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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.09.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030922024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903092202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903092202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-22
- Monat1903-09
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BezugS-Preis der Hauptexpeditton oder deren Ausgabe stellen abgeholt: vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS 3.75. Durch die Post bezogen für Deutsch- land u. Oesterreich vierteljährlich .M 4.50, für die übrigen Länder laut Zeitungspreisliste. Redaktion und Lr-edition: Ivhannisgaffe 8. Fernsprecher 153 und 222. FUialerpevitt-ne»: Alfred Hahn, Buchhandlg., UniversitätSstr.3, L. Lösche, Katharinenstr. 14, u. Königspl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Marienstraße 34. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Havpt-Filiale Serlin: Aarl Duncker, Herzgl. Bayr. Hosbuchhandlg., Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4603. Abend-Ausgabe. MiWM MlMalt Anzeiger. ÄmlsVtatk des Königkichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates nnd des Nottzeianrtes der Stadt Leipzig. Nr. 483. Dienstag den 22. September 1903. Anzeigen Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lfsertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ./L 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännalfmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: BormittagS 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 97. Jahrgang. Preutzenhetzc in Bayern. Die Nachricht, daß Germersheim Rcichsfestung werden, Ingolstadt dafür in eine Festung zweiten Ranges ver wandelt werden solle, wirb von den bayerischen „Patrioten" zu einer Preußenhetze erster Ordnung auSgenützt. Der Politische Tagesschau. * Leipzig, 22. September. Soldaten-Mitzhandlungen. Die erregten Erörterungen über Svldaten-Mißhandlungen verschwinden kaum noch von der Tagesordnung. Jeder Baterlandsfreund empfindet das als ärgste Schädigung des Rufes unseres deutschen HeereS. Die Sozialdemokratie gewinnt durch diese betrübenden Erscheinungen immer neues Wasser auf ihre Wahlmühle. Nichts würde verkehrter sein, als das Recht der Presse verkennen oder gar ein schränken zu wollen, hervortretende Mißstände gerade in unserem Heerwesen eingehend und streng kritisch zu be handeln. Parteiunterschiede dürfen dabei nicht in Betracht kommen. Keine Partei darf sich von einer anderen überbieten lassen in ihrem Eifer, gegen die Soldaten-Miß- bandlungen in der denkbar schärfsten Form auszutreten. Speziell von der nationalliberalen Partei erwarten wir, daß sie nicht säumt, nach dem Zusammentritte des Reichstags die Fälle von Ueberschreitungen der Dienstgewalt zur Sprache zu bringen, die neuerdings die tiefste Em pörung gerade in den Kreisen derjenigen Vaterlands freunde hervorgerufen haben, die für dre Heeres- und Flottenverwaltung alles bewilligen, was diese im Interesse der Unversehrterhaltung unserer Rüstung zu Lande und zu Wasser als Notwendigkeit fordert, vorausgefetzt, daß solche Bewilligungen sich mit der gebotenen Rücksichtnahme auf die Opferfähigkeit der Nation in Einklang halten. Die deutsche Armee ist im Laufe der Jahre gemäß unserer Be völkerungszunahme immer größer geworden; es wäre daher wider dre Natur, zu erwarten oder zu verlangen, daß in dem großen deutschen HeereSkörper Ueberschreitungen der Dienstgewalt zum