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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.06.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-06-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020630020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902063002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902063002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-06
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I. im Reichstage übe? den Dreibund vertreten hat. Der Reichskanzler führte au«, daß der Dreibund beute für un« nicht mehr eine absolute Nothwendig- keit sei, weil im Zeitalter der Weltpolitik ein System der Gegen gewichte sich berausgebildet habe, das naturgemäß auch ohne besondere Verabredung auf die Erhaltung des Weltfriedens binziele. In diesem Urtbeil steckte viel sachliche Richtigkeit, aber auch viel politische Taktik: je näher das Ende de« Drei bunde« heranrückie, um so weniger konnte da« deutsche Reich auf dem mitteleuropäischen Markte als Petent erscheinen. Die kühle Haltung des Grafen Bülow bat ohne Zweifel erheblich dazu bngetragen, daß der Dreibund unver ändert erneuert wurde. Und darin liegt sein Hauptwertb für Deutschland. Schon der Zeitpunkt des Abschlusses beweist, daß vermieden wurde, den neuen Vertrag mit handels politischen Zusätzen zu bepacken. Da« ist höchst wichtig und erfreulich. Ferner weiß man, daß französische Poli tiker, die auch in Italien ein Echo fanden, nachdem die Er- neuerungdeS Dreibundes an sich feststand, mit täppischer Aufdring lichkeit verkündet haben, der neue Vertrag müsse in Ansehung Italiens „modificirt" werden, weil inzwischen die Beziehungen Frankreichs zu Italien sich wesentlich verbessert hätten. Da solche Modifikationen unserem Interesse direkt widersprachen, ist daS Unterbleiben jeder Modifikation zu begrüßen. WaS aber Oesterreich anbetriffk, so war eS nicht ausgeschlossen, daß es die Gegnerschaft seiner Tschechen rc. wider den Dreibund zu dem Versuche benützte, eine Erweiterung de« oasus kvoäoris herbeizuführen und der Verpflichtung zur Abwehr eines russischen Angriffes di« Verpflichtung auf öster reichische Interessen im Orient hinzuzufügen. Da eS, mit BiSyzarck gesprochen, nickt kl- Ausgabe deS deutsche Ruches »st, seine Unkerthanen mit Gut und Dlnt zur Verwirklichung derartiger Wünsche berzuleihen, muß das Unterbleiben einer Erweiterung deS cu8us t'oeäeris um so mehr begrüßt werden, als eS gleichzeitig rin Beweis dafür ist, daß die Beziehungen des deutschen Reiches zu Rußland gut sind; eine Entfremdung zwischen Deutsch land und Rußland wäre die Voraussetzung für das Wachsen derösterreickischenAnsprüche.DieBeibehaltungdes unveränderten DreibundvertrageS kommt selbstverständlich auch den beiden anderen Eontrahenten zuGute,weil beide gleichfalls nach wie vor vcn lästigen Verpflichtungen befreit bleiben. Weder sind sie ge- nvthigt, ihre Land- und Seestreitkräfte auf einer bestimmten Höhe zu halten, noch sind sie gehindert, mit ihren Nachbarn gute Beziehungen zu pflegen. Hierin gerade und in dem rein defensiven Charakter deS Drei bundes , der für keinen etwas Herausforderndes bat, liegt die Bedeutung des Bundes als einer starken Garantie für den Frieden und für die Aufrechterhaltung deS 8tatu8 quo. Daß auch unter diesen Umständen der neue Dreibund nicht al« ein für jeden Wechsel der Verhältnisse haltbares ewiges Fundament gehalten werden darf, daß er nicht von dem „touzour <m voästts" befreit, hat Niemand unumwundener betont, als sein Schöpfer, Fürst BiSmarck. Auch die heutigen Leiter der auswärtigen Politik de- Reiche- sind sich darr« mit dem großen Kanzler ebenso einig, wie di« überwältigende Mehrheit de« deutschen Volke« selbst. Auf dem letzten BerusSgruosseoschastStage ist be schlösse« worden, an di, verbündeten Regierungen da» Er suchen zu kickten, die Bestimmungen