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Sächsische Volkszeitung : 01.01.1911
- Erscheinungsdatum
- 1911-01-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-191101010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19110101
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- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19110101
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- ZeitungSächsische Volkszeitung
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- Jahr1911
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- Sächsische Volkszeitung : 01.01.1911
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Sozialdemokratische Heuchelei. Die Sozialdemokratie treibt es abwechselnd, wie es ihr gerade für ihren jeweiligen Zweck passend erscheint. Ein mal tritt sie mit dem Feuer jugendlicher Leidenschaft für die sogenannte Freiheit der Kunst ein, und wenn durch die polizeiliche Zensur, die bekanntlich bei uns zu Lande mehr als milde gehandhabt wird, einmal eines der ärgsten Sudel stücke von der Bühne ferngehalten wird oder eine der schwülsten und pikantesten Broschüren vom Büchermärkte verschwindet, oder aber notorisch dem Sinnenreiz dienende unflätige Bilder aus den Schaufenstern gerissen werden, da mit sie nicht zum Skandal für die Menschheit dienen und die Heranwachsende Jugend vergiften, dann erhebt sich im sozialdemokratischen Lager ein Sturm der Entrüstung und eS wird ach und weh geschrien gegen Willkür und Verge waltigung der Freiheit der Kunst, der Wissenschaft, der Literatur. Wie man weiß, sind auch die beiden sozialdemo kratischen Gründungen „Die freie Bühne" sowohl wie die „Neue freie Bühne" dem Kultus einer Bühnenliteratur geweiht, deren gelegentliche Anstößigkeit der Zensurbehörde Anlaß gegeben hat. sich dieser sogenannten Kunstinstitute mit besonderer Aufmerksamkeit anzunehmen. Auch das hat seinerzeit, wie man sich erinnert, ein wahres Wutgeheul des Fanatismus in der sozialdemokratischen Presse hervor gerufen. Allein, man kann auch airders. In den sozialdemo kratischen Jugendorganisationen, in denen bekanntlich die politische Brunnenvergiftung auf das ärgste getrieben wird, verlegt man sich neuerdings auf den Kampf gegen den Schmutz in Literatur und Kunst. Dies ist gewiß an sich ein sehr Übliches Beginnen und selbst dann nicht zu tadeln, wenn wie in unserem Falle die ausgedehntesten und wirk samsten Organisationen von anderer bürgerlicher Seite bereits vorbildlich vorangegangen sind. Allein, wenn man die ganze Vergangenheit und Entwicklung der Sozialdemo kratie auf diesem Gebiete sich vor Augen hält, so wird es wirklich schwer, ja unmöglich, zu glauben, daß ^s der Sozialdemokratie mit diesem Kampfe gegen die Unsittlich keit ernst ist. Man hat vielmehr guten Grund, anzunehmen, daß sie diesen Kampf nur als ein Aushängeschild Herr i- holt, um die Behörden über die wahren Zwecke und Ziele ihrer Jugendorganisationen zu täuschen. Wenn dann von der Polizei dazu geschritten wird, eine solche Jugendver einigung wegen politischer Bestrebungen aufzuheben, so har man es leicht, den Lappen der moralischen Entrüstung herauszuhängen und sich im Sonnenglanze sittlicher Hoheit zu baden. kin treffendes Beispiel für diese Art haben wir vor uns. Die Berliner sozialdemokratische Jugendvereinigung ist kürzlich aufgelöst worden. Was tat der „Vorwärts"? Er schrieb einen spaltenlangen Artikel, deren Inhalt in dem Satze gipfelte, die Behörde habe es der Sozialdemokratie unmöglich gemacht, in wirksamer Weise gegen den Schmutz in Kunst und Literatur anzukämpfen und die Jugend davor zu beschützen. Wenn also die Jugend jetzt der Verführung auf diesem Gebiete anheimfalle, so sei die sozialdemo kratische Führung daran