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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.08.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040825027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904082502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904082502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-08
- Tag1904-08-25
- Monat1904-08
- Jahr1904
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BrzvgS-PreiS t» d« Hauptexpedttton oder deren Ausgabe- stelle» avgeholt: vterttljayrttch >13.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung in- HauS S.7b. Durch die Post bezogen für Deutsch land «. Oesterreich viertelsäbrltch uE 4.K0, für die übrigen Länder laut ZritunqsprrtSlifte. Diese Nummer kostet IN* auf allen Bahnhvfen und bei den ZeitungS-Berkäufern " Nelaktton un» Sr»e»ttw«r lüg fferosorecher 23S Johannlsgaffe 8. Haupt»Ktlt«le Dresden: Marte»sttaße34 (Fernsprecher AmtlNr. 1713). Haupt-Filiale Berlin: CarlDuncker, Herzg l.Bapr.hofbuchbandlg., Lützowstraße 10(FernsprccherAmtVI Nr.4603). Nr. 433. Abend-Ausgabe Donner-tag dm 25. August 1904. lWMrTllMM Anzeiger. Amtsblatt -es HSniglichen Land- «nd des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Nates und des Volizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen» Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 2S Rekta man unter dem Redaktionsstrich (4 gespalten) 7b nach den Famtliennach« richten («gespalten) 50 tabellarischer »nd Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Osstktenannahme LS 4 Nnuahmeschlutz für Anzeige«: Abend-AuSgabr: vormittag« 10 Uhr. Morgen.Autgabei nachmMag« 4 Uhr. Extra-Bett»«*« (gefalzt), nur mit der Morgen--Ausgabe, ohne Postbefttderung ^t> 60.—, m»t Postbeförderung 7V,—. Anzeige» find stet« an dir Expedition zu richten. Di« Erpedttion ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abends 7 Uhr. Druck und Verlag von G. PoU in Leipzig (Inh. vr. «., R. » W. «linkhardtt 98. ZahrganA »ar ltticdtigrte vom Lage. * Die russische Zensur hat den Zeitungen ver ¬ boten, irgend lvelche Nachrichten über den deutsch russischen Handelsvertrag zu veröffentlichen. (S. Dtsch. Reich.) * Ter V a t e r des russischen Studenten Safanow , der den Minister Plehwe ermordete, ist in Bad Soden gestorben. (S. Dtsch. Reich.) * Der König der Belgier ist in Lübeck und der König von Griechenland in Paris einge troffen. * In N c w B o r k sind 30 000 Bau Handwerker a u s st ü n d i g , denen sich noch 24 000 anschließen wer den. (S. Ausland.) ' Sämtlichen Häfen der K a p k o l o n i c ist ver boten worden, russischenKriegsschiffen ohne vorherige Genehmigung der Regierung Kohlen zu liefern. * Kontreadmiral v. Rcitzenstein erhielt vom Zaren Befehl, den Kreuzer „A skol d" und den Torpedoboots zerstörer „Grosovo i", die vor Shanghai liegen, a b - zurüsten. Infolgedessen Haden die Schiffe am Mitt woch abend 7 Uhr die Flagge etngeholt. „edemnitr »egt nicht an «Irr klbe." Zu Ausführungen der „Berl. Pol. Nachr." gegen die Gewährung von Notstandstarisen für die einzelnen Industriezweige schreibt man der „Voss. Ztg." aus den Kreisen des Bundes der Industriellen: „In dem Aufsatz, der anscheinend aus dem Eisen- bahnministerium stammt, heißt es u. a. zum Beweis für die Unbescheidenheit der an die Regierung gestell ten Ansinnen, daß für eine Schokoladenfabrik in Chemnitz, die angeblich durch die „Wassersnot" in große Bedrängnis geraten sei, eine Ermäßigung der Fracht auf Zucker erbeten worden sei. „Es wäre inter essant, zu erfahren an welcher