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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.10.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031026023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903102602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903102602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-26
- Monat1903-10
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Am Donnerstag voriger Woche wiesen wir an dieser Stelle darauf bin, daß Herr Eugen Richter gegen das Bestreben, die Matrikularbeiträge der Einzelstaaten auf gleicher Höbe aus den Ueberweisungen des Reiches zu halten, ankämpfe, dieses Bestreben „bayerische Finanzpolitik im Reiche" nenne und die Behauptung aufstelle, es sei für Preußen und Bayern eine ganz leichte Sache, 15 bezw. 2,4 Millionen Mark an Matriknlarbeiträgen zur Balanzierung des Reichsetats für l903 aufzubringen. Wir machten demgegenüber ven Führer der Freisinnigen Volkspartei darauf aufmerksam, raß Preußen und Bayern noch nicht das Reich bilden und baß wachsen und die übrigen Einzelstaaten auch Berück sichtigung verdienen. Wie schmerzlich gerade Sachsen die Schwankungen zwischen Ueberweisungen und Matrikularbei- beträgen empfinde, brachten wir durch eine Stelle aus (Geheimrat vr. Georgis Schrift „Der Staatsbausbalt oe« Königreichs Sachsen" zur Anschauung und knüpften varan die Bemerkung, daß auch Herr Richter gegen die Schlüsse Vr. Georgis nichts StichkaltigcS einzuwenden wissen werde. In dieser Annahme baden wir unö nicht ge täuscht. Herr Richter kommt in seiner „Freis. Ata." auf das Tbrma zurück und verzichtet darauf, die Uebelstande zu bestreiten, die in Sachsen sowohl wie in anderen Einzelstaaten durch jenes Schwanken zu Tage getreten sind. Und da er durch die Anerkennung der Uebelstande sich gezwungen siebt, auch seinen Einspruch gegen das Bestreben, Matrikularbeiträge und Ueberweisungen auf gleicher Hö^e zu halten, aufgeben muß, so macht er zur Beseitigung der Schwankungen folgenden Vorschlag: „Woher sind diese Schwankungen gekommen? In der Hauptsache durch neue Finanzgesetze, durch den jetzt beseitigten Zustand der Zuckersteuer und die verschiedenen Zollerträge. Wenn die Zolleinnahmen von den Ueberweisungen ausgenommen würden, würden Schwankungen in nennenswertem Umfange kaum noch Vorkommen." — Bekanntlich bestimmt das Reichsgesetz vom 15. Juli 1870 in der so genannten Franckensteinschen Klausel, daß der Ertrag der -Zölle uud der Tabaksteuer, der die Summe von l.30 Mill. Mark in einem Jahre übersteigt, den einzelnen Bundes staaten nach Maßgabe der Bevölkerung, mit der sie zu den Matrikularbeiträge» herangezogen werden, zu überweise» ist; durch daS Gesetz von 1896 ist der Betrag von 130 Mill. Mark auf 143 erhöht. Die Gesamteinnahmen aus den Zöllen jedoch betrugen im Jahre 1900 rund 465 Mill. Mark und sind für 1903 auf rund 472 Mill. Mark veranschlagt, während der Ertrag der Tabaksteuer für beide Jahre rund 12 Mill. Mark ausmacht. DaS Festhalten an der Francken steinschen Klausel bildet bekanntlich den Eckstein der Reichssinanzpolitik desZentrums. Zentrumspresse und „Frei sinn. Ztg." haben sich in diesen Tagen wiederholt gegenseit g zitiert, da beide nicht damit einverstanden sind, daß die Ueber weisungen und die Matrikularbeiträge auf gleicher Höhe ge halten werden. Die klerikal-freisinnige Uebereinstimmung nu Punkte der Reichsfinanzpolitik wird aber rasch in die Brüche geben, wenn die Franckenstein'sche Klausel, wie der obige Vorschlag der „Freisinn. Ztg." eS beabsichtigt, zu bestehen aufhören soll. Deshalb ist die fragliche Auslassung des Richterschen Organs von nicht geringem Interesse. Bon Wohlwollen für die Einzelstaaten ist sie freilich nicht ein gegeben, aber sie beweist doch wenigstens, daß im Lager