unschuldig, die volle Verant wortung treffe vielmehr allein die Behörden. Obwohl der „Vorwärts" glaubt, mit einem solchen Lamento irgend welchen Eindruck auf vernünftige Menschen machen zu können, seine eigene Anhängerschaft dürfte ihm nicht glan- l»en, denn das Augurenlächeln schimmert gar zu deutlich durch die sittliche Entrüstung hindurch. Ein schlagendes Beispiel, wie von sozialdemokratischer Seit« der Kampf gegen die Schundliteratur mit der partei politischen Erziehung der Jugend im sozialdemokratischen Sinne verquickt wird, liefert das Organ der freien Jugend bewegung „Die Arbeiterjugend". Sie warnt die jugend lichen Proletarier vor der Schundliteratur, aber diese War nung wird zu folgender politischen Auslassung zugespitzt: „Die jugendliche Arbeiterschaft trägt die Zukunft der Arbeiterklasse in sich: sie soll dereinst vollenden, was jetzt begonnen ist. Ihr habt sicher schon manches von den Zielen der Arbeiterklasse gehört, von ihrem Streben nach der Auf richtung einer gerechteren Gesellschaftsordnung, die deni Arbeiter auch den Lohn seiner Arbeit gibt. Dieses Ziel kann aber nur erkämpft werden, kann nur dann erkämpft werden, wenn die Arbeiterklasse ihren Gegnern auch an Geist überlegen ist. Deswegen ist es Pflicht eines jeden jungen Proletariers, der den Willen in sich fühlt, später an diesem großen- Befreiungskämpfe tatkräftig teilzunehmen, sich für ihn zu schulen, vor allem seinen Geist gesund zu er halten. Seinen Körper, seine Muskeln muß der Arbeiter, auch der jugendliche bereits, seinem Lehrherrn oder Meister verkaufen, dazu zwingt ihn die harte Notwendigkeit. Aber was er sich freihalten kann und auch freigehalten hat. das ist sein Geist, seine Weltanschauung. An Besitz, an Geld kann er es nicht entfernt mit seinem Gegner aufnehmen: seine Körperkraft muß er von ihm ausbeuten lassen, aber in geistiger Beziehung steht er nicht zurück, sondern ist ihm mindestens ebenbürtig, wenn er ihn nicht schon zu über ragen beginnt." Nach sozialdemokratischer Meinung sollen diese Be lehrungen der Proletarierjugend durchaus unpolitisch sein. Unpolitisch ist es wahrseinlich auch, wenn das Jugendorgan seinen Lesern unter 16 Jahren den Rat gibt: „Beteiligt euch am Befreiungskampf der Arbeiter, indem ihr schon jetzt euern Geist aus den Fesseln hergebrachter Vorurteile löst und euch in die proletarische Weltanschauung hiiiein- versenkt." Also Aufhetzung zun: Klassenhaß, zur Gott losigkeit, zu revolutionärer Betätigung. Daneben dann ein wahres Schwelgen in Moral. Da kann inan wirklich sagen: erklärt mir Graf Oerendur diesen Zwiespalt der Natur. Dr. P. L. Politische Rundschau. (Fortsetzung aus dem Hauplblcut) — Industrie und Reichsfinanzreform. Tie „Köln. Ztg." hält es für nötig, „wieder einmal" einige Tatsachen aufzugreifen, die es beweisen sollen, daß die Meinung „ge wisser Wortführer der Industrie" mit der Reichsfinanz reform könne die Industrie zufrieden sein und sie spüre ihre angeblich üblen Wirkungen nicht, unrichtig wäre. Das nationalliberale Blatt (Nr. 1391) stützt sich dabei auf Dar legungen der „Süddeutschen Tabakztg.", wonach bei Zu sammenfassung der Einfuhr in den drei Monaten August bis Oktober für die letzten vier Jahre folgende Zahlen sich ergeben: 1907: 18-1795 Doppelzentner, 1908: 189 833 Doppelzentner, 1909: 159 627 Doppelzentner, 1910: 178 293 Doppelzentner. An und für sich sind diese Zahlen gar nicht so ungünstig. Dabei ist aber die Einfuhr von Rohtabak keineswegs identisch mit dem wirklichen Verbrauch an Tabak, denn was jetzt eingeführt wird, kommt zum Teil erst in ein oder zwei Jahren zur Verarbeitung und bleibt bis dahin auf dem zollfreien Lager. Will man ein zu treffendes Bild der Rohtabakverarbeitung in den letzten Monaten geben, so darf