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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 25.11.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-11-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071125029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907112502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907112502
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-11
- Tag1907-11-25
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BezugK-Prrt» Dr Letp»ta »»d v«c»«t» d«- «t«« Träger imd bpeditir« in» Ha»s gebracht: «utgabe ä (»ur morgeul) diertrljthrftch 3 Ve., monatlich 1 M., Auägabe » («oraeu» und abend«) viertel» jährlich «-S0 vi., monatlich ILO M. Durch di« V»U be«oae» (2 mal täglich) innerhalb Leutichland« und der deutschen Kolonien vierteljährlich 5,L M., monallich I,7ü Dl. ausichl. Poii- beftellgeld iür Oesterreich 6 L 66 L, Ungar» ö L vierteljährlich Adoanement-Annabm«! Lugustu«platz 8, bet unsere» Trägern, Ktltalen. Spediteure» uad Aimahmestellen, jomte Postämter» und Briefträgern. Die einzelne «ummer kostet Ist stkedaktio» «»d Lrpedttto»! Johannitgasje 8. releodoa «r. 14662. «r. 1466^ «r. 14W4. Berliner stkedaktious Bureau: Perlin blV 7, Prinz Lout« Ferdinand» Straste 1. Telephon I» Nr. 6275. Abend-Ausgabe S. MpMerMMM Handelszeitung. ÄNtlsötatt des Rates und des Rolizeiaurtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigen »Preit chr Inserate an« die -gespaltene " Anzeige» k vo» answäkt« 30 Ps., gievamen 1.20 st» vom Ausland SO Ps., fi»a»c. Anzeigen 75 Ps Reklamen l.SO M zg und Umgebung . ! 25 Ps, stnanziellr Ps., Reklamen l W. i Inserat« v. Behörden tn> amtlichen Teil 40 Pi Beilagrgebübr 5 Bk. p. Tausend eftl. Post gebühr. SeschLstllauzeigen an bevorzug!'' Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tarst gesterteilte Aufträge können nicht zuru<k> gezogen werbe». Für da« Erscheinen an beftimmten Tagen und Plätzen wird kein' Garantie übernommen. Anzeigen. Annahme: Lugustutplatz 8 bei sämtliche» Filiale» u. alle» Annoncen» Srpeditiouen de« In» und Autlaude«. stäupt FUtale Berit» Carl Lunik: Herzogl. Bahr. Hofduch Handlung, Lützowstrast« 10. tTelephon VI. «r. 46r>3). Nr. 327. Montag 25. November 1907. 101. Jahrgang. Dar wichtigste vom Tage. * Die Börsengesetznovelle liegt nunmehr im Wortlaut vor. iS. Art. der 3. Seite.) * Das Braunschweiger Landgericht wies die erneute Klage der Erben der Gräfin Civry gegen den Herzog von Cumberland und die Königin-Witwe Carola von Sachsen ab. * Die Krisis in Portugal hat sich dem Anschein nach weiter verschärft. IS. Art.) * Auf Sizilien droht wegen der Nasi-Angelegenheit eine Revolte auszubrechen. IS. Ausl.) * In China ist eine antidynastische Bewegung aus gebrochen. lS. Ausl.) Tagesschau. „Organisation der nationalen Opposition im sächsischen Landtag." Unter dieser Spitzmarke erhalten wir folgende Zuschrift: Die Be rechtigung des in der Sonnabendnummer Ihrer geschätzten Zeitung zum Ausdruck gebrachten Wunsches nach einer Organisation der nationalen Opposition wird kein Billigdenkender bestreiten. Wir leiden eben »u sehr am Mangel jeder derartigen Organisation, und nur deshalb konnte der Abg. Opitz wieder in den Ausschuß für die Landesbrandversichcrung gewählt werden. Anstatt aber aus dem hierbei zutage getretenen Miß erfolg zu lernen, verfiel man bei der nächsten besten Gelegenheit wieder in den gleichen Fehler — zur Freude aller Agrarkonservativen. Als in der Donnerstagssitzung der Kammer die einzelnen Parteiführer zu der hochersreulichen Erklärung des Finanzministers über die Neuregelung der Beamtengehälter Steilung nahmen, äußerte der freikonservatwe Abg. Facius Bedenken, weil der Plan nicht bereits für den 1. Januar lllOk verwirklicht werden sollte. Man kann sehr geteilter Meinung darüber sein, ob dieser Husarenritt des Abg. Facius zweckdienlich, ob er überhaupt nötig war; aber die nationallideralc Fraktion hatte jeden falls