der Gegner einer Verbesserung der Lage dieser Staaten Uneinig keit herrscht. Braunschwciaisches Wclfentum. Das gameinsame Oraan der braunschwei gischen Lande-vartei und der braun schweigisch-welfischen Partei begeht den Gedenktag der Leipziger Völkerschlacht in einer Art, welche die Uebereinstimmung deS braunschweigischen und des hannover schen Welfentums unwiderleglich dartut. Ganz im Stile der hannoverschen Welfenprcssc nämlich wird die Zett des Deutschen Bundes als eine Periode deutscher En- tracht und Brüderlichkeit verherrlicht, ohne der Ohn macht zu gedenken, die für das deutsche Volk als Ge samtheit mit dem lockeren und unfruchtbaren Gebilde jenes Bundes verknüpft gewesen ist. Hierzu gehört naturgemäß die leidenschaftlichste Anklage alles besten, was seit 1866 ge schah. „Die deutschesten der Fürsten", so schreibt das braunschweigische Welfenorgan an leitender Stelle, „sind verjagt, ihre Friedenshände abgewehrt und gerade die jenigen deutschen Lande ein Raub der Mißgunst geworden, die sich um daS Wohl und Wehe des Ganzen am meisten bewährt haben. . . . Legitimität und wahrhafte Fürsten- und Landestreue sind zur hohlen Phrase, aus Männern mit Freiheitsdrang und edelstem Streben solche der Knechtschaft und rein materieller Bestrebungen ge worben. . . . Aber noch nicht genug damit. . . . Wer hätte es je für möglich gehalten, daß in der alten deutschen Stadt H a n n o v e r ein Denkmal für einen Mann errichtet wird, der bas Laud vom Fürsten bis auf den einfachsten Arbeiter herab vergewaltigt, die Söhne der Helden von Waterloo verspottet, ihre deutsche Ehre mit Schimpf und Hohn angegriffen hat? Wo waren die preußischen Behörden, als sie eingewanderten jungen Männern zu sagen verpflichtet waren: bleibt hier weg mit der Fcuersäule, habt Einsehen mit den Gefühlen des niedersächsischen Stammes? War denn niemand da, der sich noch schämen und ein Veto einlegen konnte gegen ein solches, die Bevölkerung tief verletzendes Vor haben? Es ist wahrlich genug des Traurigen, daß alt- haunöversche Offiziere sich zur Feier des 100jährigen Bestehens preußischer Regimenter, in die ihre alten Regimenter traditionell verschlungen sein sollen — wie gesagt wirb, auf höheren Befehl—, e i n l a d e n lassen müssen. Kann man sich denn gar nicht vor- stellen, welchen Eingriff in die Seele eines alten deutschen Offiziers man damit begeht?" — Angesichts der vorstehen den Auslastung, die sich, wie oben bemerkt, an der Spitze des braunschweigischen Welsenorgans findet, ist es nicht zuviel gesagt, wenn man die vollständige Identität des braunschweigischen und des hannoverschen Welfentums feststellt. In, Hinblick auf die praktischen Ziele des braun, schweigischen Welfentums ist solche unverblümte Aus sprache nur zu begrüßen. Der KricgSmtnister Andrö über die jüngsten französischen Manöver. In seiner in Clermont-Ferrand nach Beendigung der jüngsten französischen Manöver am Vercingetorix-Denkmal gehaltenen Rede bemerkte General Andrs, daß die Ergeb nisse der französischen Manöver im Auslande in einer Weise be urteilt würden, die zum größten Stolz berechtige. Fremde Offiziere — nicht die Militärattaches — die den Manöver» als Zuschauer folgten, hätten dieselben in Artikeln und Briefen geschildert, die nur auf einen begrenzten Kreis berech net gewesen seien, von denen er jedoch Abschriften gesehen habe. Alle aber stimmten in der Anerkennung des großen Fortschritts der französischen Armee überein. Sie erkannter» an, daß die Ausdauer der französischen Soldaten größer wie die der Mannschaften irgend einer anderen europäischen Nation sei, und von besonderem Interesse sei daS Lob zu vernehmen, daS sie den Truppen zollten. Der Kriegsminister fügte hinzu: „Unsere Artillerie ist zur Zett in Europa ohne Rivalen und unsere Kavallerie