man nicht die Einfuhren, sondern die vom steuerfreien Lager in die Fabriken hcrein- genommenen Quantitäten vergleichen. Was gerade die „.Köln. Ztg.", ein nationallibcrales Organ, gegen dis -10 Prozent Rohtabak Wertstener der Finanzreform von 1909 zn Felde zieht, ist be anders interessant: ist es denn der „Köln. Ztg." nicht bekannt, daß diese Rohtabakwert- stener gerade von n a t i o n a I l i b e r a l er Seite bei der Finanzreform angeregt worden ist, daß sie ihre Annahme auch lediglich einen, n tionalliberalen Anträge Dr. Weber, der am 17. Mär- 1909 in der Snbkommission als Drucksache 14 eingebracht wurde, verdankt? Der national- liberale Steuertechniker hatte jedoch anstatt 40 Prozent Rohtabakwertsteuer gleich 80 Prozent, also das Doppelte des schließlichen angenommenen Steuersatzes, beantragt, die Annahme dieses enorm hohen Steuersatzes wurde durch das Zentrum verhindert. Das alles sollte die „Köln. Ztg." eigentlich doch wissen, denn mit welcher Glorie hat sie seiner zeit diese steuertechnischen Leistungen der nationalliberalen Finanzreformkommissionsmitglieder umgeben! Wenn aber die Tabakindustrie wirklich nach der Erhöhung der Steuer einen Konsumrückgang zu erleiden hätte, dann würde baS auf keinen Fall auf Rechnung der Reichsfinanzreform zu setzen sein. Den Preisanschlag, den der Steuerbetrag allein verursacht hätte, würden die Konsumenten gut und gerne getragen haben, zumal dadurch die billigeren Zigarren sorten gar nicht belastet worden sind. Aber was schließlich auf Einschränkung des Verbrauches hinwirken mußte, war der exorbitante Preisaufschlag über die Stenerhöhe hinaus, den die Zigarrcnfabrikanten und Händler gemeinsam unter nommen, und den vielfach die Fabrikanten den Händlern anfgezwungen haben. Sonach wird man die vorstehenden Einsuhrziffern für 1910 für die Wirkung der Reichsfinanz reform als durchaus günstig anzusehen haben. Und die „Köln. Ztg." wird sich schon auf eine weitere Suche nach Beweisen für ihre Behauptungen begeben müssen. Sie ver zeichnet zwar als einen solchen auch die Mitteilung, daß eine badische Seilfabrik auf schlveizerischem Boden eine Tochter gesellschaft errichtet und dabei etwa 50 000 Mark gespark habe. Was aber die Seilfabrikation in Baden und der Schweiz mit der Reichsfinanzreform zu tun haben soll, ist schleierhaft. Daß etwa die deutschen Industriellen auS Ver zweiflung über die Reichsfinanzreform den Verbrauch von Stricken ins Riesenhafte gesteigert hätten, wird die.Köln. Ztg." nicht haben andeuten wollen. Uebrigens ist der Hin weis auf die Abwanderung der heimischen Industrie ins Ausland eine alte freihändlerische Drohung, die bis jetzt natürlich sich nicht verwirklicht hat. Daß an den Grenzen — und zwar von hüben wie von drüben — Filial- grllndungen unternommen werden, ist. wie die „Kreuz zeitung" hervorhebt, eine alte und unvermeidliche Er scheinung. — Zentrum, Sozialdemokratie und Ausiiahmr-eseyr. Angesichts der heutigen Situation, die Zentrum und Kon servative zum Teil auf eine Seite gebracht hat, wird die sozialdemokratische Presse nicht müde, das Zentrum dahin zu verdächtigen, es werde zu gegebener Zeit mit den Kon servativen für Ausnahmegesetze gegen die Sozialdemokrati zn haben sein. Demgegenüber verdient wohl eine Stelle ans einem Leitartikel des „Genossen" Franz Mehring in der neuesten Nummer (11) der offiziellen sozialdemokrati schen Wochenschrift „Die Neue Zeit" hervorgehoben zu »vor dem wo es heißt: „Ein Ausnahmegesetz in der Art des Sozialistengesetzes wollen die Junker selbst nicht, wie ihre Presse oft genug in durchaus glaubwürdiger Weise erklärt hat: wären sie selbst schon verblendet genug, mit diesem Feuer zu spielen so wissen sie sehr genau, daß sich ihre ultramontanen Bun