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(1. Oktbr. — (1853) — lg. Novbr.) Deutsche Gewerbezeitung. 361 Zur Würdigung der Schutzzollfragc in Frankreich. Antwort ous dir letzte Schrift des Herrn Icon O o 1. t f n s *) in Mühlhunscn, von einer Anzahl angesehener französischer Fabrikanten. Die neue von I. Dollfus veröffentlichte Schrift, zu Gunsten der Aufhebung der Verbote auf Baumwollgespinust und Ge webe, ist durch die freihändlerischen Journale mit einem gewissen Lärm wiederholt worden und har die Angriffe auf das über die sen Theil der Nazionalarbeit wachende Gesetz auf's Neue belebt. Eigenihümer und Vorsteher von Fabriken, der Spinnerei, Weberei und Druckerei von Baumwollstoffen gewidmet, können wir un- sere Industrie nicht unter der Last schwerer von I. Dollfus be gangener Jrnhümer beugen lassen. Wir Hallen es für unsere Pflicht, die öffentliche Meinung aufzuklären, indem wir die Unrich tigkeit der von ihm ausgestellten Berechnungen Nachweisen. Um die vorgeschlagene Reform zu rechtfertigen beklagt sich I. Dollfus zuerst über Das, was er den Stillstand der Baum- wollmaiiufakturen in Frankreich nennt. Man muß gestehen, daß dies ein eigenthümlicher Vorwurf ist. Oeffnen wir die offiziellen Tabellen der Zollverwaltung, was finden wir darin? Daß die Quantität in Frankreich verarbeiteter Baumwolle sich von 20 Millionen Kilogrammen im Jahre 1820, auf 30 Millionen in 1830, zu 53 Millionen in 1810 steigerte, und daß sie heule 70 Millionen erreicht hat. In 30 Jahren also war Frankreich trotz aller Revoluzionen und der durch dieselben herbeigeführten Krisen, doch dahin gelangt, seine Baumwollfabrikazion mehr als zu verdreifache». Und Das nennt Dollfus eine stillstehende In dustrie! — Aber, sagt Dollfus, was ist das im Vergleich zum englischen Manufaklurwesen? Ein Franzose, fügt er bei, verbraucht jährlich nicht mehr als 2 Kilogramme Baumwolle, während ein Eng länder deren mehr als 7 bedarf. Hier ist ein augenscheinlicher Jrrthum. Der durchschnittliche Verbrauch in England beläuft sich auf ohngefähr 3 Kilogrammen Pr. Kopf^), was immer noch mehr ist als in Frankreich. Aber welch andern Schluß kan» man daraus ziehen, als daß England eben mehr in Kleidern verlhut, Z Zur bessern Beurtheilung des hier folgenden, für Deutschland in mehr als einer Beziehung, interessanten Artikels, den wir aus einer fran zösischen Zeitschrift übertragen, müssen wir Folgendes anführen Vor 2 Jahren überreichte I. Dollfus der Jndnstriegesellschaft zu Mühlhausen einen Vorschlag zur Berathung, in welchem er auf die Ab schaffung der Schutzzölle oder wenigstens Verminderung derselben zu Gun sten freieren Handels antrug. Der Vorschlag machte großes Aufsehen in der Gesellschaft. Eine Kommission wurde ernannt, die Frage gründlich zu untersuchen und der Gesellschaft Bericht darüber abzuslatten Die Arbeit dauerte lange, denn sie ward gewissenhaft geleitet und fübrte manchen Streit herbei. Der Bescheid lautete endlich auf Verwerfung des Vorschlages, wobei man dem Schutzsisteme alle Gerechtigkeit widerfahren ließ. Er ward der Jndustriegesellschaft übergeben und vorgelesen. Die Gemüther waren heftig aufgeregt. Am Lage der Verhandlung entspann sich ein langer, heißer Kampf, doch auf den Vorschlag des ehrenwerthen Vizepräsidenten, vr. Pennt, beschloß die Gesellschaft- daß der Vorschlag des Herrn I. DollkuS füglich nur besprochen werden könne, wen» alle Industrien, die von demselben betroffen würden, vertreten wären, und daß, da nicht alle Industrien des Landes in Mühlhausen vertreten sind, die Berathnng nicht Statt haben könne. Man ging zur Tagesordnung über. Wiewol die Gesellschaft einen höchst ehrenwerthen Beschluß gefaßt hatte, der sowol ihr gesundes Urtheil als das tiefe Interesse, welches sie an dem Wohl der Gesammtindustrie des Vaterlandes nimmt, an een Tag legte, so war doch I. Dollfus nicht damit zufrieden, sondern ließ eine Schrift erscheinen, worin er die Arbeit der Kommission als manaelhaft angritz, und eben diese Schrift ist es, worauf die hier folgende Antwort gegeben wurde. v. 0. 