de« neuen Gewerbe- unsallversicherungSgesetzr« über die Neuauffulluug deS Reservefonds wieder aufzuheben, da sonst die Industrie und namentlich da« Kleingewerbe schwer getroffen und «in ungeheures Capital der wirthschaftlichen Brr- werthung entzogen werden würde. Daraus, daß dieses Ersuchen an die verbündeten Regierungen gerichtet werden soll, könnte geschloffen werden, daß die letzterer, für die Belastung deS Gewerbes mit den NeuauSzaben für die beruf-genossenschaftlichen Reservefonds, die namentlich in den Zeiten wirthschaftlichen Rückgänge- stark drücken, in erster Reihe verantwortlich zu machen wären. Demgegenüber muß sestgestellt werden, daß in dem Entwürfe zum neuen GewerbeunfallversicherungSgesetze, den die verbünd, te-i Regierungen zuerst dem Neich-tage vorgelegt halte:, keine auf eine Aenderung der Vorschriften über dl^ Höhe der Reservefonds abzielende Bestimmung vor geschlagen war. Erst im Reichstage hat man der Industrie die neue schwereBelastung aufgepackt. Hier aber sind geradeAb- geordnete, die früher mit dem Beruf-genossenschaft-tage in engem Zusammenhang« standen, sür weiter« Anhäufung von Reserven zur Sicherung der Erfüllung d«r den BerusSgeuofsenschajten obliegenden Pflichten einaetmten. Ja, diese Abgeordnete» be absichtigten sogar, da« lveckung-verfahren der Invaliditäts versicherung bei der Unfallversicherung einzusühren. Nur an einem ihnen entgegengesetzten «nergischen Widerstande, der wieder nicht vom Reichstage auSging, scheiterte diese Absicht. Die verbündeten Negierungen haben schließlich, um da« G .tz zu Stande zu bringen, der im Reichstag« eingefüglen Neuerung zustimmea müssen ; sie aber, wie die» au« dem Be schluss« deS BerufSgenoffeuschaftStage» hervorzugeheu scheint, für die schwere Belastung der Industrie, die auch wir als völlig uonöthig erachten, in erster Reihe verantwortlich zu machen, geht doch nicht an. Ob jetzt noch di« schon für l as K'br 190l praktisch durchgeführte Bestimmung über die A n auffüllung der Nesrrvesonv« der Drrufsgeaoffensckafkin.Öl gehoben werden kann, ist mindesten- zweifelhaft. Im letzten Conststorium hat der Papst, und wahr scheinlich nicht zum letzten Mal, wieder auf das Anwachsen der protestantischen Propaganda in Nom htngewicsen und erklärt, er würde scharfe Mittel dagegen anwcnden, wenn er nicht in seiner Freiheit beschränkt wäre. Die Schuld wälzt er damit auf die italienische Regierung, wrlchc die freie Religionsübung in Italien, also auch in Rom, ge stattet, oder vielmehr Jeden nach seiner Fa<.on selig wer den läßt. Der Vatikan verlangt also damit von der italienischen Regierung, daß sie die Juden wieder bei ihrer Synagoge ins Ghetto einschließe, und die protestantischen Betsäle, von Kirchen wäre gar nicht zu sprechen, wie einst, in eine einsame Straße vor die Thore der ewigen Stadt verweise, damit sie kein Acrgerntß bet den Rechtgläubigen erregen. Der Schmerz des Papstes ist allerdings, so wird dem „Schwäb. Mercur" aus Rom geschrieben, zu verstehen, denn in keiner anderen Stadt Italiens haben sich die Pro testanten aller Schatttrungen so schnell verbreitet, wie in Rom. In den neuen wie in den alten Stadtvierteln sind zahlreiche Kirchen, Bctsäle, Asyle, Schulen, Bibliotheken, die ihr Entstehen besonders dem Gelbe englischer und amerikanischer Protestanten verdanken. Darunter befin den sich mehrere Kirchen von durchaus italienischem Cha rakter, wie die vom Grafen Campello, dem ehemaligen Kanonikus von St. Peter, begründete katholische Reform kirche. In erster Reihe stehen natürlich die Methodisten, die über die größten Geldmittel verfügen. Ihre Vereint- gungen werden nicht nur von Fremden, sondern auch von Italienern und sogar waschechten Romani <ii Ikoma fleißig besucht. Die Heilsarmee hat freilich bis jetzt noch nicht feiten Fuß fassen können. Dagegen haben die Anglikaner einige mit großer Pracht