völligen Verschwinden gebracht würden. An Versuchen, die Disziplin im deutschen Heere zu lockern, fehlt es wahrlich nicht. Je notwen diger es aber bleibt, ihnen unausgesetzt zu begegnen und ihnen, wenn erforderlick, mit der rücksichtslosesten Schärfe entgegenzutreten, um so mehr ist es auch geboten, Mißhand lungen von Soldaten zu ahnden mit Strafen, deren Schwere und unter Umständen besondere Art - eine so ab schreckende Wirkung äußern, daß, wo der Ansatz zu Neigungen besteht, wie sie in den neuerdings zu Tage getretenen Fällen zur Betätigung gekommen sind, solche Anfätze sich rasch zurück bilden. Menschliche Behandlung und Aufrechterhaltung der Disziplin bilden keine gegensätzlichen Forderungen; das Eine muß daö Andere ergänzen. Gegensätze und Widersprüche liegen darin, daß auf der einen Seite die Sorge der Verwaltung und der mit ihr vertrauens voll zusammenwirkenden Parteien sich erschöpfen soll in der Abwehr von Bestrebungen, welche die Disziplin untergraben und die Zuverlässigkeit des Heeres mindern, und daß auf der anderen Seite von Vorgesetzten in dem HeereSkörper durch mißbräuchliche Anwendung der Dienstgewalt das besorgt wird, was man ein Recht hat zu nennen: Sozialdemotraten- Züchtung. oberbayerische „Wendelstein" erinnert sich bei diesem Anlaß der angeblich anfangs der 80er Jahre von Preußen betrie benen Pläne, Regensburg zur Reichsfestung zu machen, um damit „ein preußisches Laaer zur eventuellen Ueberrumpelung oder doch Niederhaltung Bayerns errichten zu lassen". Und der „Wendelstein" erinnert sich ferner an daS angeblich von Preußen inspirierte Streben nach einer Verlegung des dritten bayerischen Armeekorps in die Rheinpfalz „zwecks militärischen Entblößtseins Bayerns für gewisse preußische Operationen gegen Bayern". Als drittes preußisches Manöver gegen Bayern erscheint jetzt dem „Wendelstein" das „Doppel festungsding" Ingolstadt-Germersheim: „Was man mit dem 3. Armeekorps und Regensburg nicht er reichen konnte, will man also jetzt offenbar mit Ingolstadt-Germers heim nachholen. Macht man Ingolstadt zur Festung zweiten Ranges, so wird im Innern Bayerns nicht bloß viel Militär frei, sondern auch dessen Hanptwaffenplatz geschwächt; erhebt man Germersheim zur Reichssestung und transferiert das in Ingolstadt sreiwerdende Militär nach Germersheim, so ist nicht bloß die zu Wasser gewordene Reichsfestung Regensburg und die Vereitelung der Verlegung des 3. Armeekorps in die Pfalz nachgeholt, sondern auch schon noch ein Drittes . . erreicht, nämlich die Schwächung Bayerns in seinem Herzen durch die Degradierung der Festung Ingolstadt." Die Garnison in Ingolstadt wird dem Vorstehenden mit Genugtuung entnehmen, daß sie als Bollwerk gegen die schwarzen Pläne Preußens eine beinahe weltgeschichtliche Rolle spielt. Aber Scherz bei Seite! Die oben wieveraegebene Hetzerei des oberbayerischen Zentrumsorgans gegen Preußen veranschaulicht wieder einmal,mit welchen Mitteln die blauweißen „Patrioten" arbeiten. Irren wir nicht, so begann der „Wendel stein" seine Hetze, nachdem die eingangs erwähnte Nachricht be treffs der Festungen Ingolstadt und Germersheim bereits demen tiert war. Sollte es aber jemals dazu kommen, daß Ingolstadt eine Festung zweiten Ranges und Germersheim Reichsfestung würde, dann müßten selbst die beschränktestenGebirgsbauern sich sagen, wie hinfällig die albernen VerdächtigungenPreußcns sind. Wenn Preußen gegen Bayern wirklich etwas im Schilde führte, so würde es sich weder durch Ingolstadt als erst klassige