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Dresdner Journal : 21.10.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-10-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-190510212
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-19051021
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-19051021
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungDresdner Journal
- Jahr1905
- Monat1905-10
- Tag1905-10-21
- Monat1905-10
- Jahr1905
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- Dresdner Journal : 21.10.1905
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ytim Bezüge durch dir IrttSeu» S,bO M. («iuschl. Zutragung), durch die im Deutschen Reiche » M. (au-schlietzlich Bestellgeld) vierteliührlüh. Einzelne Nummern 10 Ps. Wird Zurücksendung der für die Schrift!eitung bestimmten, aber von dieser nicht ein» geforderten Beiträge bean» zprucht, so st das Postgeld beizusügen. Herausgegeben von der König!. Expedition des Dresdner Journals, Dresden, GroHe Zwingerstraße 20. — Fernspr.-Anschluß Nr. 1295. Erscheinen: Werktag- nachm. 5 Uhr. — Originalberichte und Mitteilungen dürfen nur mit voller Quellenangabe nachgedruckt werden Dresdner Iommi. Ankündiann-Sgebübrr«: Die Zeile kleiner Schrift der 7 mal gespaltenen Ankündi- gung- AetU oder deren Raum So Pf Bei Tabellen und Ziffernsatz 5 Pf Aufschlag für die Zeile Unterm Re> daktion-strich (Eingesandt) sie Textzeile mittler Schrift oder deren Raum bv Pf. Gebühren - Ermäßigung bei öfterer Wiederholung. Annahme der Anzeigen bi- mittags 12 Uhr für die nach mittags erscheinende Nummer. W246 Sonnabend, dm 21. Oktober nachmittags. 1905. Amtlicher Teil. Le. Majestät der König haben Allergnädigst zu genehmigen geruht, daß der Zahnarzt vr. ptnl. Hering in Leipzig den ihm von Sr. Hoheit dem Herzoge von Sachsen Altenburg verliehenen Titel eine- Hofzahnarztes annehmc und führe ßrnennungen, Versetzungen re. im öffent lichen Dienste. Am «eschäftSdereiche de« Ministeriums deS «ul» lud u. öffeutt. Unterrichts. Ein Vikar für 1 No vember gesucht zur Verwaltung einer Kirchschulstelle. Ge suche sind baldigst beim Bezirksschulinspektor in Pirna ein zureichen. (Pehördl Bekanntmachungen erscheinen auch im Anzeigenteile.) Nichtamtlicher Teil. Vie auswärtige Politik der Woche. Soweit das Reich der diplomatischen Form gilt, ist eine üble Wirkung der vom „Matin" enthüllten Gelüste französisch-englischer Waffenbrüder schaft gegen das Deutsche Reich als ausgeglichen zu betrachten. Zu amtlichen Schritten wegen des zugrunde liegenden Tatbestandes bieten bloße Zeitungs artikel nach internationalem Herkommen keine Hand habe. Bon diesem Brauche abzuweichen wäre nur dann ratsam gewesen, wenn Deutschland ein Interesse daran gehabt hätte, durch außergewöhnlichen Ernst des Auftretens die Lage zu verschärfen. Da die Enthüllung in der französischen Presse erfolgt ist', wäre wegen der vorausgesetzten Urheberschaft eines ehemaligen französischen Ministers das Verlangen um amtliche Aufklärung zunächst nach Paris zu richten gewesen. Dadurch aber hätte man die eben erreichte deutsch französische Verständigung einer ver fänglichen Belastungsprobe ausgesetzt und Frankreich wieder an die Seite Englands gedrängt, dem es nach der schlimmen Erfahrung mit Delcasso jetzt doch innerlich mit mehr Zurückhaltung gegenüber steht als in den Monaten, die dem Abschlusse des Aprilvertrags von 1904 unmittelbar vorhergingen und nachfolgten. Die englische Regierung wiederum hatte einer amtlichen Fragestellung, selbst wenn solche mit den Regeln der völkerrechtlichen Höflichkeit vereinbar erschienen wäre, dadurch vorgebeugt, daß sie sehr bald nach dem Erscheinen des ein englisches Hilfsangebot an Frankreich behauptenden Artikels freiwillig