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Militärfanität und freiwillige Hilfe im Kriege. 29 Lazareth-Eifenbahnwagen. Seit der Zeit, als überhaupt Eifenbahnen beftehen, bat man diefelben zum Transporte Verwundeter und Kranker beniitzt, denn das Bedürfnifs, die Anhäufung von Verwundeten in der nächften Umgebung der Schlachtfelder forgfam zu ver meiden, war längft bekannt; nur hatte man in früheren Zeiten, wo die Anwendung des Dampfes als Locomotor noch nicht gekannt war, nicht die Möglichkeit, eine Zerftreuung der Verwundeten in gröfserem Maafse zu bewerkftelligen. Heutzutage aber, wo dank der Eifenbahnen der Begriff Entfernung ein ganz anderer geworden, ift die rafche Amovirung der Verwundeten vom Schlachtfelde zur Regel, zur Pflicht, zum hygienifchen Axiom geworden, und zwar umfomehr, als die Verbeffe- rungen der Schufswaffen und die dadurch bedingte Aenderung der Kampfweife und ferner die gröfsere Menge der Kämpfenden überhaupt auch eine relativ und abfolut gröfsere Anzahl von Bleffirten nach einem Schlachttage ergibt, als diefs je früher der Fall gewefen ift. Namentlich der vorrückende Sieger ift es, dem die Sorge um die eigenen Bleffirten und um jene des Gegners zukommt, die ihm in grofser Anzahl in die Hände fallen- Die vielen Taufende von Bleffirten dürfen aber nicht zufammengehäuft in der Nähe des Schlachtfeldes verbleiben , denn die Mittel, fie alle zu pflegen, fie alle unterzubringen fehlen, das Aerzte- und Pflegeperfonal, die Nahrung, Unterkunft, Wäfche und die hundert anderen Bediirf- niffe können unmöglich in hinreichender Anzahl aufgetrieben werden. Könnte diefs aber auch der Fall fein, fo dürften die Bleffirten doch nicht in der Nähe des Kampfplatzes verbleiben, denn die Anhäufung von vielen Wunden' und Erkrankungsfällen erzeugt Epidemien, denen dann nicht nur die Bleffirten, fondern auch deren Umgebung zum Opfer fallen ; ferner wird der Ausbruch folcher Epidemien befördert durch die verpeftete Luft der Schlachtfelder felbft, in denen wieder Taufende von Menfchen- und Pferdeleichen oberflächlich ver- fcharrt verfaulen, denn das Kriegsglück kann fich wenden und der Rücken des früheren Schlachtfeldes zum neuen Kampfplatze werden. Die Evacuation des Schlachtfeldes und der erftenFeldlazarethe wird hiedurch zur Hauptpflicht der Felclfanität, und Freund und Feind, Alles, was nicht fterbend oder gerade nicht gut transportabel ift, wird fortgeführt weit vom Schlachfelde in die Heimath oder in die Fremde, wenn befiegt, krank und gefangen. Beide Theile können dadurch nur gewinnen, vorausgefetzt, dafs der Transport auf zweckmäfsige Weife erfolgt und nicht allzu lange dauert. Die Kriegschirurgie auf der einen, und die mehr und mehr fich vervollkommnen den Transportmittel auf der anderen Seite beftreben iich, diefem Poftulate gerecht zu werden und es läfst fich hoffen, dafs dieLeiftungen beider, namentlich aber die des Transportsmateriales fchon in den nächften Kriegen Hand in Hand gehen werden in der Löfung der grofsen und wichtigen Frage der Rettung und Erhaltung der fürs Vaterland Gefallenen. Wenn auch der Transport Verwundeter in früheren Zeiten mit Eifen* bahnwagen erfolgte, fo gefchah diefs ohne weitere Vorbereitung derfelben und in den Kriegen des Jahres 1859, 1864, 186Ö und zum Theil noch 1870 und 1871 wurden die Verwundeten in gewöhnlichen Perfonenwagen oder in leeren Laft- wagen transportirt, auf den Sitzen oder auf Stroh gelagert, feiten in Betten auf Tragbahren oder Matratzen, die aber auch ohne jede Vorbereitung einfach auf den Boden der Laftwagen hingeftellt wurden. Die wahrend des Krim- krieges von Baudens, Larrey und Pir o g o ff gemachten Verfuche, Verwundete auf Tragbahren in Eifenbahn Wagen zweckmäßig unterzubringen, befchränkten fich auf wenige Fälle und fanden keine nennenswerthe Nachahmung. Erft Amerika belehrte uns, dafs man die Wagen zum Transporte der Verwundeten eigens ein richten miiffe, um fie hiezu geeignet zu machen.