Festung, noch durch das 3. bayerische Armee korps aufhalten lassen. Anderseits ist einleuchtend, daß die Verwandlung von Germersheim in eine Reichsfestung ledig lich zur Sicherung unserer Westgrenre ins Auge gefaßt werden könnte und daß die Beibehaltung von Ingolstadt als einer Festung ersten Ranges im Hinblick auf unsere Be ziehungen zu Oesterreich-Ungarn überflüssig erscheinen dürfte. Verschließt sich der „Wendelstein" solchen selbstverständlichen Erwägungen, dann beweist er lediglich, daß die klerikale Ver hetzung mit der sozialdemokratischen auf einer Stufe steht. Ein Gespräch mit dem deutschen Reichskanzler. Der deutsche Reichskanzler hat, wie uns ein Privat telegramm meldet, am Sonntag abends, kurz bevor er sich zum Diner nach Schönbrunn begab, einen der „Neuen Freien Presse" befreundeten Politiker empfangen und zu demselben einige auf die derzeitige Lage im Orient bezügliche Aeußcrungen getan, über die uns der nachfolgende Bericht zugeht. Der Kanzler war trotz all der Feste, Festessen und Gespräche, die er während seines dreitägigen Wiener Aufenthaltes über sich hatte ergeben lassen, bei bester Laune und von liebenswürdigster und frischester Mitteilsamkeit. Die Politik jedoch schien er ziemlich satt zu haben. Er zog es vor, über rein menschliche Dinge zu plaudern. Nichtsdestoweniger machte er einige auf die Lage im Orient bezügliche Aeutze- rungen. Als der Besucher bemerkte: „Die Welt lugt ge spannten Blickes nach Ihrer Toga aus und fragt, ob Sie in ihren Falten den Krieg oder den Frieden tragen", erwiderte der Reichskanzler lächelnd: „Nur den Fried en." Der Besucher stellte nun an den Kanzler die Frage: „Ist es ein Zu fall, daß Kaiser Wilhelm und der Zar Nikolaus in so fchneller Aufeinanderfolge nach Wien kommen, oder besteht ein Zusammenhangzwischen den Besuchen derbeiden Herrscher?" Der Reichskanzler erwiderte: „Ein Zusammenhang besteht in sofern, als Deutschland vertrauensvoll die Austragung der Angelegenheit im Orient zunächst Oesterreich-Ungarn und Rußland überläßt." Graf Bülow ließ merken, daß Deutsch land an seinem alten Programm festhalte, sich in die An gelegenheiten des Orients nicht einzumischen und das vollste Vertrauen habe, daß bei der Freundschaft, die Deutschland mit Oesterreich-Ungarn sowohl wie mit Rußland verknüpfe, aus dem Zusammensein der beiden Kaiser Franz Josef und Nikolaus Entscheidungen betreffs des Orients resultieren werden, die auch den Beifall Deutschlands haben würden. Der Besucher fragte nun, ob aus dem bevorstehenden Zusammensein der Grafen von Goluchowski und Lambsdorff eine bedeutende Erweiterung des im letzten Winter ausgearbeiteten Resormprojektes zur Beruhigung der Wirren im Orient zu erwarten sei. Reichskanzler Graf Bülow erwiderte, „Deutschland über lasse das Maß der betreffs des Balkans zu treffenden Vorschläge getrost den beiden befreundeten Mächten Oester reich-Ungarn und Rußland." Die Frage, ob wohl eine euro päische Intervention im Orient in Aussicht genommen fei, glaubte Graf Bülow in verneinendem Sinne beant worten zu sollen. Tie Kriegsgefahr am Balkan. Trotz aller diplomatischen Versicherungen des Gegenteils kann man sich immer noch nicht des Eindrucks erwebren, daß die Lage am Balkan die Befürchtung einer plötzlichen Ex plosion nur allzu sehr rechtfertige. Vorläufig beschränkt man sich dort auf ein förmliches Bombardement mit Noten, Erklärungen und Protesten, die aus Konstantinopel und Sofia den Kabinetten der beteiligten Großmächte zufliegen und von dort mit der stereotypen