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VILLONS ERBSCHAPT 2? Drei Jahre, das ist ein Aufschub; wenn die Frist um ist, wird nichts mehr xb sein, worauf man hätte hoffen können. Und solange er noch Zeit hat, und sei es angehaltene Zeit, eng wie ein fremdes möbliertes Zimmer, versucht Mandelstam, seine irdischen und seine wirklichen Schulden zu begleichen oder wenigstens zu ordnen. Was er besitzt, legt er in unveräußerlichen Zinspapieren an; unter den Gedichten ist auch eines, im±ES dem er uns seine Gegenwart vermacht ("Daß des "Windes und Regens Kumpan ... ! ') ^ Sfaufcjc/m- (fa. s(cLJi/o(A tMkTctfa W sci\JSwuw.{(wdufo/b,f/l/wwq< _ i an deren Tilgungen wir noch heute und lange zu zahlen haben werden. Und dabei noch stattet er Dan kesschuld ab an den Herzbruder Villon, als sei er nicht nur Windes und Regens, sondern auch sein Kumpan. Auch Mandelstam sah sich von ihm im Testament bedacht mit einer wirren, irrigen Gegenwart, und er nahm sie an, nahm sie noch hinzu, denn von Villon kam ihm ein brauch bares Legat zu - der gotische Bau seines Schädels. Unter dem Quer- und Kreuzgewölbe des Kopfes läßt sich £ eine Gotik einifcichten inmit ten der Pyramiden, die zu gewaltigen Monumenten für Sandhaufen gewor den sind. "Und das. was kommt, ist nichts als ein Versprechen." Als Mandelstam a±s aus der Verbannung zurückkwnmlkam - aber wohin zu rück? Als er also die unstete Pestgesetztheit in Woronesh mit der Unbehaustheit des Jahres 37 vertauschte, verlief sein Pall, wie zu erwarten war$ Vorbestraft, rückfällig (und sei es allein durch seine Anwesenheit), verhaftet 2. Mai 1938, verurteilt, ins Lager gebracht für fünf Jahre, für immer, verschwunden, verloren 27. 12. 1938 ir gendwo im sibirischen Prostboden. Sein Harne, der nichts mehr bedeutet, ist schon vor ihm verfallen. Das Duell hat nicht stattgefiunden. Es gibt keinen Gegner für den Willen des gesamten Volkes. Niemand kann gegen dessen stählernes Antlitz bestehen, kein Einzelner gegen die personifizierte Gemeinsamkeit aller. Hur eine versiegelte Akte im versiegelten Archiv bleibt übrig von ihm. Es kann kein Duell gegeben hgben - keiner kann etwas ausrichten gegen die wirkliche Stimme eines Menschen, der gegen sie alle für alle seine Gedichte errichtete, die wildwuchernd, illegal von den Verschiedenen, von den Hamenlosen, von den Lebenden bewahrt und gesprochen werden, von Zeit und Verbot nicht zu tilgen. Ich sehe im Traum seine Schritte, rückkehrend, fremd, auf dem Pflaster des Twerskoj-Boulevards, und in diesen Traum hinein träufelt ein an derer irrationaler Traum und kehrt als Gerücht zurück zu den Überleben den in eine spätere Zeit: Ein Dichterabend, tatsächlich, wie ihn sich Mandelstam zum Schluß so gewünscht hatte, um zurückzugelangen zu den Menschen, wird für ihn organisiert. Von einer zwielichtigen Existenz, einem, der auch seine Prist absitzt, in einem der Totenhäuser des GULAG (Transitlager Wtoraja Retschka im Gebiet Wladiwostok). Vor den Literaturfreunden, derer sich dort allerdings genügend angesammelt hatten, sprach Mandelstam Gedichte, von Petrarca herauf zu den eigenen* Testamenten, zum vergehenden Moment. Er spricht an diesem Ort noch, aus seinem europäischen Gedächtnis, mit der bloßen Stimme, bevor sie erstickt - 'Wer aber war es, der den Ehrgeiz aufbrachte, hier noch eine .Lesung zu organisieren, mit ausgewähltem Publikum und einem Dichter, wie in den Hauptstädten gleichzeitig kaum zu finden waren, ein gesellschaftliches Ereignis mit Weißbrot und Büchsenfisch und eingeschmuggeltem Schnaps? Ein Halbintellektueller-Ganzkrimineller, nein, Villon heißt der nicht. Das Gerücht nennt ihn Archangelskij. Vielleicht einer dar Erben Villons, welcher sein nichtvorhandenes Schwert in Stücke brach, um es seinen Kumpanen zu vermachen ... Aber all das ist Gerücht und Geschwätz, ÄxaM Piebertraum, der den Weg in den Tod nur verwirrt, nicht verhindert. Im Jahr 1938 konnte ein Urteil für fünf Jahre is "wegen k. r. T." (konterrevolutionärer Tätigkeit) wie eine"kindische Prist" erscheinen. Aber für den schon vorher schwerkranken Mandelstam bedeutete es, all-