ist die Ursache ernster Reflexion für diejenigen, die daS größte Interesse an unserer Heeresorganisation nehmen. WaS unsere Infanterie betrifft, so war ihr Verhalten bei den Manöver» rühmenswert. Namentlich manövrierte das XIII. Armee korps im Geiste der neuen Jnfanterievorschriften. Wir werden diese Vorschriften nochmals zu revidieren haben, und zu diesem Zweck wird eine Kommission ernannt werden. Wenn dieselbe ihre Arbrsten beendet hat, werden wir wissen, wohin wir zu gehen haben und welche Grundsätze uns leiten sollen." Dem selbstgefälligen Inhalt dieser offenbar pro ckomo gehaltenen Rede General Andres gegenüber steht das abfällige Urteil des französischen FachkrrtikerS Cb. Malo m den jüngsten Nummern der „DebatS" über die Manöver, das sich in folgenden Sätzen resümiert: „Die großen Manöver vermochten im allgemeinen nur so viel zu beweisen wie alle Scheindarstellungen, und zwar recht wenig, und betreffs der Taktik so gut wie nichts, was diejenigen auch sagen mögen, die durch sie zu glänzendem Ruf zu gelangen strebten. Die wichtigsten Kampfmomente, das moralische Element der Truppen und die Feuerwirkung fehlten bei ihnen. Dir großen Schwärme der neuen Taktik führten zu weitgehender Zersplitterung und die „gemischten Abteilungen" zur Verwirrung. Die derzeitigen großen französischen Manöver bildeten daS Gegenteil der Belehrung und praktischen Erfahrung. Alles bei ihnen war Konvention, Phan tasievorstellung und Zerfahrenheit, die Offiziere lernten nichts durch sie und die Mannschaften noch weniger." Wen» dieses Urteil auch als zu schroff erscheinen muß, so geben doch offenbar die Anhänger der alten, wenn auch unerläßlichen Modifizierungen unterworfenen Taktik, zu denen CH. Malo zählt und deren Haus'tvertreter General Langlois ist, den Kampf gegen die Anhänger der „neuen Taktik", die ihren Hauptrepräsentanten m General de Negrier erblicken, keineswegs auf, und man darf daher gespannt sein, welchen Widerstand der Kriegsminister Andre, der den Anschauungen der neuen Schule geneigt zu sein scheint und eine abermalige Revision der taktischen Vorschriften in Aussicht stellt, ihnen zu leisten im stände sein und zu welchen Neuerungen auf Grund der neuen An forderungen er sich auf dem Gebiete der napoleonischen Taktik hinreißen lassen wird. Diese ist zwar hinsichtlich der Ver wendung von Kolonnen und der überwiegenden Anwendung des zerstreuten Gefechts sehr erheblich modifiziert worden, in ihren Hauptgrundzügen jedoch auch heute noch maßgebend. Zanardelli- Sturz. Aus Rom wird der „Köln. Ztg." in Uebereinstimmung mit unserer Auffassung, daß Zanardclli nicht freiwillig vom Schauplatz abgetreten ist, geschrieben: Es ist ein Fall ohne seinesgleichen, der sich gegenwärtig in Italien abspielt. Ein Ministerium geht, ohne daß es diejenigen, die es beauftragt hatten, haben gehen heißen. Ja noch mehr: daS Ministerium aebt, weil eS der Könia fortschickt. In der Verfassung steht freilich, der König beruft und entläßt seine Minister. Bisher aber war dieser Satz nicht mehr als ein papierener Gedanke; denn der König berief und entließ seine Minister nur, wie und wann die Kammer der Abgeordneten des italienischen Volke« es verlangte; er war dabei nur der Vollstrecker des Willens dieser Körperschaft, und wahrschein lich würde eS einen Sturm im Lande entfacht haben, wenn er unter andern Umständen von jenem VerfassunaSartikel Gebrauch gemacht hätte, wie er jetzt davon Gebrauch macht. An Stelle der geschriebenen Verfassung ist eben hier schon lange die ungeschriebene Tradition getreten, die aus dem König ein willenloses Werkzeug der Volksvertretung macht. Al« Viktor Emanuel III. den Thron bestieg, glaubten manche, er werde sich auf den Geist der Verfassung wieder be sinnen und die Bahnen verlassen, die sein Vater