Mahnung zurückgcgeben werden: Türkei, reformiere; Bulgaren, haltet Ruhe! Dieses Fanaballspiel kann natürlich nicht immer so weitergehen. Heute liegt uns eine Meldung vor, die schon ernster klingt, umjomehr als sie zeigt, daß auch Serbien entschlossen ist, sich aktionsbereit zu machen. Die Nachricht besagt: ^V. Wien» 22. September. (Privattelegramm.) Die „Neue Freie Presse" meldet aus Belgrad: Tas Ministerium des Aeußern richtete an den türkischen Gesandten eine Note, in welcher gegen die Konzentrierung von türkischen Truppen an der serbischen Grenze Beschwerde erhoben wird. Ihre Stärke wird auf 40 000 Mann beziffert, die Hauptmasse steht gegenüber Vranje. Es wird die Zurückziehung der Truppen verlangt, widrigenfalls Serbien Gegenmaßregeln ergreifen müßte. Der türkische Gesandte bestreitet, daß die Zahl der türkischen Truppen so groß ist, und rechtfertigt die Bereitstellung von türkischen Abteilungen mit Einfällen serbischer Banden. Von wesentlichem Belang ist noch der Umstand, daß man es auch in den Vereinigten Staaten satt bekommt, den ewigen Versicherungen des Sultans, den Greueltaten Einhalt zu tun, ohne daß dies wirklich geschieht, noch länger untätig mit zuzusehen. So wird uns gemeldet: * Washington, 21. September. Ter amerikanische Gesandte in Konstantinopel, Leifhman, telegraphiert, daß die amerikanischen Forderungen nicht genügende Berücksichtigung finden. Im Staats departement verlautet, der Sultan habe ursprünglich beabsichtigt, den früheren Bali von Beirut, Reschid Bei, zum Unlersraatssekretärim Ministerium des Innern zu ernennen. Leifhmans energische Vorstel lungen gegen diese Ernennung hätten schließlich die Lberhand behalten. Aus das Staatsdepartement werde ein Truck ausgeübt, gegen die türkischen Grausamkeiten einzuschreiten. Tie Beamten des Staatsdepartements äußern sich nicht über die Möglichkeit, daß den Ge fühlen des amerikanischen Volkes wegen der Greueltaten in der Türkei Ausdruck gegeben werde; sie sagen jedoch, die Berichte über solche Vorkommnisse in Teilen der Türkei, die täglich einlaufen, seien derart, daß sie aller Civilisation spotten nnd in den Vereinigten Staaten einen tiefen Eindruck hinterlassen. Freilich von türkischer Seite wird dem entgegengebalten, daß auch die Greueltaten der großbulgarischen Propaganda aller Beschreibung spotten. Die entsetzlichen Dynamitalten- tate im Juli und Ansang August sind ja noch in frischester Erinnerung und heute wird wieder aus Sofia gemeldet, in einem Kampfe im Kresna - Defilee, im Struma-Tal, seien 500 Türken durch Dynamit getötet worden. Wir müssen die Bestätigung der Meldung abwarten, denn das Durcheinander ist ja jetzt schon soweit gediehen, daß, wenn die Kunde eines neuen bestialischen Blutbades kommt, beide Teile sich gegenseitig beschuldigen, dasselbe auf dem Gewissen zu haben. Tic Krisis im Panama-Kanalverlrag. Heute läuft die Frist für die Vollziehung des Panama- Kan alvertr ags ab. Von amerikanischer Seite, heißt es, werbe nichts geschehen, um eine Verlängerung dieser Frist zu erlangen, und in Bogota hat nach den letzten Nach richten der vom Senat und Unterhaus gemeinsam ein gesetzte Ausschuß empfohlen, die Verwerfung des Kanals durch den Senat gutzuheißen und die Regierung zu einem neuen Kanalvertrag zu ermächtigen auf der Grundlage, daß Kolumbien die Neutralität des Kanals verbürge, die Ober hoheit dort ausübe und die Ordnung am Kanal aufrecht erhalte; auch solle die französische Panamagesellschaft ange halten werden, zuerst bei Kolumbien um die