desgenossen (?!) auf ein so verzweifeltes Spiel nicht ein lassen würden, und am wenigsten angesickits neuer Wahlen." So bestätigt „Genosse" Mehring im Gegensätze zu den' Gerede der sozialdemokratischen Presse dem Zentrum, daß es von jeher, so auch unter den heutigen Verhältnissen ein Gegner von Ausnahmegesetzen gegen die Sozialdemokratie ist. Dagegen hat kürzlich die sozialdemokratische Landtags fraktion in Baden einen» Ausnahmegesetze schlimmster Art seine Zustimmung gegeben, nämlich dem § 114 des neuen Schulgesetzes, der lautet: „Kirchlichen Korporationen und Stiftungen ist die Errichtung von Lehr- und Erziehungs anstalten nur auf Grund eines besonderen Gesetzes gestattet. Die Erteilung von Unterricht an Lehranstalten durch Mit- Fürsi Bismarck und der Kulturkampf. Der seit drei Jahrzehnten in Historikerkreisen mit be rechtigter Neugier erwartete dritte Band der Memoiren des königlich sächsischen Ministers Richard Freiherrn v. Friesen (gest. 25. Februar 1884 zu Dresden) ist nun endlich er schienen. Er behandelt die Ministertätigkeit von Friesens in der bewegten Zeit 1866 bis 1876 und ist wie alle Memoirenwerke, die über die Zeit der Reichsgründung Aufschlüsse bieten, eine um so dankenswertere Quelle, als man die offiziellen Dokumente noch lange in den staatlichen Archiven unter sickierem Verschluß halten wird. Hier interessiert zunächst der kirchenpolitische Ertrag des neuen Bandes. Zu Beginn des Kulturkampfes (19. April 1871) hatte der Minister eine eingehende Unter haltung mit Bismarck, in der der Reichskanzler über seinen Anteil an der Maigesetzgebung sich ausführlich aussprach: „Man macht mich," so sagte der Fürst, der »vegen Un wohlseins den sächsischen Kollegen in» Bette liegend empfing, „verantwortlich für alles, was in den letzten zwei Jahren in Preußen geschehen »st, und doch bin ich ganz unschuldig daran, ja zum größten Teile damit gar nicht einverstanden. Da ist z. B. der Kampf gegen die katholische Kirche, mit dein bin ich gar nicht einverstanden, er ist ganz gegen meine Ab- I sicht entstanden! Ich wollte die Zentrumsfraktion als poli tische Partei bekämpfen, >r»eiter nichts. Wenn man sich darauf beschränkt hätte, so wäre es gewiß auch von Erfolg gewesen. Daran, daß inan »veiter gegangen ist nnd die ganze katholische Bevölkerung aufgeregt hat, bin ich ganz unschuldig. Auch mit der Einführung der Zivilehe — fuhr er fort — sei er gar nicht einverstanden, nicht etwa auS religiösen Bedenken, denn die habe er nicht dagegen, son dern »veil er die Einführung derselben für einen politischen Fehler halte. Die Zivilehe liege dem Bewußtsein des Volkes so fern, daß ihre Einführung bei der großen Mehr heit desselben Widerspruch finden und Unzufriedenheit er regen müsse. Wenn inan aber glaube, dadurch dem Ein flüsse des katholischen Klerus entgegenwirken zu können, so sei inan in einem großen Irrtum: gerade in den Ländern, in welchen die Zivilehe bestehe, sei der Einfluß des katho- lischen Klerus der größte. Aber was hätte er machen sollen? Camphanscn nnd Falk hätten wieder mit ihren» Abgänge gedroht, wen» er eicht unterschrieben, und da hätte er nachgeben müssen. Ganz so sei es auch mit den Kirchen gesetzen, den sogenannten Maigcsetzen, ergangen. Da Hab? ihm das Ministerium die dicken Entwürfe derselben mit noch viel dickeren Motiven und Erläuterungen auf das Land ge schickt: er sei gerade sehr nilwohl nnd gar nicht aufgelegt nnd kräftig genug zn einer solchen Arbeit gewesen: auch wäre ihm die ganze Sache sehr bedenklich vorgekommen: er habe daher Einwendungen geinacht. Hier aber habe das ganze Ministerium — Camphausen und Falk immer voran — mit seinen» sofortigen Abgänge gedroht, wenn er sich nicht füge, und da er den Zerfall dieses Ministeriums