Wasserstraße Chemnitz liegt", fügte der Offiziosus ironisch hinzu. Wer den Verhandlungen bei der Audienz mit Aufmerksamkeit gefolgt ist, muß zunächst wissen, daß der Bund der Industriellen zwar für die Dresdener Schokoladen- fabriken den Erlaß von Notstandstarifen für Zucker usw. befürwortet hat, daß es sich dagegen bei dem Chemnitzer Fall um eine der dortigen größten Färbereien mit etwa 900 Arbeitern handelte, die in einer Eingabe an die Gcneraldirektion der sächsischen Staatsbahncn darauf hingewicsen hatte, daß sie sich gezwungen sähe, ihren Betrieb einzustellen, wenn eine Ermäßigung der Eisenbahnfrachten nicht erzielt werden könne. Der Anführung dieser Tatsache gegenüber rief Herr v. Budde in der Audienz: „Chemnitz liegt doch gar nicht an der Elbe", und sein Offiziosus/ wiederholt diese Be merkung. Da eS nun gut und nützlich ist, wenn die hohen und (höchsten Beamten d«S preußischen Eisen- bahnministeriums gelegentlich Uber die Zustände im Verkehrswesen Aufschluß erhalten, so sei die Frage der „Berl. Pol. Nachr." hierdurch dahin beantwortet, daß sich Chemnitz vermutlich niemals zur größten Industriestadt Sachsens hätte entwickeln können, wenn nicht für viele seiner größten Fabriken der Be- zug der Rohstoffe und die Verfrachtung der Fabrikate namentlich für die überseeische Ausfuhr über die Elbwasserstraße Hamburg-Riesa und umgekehrt mög- lich wäre, was jedermann bei einem Mick auf die Landkarte einleuchten wird, wenn es auch der preußische Staatsminister v. Budde mitsamt seinen Geheimen Räten nicht zugeben." Herr Minister v. Budde gilt als ein ungewöhnlich tüchtiger Mann und wir haben keinen Grund, ihm die- sen seinen Ruf zu bestreiten. Wir finden nur, daß er sich im vorliegenden Fall seine Aufgabe sehr leicht ge- macht hat. Es ist möglich, daß er seinen Zwischenruf für witzig hält, unmöglich aber, daß er ihn selbst ernst nahm. Ein Witz ist es nun wieder, aber ein unfrei williger, daß der Herr, der beauftragt war, die Gold barren der Buddeschen Anschauungen in journalistische kleine Münze umzuwechseln, gerade in dem Zwischenruf seines hohen Auftraggebers ein durchschlagendes volks wirtschaftliches Argument erblickte. Auch dieses amü sante kleine Vorkommnis gehört in das Kapitel von der Unzulänglichkeit der journalistischen Vertretung) welche die Regierung sich herangezogen hat. Wir gehören durchaus nicht zu denen, die jeden Offi ziösen mit verächtlichem Spott abtun möchten. Die Re gierung hat das Bedürfnis, daS Recht un- in vielen Fällen die Pflicht, die öffentliche Meinung durch die Presse zu beeinflussen und die betreffenden Journalisten, die sich dieser Mühe unterziehen, übernehmen eine ver antwortungsvolle Aufgabe und können gewiß unter Um ständen segensreich wirken. Wer würde es sich nicht zur Ehre anrechnen, gewisse Aktionen Bismarcks auf Grün persönlicher Rücksprache nnt dem Fürsten publizistisch unterstützt zu haben? BiSmarck hat gar manchen Mit arbeiter gefunden, der mit Geist und Sachkenntnis seine Gedanken auszufllhren wußte. Was den heutigen Offi ziösen fehlt, ist nur eben dieser Geist und diese Sachkennt nis. Sie schwören in verba magtslrt und halten eS für ihre Pflicht, der staunenden Mitwelt nicht sowohl die Geistesblitze, als die Entgleisungen ihrer Vorgesetzten zu vermitteln. Wenn ein verständiger Mensch Herrn Budde gesagt hätte: „Excellenz, eine Bemerkung wie diese, die doch höchstens als Ulk passieren kann, darf in ernsten volkswirtschaftlichen Ausführungen keine Stelle finden!" so würde Herr Budde wahrscheinlich nichts dagegen ge