230 Kleine Beiträge Bedeutsam ist das neue Dokument - und derzeit fast späteste Lebenszeichen Bachs 18 - nicht zuletzt deshalb, weil es erlaubt, die Rolle Gottlieb Siegmund Heesemanns (geb. 1725) im Hause Bachs etwas zu präzisieren. Heesemann, ein aus Weißenfels stammender Verwandter Anna Magdalena Bachs 19 und seit 1745 Leipziger Student, trat bekanntermaßen im Herbst 1750 als Kurator des geistig behinderten Bach-Sohnes Gottfried Heinrich auf. 20 Andreas Glöckner setzte ihn vermutungsweise mit dem Schreiber von mehreren - wohl im Zuge der Erbteilung angefertigten - Titelumschlägen zu den Stimmen von Bachs Choralkantatenjahrgang, einem (nicht eigenhändigen) Brief Bachs (Dezember 1749) 21 und zwei Eingaben von dessen Witwe (Oktober 1750) 22 gleich, mußte dabei aber noch mutmaßen, daß Heesemann seit Beginn seines Studiums „möglicherweise im Hause des Thomaskantors“ lebte. 2 ' Dieser Verdacht ist nun insofern zu konkretisieren, als der Student in der Tat - zu mindest 1750 - als eine Art Privatsekretär Bachs agierte. Ob er deshalb aber mit dem fraglichen Kopisten identisch ist, womöglich jener „Freund“ war. dem der erblindete Bach die vierstimmige Choralbearbeitung BWV 668a „aus dem Stegereif in die Feder“ diktiert haben soll, 24 muß zumindest so lange offenbleiben, bis sich Hinweise auf seinen späteren Lebensweg 25 und damit auch neue Ansätze zur Ermittlung einer eigenhändigen Schriftprobe ergeben. Vielleicht spiegelt sich in Bachs - nicht ganz unüblicher - Entscheidung, sich am 10. Juni 1750 vor dem Universitätsgericht von Heesemann vertreten zu lassen, sein im Nekrolog beschriebener „fast immer kränklich[er]“ Zustand 26 18 Später datiert nur seine Erwähnung am 22. Juli im Kommunikantenverzeichnis der Thomaskirche (Dok II, Nr. 605). 19 Seine Mutter Martha Elisabeth Heesemann geb. Wilcke war die Halbschwester von Anna Magdalena Bachs Vater Johann Caspar Wilcke (siehe E.-M. Ranft, Neues über die Weißenfelser Verwandtschaft Anna Magdalena Bachs, BJ 1987. S. 169-171). 20 Dok II, Nr. 627 und 628. 21 DokI, Nr. 54. 22 Dok II, Nr. 625 und 626. 23 Siehe A. Glöckner. Die Teilung des Bachschen Musikaliennachlasses und die Thomana-Stimmen, BJ 1994. S. 41-57, besonders S. 45 ff. 24 Siehe Dok III. Nr. 645 und 648: laut Forkel, S. 53. soll es sich dabei um Bachs Schwiegersohn Johann Christoph Altnickol gehandelt haben. Vgl. hierzu C. Wolff, Johann Sebastian Bachs „Sterbechoral“: Kritische Fragen zu einem Mythos, in: Studies in Renaissance and Baroque Music in Honor of Arthur Mendel, Kassel 1974, S. 283-297, und Dok VII, S. 66. 25 Letztmalig ist Heesemanns Aufenthalt in Leipzig für den 7. September 1752 belegt, als er an der juristischen Fakultät seine Dissertation De Praescriptione Liberis Gentibus Incognita verteidigte. In den Weißenfelser Kirchenbüchern kommt sein Name nicht mehr vor. 26 Dok III, Nr. 666.