl einen kleinen Schrei ausgestoßen haben mitten auf dem Bürgersteig, denn ein abgerissener Mann mit einer Ledertcrsche, dessen rauhes Gesicht sie plötzlich vor dem ihrigen sah, fragte theilnahmsvoll: „Ist Ihnen wat, Fräulein? Fallen Sie man nich! Vorsicht!" Sie dankte dem Mitleidigen und merkte erst jetzt, daß ihre behandschuhte Rechte sich an einem Laternenpfahl hielt. Der Mensch mit den wilden Brauen, deren lange Haare ihm über die gutmüthigen Augen hingen, wartete noch immer, als ob er sie vor dem Umfallen auffangen und auf die nächste Sanitäts wache bringen sollte. Sie las einen furchtbaren Gedanken in seinem aufmerksamen Gesicht. So mochte sie den Vater bei seiner letzten Erzählung angeblickt haben. Hielt der Mann da auch sie für ? ^Um Gottes Christi willen, nur das nicht!" schrie es in ihr auf. „Nur diese Erbschaft nicht vom Vater!" Und sie stürzte mit kurzem Dankeswort von dem Menschen fort und betete inbrünstig zu ihrem Schöpfer, sie schrie wortlos in der höchsten Angst zu ihm, nur dies Geschick von ihr fern zu halten. Lieder gleich sterben! (Fortsetzung folgt.)
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