habt haben, wenn sein geographischer Kalauer nicht durch den Druck verewigt worden wäre. Wir raten also unseren Kollegen, in solchen Fällen daS zu tun, was Voltaire mit den Versen des großen Königs tat. vrr rurrircd-iapanircbe Weg. Eine Unterredung mit einem japanischen Sozialisten. Der „Matin" veröffentlicht eine Unterredung mit dem japanischen Sozialdemokraten Katagama, der als Delegierter dem Amsterdamer Kongreß beiwohnte. Er er klärte, daß die Friedensidee im japanischen Volke große Fort schritte mache, daß weite Kreise die Beendigung der Frind- feligkeiten wünschen und daß selbst die japanische Regierung, entgegen ihrer Gewohnheit, eine sozialdemokratische Ver sammlung gestattet habe, in der er über die unausyörlichen Rüstungen sprach. Die japanische Regierung sei für zwei Jahre gerüstet, doch werde der Krieg nicht so lange dauern. Sollte dies dennoch der Fall sein, so würde Japan di« finanzielle Hülfe Chinas anrusen, daS eigentlich selbst die Manlschurri gegen Rußland hätte schützen müssen, entweder au« eigener Kraft oder durch Anrufen einer Intervention, die weder England noch die Bereinigten Staaten verweigert haben würden. Sollte China jedoch die Hülfe verweigern, so würde schließlich Japan die russischen Bedingungen annehmen müssen. Doch glaube er sicher an den Sieg Japans. Gegen Ver-äHtkgungen der deutschen Neutralität, wie sie neuerdings von englischer Seite wieder versucht worden sind, wendet sich mit erfreulicher Deutlichkeit eine Auslassung der offiziösen „Südd. Reichskorr.", die aus Berlin stammt und in der man eine Aeußerung von unmittelbar amtlicher Seite zu sehen hat. Da heißt eS: Aus St. Petersburg läßt sich der „Daily Telegraph" melden, die deutschen Behörden in Kiautschou hätten „erwartet", daß russische Kriegsschiffe nach dem Durchbruch der Flotte auS Port Arthur in Tsingtau eintreffen würden. Das ist nur insofern richtig, alS man angesichts der Wechselfälle des Seekrieges in Ostasien aller dings seit längerer Zett mit der Möglichkeit rechnen konnte, Schiffe des einen oder des anderen kriegführenden Teils in der Kiautschou-Bucht Zuflucht suchen zu sehen, soweit solche völkerrechtlich gewährt werden kann. Wenn aber unterstellt wird, man habe in Tsingtau von dem Eintreffen russischer Kriegsschiffe vorher Nachricht gehabt, eS sei darüber eine Verständigung zwischen Port Arthur und den deutschen Kiautschou-Behörden getroffen worden, so ist dies lediglich wieder eine der Unwahrheiten, durch die Deutschlands Neutralität verdächtigt werden soll. Auch das „abgekartete Spiel zwischen Deutschland und Rußland", daS nach einer Londoner Meldung der Wiener ,.N. Fr. Pr" in dem Austausch militärischer Vorteile für Ruß land gegen Begünstigung deutscher Handelsschiffe bestehen soll, ist, um keinen derberen Ausdruck zu gebrauchen, ein Hirngespinst. Was kann denn Rußland für einen militärischen Vorteil davon haben, daß die in Tsingtau befindlichen Kriegsschiffe entsprechend den völkerrechtlichen Regeln der Neutralität entwaffnet worden sind? WaS aber die GchiffSfragen betrifft, so ist der Fall des Dampfers „Thea" prisengerichtlich noch in demselben Stadium wie der deS britischen „Knight Commander". Der Untergang da» „Narvik". Eine Meldung aus Korssakow auf der Insel Sachalin besagt: Der Kreuzer „Nowik" nahm nach dem Kamps vor Port Arthur in Tsingtau Kohlen ein, umsegelte Japan und näherte sich Korssakow durch die La Pörouse-Straße. Fünf zehn Meilen von Korssakow traf er den japanischen Kreuzer „Tschuschima", der doppelt stark armiert war. Im darauf