2) England erzeugte im Jahre 183V 217 Millionen Kilogramme Baumwollzeuge; 171 Millionen wurden auögcführk, 73 Millionen blie ben zur Deckung des heimischen Bedarfs im Inlands; das gibt 2^ Kilo gramme Pr. Kopf. wozu es durch die Verhältnisse seines Klimas gezwungen wird. Fügen wir noch hinzu, daß der von Dollfus ausgestellte Vergleich auf unvollständigen Thaisachen beruht. Verbraucht England mehr I Baumwolle, so verbraucht es dagegen weniger Lein und Wolle. Baumwollene Wäsche, die auf der andern Seite des Kanals so s allgemein in Gebrauch ist, findet in Frankreich an der durch die Bauern in großer Menge erzeugten Leinwand ihre Nebenbuhler schaft. Hat der französische Arbeiter nicht seine Bluse von Lein wand, so trägt er wollene Stoffe, während der englische Arbeiter sich in starke Baumwollzeuge, in Fustians und Moleskins kleidet. Wahr ist es, daß wir in weitaus größerer Menge Stoffe verweben, die im Lande erzeugt werden. Der Freihandel wird darüber vielleicht jammern, aber unsere Landwirthschaft wird diesen Jammer nicht theileu. Will man unserer Industrie vorwerfen, daß sie im Schlen drian beharre, dem Fortschritt nicht huldige? Dollfus gibt gütig zu, daß wir uns anstrengen, daß wir vorgeschritten sind; aber, setzt er hinzu, wir haben nicht Lust, trotz der großen Gewinne uns auf die Höhe der ausländischen Spinnereien zu schwingen, wenn es darauf ankommt, unsere allen Spinnmaschinen gegen neue, mit Selbstaufwindung, zu vertausche», und wir würden ei» wenig rascher vorwärts schreiten, wenn wir durch ein wenig Konkurrenz dazu gezwungen würden. Lassen wir vorerst den großen, von Dollfus veroffenbarten Gewinnen Gerechtigkeit widerfahren. Die Baumwollspinnerei ist, wir müssen rieS anerkennen, in den letzten Jahren, Dank sei es der wieverhergestcllten Ordnung und der Befestigung der Regie rung, gut gediehen. Aber, um die Lage einer Industrie richtig be- urtheilen zu können, muß man sie nicht nur während eines gege benen Zeitpunkts betrachten, sondern sie vielmehr in ihrer Ge- sammlheit und in einem gewissen Zeitabschnitt in's Auge fassen. Ist es nöthig au die Krisen zu erinnern, unter denen die Spinne reien in den Jahren 1837 und 1838, 18-13 und 1811, 1817 1818 litten? Wir behaupten mit Entschiedenheit, daß, wenn man die Juvenlarieu der Baumwollspinnereien feit 20 Jahren untersuchen wollte, mau erkennen werde, daß in diesem Zeitraum kaum mehr als die ersten Eiurichiungskosten verdient werden konnten, woraus folgt, daß die Fabriksbesitzer jetzt zwar eine Ein richtung besitzen, die ihnen Nichts mehr kostet, aber auch fast Nichts werth ist, da sie gezwungen wurde» dieselbe zu ernerzern. Der große Gewinn, den sie erzielten, besteht also, mit Ausnahme einiger einzelnen Fälle, darin, daß sie nach 20 jähriger Arbeit, kommer ziellen WechselfäUen und Sorgen aller Art ihr ausgelegtes Geld wieder embrachten. Hat man nun noch hinreichende» Grund uns geringen Eifer in Betreff der Vertauschung der alten Spinnmaschinen gegen neue mit Selbstaufwindung vorzuwerfen? Man vergißt, daß lange Jahre nöthig waren, um diese Veränderung in England cinzuführen. Die Erfindung jener neuen Maschine (des ssllao- torsji vatirt sich vom Jahr 1825 und zwei Mitunterzeichner die ser Antwort machten sich damals bei den englischen Maschinen bauern mit den ersten Maschinen bekannt, welche bestimmt waren die Arbeit des Handspinners zu ersetzen. Erst gegen 1831 oder 1835 fing der Selfaktor sich zu verbreiten an. Es bedurfte in zwischen noch einer Reihe von 10 Jahren zur Verallgemeinerung dieser Umwälzung in der Spinnereimechanik und zur Verdrän gung der alten Maschinen aus den Fabriken. Kann man sich darüber wundern, daß eine Umgestaltung, 19