keinen Grund, gegen Facius zu polemisieren. Die Freikonser- oatioen haben bereits mehrmals deutlich bewiesen, daß sie sich den An schauungen der nationalliberalen Partei stark nähern — es sei nur an die Beratung über die Reform der Ersten Kammer erinnert — sic be- künden damit deutlich ihre Frontstellung gegen die Agrorkonl'ervatlven. Nun soll zwar aus nationalliberaler Seite keineswegs ein Liedeswerven um die neue Fraktion inszeniert werden; anderseits ,st es aber auch tak tisch falsch, diese Leute durch unnötige Repliken kopfscheu zu machen. Aber der Abg. Dr. Schill hielt es doch für nötig, den Ausführungen des Abg. Facius entgegenzutreten. Oui bsno? fragte man sich beim Lesen seiner Angriffe unwillkürlich. Der nationallibcralen Partei sicher nicht: denn ihre Haltung war schon lange klar gekennzeichnet. Der nationalen Opposition ist dadurch geschadet worden, denn es wäre zu begreifen, wenn Schills Rede gegen Facius auf freikonser- vativer Seite eine gewisse Verstimmung verursachte. Daraus folgt aber leicht eine Minderung der Stoßkraft derer, die gegen die agrartonjer- native Richtung ankämpfen. Vorteil hatte davon lediglich die äußerste Rechte, die sich im Stillen höchlich gefreut haben mag, >mc die abtrün- nigen Freunde von einst durch ihre neuen Freunde zur Rede gestellt wurden. Hätte ein anderer als der Abg. Dr. Schill diesen Vorstoß un ternommen, so wäre man heule versucht, anzunehmen, daß er im Auf trage des Abg. Dr. Mehnert erfolgt sei. Denn die Agrarkonservativen lann nichts lieber sein, als die Vereitelung eines Zusammenschlusses der opponierenden nationalen Elemente im Landtage. Auf der andern Seite muß aber die nationallideralc Partei, als die weitaus stärkste Partei der nationalen Opposition, bestrebt sein, die Schlachtreihe zu schließen. Größere, wichtigere Kämpfe stehen unserem Parlament noch bevor. Im Interesse der gesunden Fortentwick lung des Landes ist es zu wünschen, daß dabei auch ein höherer Stand punkt eingenommen wird, als vom Abg. Dr. Schill in der Donnerstags debatte gegenüber dem Abg. Facius. Die nationale Opposition mutz Geschlossenheit und Entschlossenheit zeigen, wenn sie durchdringen will. Krisis in Portugal. Aus Portugal kommen augenblicklich die verwirrendsten Berichte über den Ausbruch einer förmlichen Revolution Nachrichten, die den Prozeß der Umwälzung schon ausmalen, werden in demselben Atem so fort wieder dementiert. Besonders ist es die Madrider Presse, die die Lage in Portugal als sehr ernst schildert. Die Suspendierung der Zeitungen dauere fort. Morgen will der spanische Senator Debnen die Regierung über die Lage Portugals befragen, um die Erklärung zu erlangen, daß Spanien neutral bleiben werde, was auch immer in Portugal vorgehen möge. In mehreren Pariser Blättern wird die Lage in Portugal als höchst bedenklich geschildert. Ein früherer portugiesischer Minister, der gestern abend aus Lissabon in Paris eintraf, erklärte, wie bereits kurz gemeldet wurde, einem Redakteur des „Gil Blas", daß eine Revo lution unmittelbar bevor st ehe. Das Volk sei erbittert gegen den König und seinen Günstling Franco. Die Tatsache, daß der König seinen Sohn in Arrest gesteckt, weil er von oem Vater eine Aen- derung der unheilvollen Politik verlangte, errege un geheures Aufsehen, sei aber schließlich nur ein Beweis mehr für die maßlose Brutalität, mit der man alle freiheitlichen Bestrebungen zu unterdrücken suche. Die Hauptschuld an diesen Vorgängen trage Franco. Der König werde nur durch einen falschen Stolz da von zurückgehalten, seinen Günstling fallen zu lassen. Die wirtschaft liche und politische Lage des Landes könne unmöglich so fortdauern. Der König irre, wenn er sich der Armee sicher glaube^ Trotz der Erhöhung des Soldes durch Franco sei die Mehrzahl der Offiziere gegen die Re gierung. Auch die höchsten Spitzen der Gesellschaft, die früher als Stützen des Hauses Braganza galten, begännen zu wanken. Zwei Sena