da mals für ein großes Unglück für Preußen gehalten hätte, so habe er auch hier nachgegeben und, um nur Ruhe zu haben und den Zerfall des Ministeriums zu verhindern, die Entwürfe unterzeichnet, ohne sie gelesen zu haben. (!) Jetzt — fügte er wörtlich hinzu — bedauere ich freilich, daß ich jene Gesetze, ehe ich sie unterschrieb, nicht wenigstens ge lesen habe, es steht doch gar zu viel dnimnes Zeug darin, tvas ich gewiß herausgestrichen hätte. — — Ich bitte Sie dringend, das alles Ihrem Könige zu sagen und ihn zu bitten, daß er mich nicht für das verantwortlich machen »volle, was in den letzten zwei Jahren in Preußen geschehen ist: ich bin daran ganz unschuldig." Also alles in allen»: „Dies Kind, kein Engel ist so rein . . ." Der Minister aus Dresden wird nicht ohne manches Kopfschütteln diesen Bericht, an dessen zuver lässiger Wiedergabe nicht zu zweifeln ist, niedergeschrieben haben; vielleicht dämmerte doch auch ihn» die Ahnung, daß die Erzählung ganz und gar bestimmt war, an einen katho- lischen Monarchen weitergegeben zu werden, und daß dieser Umstand auf den Wahrheitsgehalt des Berichtes einen mehr als ungünstigen Einfluß ausgcübt hat. Vielleicht erinnerte sich anch, sagt die „Germania" mit Recht, Freih. v. Friesen, daß an» 10. März 1873 der Kanzler in» Herrenhause eine fulminante Kultnrkampfesrede gehalten hatte zugunsten der Maigesetze, die er am 19. April 1874 nicht gelesen haben wollte. Am 11. Mai 1880 hatte Bismarck ein anderes Ge spräch, diesmal nicht mit einem Minister eines katholischen Monarchen, sondern mit seinem Leiboffiziösen Dr. Moritz Busch. Er gab diesen» einen Artikel in Auftrag, der den so oft von den Liberalen verkündeten Satz widerlegen sollte, von den inneren Fragen verstehe der Kanzler nichts. „Wer," so sagte Bismarck gereizt, gleichsam ckielancko, zu Dr. Busch, „hat denn die Maigesetze angeregt und sie Falk ab gewonnen, der allerhand juristische Bedenken dagegen hatte und sich nur nach langem Widerstreben fügte? . . . Als dekretierender nnd verwaltender Minister ist er keineswegs so schneidig gegen die Klerikalen vorgegangen, wie jetzt als Kaminerredner. . . Dann das Zentrum und seine Auftraggeber, gegen die habe ich und nur ich den Kampf aufgenomnien nnd trotz aller Intrigen des HofeS fort gesetzt." Die Zeugnisse für den enorm persönlichen Anteil, den Bismarck an den Maigsetzen hat, ließen sich noch beträchtlich vermehren, aber sie würden unseren anspruchlosen Beitrag zu dein Kapitel „Bismarcks Wahrheitsliebe" über Gebühr anwachsen lassen. Und was würde es helfen? Der national liberale Herr Professor Dr. Phrasendrescher wird ja doch nicht aufhören, den erste»» Kanzler als durch und durch ethischen und »vahrhaften Charakter, den edelsten, reinsten und größten Menschen, den Mann des auf das Schlichte unk» Wahre gerichteten Streben?- usw. zu preisen, ihn, der iiach- weisbar -- reden konnte, daß sich die Balken bogen! Herr v. Berger hat recht: das tragische Schicksal der Fürsten Bismarck war es, daß er, der das Reich fest wie einen roeliar cko kronro begründen wollte, sich durch die Liberalen verleiten ließ, gleich nach seinem Entstehen einen tiefen Zwiespalt in dasselbe hineinzubringen dadurch, daß er sich zur Führung des Kulturkampfes drängen ließ. Aber das ist auch die Größe des Fürsten Bismarck, daß er um kehrte, als er seinen Fehler einsah. Der Liberalismus aber ist ebenso unbelehrbar wie nnbekehrbar. Er kulturkämpfert lustig »veiter und behauptet dabei noch, dadurch die Inter essen des Deutschen Reiches zu wahren. Darum wir- Fürst BiSmarck auch als großer Mann leben in der Weltgeschichte, »nährend der Liberalismus einer sehr kritische» Würdigung begegne»» wird.
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