62 J. Langl. Tradition hinausgehen und mithin von einem Fortfehritte diefsbezüglich feit Jahren wenig bemerkbar ift, hat feine Urfache lediglich in den Schulen, in welchen eben nur das Alte nachgeahmt wird und neue Elemente aus der Unive rfalquelle für alle Kunft, der Natur, nicht herangezogen werden. Schon der Mangel des figuralen Zeichnens wirkt hemmend auf die freiere Entfaltung des Ornamentes ein, und gerade diefem mufs in erfter Linie in den Unterrichtsanftalten Rechnung getragen werden, wenn das Volk auch zum höheren Verftändnifs der Kunft erzogen werden foll. Der italienifchen Induftrie fteht heute nicht mehr wie im Cinquecento eine grofse Kunft zur Seite, die einen weiteren Impuls auf fie ausüben würde; fie arbeitet allein auf den alten Wegen fort und erhält blofs anGeiftigem, was damals ihr verliehen. . . Freilich ift die Zeit, in welcher Reformbeftrebungen mit Bewufstfein m der Kunftinduftrie angeftellt werden, eine noch fehr junge und die Denkmäler Welt Italiens noch lange nicht dafür erfchöpft — aber gerade in dem Lande, wo edlere Formen heimifch find, könnte zuerft eine freiere Bewegung im Geifte des Fortfehrittes ftattfinden. . Wenn wir die Publicationen für die Zwecke des Kunftiinterrichtes feit 20 Jahren überblicken, fo ift der Inhalt derfelben gewifs in zwei Dritttheilen den Denkmälern Italiens entnommen. England, Frankreich, Deutfchland und Oefter- reich haben die Schätze diefes Landes für die Erziehung der heimatlichen Kunft herangezogen und fie als Schule für die Fortbildung des Gefchmackes benützt. Die politifchen Verhältniffe Italien s mochten es wohl hauptfächlich gewefenfein, die einfelbftftändiges Verwerthen des im Lande Vorhandenen bisher hinderten. Jetzt, wo die lange angeftrebte Einheit vollzogen ift, dürfte auch in diefer llinficht eine erfreulichere Thätigkeit fich entfalten. — Was von neueren I’ublicationen in Betreff des Zeichen- und Kunftunterrichtes vorlag, beftand gröfstentheils in Photographien, einem Induftriezweig, der bekanntlich befonders im Reproduciren in Italien gegenwärtig auf der höchften Stufe fteht. Neben grofsen Copien nach Gemälden der claffifchen Meifter ift hier des hohen Inter- effes wegen die vorzügliche Publication der Handzeichnungen aus der Pina kothek in Venedig von A. Srini zu erwähnen. — Unter dem Titel „Sülle scoperte archeologiche nelle citta et provincia di Roma negli anni 1871 — 1872“ ift in prachtvollen Bildern (v. fratelli Rofa) die alte Tiberftadt mit ihrer Umgebung felbft auf der Ausftellung erfchienen. Von lithographifchen Werken fei noch genannt „Racolta di Ornamenti“ nach Terracotten in Siena (aus dem XV. und XVI. Jahrhundert) von S. Rotellini und G. Breuci (Siena 1873); reizvolle Renaiffance-Motive in die verfchiedenften Räume componirt — und „Mufaici chriftiani e faggi pavimenti della Chiefe di Roma“ (aus dem XV. Jahrhunderte) von G. B. di Roffi in fchöner chromolitho graphifcher Ausführung. England. Es wurde bereits hervorgehoben, dafs England nach der erften Londoner Weltausftellung im Jahre 1851 allen Staaten Europas darin voranging, durch den Zeichenunterricht den beftehenden Gefchmack in der Kunftinduftrie zu refor- miren und damit feine eigenen Produktionen diefer Richtung zu heben. Als Centralftelle diefes Unternehmens wurde das South-Kenfington-Mufeum mit der damit verbundenen Kunftfchule gegründet und ein eigenes Adminiftrativamt für Kunft und Wiffenfchaft (Science and Art-Departement) eingefetzt. In allen bedeutenden Induftrieftädten des Landes wurden „Schools of Art“ errichtet (bis jetzt über iooj, in welchen den jeweiligen Bedürfniffen entfprechend Unterricht i.n Zeichnen, Malen und Modelliren ertheilt wird. Die Vorbilder, nach welchen diefe Schulen arbeiten, gehen alle von der Centralftelle, der reichen Sammlung des genannten Inftitutes aus, welches auch in allen anderen Beziehungen für den