folgenden Kampf wurde durch ein japa nisches Geschoß da« Ruder und ein Dampfkessel be schädigt. D«r „Nowick" zog sich nun nach Korssakow zurück, da er nicht mehr manöverieren konnte. Die „Tschuschima" verfolgte ibn nicht, da sie selbst stark beschädigt war. In zwischen näherte sich der japanische Kreuzer „Tschitvse", zer störte den „ Nowik" und bombadiertr die Stadt. Der „Nowik" sank, die Mannschaft und die Offiziere wurden aber gerettet. Getötet wurden zwei Matrosen, verwundet ein Offizier und 12 Matrosen. Port Arthur» ktage »«rzwetfslt. Nach einem dem „B. T." aus Shanghai zugehrnden Telegramm ist die Lage der Russen in Port Arthur nahezu verzweifelt. Trotz der zuversichtlichen Sprache de« tapferen Generals Stössel wird dort die Lage betreff« Port Arthurs für sehr ernst gehalten. Die permanenten Fort« der Ostfront sind nunmehr seit dem 11. August unter ständigem Feuer. Die japanischen Batterien sind seit diesem Tage auf den Takuschan-Hügrln, die am IN. August al« letzte vorgeschobene Position verloren gingen. Man erwartet den japanischen Sturm angriff aus die Ostforts schon für die nächsten Tage. Der russische Verlust seit Beginn de« August be trägt 6000 Mann, also über ein Fünft«! der Garnison Da- charakterisiert mehr als viele Worte da« tapfere Ver halten der Verteidiger, die nur Schritt für Schritt daS Vor- gelände Preisgaben. Der Zar verlieh in Anerkennung dieses tapferen Verhalten«: Dem Generalleutnant Ssmirnow, Kommandanten der Festung Port Arthur, und dem Generalmajor Bjäly, Kommandeur der Festungsartillerie in Port Arthur, den St. Stanislaus-Orden 1. Klasse mit Schwertern; dem Generalmajor Kondratenko, Kommandeur der 7. Ost- sibiriscken Schützendivision in Port Arthur den St. Wla dimir-Orden 3. Klasse mit Schwertern: dem Generalmajor RoSnatowSki, Chef deS Stabe« deS Generals Stössel, den goldenen Ehrensäbel mit der Aufschrift „für Tapferkeit" Durch Tagesbefehl vom 21. August wurde Kontreadmiral Jessen vom Wladiwostok-Geschwader ü la suits de- Kaisers gestellt und der Kapitän des Kreuzers „Gromoboi", Dabitsch, zum Flügeladjutanten des Kaiser« ernannt. Anffifch« Aernzev nnb englisch- Schiffahrt. „Daily Mail" zufolge herrscht in den Schiffahrtskreiser der Londoner City Erregung wegen des Auftauchen« russisch«. Kreuzer in den südafrikanischen Gewässern. Diele englische Schiffe sind Mit solchen Waren nach Japan und China unter wegs, die nach russischer Auffassung Kontrebande sind. Die Schiffseigentümer haben die Empfänger zwar unterschreiben lassen, daß diese Waren nur friedlichen Zwecken dienen sollen, doch wird dies nicht als ausreichender Schutz betrachtet. , folitirche cagerrcba«. Leipzig 25. August. Fortführung der Sozialreform und Gegenleistung. Die „Nationallib. Korresp." schreibt: „So viel auch von -dem Bekenntnis Babels zu Gunsten -er Dortrefflich keit -er deutschen Arbeiterversicherung abzuschaben ver sucht und je mehr auch auf -em bevorstehenden sozial demokratischen Parteitag das Bestreben hervortreten wird, alles „für die Katz" zu erklären, was von feiten der ver- bün-eien Regierungen und der auf dem Standpunkte der Sozialreform stehenden Parteien in die Wege zu leiten Feuilleton. « per Fall LeloM. Roman von Woldemar Urban. Nachdruck verboten. „Vorwärts, vorwärts", murmelte er, sich selbst leicht seufzend Mut einsprechend. „Ich war ja sonst nicht schwächlich und zaghaft, als es galt, die„ Hand auszu strecken nach Dingen, die anderen gehörten. Noch eine Minute, einen Druck mit dem Finger und es ist vorbei." Ging es wirklich so rasch? dachte er