die Gelegenheit zu einer vertraulichen Aussprache ergriff, deren Eindrücke als für beide Teile befriedigend gelten mußten. So war denn dem diplomatischen Verkehre der drei beteiligten Großmächte am besten damit gedient, daß man das friedensgefährliche Gift des gegen Deutschland ge richteten Koalitionsgeheimnisses in der Stille aus schied und amtlich den Vorhang wieder fallen ließ, den die Hand des für England nachgerade zum eulänt torribls gewordenen Delcassö vor dem staunenden Europa in die Höhe zerren wollte. Was aber von diesem rollenwidrigen Seiten sprung des Begründers der entento ooräi-ck« zwischen Frankreich und England zurückbleibt, ist doch mehr als ein unbestimmter Eindruck Den tatsächlichen Kern der Enthüllung hat in erklärlicher Unüberlegtheit auch ohne deutsche Nachhilfe die eng lische wie die französische Presse selbst sauber heraus geschält. Habsmuo 6on6t6lltv8 reos! Zwischen den führenden Blättern der ententv eoräial« herrscht völlige Einigkeit darüber, daß im Falle eines un erwarteten oder ungerechtfertigten Angriffs des Deutschen Reiches gegen die französische Republik, England genau so, als ob ein förmliches franko- britisches Bündnis bestände, Hütte handeln, d h. mit seiner Streitmacht zu Wasser und zu Lande gegen uns Feindseligkeiten eröffnen müssen. Jeder Zweifel an der offensiven Hilfsbereitschaft Englands für diesen Fall ist von den Wortführern der Franzosen- frcunde in London, von den „Times" und der „Daily Mail", als für das Volk und die Regierung König Edwards beleidigend zurückgewiesen worden. Freilich bemüht man sich, diese Unterstützungswillig keit, die äußerlich als eine moralische Pflicht gegen Frankreich erscheint, in Wirklichkeit aber für Eng lands eigene Interessen die Ausnutzung jedes deutsch-französischen Streites zur Schwächung unseres wirtschaftlichen Wettbewerbs bedeutet, als harmlos hinzustellen. Denn, so sagt man, ein ungerecht fertigter Angriff Deutschlands gegen den west lichen Nachbarn werde ja doch nicht unternommen werden und folglich der Fall eines ausdrücklich an diese Bedingung geknüpften militärischen Vorgehens Großbritanniens gegen uns überhaupt nicht ein treten. Das ist aber wohlfeile Theorie-, praktisch würden sich die Dinge anders entwickeln. So wenig wir auch daran denken, aus Händelsucht, aus Eroberungslust einen Streit mit Frankreich vom Zaune zu brechen, so unausweichlich wäre sür uns die Notwendigkeit, auch einen uns widerrechtlich auf gezwungenen Kampf als Einmarschkrieg zu führen, die Schlachten auf französischem Boden zu schlagen. Da aber einmal die öffentliche Meinung Englands, von der die Regierung abhängt, gegen Deutschland nach dem falschen Schein zu urteilen gewöhnt ist, da sie durch einen mehrjährigen, mit allen Mitteln der politischen Lüge geführten Preßfeldzug schon jetzt in den Wahn versetzt ist, Deutschland wolle über Frankreich oder über England oder über beide herfallen, so wäre es ein leichtes, auch den in ge rechtester Abwehr von uns ausgehenden Beginn militärischer Operationen auf französischem Gebiet für die öffentliche Meinung der halben Welt in einen deutschen Angriff umzufälschen Für die jüngste Vergangenheit ist damit festgestellt, was ein so unbedenklicher Staatsmann aus einer Zusage englischer Hilfe machen konnte, auch wenn sie ihm nur unter der ausdrücklichen Bedingung eines vor hergegangenen „unerwarteten oder ungerechtfertigten Angriffs" erteilt worden sein sollte. Für die Zukunft haben wir auf Neutralität von Flotte und Heer Großbritanniens nur in dem Falle zu rechnen, daß Frankreich uns überlegen bliebe, nicht aber wenn wir, sei es auch nur langsam, gegen die Republik Boden gewinnen würden. Tie politische Revanchesucht in Frankreich und der wirt schaftliche Neid