ausgestattete Kirchen. Die Deutschen begnügen sich mit der Botschaftscapclle aus dem Capitol tu, Palazzo Caffarelli. Der Bau der Kirchen hat natürlich zu mancherlei Reibereien mit dem römischen Cardinalvikar Veranlassung gegeben, der sich zu einem ge harnischten Protest veranlaßt fühlte, als in Trastevcre Wand an Wand mit einer katholischen Kirche kine Bap tistencapelle erbaut wurde. So etwas ist natürlich in einer Stadt, in der der Papst noch immer den Herrn spielen möchte, unerhört. Die Stadtbehörden ordneten denn auch richtig die Schließung der Capelle an, deren oberes Stock 'ich zum Thetl über der katholischen Kirche erstreckte. Ein anderes Mal protestirte der Cardinalvikar, weil man gerade gegenüber dem BikartatSpalaste einen evangelischen Betsaal eröffnet hatte, aus dem die Gesänge täglich an fein Ohr drangen. Dieses Mal aber gab die Behörde nicht nach und der Cardinal mutzte sich an die verhaßten Gesänge gewöhnen. Der protestantischen Bewegung setzt der Battcan den „Bund zum Beharren im Glauben" entgegen, der vor sechs Jahren vom Cardinal Parocchi begründet wurde, der, nachdem er das Amt als Bikar niedergelegt, noch immer das sehr thätige Haupt des Bundes ist. Dieser Bund bekämpft durch Wort und Flugblätter den Pro testantismus und richtet Schulen ei», in denen die fremden Sprachen unentgeltlich gelehrt werden. Er wird jedoch die weitere Verbreitung des Protestantismus nicht auf halten können. Ueber die Zustände in Finland lassen sich die „Times" Folgendes schreiben: Die vor Kurzem von den Kosaken in den Straßen von Finland begangenen Ausschreitungen haben der Welt ins Gebächtniß zurückgerufen, daß es noch eine finländtsche Frage gtebt. Die officiellen Berichte lassen sich mit denen au^> uunvhänistgcc —uellc ni.hl ver einbaren. Im Verlaufe einer Woche habe ich in Helsing- sors die Gelegenheit gehabt, die Aussagen verschiedener Augenzeugen mit einander zu vergleichen. Demnach scheint kein Zweifel darüber zn bestehen, daß die Angriffe der Kosaken ebenso brutal wie unprovocirt waren, da die Un ruhen, die sich vor der Ankunft des Militärs ereigneten, nur geringfügiger Natur schienen. Die Kosaken schlugen mit ihren Knuten Greise, Frauen und Kinder unbarm herzig nieder und erzwangen sich den Weg durch das Portal der lutherischen Kirche, durch die Thürsn von Privathäusern und selbst in das Hospital, um ihre Opfer zu verfolgen. Die Finländer haben sich noch nicht an die Negicrungsmethoden gewöhnt, die in Rußland zur An wendung gebracht werden, und vcrtheidigten sich natür lich wacker. Aber cs war keineswegs auf ihrer Leite der Wunsch oder die Absicht vorhanden, einen Aufruhr herbei zuführen, und sie verließen den Platz, sobald die russischen Beamten cingewilltgt hatten, die Kosaken zurückzuziehcn. Die Finländer kämpfen einzig und allein für die Aufrecht erhaltung ihrer alten Rechte, die von jedem russischen Kaiser seit der Annectirung des Landes im Jahre 1800 feierlich anerkannt worden sind. Sie vertrauen auf die Heiligkeit des Gesetzes und sind zu klug, um sich durch irgend eine ungesetzliche Handlung abschrecken oder provo- ciren zu lassen. Aber die Entrüstung über die Vorfälle am 18. April ist darum nicht geringer, weil sic unter Controle gehalten wird. General Bobrikow versuchte vor einigen Jahren die Finländer zu überreden, datz die konstitutio nelle RegicrungSform nur für eine kleine schwedische Parteigruppe von Nutzen sei, und daß für das Volk die patriarchalische Regierung der russischen Beamten weit besser sei. Die Vorgänge in Helsingfors haben der ganzen Nation den Werth dieser Vorstellungen vor Augen ge führt. Die Haltung der Behörden, weit entfernt davon, das Volk einschüchtern zu können, hat es nur in seinem Vorsätze bestärkt, mit allen gesetzlichen Mitteln gegen die Handlungsweise der Petersburger Regierung und ihrer localen Agenten anzukämpfen. Man glaubt