toren und Pairs hätten sich offen zur revolutionären Partei erklärt. Der frühere Lehrer der königlichen Prinzen, der ehemalige Finanz minister Jose de Cunha, und einer der geachtetsten Vertreter des alten Adels, Brancano Freire, hätten die Regierung Francos als unwürdig bezeichnet; ihrem llebergang zur liberalen Richtung würden alle ernsthaften Männer folgen, denen die Zukunft Portugals am Herzen liege. In dem Führer der antigouvernementalen Partei Al p o i m, einem Manne von glühender Tatkraft, sehe man den Präsidenten der kommenden Republik. Ein weiteres Telegramm aus Madrid meldet: Angesichts der hoch- ernsten Lage in Portugal und umlaufender Gerüchte von einer even tuellen europäischen Intervention wird der republikanische Senator Universitätsproscsior Odor oe Buen morgen den Minister des Auswärtigen interpellieren, um ihn zu einer ausdrücklichen Erklärung darüber zu veranlassen, daß Spanien auf alle Fälle neutral bleiben werde. Deutscher Reich. Leipzig, 25. November. * Heimkehr aus Lüvwcft. Heute nacht ist der von Südwestafrika kommende Reichspostdamvfer „Markgras" mit einem Schutztruppenrück- transport von 4 Offizieren, 3 SauitätSosfizierrn, 4 Oberärzten, 240 Unteroffizieren und Mannschaften in Cuxhaven eingetroffen. * Ter Wahlrechtskampf der Sozialdemokraten. Die sozialdemo kratische Aktion gegen das preußische Dreitlaffenwahlrecht hat am gestrigen Sonntag mit einer Maffenverteilung von Flugblättern in Berlin und den Vororten eingesetzt. Morgen werden in Berlin und den Vororten von den Sozialdemokraten 47 öffentliche Volksversamm lungen mit Kundgebungen sirr den WahlrechtSkampf veranstaltet werden. * Sozialdemokratische Initiativanträge. Die Sozialdemokraten haben im Reichstage folgende Initiativanträge eingebracht: Die Fahr- kartensteuer aufzuheben, die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter unter Tage zu verbieten, die Pensionskasscn in den Hütten- und Walzwerken unter Beobachtung vorgeschlagener Grundsätze für bas Reicb einheitlich zu regeln. — Die übrigen Parteien wollen zunächst auf die Einbringung von Initiativanträgen verzichten, um die Beratung der vorliegenden Materien nicht aufzuhallen. * v. Mendelssohn. Zu den Gerüchten, daß der Geheime Kom merzienrat v. Mendelssohn-Bartholdy in ein Hobes Staatsaml eintrete» werde, bemerkt die „Franks. Ztg.": Vielleicht aber haben die Gerüchte vom Eintritt des Herrn v. Mendelssohn in den Reichsdienst einen ge wissen Untergrund, wenn man daran denkt, daß wohl in absehbarer Zeit Herr Dr. Koch von der Leitung der Reichsbank zurücktreteu wird. * Bayerisches. In Nürnberg haben 500 Eisenbahn- und Post beamte fick der Münchener Resolution angeichloffen, unter Beseitigung des Begriffes „Normalstellung" eine Zglievrige GehaltS- und Besöroe- rungSklasse auf der Grundlage der Vorbildung zu verlangen. Kd. Die badische Präsidialfrage. Aus Karlsruhe wird uns geschrieben: Die von gegnerischer Seite gehegte Erwartung, daß die Frage der Besetzung des Laudtagspräsidiums ernste Meinungs verschiedenheiten -wischen den Liberalen herbeisühren würde, bat fick nicht erfüllt. Nationalliberale, Freisinnige und Demokraten sind darüber einig, vaß eine Wiederwahl des sozialdemokratischen Ab geordneten Geck zum zweiten Vizepräsidenten unmöglich ist, daß aber jeder andere sozialdemokratische Abgeordnete sür dieses Amt in Betracht kommen könne, der sich zur Erfüllung der repräsentativen Pflichten, die dem Landtagspräsidium obliegen, be reit erklärt. Welche Konsequenzen die Sozialdemokraten daraus ziehen, bleibt abzuwarten. Nach den Aeußerungen ihrer Presse zu schließen, werten sie nunmehr für die Besetzung deö Präsidentenüuhls mit einem Nationallibcralen nicht zu haben sein, sondern sich der Abstimmung enthalten. Die Entscheidung hängt daher von den Konservativen ab und wird voraussichtlich zugunsten des Zentrums erfolgen. Die Liberalen haben natürlich mit dieser Möglichkeit von vornherein gerechnet; die