Englands gegen uns sehen ein ge meinsames Interesse darin, Deutschlands Aufblühen zum Stillstand zn bringen. Sie werden versuchen, das Spiel fernerhin geschickter anzulegen als der zuletzt von persönlicher Eitelkeit verblendete Hr. Del- cass«. Es sind keine ausgreifenden Unternehmungen der deutschen Politik, keine dunklen Pläne Kaiser Wilhelms, es sind die Leistungen deutscher Arbeit, deutscher Tüchtigkeit und deren weltwirtschaftliche Fortschritte, welche die Westmächte eingedämmt sehen möchten. Nicht dem „Militarismus und Bureau- kratiSmus*, wie man der politischen Unmündigkeit in Deutschland einzureden sucht, gilt die inter nationale Mißgunst, sondern der Energie, womit die deutsche Arbeiterschaft, Industrie, Handel und Schiff ¬ fahrt ihren Anteil auf dem Weltmarkt zu vergrößern suchen. „Wenn eines TageS", so erklärte der fran zösische Sozialistenführer Hr. JauräS in Limoges, „zwischen Frankreich und Deutschland ein Streit ent stünde, und wenn Frankreich Rechtsgründe oder An sprüche nationaler Unverletzlichkeit nnd Würde an riefe, so könnte sich hinter diesen herrlichen Vor wänden die Berechnung der englischen Kapitalisten, die mit Gewalt die deutsche Konkurrenz erdrücken wollen, bequem verstecken und schließlich zum Ziele gelangen." So der französische Sozialdemokrat Man soll auch vom Gegner lernen, und wenn draußen in der Welt an den Maschen eines Netzes zur Umgarnung der deutschen Wirtschaftskraft ge arbeitet wird, ist es eine Pflicht der nationalen Selbsterhaltung, die Blicke von örtlichen Kümmer nissen, kleinlichen Parteistreitigkeitcn hinweg auf die Gefahren zu lenken, die den grundlegenden Be dingungen für unser Dasein als vorwärts strebendes Volk drohen, Gefahren, die wir nur durch recht zeitige Opferwilligkeit für unsere Rüstung zu Wasser und zu Lande zu bannen vermögen. Falsche Sparsamkeit in der Erhöhung der Wehr macht Deutschlands, die allein den Franzosen die elsaß-lothringische, den Briten die maritime Beute verleiden kann, dürfte sich einmal bitter rächen. Wir sind gewarnt m elfter Stunde. Das Manifest, womit der Kaiser von Japan sich bei Inkraftsetzung deS am 15. Oktober von den Herrschern in St Petersburg und Tokio unter zeichneten Friedensvertrags an sein Volk ge wandt hat, ist eine bemerkenswerte Kundgebung. In Sprache und Gedanken steht sie auf der Höhe abendländischer Gesittung, ihr politisches Schwer gewicht ruht in der Stell», wo dem russischen Nach barn die Hand zur Herstellung engerer Beziehungen geboten wird. Aus bloßen Schönheitsgründen brauchte der japanische Sieger der slawischen Groß macht gegenüber so weit nicht zu gehen, und wenn nicht mehr, so liegt in diesem Angebot herzlicher Freundschaft sicherlich die Zusage, für Japans Vcr hältnis zu Rußland fernerhin keine Richtschnur an- zunehmcn als die eigenen Interessen des Jnselrcichs, anders ausgedrückt, eine Ablehnung, die Geschäfte eines Tritten gegen Rußland zu besorgen Tie englische Presse wird sich hüten, hieraus gegen Japan den Vorwurf eines innerlichen Abrückens vom englisch japanischen Zweibund herzuleiten. Wimmeln doch gerade jetzt wieder ihre Spalten von Nachrichten über die be vorstehende Unterzeichnung eines asiatischen Ver trags, den England selbst mit Rußland schließen möchte. Die russische Presse will gegenüber soviel Liebe immer noch nicht recht warm werden. Die „Nowoje Wremja" meint, cs sei immer das alte Lied, England offeriere das, was es nicht mehr braucht oder was ihm gar nicht gehört, und erwarte dafür von der Gegenseite wertvolle Zugeständnisse: Der „Spectator" hat ganz recht, wenn er sagt, daß das Haupthindernis für ein Abkommen mit Rußland ist, daß es schwer ist, die Russen von der Freund schaft Englands zu überzeugen, davon, daß England nicht nur