in Rußland vielfach, daß der Widerstand gegen die Angriffe auf die Verfassung nur von einer kleinen Gruppe schwedisch sprechender Adliger und Professoren der Universität Hel singfors ausgingc, aber die Absurdität dieser Behauptung ist in überzeugender Weise durch die Recrutirungsberichte in diesem Jahre dargethan. In einem Lande, wo so zwangsweiser Militärdienst herrscht, giebt es kaum ein schwereres Verbrechen, als sich diesem Militärdienst zu ent ziehen. Das hat aber die überwältigende Mehrzahl der finnischen Recruten gethan. ES ist nicht einmal möglich gewesen, die genügende Anzahl von Doctoren zur Prü fung der Recruten aufzutreiben. Die russische Regierung hat nichts unversucht gelassen, um die Recruten zum Er scheinen zu veranlassen, aber bis zum 24. Mat hatten sich von den 10047, die aufgeforbert waren, erst gegen 8000 gestellt, und unter diesen war eine große Anzahl, die wuß ten, datz sie zum Dienste ncht tauglich waren. Wenn man die Folgen bedenkt, die ein Mann durch die Weigerung, sich zum Militärdienst zu stellen, auf sich labet, so mutz man zu der Ueberzeugung kommen, daß dies einer der bemer- kenswerthesten Proteste ist, die jemals von einer Nation gegen ungesetzliche Handlungen fetten» ihrer Herrscher ausgegangen sind. Deutsches Reich. Berli«, 29. Juni. (DieCrefclderHusaren.) Das Scherzwort des Kats.rS in Crefeld und di-' Thatsache. daß Crefeld die von der Gemeindeverwaltung sseit langer Zeit erstrebte Garnison unmittelbar nach der Anwesenheit des Kaisers erhielt, hat eine Fluth von politischen Aus einandersetzungen und Angriffen auf die Entscheidung des Monarchen hervorgerusen, wobei die „Hamburger Nachr." und Frhr. v. Zedlitz sich in schönster Harmonie mit der „Freis. Ztg." und dem „Vorwärts" befinden. Diesem Treiben gegenüber entgegnet die „Crefelder Ztg." in ihrer Freitag-Nummer in folgender ruhiger Darlegung: „Wir müssen gestehen: cs ist denn doch ein starkes Stück, wenn ein Blatt wie die ,Hamb. Nachr." so willig auf eine durch aus haltlose Auffassung eingcht. Vom „Vorwärts" hat uns dies nicht gewundert. Er findet ja seinen Beruf darin, solche Gelegenheiten auszunützen, un: gegen die Monarchie zu Hetzen. Aber Herr v. Zedlitz und mit ihm die „Hamb. Nachr." sollten doch so viel Verantwortlich- keitsgefühl besitzen, daß sie sich über die Sachlage und den Zusammenhang der Dinge unterrichten, statt von der „Freis. Ztg." und dem „Vorwärts" ihre Meinung zu be ziehe». Die Vernunft müßte Herrn v. Zedlitz von vorn herein gesagt haben, daß es sich bei dem Scherzwort des Kaisers von den Leutnants, die er den Crefelder Damen schicken wolle, eben nur um einen Scherz handeln konnte. Wie sollte dem Kaiser im Ernst einfallen, ein Husaren- Feuilleton. Susanns. -si Roman von B. Herwi. Nachdruck verboten. Fünftes Capttel. Sie wählten den kürzesten Weg nach der französischen Hauptstadt und kamen an einem der ersten September tage dort an. Das war die rechte Luft, das war das richtige Pflaster für Varnewitz. „Mädel, es ist ein Jammer, daß wir nicht früher her gekommen sind", rief er wiederholt. „Was mußten wir in dem langweiligen München so lange bleiben, wochen- lang auf den Bergen herumkraxeln, Natur schwärmen; hier erst hat man den Vollgenuß von allem Schönen, und was das Merkwürdigste ist, man fühlt sich gleich zu Hause, man wird nicht erdrückt, nein, man wird fortgetragen, erhoben, es ist, als ob aller Ballast von der Seele fiele ... Ja, der große Zola, der Göttliche, hat Recht, wenn er sein Paris emphatisch besingt.. . Entsinnest Du Dich noch der Page d'amour? . . . Die arme Mama las es so gern, o, ich höre noch ihre melodische Stimme: „Parts, Paris, da liegst Du vor mir in Deiner blenden- den Schöne, im Glanz der untcrgehendcn Sonne, welche die Zinnen vergoldet und die Straßen verklärt, Paris, Tu glühest in Schönheit!"