dann wieder zweifelnd, indem er den Revolver wieder aus der Tasche nahm und prüfend besah. Wenn er nun schlecht traf, sich nur verwundete und ohnmächtig liegen blieb? Nein, nein, nur das nicht. Es mußte zu Ende fein. Er mußte gut treffen, durchs Ohr, oder in -en Mund. Vorwärts! Aber immer noch faß er regungslos da, die Waffe müde in -er Hand und starrte auf die Diele. Sie war so blank und weiß gescheuert und er war im Begriff, sie zu beflecken. Er sah im Geiste, wie sein Blut langsam aus der Wunde auf den Boden floß, erst hier einen kleinen Tümpel machend, dann da, immer weiter bis zur Tür, vielleicht sogar unter dieser hindurch und hinaus. Nein, das durfte er nicht. Ruheloses Blut! — wollte es ihn so gar im Tode noch verraten? Er zog seinen Rock aus und legte ihn quer vor die Tür auf die Diele, wie einen Damm. Vielleicht hatte er gar nicht mehr so viel Blut oder eS kam nicht aus der Wunde heraus, so daß seine Vorsicht ganz unnütz war. Gleichviel. Es konnte auch nicht schaden. Dann setzte er sich wieder in einen Sessel. Hier sollte es geschehen. Noch einmal überblickte er das armselige Dachkämmerchen und seine Habseligkeiten, als ob er eine Hülfe, einen Ausweg suche. Noch immer zögerte er, seufzte und zögerte noch War er feige? Was wollte er denn noch? Worauf wartete er? Dann hob er mit einem schnellen entschlossenen Ruck die Waffe, schloß die Augen und schoß sich durchs rechte Ohr ins Gehirn. Im selben Augenblick richtete sich sein Körper wie elektrisch durchzuckt starr auf, die Augen öffneten sich wieder unnatürlich weit, ein kurzer leiser Schrei kam von seinen Lippen und die Hand, die noch immer die Waffe hielt, sank müde herab. Der ganze Körper sank zusammen, der Kopf fiel auf die Brust herab, ein jämmerlicher, leicht pfeifender Ton rang sich noch aus seiner Brust, schon bewußtlos — so blieb er liegen. Der Tod, oder doch die Bewußtlosigkeit trat fast auf der Stelle ein. So lag er noch, al« es schon wieder Abend wurde und in der lustigen Rue du Bergdre wieder die lachenden und plaudernden Herrchen und Dämchen erschienen, in tadel loser Abendtoilette und die eleganten Wagen die reichen Amerikaner und Russen und Engländer nach dem lustig sten Theater der Welt brachten, wo sie der hübschen, gerade gewachsenen Madame TH6o oder Madame Cl6o, oder wie der Stern des TageS nun hieß, ihre Bewunde rung und ihr Geld vor die zierlichen Füßchen legten. — XIX Die alte Vicomtesse de Saint-Bon stand in ihrem Hause am Boulevard Poissonnidre am Fenster und schaute hinunter auf daS wüste Gewoge von Menschen und Tieren und Wagen aller Art. Wie oft, wie lange Jahre hatte sie schon dieser Katzbalgerei des Lebens unter ihren Fenstern zugesehen, diesem aufgeregten Hin und Her, diesem tollen Getriebe um« Mein und Dein, wie manche waren seitdem auS dem Gewühl wieder verschwunden, spurlos und lagen nun, selbst wenn sie die heftigsten Schreier und wütendsten Kämpfer gewesen waren, still auf dem Brett. Früher hatte ihr das laute Treiben unter ihren Fester« manche Unterhaltung gewährt und sogar Spaß gemacht, jetzt aber war sie müde, und heute sogar ärgerlich, gelangweilt, unzufrieden mit sich selbst Ihr war zu Mut, wie jemandem, der einen dummen Streich gemacht, die Folgen dessen fürchtet und sich doch nicht eingestehen will, Unrecht getan zu haben. Sie bereute, ihrem Sohn Andr6 die Bewilligung zu seiner Verlobung mit Florence de Blois so schlankweg verweigert zu haben und konnte sich doch nicht eingestehen, damit Unrecht ge tan zu haben. Sie war heute noch überzeugt, daß das nicht