Uebertragung ihrer Rechte an die Vereinigten Staaten einzukommeu. Wenn sich dies bestätigt, darf der Vertrag als tot gelten, denn die amerikanische Regierung wird nie und nimmer auf solche Bedingungen eingchen, oder auch sie nur erwägen. Vor bald 14 Tagen waren, wie der „Köln. Ztg." aus Washing ton geschrieben wird, schon Mitteilungen aus Bogota einge troffen, die übereinstimmend aussagten, der wahre Grund für die Ablehnung des Vertrages sei die anmaßende Haltung des dortigen amerikanischen Gesandten Beauprs gewesen. Sogar der kolumbische Staatssekretär Rico meldete dem Geschäfts träger Herran in Washington ähnliches, und zwar muß er es in scharfer Sprache getan haben, denn Herran machte dann Aeußcrungen, wobei er sehr unverblümt von der Ueber- hebung Bcauprss sprach. Da Herran die eigentliche Stütze des Vertrags war, fällt seine abfällige Kritik doppelt inS Gewicht. Im Staatsdepartement in Washington ist man natürlich sehr aufgebracht, um so mehr, als Beauprs nur nach seinen Weisungen gehandelt hat. Es sei ganz verfehlt, so wird behauptet, wenn sich die Kolumbier beklagen, Beaupre habe Feuilleton. 171 Lngeborgs Linder. Roman von MargareteBöhme. SiaLlmS verboten Bahne selber hatte jedenfalls nie an eine Heirat ge dacht. Diejenigen, die die Verhältnisse kannten, wußten ja, daß die Standcsbcgriffe, die in den Kreisen seiner Kameraden herrschten, ihm die Heirat mit der kleinen Handwerkerstochter zur Unmöglichkeit machten. Das war nicht einmal feine Schuld. Seine Schuld lag nur in dem Umstande, daß er Anna nicht auf die Unmöglichkeit einer Heirat aufmerksam gemacht hatte. Wie konnte sie es ahnen, daß ihre Hoffnungen an der Hobelbank und -em Leimtopf ihres Vaters scheiterten! Bahn« mußte sich den Gesetzen seines Standes fügen, jenen seltsamen Ge setzen, die den wunderlich verwickelten, gespreizten, nervösen, hypergespitzten Ansichten von „Ehre" ent sprangen, welche unter den Edelsten der Nation herrschen, und die fortwährend abwechselnd groteske und tragische Blüten treiben. Sonderbare Heilige! Da betrinken sich ihrer etliche bei einem Liebesmahl. In sinnloser Berauschtheit lallt der eine ein paar Worte, die von dem anderen als Be schimpfungen verstanden werden. Am anderen Morgen nimmt zwar der „Beleidiger" seine Worte, deren er sich selber nicht «inmal mehr entsinnt, in aller Form und mit den gebührenden Entschuldigungen zurück und der „Be leidigte" erklärt sich damit befriedigt. Aber so leicht regelt sich eine so schwierige Sache nicht. Der Lhrenrat hat bereits Wind von der Sache und Stellung zu der selben genommen. Und der Ehrenrat ist mit einer so einfachen und leichten Lösung, wie das gegenseitige Aus sprechen und Versöhnen der Parteien, durchaus nicht ein verstanden. Auf der Uniform des Offiziers haftet «in unvorsichtig verspritzter Tropfen Pfützenwaffers ganz anders, fester, als auf dem Rocke des Eivilisten. Bei diesem genügen sauberes Wasser und höchstens noch Seife zur Reinigung; der Flecken auf dem Offi-ierSkleide kann nur durch warmeS, strömendes Blut getilgt werden. Also Blutduell. Der „Beleidiger" wird erschossen. Verzweifelnde Eltern, die ihren einzigen Sohn be- weinen, eine jammernde Braut stehen an der Bahre. Das ist bedauerlich, aber nebensächlich. Die Hauptsache bleibt, daß der „Ehre" genügt ist. Der Blutstrom aus dem Herzen des Gefallenen hat den fürchterlichen, ätzenden, entstellenden Schandfleck von der Ehre des „Be leidigten" fortgespült, avgewaschen. Die Sache ist ritter lich ausgetragen. Heureka! Aber dieselben