." Susanna lächelte über die Exaltation des BaterS, sie kannte ja seine überströmende Art zur Genüge. Die Mutter hatte manchmal über diese seltene Gcnußfreudtg- keit sich amüsirt, den heiß geliebten Mann, den sie blind vergötterte, damit geneckt, daran mußte die Tochter jetzt denken. Wehmuth überfiel sie, eingedenk der warmen Neigung, die die Verstorbene dem Gatten entgcgengcbracht, sah Susanna Manches in milderem Lichte, was ihr sonst am Wesen des Stiefvaters unsympathisch, ja oft fast be denklich erschienen wäre. Auch jetzt begnügte sic sich nur, zu sagen: „Aber unsere Geldverhältnisse, Du meintest ja selbst, wir müßten nach Hause, damit nicht zu große Ebbe xintritt." „Daraus sprach der sorgsame Hausvater, mein Kind", beruhigte er sie, „ich schreibe noch heute an meinen Bankier, wir sind noch nicht ohne Hilfsquellen; ja, ja, mein Sannchen, bedanke Dich nur bet Deinem vorsich tigen Vater, ich habe zur Zett gut opertrt, -as kommt uns jetzt zu Statten." Und er setzte sich augenblicklich htn, schrieb an seinen Bankier, dann brachte er den Brief selbst zur Post und versprach der Tochter, bei der russischen Gesandtschaft mit heranzugehen und nach Nachrichten von den Woronsow'S zu forschen. Die Boulevards fesselten ihn mächtig. Noch waren die Bäume in voller Blätterpracht. Die goldene Septembersonne warf ihren glänzenden Schein auf das saubere, weiße Pflaster. Die Zahl der eleganten Wagen, die inis Bois fuhren, der schwer bepackten Omni busse, die dennoch schnell dahtnrollten, war ganz enorm, dazwischen Promentrende, Müssiggänger, geschäftig Eilende, Verkäufer, die ihre Maaren anpriesen, Blumen, Früchte, die offenen Cafös mit den dicht besetzten Tischen, die eleganten Läden mit den kostbaren Erzeugnissen der Kunst, den unendlich varttrenden Gegenständen des Welt handels . . . wahrlich, ein überwältigendes Treiben, das, je höher die Sonne stieg, immer bedeutendere Dimen sionen annahm. „Ein Bild der Welt, im Rahmen zweier Häuserreihen", so ctttrte Barnewttz den Ausspruch eines Schriftstellers, der sich auch von dem Eindruck gebannt gefühlt hatte. Im groben Cafe, in der Nähe der Oper, ging es besonders lebhaft her. Habitues des Restaurants, Fremde, dazu Beschäftigte des Theaters, die soeben in großer Lebhaftig- kett, wahrscheinlich nach beendeter Probe, Erfrischungen genießen wollten, Damen und Herren, fröhlich plaudernd, lachend, coquettirend. Guido Barnewitz hatte sich ein Plätzchen ausgesucht, von dem aus er Alles gut beobachten konnte. Behaglich hatte er sich zurückgelehnt, schlürfte seinen Mazagrin, an den er sich schnell gewöhnt hatte, zündete sich dann eine Cigarette an, sprang aber plötzlich, wie elektrisirt, auf und lies einem Herrn entgegen, der in schlaffer Haltung eben auf das CafS zusteuerte. . . „Durchlaucht", rief er, den Hut lüftend, „welche Freude, Die noch eher zu finden, al» Nachrichten von Ihnen zu bekommen. Die sehen mich aus dem Wege zur Bot schaft . . ." „Ich komme von dort, Monsieur Barnewttz, habe auch meine Adresse für Die abgegeben, ich wohne im Gran- Hotel, will mich aber atcht lange aufhalten .. Alles an ihm war verändert, sein Aussehen, seine Sprache, die frühere Lebhaftigkeit verschwunden. Müde blickte er vor sich hin. „Ich habe Schweres erlebt, seitdem wir uns ge trennt . . ." Jetzt sah er Barnewttz an und begegnete fragenden, theilnahmsvollen, ja erschreckten Augen. „Meine Fran ist todt." Schwer fielen die Worte von den Lippen. „Wenige Wochen, nachdem wir in Territs angekommen waren, erkrankte sie heftig, keine ärztliche Kunst war mächtig genug, zu helfen, ich mußte sie dahingeben nnd dort bestatten, ehe nur Einer der Ihrigen eintreffen konnte. Ich würde Sie und Ihr Fräulein Tochter be nachrichtigt haben, wenn ich Ihre Adresse gemußt hätte, sie sprach noch viel von Mademoiselle Susanna, auch in den Phantasien von dem unvollendeten Bilde . . . wle hatte sie sich auf das Zusammensein in