ging. Die Verbindung war unmöglich und wenn ihr Sohn heute wieder wie damals vor sie hingetreten wäre, würde sie genau wieder so gehandelt haben wie da mals. Sie konnte nicht anders. Ihre Stellung, ihre Erziehung, ihre Tradition wiesen sie darauf hin, daß das eben nicht ging. Und das war es eben, was ihr nun fatal war, was sie unangenehm berührte und ärgerlich machte. Dazu hatte die Verweigerung ihrer Einwilligung gar nichts genützt. Andr6 hatte sich trotzdem verlobt und der ganze Erfolg, den sie zu verzeichnen hatte, war, daß sie ihren Sohn seit dem nicht wieder gesehen. Es war doch immerhin ihr Sohn und noch dazu ihr einziger. Was sollte das heißen, fragte sie sich, nicht mehr zu ihr zu kommen? Halsstarrig un- eigensinnig seinen Weg zu gehen, ohne sich nur im geringsten um seine alte Mutter zu kümmern? Glaubte er denn, das Leben einer alten Frau sei so interessant und kurzweilig, daß sie ihre Kinder entbehren könne? Sie sehnte sich nach ihm, nach ihrem „Jungen". Sie hätte gerne gewußt, wie die Sache nun eigentlich stand, denn so viel wußte Sie als Frau auch aus Erfah rung, daß solche Verhältnisse für Männer und Frauen sehr glücklich, aber auch sehr unglücklich und gefährlich sein können. Sie hatte Angst, daß alles gut stünde und die Hoheit stattfinden würde — auch ohne ihr Zutun, sie hatte aber auch Angst, daß alles schlecht stünde — die Hochzeit nicht zu stände kam. Kurz, sie trug ernstlich Sorge um ihren Sohn. Und zwar mit Recht, denn ihr eigenes Leben war in einer solchen Krisis fast zusammengebrochen. Damals als sie als junges Mädchen den damaligen Professor de Blois heiraten wollte und ihre Familie sie mit List und Zwang daran verhindert hatte, glaubte sie auch, -aß alles aus und vorbei sein müsse und wenn sie nicht so sehr und so scharf überwacht worden wäre, hätte sie es auch nicht überlebt. Sie hatte sich damals vergiften wollen. Aber auch daran hatte man sie verhindert und schließlich hatte sie den Vicomte de Saint-Bon geheiratet. Ihre Ehe war nicht glücklich gewesen. Sie konnte ihren Charles nicht vergessen und der Vicomte war sehr mißtrauisch geworden. Ihr ganzes Leben als Frau war eigentlich — verkrüppelt. Sie fühlte das sehr Wohl und deshalb fürchtete sie schon für das Glück ihres Sohnes. Was hatten ihr nun im ganzen Leben Erziehung und Stellung und Tradition ge nützt? Die Strohblume der Entsagung war ihr dabei er blüht Ihre Zofe trat ein und störte sic aus ihren Grübe leien auf. „Was gibt's?" fragte sie mürrisch. Sie dachte zunächst die Baronesse Eve de la Vallidre wäre wieder da, die ihr immer die Ohren über die angeblichen Schandtaten ihres Sohnes voll brömelte. Aber die Zofe antwortete: „Es ist ein Mann draußen, Frau Vicomtesse, der mit Ihnen zu sprechen wünscht." „Ein Mann? Was für ein Mann?" „Er sagt, er sei der Diener des Herrn Vicomte Andrs." „So schicke ihn rasch herein. Geh'", sagte sie hastig, von einer plötzlichen bangen Ahnung erfaßt. Gleich darauf trat der Diener ein. „Was wünschen Sic von mir?" fragte sie rasch, „wo ist mein Sohn?' „Ich suche ibn, Frau Vicomtesse", erwiderte der Mann etwas bestürzt, chn nicht hier zu finden. „Iw glaubte, er müsse hier fein." „Weshalb glaubten Sie denn das? Weshalb suchen Sie ihn überhaupt? Hat er Ihnen aufgetragen, ihn zu suchen?" Der Diener wurde sichtlich verlegen und wußte nicht, wie er seine Sache Vorbringen sollte. Er zog einen Bries aus der Tasckx' und hielt ibn zunächst unentschlossen in den Fingern. «Der Briis, Frau Dicomtrsss — — —-
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