gegangen, um zu denen seines tatkräftigen Großvaters zurückzukehren. Ist die Entlassung deSMinisteriumS Zanardelli jetzt ein Schritt in dieser Richtung? Wer das glauben wollte, vergißt, daß Viktor Emanuel III. in den drei Jahren seiner Regierung sich als den konstitutionellsten Fürsten im Sinne der italienischen Tradition gezeigt hat, den man sich denken kann. Er hat nie auch nur den leisesten Versuch gemacht, den Willen der Volksvertretung zu durchkreuzen, und sich bescheiden zurück gehalten auch da, wo er hätte schärfer hervortreten sollen. Wie kommt e« nun, daß heute alles befriedigt ist über den Gang der Dinge, mit Ausnahme natürlich der Leidtragen den und ihres Anhangs? Wohl hat der König von seinem verfassungsmäßigen Recht, seine Minister abzuberufek^ Gebrauch gemacht in einem Sinne, der von der bis herigen Uebung abweicht; er hat e« sogar getan in unge wöhnlich energrscher Weise, indem er dem Ministerium deutlich zu verstehen gab, daß eS sein Vertrauen nicht mehr habe. Aber er hat damit doch nur getan, was de« Volkes Wille war. Wäre die Volksvertretung versammelt gewesen, da« Ministe rium Zanardelli hätte ven gestrigen Tag nicht mehr erlebt, sondern noch vor der Reise des Königs hätte ein Sturm der Entrüstung über die Absage des Zaren eS hinweggefegt. Formell liegt also ein selbständiger Akt deS Königs vor, der mit der konstitutionellen Tradition nicht im Ein klang ist, tatsächlich ist er doch nur die Ausführung dessen, was das Volk will. So verliert er daS Aussehen deS Un gewöhnlichen und wird von der Mehrheit des Volkes mit Beifall ausgenommen. — Es ist wahr, Zanardelli ist der alte Doktrinär geblieben, als welcher er zu einer Zeit inS politische Leben trat, wo der Kultus des idealistischen Liberalismus seine Triumphe feierte, und sein Hauptwerf, das Strafgesetzbuch, hat schwer darunter gelitten. Er ist dadurch außer stände gewesen, der zersetzenden Kraft der Demokratie, der er bei leder Gelegenheit ein Loblied sang, entgegenzuwirken, zum Schaden der Ordnung im Innern, wo die Demagogie heute kommandiert, und der Beziehungen nach außen, wo er die Freunde verletzt und die neutralen und die Gegner nicht gewonnen hat. Aber seine Absichten, seinem Lande durch joziale und wirtschaftliche Reformen aufzuhelfen, waren immerhin edel und hätten mehr Anerkennung verdient. Es ist möglich, daß er manche seiner jüngsten Reformvorlagen durchgebracht hätte, wenn er einer größer» Energie fähig gewesen wäre. Die größere Schuld an dem Versagen aller Reformarbeit trifft jedoch nicht ihn, sondern den Paria- Feuilleton. Das neue Modell. 22j Roman von Paul Oskar Hücker. ».ocl'drucl nerdole». Langsam, Schritt für Schritt, ging der Zug vorwärts. Tie Eomiss'lierreu fuhren auf Autmnobtlrädcrn immer wieder die Strecke entlang, nm die Ungeduldigen zu be schwichtigen. Non dem Geldgeschäft, das mit dem Rennen in Verbin dung stand, hatte Donat noch keine rechte Vorstellung. Erst als er Capitant mit mehreren Herren verhandeln hörte, stieg in ihm eine Ahnnng auf — nnd da konnte er ein peinliches Gefühl nicht loswcrden. Sv gut es ging, suchte Eapitant seine Erregung hinter einer kordialen Freundlichkeit zu verbergen. „Au Ihren Namen heften sich in den nächsten Tagen heiße Wunsche, lieber Donat", sagte er, ihm einen Druck zettel zureichend, der „Tipps" enthielt, Winke über die Favoriten des Nennens. Zu seinem nicht geringen Erstaunen las Donat seinen eigenen Namen neben denen von bekannten Meister fahrern, sowohl Amateuren, als auch Professionals. AIS Favorit galten! am Ttartpsitz der Engländer Edge, die Franzosen Charom, Fournier und Clement; er selbst, Donat, als einziger Deutscher. Zuerst lachte er darüber, die Sache ward ihn« aber bedenklich, als er wahrnahm, daß Capitant gleichfalls Wetten eingegangen war. Wieder