Nizza gefreut, ans das zu malende Porträt . . . hätte tch's nur, hätte ich's nur . . ." Er stöhnte cs beinah vor sich hin, Barnewitz erschöpfte sich in Ausdrücken des Bedauerns. „Wollen wir zu meiner Tochter gehen, mon princo", schloß er die Betlcidsbctheuerungcn, „bei ihr werden Sie rechtes Verständniß und warmen Trost finden." Es paßte Barncmitz durchaus nicht in seine Pläne, sich die frohe, genußsuchcnde Stimmung durch den trauernden Wittwer, und wenn er auch ein Fürst, dessen Verkehr mit ihm Relief geben konnte, verderben zu lassen, mochte die sentimentale Susanna, die wirkliche Freundschaft für die kranke Frau empfunden hatte, sich des Betrübten an nehmen, er hatte ja zum Glück gesagt, daß er sich nicht lange in Parts aufhalten wollte. „Wo finde ich Mademoiselle?" fragte der Flint. „Meine Tochter wollte früh in die Gemäldegalerie des Louvre gehen. Dort wird sie wohl ihr Standquartier errichten . . . wenn es recht ist, Durchlaucht . . ." Der Fürst nickte und beide Herren schritten durch die Avenne bc l'Opßra dem Louvre zu. Susanna war schon gleich nach der Trennung von Barnewttz in das Museum gegangen und hatte dort im Anblick der Kunstobjecte, der unbeschreiblich schönen Venus von Milo, der wehmüthig stimmenden Erinnerungen und endlich beim Durchwandern der Gemäldesäle schöne, Herr- lichc Stunden verlebt. CS war ein so klarer, sonniger Tag, daß die Beleuch tung für die einzelnen Bilder oft überraschend günstig war, dennoch durchwanderte Susanna die Säle heute sehr schnell, sie wollte nur einen Gesammteindruck des Ganzen erhalten, um sich später oricntiren und nach einander dle Skulpturen, die Altcrthümer, die Gemälde aufmerksamer studircn zu können. Dennoch ward ihr Fuß hier und da aufgehalten, ein Rafael, ein Tizian, ein Murillo... ja, konnte man daran so schnell vorübercilen!" „Gott, ich danke Dir", flüsterte sie, „daß Du mich diese Schönheiten sehen läßt, o, könnte ich doch lange hiev weilen, welche Schätze birgt dieses Schloß, welche Fülle, welche Anregung." Der Katalog half ihrem Wissen nach, Stunden waren ihr wie im Fluge vergangen, sic verspürte keine Müdig keit, mit hochrvthcn Wangen, blitzenden Augen, eilte sie von Bild zu Bild, von Saal zu Saal. Plötzlich blieb sie vor einem mittelgroßen Frauen porträt stehen und betrachtete mit stetig wachsendem Inter esse die wunderbare Farbenpracht des Haares, den süßen Ausdruck des Gesichtes. Das Mädchen oder die junge Frau, die in idealer Pracht da porträtirt war, hielt mit der linken, fein- ftngerigen Hand die schweren, noch bräunlichen Haar massen, während die Rechte glättend darüber fuhr. Es war nicht allein die Aehnltchkeit des goldig glän zenden Kopfschmuckes mit dem der Fürstin Woronkow, nein, Susanna war frappirt durch die fast gleiche Stel lung . . . Damals die leidende Frau vor dem Spiegel . . . und jetzt hier das sehnsuchtsvoll blickende schöne Geschöpf in der selben Beschäftigung, fast jede Linie eine der andern gleich. „Märchenporträt aus der flämischen Schule", sagte ihr der Katalog. . . . Auch in den sanften, dunklen Augen war etwas Achnlichkett. Ah, Woronsow'S müssen es selbst sehen, sobald sie angckommen, sie wollte es ihnen zeigen und sich an dem Erstaunen weiden . . . „Ah, la voilL", hört sie eine Stimme sagen . . Sie wendet sich und erblickt den Vater am Eingang des Saales . . . mit einem fremden Herrn, nein, das ist kein Fremder, trotzdem das Antlitz so bleich, der blonde Bart grauer geworden ... der Fürst Nicolai. . . . Sie geht den Beiden entgegen, dann bleibt sie erschreckt stehen . . . Dies kummervolle Gesicht . . . Trauerflor am Arm, auf dem Hut. . . Sie sieht ihn angstvoll an, ihre Lippen beben, bringen aber kein Wort hervor; er liest die stumme Frage in ihren Augen und neigt sein Haupt. „Ich habe sie verloren, Mademoiselle, unter Lächeln
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