Kreise, die auf der einen Seite im Punkte der Ehre das Tüpfelchen auf dem i mit Blut und Leben verteidigen, sehen nichts Unehrenhaftes darin, wenn einer der Ihren einem unbescholtenen Mädchen aus dem Volke in flüchtigem aussichtslosen Liebes getändel eine Reihe seiner schönsten Iugerrdjahre stiehlt, wenn er es mit leeren Worten hinhält, es an die Rein heit seiner Liebe glauben läßt, um es dann eines Tages brutal abzuschütteln und es vielleicht dem moralischen Untergange preiszugebcn. Warum legt der schöne, ritterliche Stand seinen An gehörigen nicht die Verpflichtungen auf, alle ihre Hand lungen auf die gleiche, haarscharf wiegende Wage jenes „Ehrbegriffes" zu legen? Es ist gewiß etwas Hohes, Heiliges um die lautere, makellose Mannesehre. Sie ist es wert, daß man ihr Altäre baut, daß sie Pallisaden um sich errichtet, daß sie sich ernst und würdig und energisch gegen böswillige An- geiferungen und gehässige Angriffe schützt. Eine Schmach aber ist es, wenn hohlköpfige Narren mit spitzfindigen Klaubereien den erhabenen Begriff zum Baal er niedrigen, ihn zu einer glänzenden, mit Eitelkeit, Ucber- hebnng und formellen Nichtigkeiten gefüllten Attrap« machen. Fritz war Uber die Angelegenheit anderer Meinung als Thyra. Es sei einfach lächerlich, die Sache von der tragischen Seite zu nehmen. Nach seiner Ansicht sei Bahne Lüpfen ganz im Recht. Der Leutnant habe vollständig kor rekt gehandelt, indem er noch vor der Veröffentlichung feiner Verlobung Anna in schonender und taktvoller Weise von der Unmöglichkeit einer Verbindung zu überzeugen und ihr die Notwendigkeit der Trennung klar zu machen suchte. Wenn das Mädel mit dem Kopf gegen die Wand renne und sich dabei eine Beule am Gehirnkasten hole, sei das ihre Sache. Uebrigens beweise ihr Verhalten, wie leicht sie sich getröstet hatte und daß sie überhaupt eine leichte Fliege sei, um die es sich wahrlich nicht lohne, so viel Wesens zu machen. Thura widersprach heftig. Zum ersten Male kam es zwischen beiden zu einem erregten Disput. Zwar gingen sie später wieder äußerlich versöhnt auseinander, aber eine merkbar« Spannung blieb zurück. Thyra spürt« deutlicher als zuvor in seinem Wesen und in seinen An sichten jenen sie eisig anwehenden fremden Luftstrom, der sich ihr besonders in den ersten Tagen ihres Berliner Aufenthaltes unangenehm fühlbar gemacht hatte. Eine geheime Angst schnürte ihr das Herz zusammen; wie die Ahnung kommenden Unglücks. Früher hatte es nie zu einer derartigen Reibung kommen können. Meinungs verschiedenheiten hatte es nie zwischen ihnen gegeben. Ihre beiderseitigen Ansichten, Gedanken, Ideen waren stets in einem harmonischen Akkord verschmolzen. Mit allerhand Sophismen suchte sie ihre trüben Be trachtungen zu zerstreuen. Vielleicht lag die Schuld, daß sie so schwarz sah, an ihr und in ihr selber. Das an haltende Arbeiten machte sie nervös, reizbar . . . viel leicht auch ein wenig unduldsam. Um die Mitte des Februar trat ein Ereignis ein, das, obgleich es sie persönlich nicht berührte, doch einen nach haltigen Eindruck auf sie machte. Das Verhältnis zwischen Kronau und der Deinhardt hatte ein unerwartet rasches, dramatisches Ende gefunden. Sybille von Deinhardt war tot. Die Zeitungen brachten spaltenlange Berichte über den sensationellen Fall. Die Deinhardt hatte wochenlang in einem kleinen Hotel des Westens gewohnt und dort öfter Kronaus Besuch empfangen. Dabei war es jedesmal zu heftigen Auftritten und lauten, aufgeregten Auseinander- setzungen gekommen, aus denen deutlich