und wieder kamen Herren an den Wagen heran, die mit Eapitant geheimnis voll sprachen, Händedrücke mit ihm austanschten, ihm Zettel einhändigten oder sich von ihm einhändigen liebem Es fiel ihm aus, daß Marion ihn immer hastig in allerlei Gespräche zn verwickeln suchte, sobald ihr Mann mit einem der Fremden sprach. Es war, als wollte sie verhindern, daß er hörte, was da verbandelt wurde. In der langsamen Vorwärtsbcweming war ihr Wagen jetzt endlich in die dichte Nähe des Startplatzes gelangt. Tie Sonne war ausgegangen. Dem wunderbaren Farben, spiel, das die ganze Landschaft zuerst in ein sattes Blau rot getaucht hatte, bis die intensiven Tinten stch Heller um heller körbten, hatte zuletzt daS leuchtende, blendende Tageslicht der über der Gebenkpvramide von 1870 auf tauchenden Feuerkugel ein Ende bereitet. Donat gab es ciiuen seltsamen Stich ins Herz, als er sich plötzlich, von dem grellen Licht geblendet, so greifbar nah dem Denkmal gcgcnübersah. War es nur ein Nachlassen der Nerven nach dem langen Training, nach der langen Wartezeit in diesen frühen Morgenstunden: er sank mit einem Male ganz m sich zusammen. Es fröstelte ihn. Ein seltsam lähmender Druck legte sich auf sein Gehirn. Er mußte immerzu die mächnge Pyramide anstarren, in deren blinkendem Mar mor und Erz sich die Sonne spiegelte. Der Preuße, der Deutsche regte sich in ihm. Er mußte der vielen wackeren Krieger gedenken, die auf den Schlachtfeldern diese- weiten Landes ihr Leben gelassen hatten, der älteren Kameraden, die mit dem Säbel in der Faust den Tod fürs Vaterland gestorben waren. Was hatte dagegen ihn aus diesen Platz gebracht? War es seiner nicht unwürdig, daß er diese unsinnige Hetz- jagd mitmachte? Capitants Wetten verdrossen und erbitterten ihn über alle Maßen. Man stand nnr noch ein paar Baumlängen vom Start entfernt. Alle zwei Minuten senkte der Ordner die Fahne, das Zeichen für eine neue Abfahrt gebend. Dann schoß das betreffende Gefährt mit Blitzgeschwindigkeit vor wärts, sofort in eine dichte Staubwolke gehüllt, die sich noch nicht gelegt hatte, wenn der nächste Konkurrenz- wagen folgte. Donat hatte eine Lücke vor sich. Auf Eapitant- Anruf bemerkte er seinen Fehler und korrigierte ihn. Auch Marion war die plötzliche Veränderung Donats nicht entgangen. „Sie wisse«, was Sic unö schuldig sind", sagte sie zu ihm in nervös gereiztem Ton. Er sah ihr Gesicht nickst. Durch die großen Gläser gewahrte er nur den zornig erregten Ausdruck ihrer sonst so schönen, verführerischen Augen. „Was ich Ihnen schuldig bin?" erwiderte er, selbst gereizt, dabei schwer atmend. Sofort legte Eapitant ängstlich beschwichtigend seine Rechte auf DonatS Arrq. „Ruhe, Ruhe, liebster Freund; gewiß, wir haben unser Schicksal, unsere Eristenz in Ihre Hände gegeben; aber daS wissen Sie ja, bester Dcnat, und Sie »'erden uns schon nicht tm Stich lassen — nicht zu Grunde gehen lassen — nicht wahr?!" „Mo/nsteur Donat, bitte, bi- zur varri-re vorzu rücken 17 ries der Ordner. Der Platz vor ihm ward frei. Er fuhr bis zu den beiden Fahnen, einer französischen zur Linken, einer deutschen zur Rechten, und hielt dicht neben dem Kon trolltisch. Ein Comitämitglied händigte ihm die Kontroll karte cim. Seit Wochen hatte er diese Sekunde in fieberhafter Spannung herbeigcsehnt, und nun, da sie gekommen, er schien ihm alles so unwichtig, so erbärmlich Ein Aufschrei vor ihm riß ihn aus feinem Sinnen empor. „Was ist geschehen?" rief alles durcheinander. Inzwischen hatte sich die Staubwolke, die das letzte Fahrzeug aufgcwirbelt hatte, wieder ein wenig gelegt. Weithin war die Straße leer. „Wo ist der letzte Wagen?" rief Donat, der sich ent- setzt aufgerichtct hatte. Ein Kontrollbeamter rief von der Strecke aus in einer Entfernung von kaum 70 Meter dem Starter eine