nicht der Feind Rußlands ist, sondern auch nicht unser Feind zu sein wünscht Dies uns glauben zu machen, ist allerdings sehr schwer. ES haben sich schon allzuviele Beweise des Gegenteils angehäuft. Ironisch verzeichnet die „Nowoje Wremja", daß der „Spectator" Rußland, falls England von der ewigen Sorge nm die Sicherheit Indiens befreit wird, die englische Zustimmung zu der Ausbreitung des russischen Einflusses in Persien und selbst einen Ausgang zum Persischen Golf verheißt: „Befindet sich aber dies alles nicht in weit größerer Abhängig ¬ keit von unseren Beziehungen zu Persien? Zum Schluß wiederholen wir, daß wir prinzipiell nicht gegen ein Abkommen mit England sind, aber daß dasselbe aus der gerechten gegenseitigen Achtung der Interessen beruhen muß, auf realen Konzessionen, nicht aber auf einer kunstreichen diplomatischen Augenverblendung." Die englisch-russische Ab machung zu zeitweiliger Ausgleichung ihrer asia tischen Gegnerschaft wird kommen. Schon das eifrige Hin und Herreisen des russischen Botschafters in London, Grafen Benckendorff, zwischen London, Kopenhagen und St. Petersburg deutet darauf hin, daß die vornehmsten Träger der Aussöhnung des demokratischen England mit dem absolutistischen Ruß land den Augenblick gekommen glauben, wo das Ziel langjähriger Wünsche erreicht werden kann Gern suchen die englischen Zeitungsnachrichten den Glauben zu erwecken, daß die ersehnte Verständigung auf jetzt glücklich beseitigte deutsche Hindernisse ge stoßen sei. Das gehört nun einmal zu der her gebrachten Stimmungsmache gegen unsere Politik Tie Wahrheit ist, daß wir schon seit Jahren Ruß land und England in Persien sich selbst überlassen haben, von Tibet nnd Afghanistan, wo nicht einmal deutsche Handelsinteressen mitsprechen, ganz zu ge schweigen. Eine gütliche Auseinandersetzung über diese Punkte würde auf die sicher gefestigten Be ziehnngen Rußlands zu Deutschland in Europa nicht übergreifen Beide Reiche aber haben zu aus gedehnte Interessen, als daß sie diese auf der ganze» Linie lediglich durch die Pflege der Freundschaft zwischen ihnen selbst decken könnten. Das könnte Rußland von uns nicht verlangen und wir nicht von Rußland. Es bleibt darum doch genug übrig, um jedem Teil den Wert des Rückhalts, den er an dem anderen hat, sehr schätzbar zu machen; und in Dingen, die wichtiger sind als entlegene Außenwcrke der Politik, werden sich Deutschland und Rußland nicht voneinander trennen. Nach den letzten Nachrichten aus Konstan tinopel hat die Pforte ihre ablehnende Haltung gegenüber der Organisation der Finanzkommission für Macedonien noch nicht aufgegeben und be harrt einstweilen bei ihrer Weigerung, diese Orga nisation anzuerkcnnen Demgegenüber bleibt aber, worauf die Pforte wohl nicht rechnet, die Einigkeit der in Macedonien interessierten Mächte unerschüttert Tie vier in ttsküb befindlichen Kommissare Deutsch lands, Englands, Frankreichs und Italiens benutzen die unfreiwillige Muse, nm sich mit den dort an wesenden Zivilagentcn über ihr weiteres Vorgehen zu beraten. Nicht unmöglich erscheint es, daß das Ergebnis dieser Beratungen bereits in einigen prak tischen Vorschlägen über die Tätigkeit der Finanz kommissare besteht und daß Formen gesunden werden, mit denen sich schließlich auch die türkische Negierung einverstanden erklären dürfte. Jedenfalls ist die Arbeit, um zu einem brauchbaren Kompromiß zwischen dem Standpunkt der Mächte und der Weigerung der Pforte zn gelangen, noch nicht als aufgegeben zu be trachten, wenn auch die jetzt geschaffene widerspruch- volle Lage naturgemäß dazu führen muß, den Ge danken an Zwangsmaßregcln gegen die Pforte in Erwägung zu nehmen. Vorläufig aber hat sich dieser Gedanke der Einmütigkeit der Mächte unter zuordnen — Ter Besuch des Fürsten Ferdinand von Bulgarien in Paris hat dem dortigen „Temps" Gelegenheit zu einer Betrachtung über das Verhältnis Frankreichs zu den Balkanstaaten gegeben, der den Gedanken ausdrückte, daß Frankreich berufen sei, die moralische Vorherrschaft auf dem Balkan wieder zu gewinnen, die es einst besessen habe. Kunst nnd Wissenschaft. Berliner Theaterbrief. .Berlin, 20. Oktober. Bon dem alten, eigenartigen Johann Gottfried Seume ist es längst ausgesprochen worden, daß die Maschen des Lebens sich aus Glück und Unglück, Ernst und Scherz zusammenweben. So werden wir umhcr- gewirbelt als Spielball des mächtigen Gottes, der sich Leben nennt Komödie ist alles, und nur das Spiel scheint Wahrheit zu sein. Die Berliner Theater scheiden sich mannhaft in ernste und komische. Die ernsten, denen der Mantel des Tragischen die Lenden schlägt, verschmähen die Maske der heiteren, und umgekehrt wissen die komischen, daß sie der Kothurn weniger erhöhen, als zum Narren machen würde Wer besser fährt, ist eine müßige Frage, so lange die Ästhetik eine Delikatesse und der Witz eine Hausmannskost ist. Heute wollen wir uns einmal mit der leichtgeschürzten Muse in Berlin beschäftigen. Ihre Kunststätten schaffen sich ihre eigene Welt, die sich den Bedürfnissen des normalen Leben« anpaßt, das nach arbeftSvollen Alltagen einen geruhigten Sonntag herbei wünscht. Humor auf alle Fälle, Witz, Bonmot«, Situationen mit sausendem Spott aust die Wirklichkeit und zwischendurch, nicht gar zu bemessen eingestreut, ein paar Konzessionen an die Sinnlichkeit, und das Pro gramm ist gemacht und wird in die Schaukästen gehängt Der Erfolg entscheidet dann, wie es gemacht wurde; denn der Berliner ist kein Philister und hat seinen keineswegs engherzigen Geschmack So kommt e«, daß die komischen Theater in Berlin durchweg gut sind, und daß cS eine Ausnahme ist, wenn sich hier und da der Strom der Mtttelmatzigkeit oder der halbwegs in der Jntelligenzlosigkeit stecken gebliebene Blödsinn breit macht. An der Spitze der guten Varietes steht in Berlin das Apollotheater. Es war früher, zu Paul Linckes Zeiten, mehr Opercttenbühne als Variete, und hatte damals sämtliche Berliner Gassenhauer auf dem Gewißen, ist jetzt aber fast nur ausschließlich Variöts. Denn die Pantomime oder Burleske, die nach dem eigent lichen Varieteprogramm den Abend beschließt, kann man nicht als regelrechtes, zu einer geschloffenen Handlung sich zuspitzcndes Bühnenstück gelten lassen. „Ein Abend in einem amerikanischen Tingel-Tangel", mit vorzüglichem Humor und einer im besten Sinne aufwirbelndcn Situationskomik vorgetragen, war dort seit einigen Wochen das abendliche Finale, nachdem vorher ein langes Programm für die Darstellung aller jener Künste gesorgt hat, die seiltänzerisch und durch die Lüfte fahrend an augenblicklicher Wirkung manchmal mehr zu Wege bringen als die donnernden Erkenntnisse eines modernen Poetlein«. Und der Vorzug ist zweitens, daß solch von lauernder Konkurrenz umgebenes und nur auf die momentane Stimmung hinzielende« Varists niemals in getragenen Kleidern einhergehen darf. Das Apollotheater rst findig darin, immer mit einem für Berlin neuen Spielplan aufzuwarten E« hat jetzt eine amerikanische Komikerin, Daisy Jerome, die mehr Humor besitzt al« alle Aankees zusammen Und da« ist keine Alltagssache In der Zwischenzeit wird auch wieder einmal eine der feinen Linckeschen Operetten aufgefrischt Ehedem, in den vergangenen Wintern, stellte sich auch das Metropoltheater mit einem nicht immer ganz sauberen, aber wenigsten« wirkungsvollen Humor rn die erste Reihe der Berliner VergnügungSthcater. Den Ehrgeiz hat es aber diesmal aufgegeben Die „Große JakreSrevue mit Gesang und Tanz in neun Bildern" „Auf