hervorging, daß Kronau sich definitiv von seiner Geliebten zu trennen be absichtige. Sein letzter Besuch batte eine besonders laute, wilde Scene veranlaßt; bis auf -en Korridor tönten die leidenschaftlich erhobenen Stimmen. Dann endlich wurde die Tür aufgerifscn, und Kronau stürzte hinaus. Die Deinhardt ihm nach. An der Treppe schickte sie ihm eine Rcvolverkugel nach, blutüberströmt brach er zusammen. Und noch ehe die hinzueilenden Bediensteten und die vcr. störten, bestürzten Gäste — die, von dem Skandal und dem Schuß herbeigelockt, von allen Seiten hinzuströmten — die Rasende bewältigen konnten, hatte sie die Waffe bereits gegen die Schläfe gedrückt und sich erschaffen. Kronau lebte, aber die Kugel hatte innere Teile ver letzt, nnd es war nicht sicher, ob er durchkam. Frau Weingarten war nur im ersten Augenblick fassungslos. Als sie etwas ruhiger geworden war. kleidete sie sich an nnd ging ins Hospital, um nach ihrem Mann zu sehen. Und wenige Tage später, als Kronau wieder zum Bewußtsein gekommen war, versöhnten nch die Gatten. „Es ist so ruhig und still und zufrieden und zuver sichtlich in mir, wie nie zuvor", sagte Krau Margarete zu Thyra, „ich glaubte immer, ich würde die Frau über das Grab hinaus baffen; aber das ist gottlob nicht so. Ich gedenke ihrer ohne jede gehässige Regung, wie einer fremden Toten. Ihr tragisches Ende sühnt so vieles . . . Und sie hat ihn wirklich geliebt; sie hat ihre Schuld mit ihrem Leben bezahlt und ist damit ihrer quitt geworden." Kronau war noch immer schwerkrank. Pläne und Entschlüsse für die Zukunft konnten noch nicht gefaßt werden, aber fern am Horizont winkte dem versöhnten Ehepaar ein neues, glückliches Leben. vr. Sonntag hatte seinen Besuch nicht wiederholt. Kurz vor seiner Abreise schickte er seine Karte und ent schuldigte sich, er hätte so viel Abhaltungen gehabt. Thyra war ganz zufrieden damit, sie wußte wirklich nicht, was der Besuch des ihr gänzlich fernstehenden Herrn eigentlich bezwecken sollte. Eines Tages schickte die Gräfin Waldmeister eine Ein ladung zu einem Maskenball. Thyra refüsierte. Aber tags daraus kam die Gräfin persönlich und bestürmte sie mit Bitten, ihre Absage zu- rllckzunehmen. Gerade ihrer — Thyras — warte auf dem Fest eine große, herrliche Ueberraschung. Thyra überhörte geflissentlich die mysteriöse Andeutung; die Ucberschwänglichkeit der Gräfin war ihr hinlänglich be kannt. Als die Dame nicht aufhörtc, in sie zu dringen, bekannte sie ganz offen den Grund der Absage. Tie Ge schichte ivar ihr zu kostspielig. Sic war nickt in der Lage, eine für ihre Verhältnisse in jedem Fall/ bedeutende Summe für einen Maskenanzug auszugeben, und bleibe deshalb lieber daheim. , . Die Gräfin stutzte ein wenig, aber gleich darauf war sie auch schon mit einem Ratschlag bet der Hand. Wenn es weiter nichts war. ... Sie hatte grobe Schränke voll von -en herrlichsten eckten, antiken Gewändern, von Großmutter und Urahnen her, sie und auch ihre Tochter Helene hätten mehrfach mit diesen Toiletten auf Kostüm- festen und Maskeraden Furore gemacht. Da war da» Emptrebrautkleid einer Urgroßmutter des Grafen, da» werde Thyra paffen, gern würde sie eS ihr leihen. Thyra wollte zwar durchaus nichts davon wissen, aber es war rein unmöglich, der liebenswürdigen Dringlichkeit der Dame dauernd zu widerstehen, und um nur endlich Ruhe zu bekommen, erklärte sie sich schließlich mit allem einver- standen. Wenige Tage danach wurde da» Kleid, ein schöne»
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