Mel dung zu. „Es ist ein Unglück passiert!" schrie man gleich darauf in wirrer Bestürzung. Eine ungeschickte Hantierung deS in begreiflicher Er regung befindlichen Wagenführers hatte genügt, um daS Gefährt, daS bereits mit fabelhafter Okschwindigkcit vor wärts sauste, aus der Bahn zu bringen. Wie ein Pfeil schoß eS zur Seite, zwischen zwei Ehausseebäumen hin durch, über den Graben und ins freie Feld. Kreischend war die Menge, die längs -es Graben dem Schauspiel beiwohnte, zurückgcfahren. Nun strömte sie hastig wieder zusammen, um die beiden Insassen deS Wagens, der tief ins Erdreich eingesunken und für die Konkurrenzfahrt natürlich unbrauchbar geworden war, herauszuziehen. Dem unvorsichtigen Fahrer war nichts geschehen, nur sein Begleiter war betäubt. „Bahn frei, Bahn frei!" schrie der Starter, der schon zwei Minuten zugegeben hatte, mit der Uhr in der Hand. Unbeweglich hatte Donat bagescssen. Nu», fühlte er plötzlich Marions Hand auf der seinen. Die Aufregung, die sie soeben bei dem miterlebten Un fall au-gestanden, preßte ihr die Worte au- der Kehle: „Sie haben unser Leben in der Hand. Um alles in der Welt, ich beschwöre Sie, Donat . . ." Da senkte sich die Fahne. Mit einem einzigen Hand griff setzt« Donat da- Fahrzeug in veweguna — und in der nächsten Sekunde «ar e- schon mitten in der stch lang hinzichcnden Staubwolke, die auf der Ehaussce die Bahn der vorausfahrcnden Wagen bezeichnete. Marion hatte die Augen gcfchlossen, ihre Zähne schlugen aufeinander. Eine furchtbare Angst erfüllte sic. Sie bemerkte, daß auch ihr Gatte mit zitternder Hand einen Anhalt an der Bvrdcrlehne suchte. Beide hatte das Vertrauen in ihren Führer verlassen. . . . Donat hatte Len Kopf vorgebeugt. Seine Rechte hielt die Steuerung. Die beiden Füße waren gegen die Bremse gelehnt. Die Linke hatte er Marion hastig, wie voller Ingrimm, entzogen. Ohne daS Gesicht auch nur für einen Augenblick aus der Fahrtrichtu»^; abzuwcnden, regulierte er jetzt die Geschwindigkeit. Der Wagen sauste zunächst kerzengerade vorwärts. Von den Menschen, die längs der Ehaussce zu Tausenden und Abertausenden standen, sah man nichts. Ihre Hochrufe hörte man nicht. Er richtete sein Augenmerk nur auf die Straße, die er durch die Staubwolke und die sofort mit einer Staub kruste bedeckte Schutzbrille als Hellen Streifen erkannte, und auf die links und rechts die Fahrtrichtung bezeichnen den Flaggen. Vor Staub sah man nicht einmal, wie das Wetter geworden war. Die Sonne schien hinter Gewölk verschwunden. Auch von der Landschaft war in der ersten Stunde nichts mehr zu sehen. Erst alS die „Marion" — unter den brausenden Iubclrufcn der zufällig an den be treffenden Stellen postierten Zuschauer — eine Anzahl von Bordcrwagcn überholt hatte und eine größere Lücke in der Startrcihc erreichte, die durch da- Ausscheiden kampfunfähig gewordener Fahrzeuge entstanden war, kam man ans der Staubsänlc heraus. Bon den Au-geschie denen hatte man auf der Fahrt nicht- wahrgenommcn. Vielleicht lagen sie links oder rechts irgendwo im Graben, vielleicht hatten sic die Vorüberkommenden um Hülfe angerufen und man hatte sie weder gesehen, noch ge hört. In rastloser Eile ging eS vorwärts. Pausen gab cs nur in den neutralisierten Ortschaften. Da nahm man einen Schluck Wein aus dem Glase, da» irgend ein Enthusiast den Rennfahrern am Kontrollplatze -«reichte, man ließ sich hastig die Zeiten nennen, die die Konkur renten gebraucht hatten, in größter Geschwindigkeit ging eS dann weiter . . . In der Kontrollstation Mont-Miraik hieß e-: Hurgi-re habe sie al» Erster erreicht, ihm folgte drei Minuten später Fournier, diesem nach sechs Minuten Charon . . . Man konnte aber nicht- «eiter hören; die Durchfahrt-zeit «ar a-grlaufen.
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