in« Metropol" hat sich von vornherein rn ihrem Tuet geint und zollte die gegenteilige Auf forderung ausdrückcn: Bleibt fort aus dem Metropol theater! Denn hier sitzt die Banalität zu Tisch. Was sonst, von einem blitzenden Witz gejagt, schlüpfrig über das Parkett strich und vorübergehuscht war, ehe man es noch recht bemerkte, macht sich jetzt als schleppende Zote breit oder ist im höchsten Maße geschmacklos. Ein Mädchen von acht Jahren, ein Kind, wirft mit den Kleidern und singt Lieder, die bisher nur in den rot- laternigen Varietes der Elsasser Straße auf dem Pro gramm standen Aber das ließe sich streichen, und schließlich ist die sittliche Entrüstung in den Räumen eines Varietes ein relativer Begriff. Doch wegbeizen läßt sich an diesem Stück nicht seine ganze Art der „Aufmachung", die mit rotem Licht, so daß man mit Augenschmerzen nach Hause geht, mit tanzenden Schutz männern, einem Skat zwischen Bismarck, Bleichröder und Lenbach, und dem obligaten Balletteusenanmarsch operiert Und diese Balletteusen! Seit zehn Jahren sind cs Abend sür Abend dieselben blondperückten Ge stalten. In diesem Rummel steht als einzig nette Idee ein lebendes Bild, das Menzels Flötenkonzert darstellt. Wenn früher die Szene langweilig war, hat die Musik mit etlicher Grazie darüber hinwegaeholfen. Aber auch die sieht man diesmal auf dem Gefrierpunkte: es sei denn, daß man c« als blendenden Einfall hinnehmen will, daß das Orchester in seiner Schwäche da« Publikum durch das Verkalauern beliebter Melodien sür sich zu Hilfe ruft. Der Chopinsche Trauer marsch als Gassenhauer! Alles flach, alles geschmack los Das wird jedoch den 200 Ausführungen, die dieser Burleske sicher sind, keinen Abbruch tun, (An merkung der Schriftleitung: Das möchten wir doch be zweifeln!) und dann können sich die Berliner gratulieren Denn auch dann ist sie für sie noch nicht verloren Dann wird sie mit Sang und Klang in das ver- floyene Nanonatryearer fahren, Vas zuy vor einem Jahre mit feierlicher Miene als dritte große Opern bühne Berlins eröffnet wurde und heute der Ableger des Metropoltheatcrs ist! Heute oben, morgen unten! Bellealliancetheater, Wintergarten und die beiden Zirken, von denen der Zirkus Busch ungleich bester ge leitet ist als der Zirkus Schumann in der Karlstrabe, schließen die Garde der Berliner Varistös Der Wintergarten ist in der letzten Zeit von seiner alten Höhe etwas herabgeglitten und hat sür die Eleos, Otsros, Lianen und Saharets keinen Ersatz gebracht. Tas Bellealliancetheater, einst das besuchteste Volkstheater des südwestlichen Berlin, hat im letzten Jahrzehnt ein paar magere Jahre gehabt, aber dann brachten es Schönfeld und Kren vom Thaliathcater wieder hoch, und heute findet es mit seinem aus gezeichneten Spezialitätenprogramm, auf dem die pikante Erscheinung der Liane Leischner vorangeht, sein Publikum Eine merkwürdige und kulturell interessante Tat sache, wie das Variete in Berlin von Jahr zu Jahr weitere Kreise zieht. Tenn sowohl die Ansiedelung des Metropoltheaters in dem früheren Nationaltheater, wie die Eröffnung des alten Bellealliancetheater« als Variets- bühnc ist neueren Datums Ganz zu schweigen von den Niederungen dieser Brettlkunst, wie sie im Norden Berlins ohne Einhalt entstehen Ist die Zeit ringenden Übergangs zu einer großen Kunst vorbei und befinden wir uns in der Reaktion gleichgültiger Verflachung? Oder sind wir nach den lauten Attacken krampfhafter Persönlichkeitspoesie in der großen Epoche starker, trieb kräftiger Sammlung gelandet? C. B. Wissenschaft. * Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht Mitteil ungen über die zum vorläufigen Abschluß gelangten, im Kaiser!. Gesundheitsamte von 1902 bi« 1905
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