Rücksicht aus die Stimmung in liberalen Wählerkreisen mußte jedoch eine Wiederwahl des Herrn Geck ausgeschlossen erscheinen lassen. Ob diese Erledigung der Prästdentensrage auf die S t i ch w a h l t a k t i k im Jahre 1909 cinwirken wird, läße sich beute noch nicht sagen; es dürfte überhaupt empfehlenswert sein, die Erörterungen über die Taktik vor läufig zu vertagen. * Liberaler BeamtenauSschuf; Am Dienstag findet eine Sitzung des liberalen Beamtenausschusses statt, der seinerzeit auf Anregung von Mitgliedern der freisinnigen Vereinigung gebildet ist, um Vie Beamten sragen im Zusammenhang zu studieren und Wünsche und Anregungen auszuarbeiten. Auf der Tagesordnung der Sitzung steht die Beratung der neuen Beamtenforderungen im Reich und in Preußen und die Be sprechung übe» eine große Kundgebung zugunsten der Beamten, die Anfang Dezember stattfinben soll. Der vorerwähnte Ausschuß ist besetzt mit Beamten aus den verschiedensten Kategorien, Reichs-, Staats- und Kommunalbeamlen. * Berichtigung. Ter Druckfehlerteufel hat, obwohl wir ihm gestern auf den Ferien waren und seine Beute zu entreißen suchte», sich Loch an dem Herrschaftsgebiet der Krone Preußen zu vergreifen versianden und in seinem Idiotentum die vor 40 Jahren erfolgte Annexion Les Herzogtums Nassau ignoriert, dessen eigenen Landtag mit Ministern uns allem Zubehör er munter sortbesteken läßt. Unsere Leser werden selbstverständlich gemerkt babeu, Laß die Ueberschrift der betreffenden Notiz: „Sozialpolitisches aus Hessen" zu lesen war. Feuilleton. Das Wahrsagen bringt mehr ein als das Wahrheitsagen. Lichtenberg. * Gejainnrelte „Dummheiten". Von Rene Schickele sBerlin). „Jeder, der über irgend einen Gegenstand geschrieben hat, hat irgend eine Dummheit gesagt." Als Flaubert seine ideologische Tragödie „Louvarck st keoucbst" vorbereitete, sammelte er die Dummheiten großer Männer, die zwei, drei Bände füllen und als „Oosurrisnts justäckisativs", als Be weismaterial, dem Roman folgen sollten. Die Geschichte Bouvards und Pecuchets ist diese: Zwei junge Leute, die in Paris als Schreiber beschäftigt sind, schließen Freundschaft. Ter eine erbt, der andere gibt seine Ersparnisse dazu, und sie kaufen einen Bauernhof in der Nor- mandie. Bouvard und Pecuchet studieren. Sic suchen vielleicht die „Wahrheit". Zuerst beschäftigen sie sich mit der Gärtnerei, dann eins nach dem andern mit der Landwirtschaft, mit Chemie, Medizin, Astro nomie, Archäologie, Geschickte, Literatur, Politik, Hygiene. Magnetis- mus, Zauberei. Nachdem sie den Abstraktionen der Philosophie ent ronnen sind, werden sie religiös. Dabei ziehen die beiden sich eine mo- ralische Infektion zu. Sie versuchen, sich durch eine rein menschliche Mission wicderherzustellen, indem sie zwei Waisen erziehen. Auch das schlägt fehl. Da wir von ihnen Abschied nehmen, sind sie wieder Harm- lose, nur ein wenig eingeschüchterte Schreiber in Paris. Zuweilen nehmen sie ihre Bücher zur Hand. Die schönsten Stellen schreiben sic ab: das sind die Dummheiten und die Irrtümer großer Männer, die sie erst erschreckten, und die sie jetzt trösten müssen, die Widersprüche der Svsteme und der wissenschaftlichen Tatsachen. Maupassant erzählt, daß Flaubert in diese Bände einige poetische Novellen mit aufnehmen wollte, um die ungeheuerliche Anthologie aus eine entsprechende Art zu beleben. Er gab einige Blumen in die lächerlichen Ruinen der Gelehrsamkeit, die er sorgsam katalogisierte und zum übersichtlichen Museum einrichtete. Die Bände sind niemals veröffentlicht worden. Maupassant hat in seiner Vorrede zu den Briesen Flauberts an George Sand die Anord nung des Materials und einige der Notizen mitgeteilt. Dieser Teil der Vorrede fehlt in meiner Uebertraaung, die im ersten Band sMadame Bovorys der von Hans E. Fischer bei I. C- C. Bruns in Minden her- ausgeaebenen achtbändigen Flaubert-Ausgabe enthalten ist. Ich oebe hier die Einleitung des Werkes und ein Dutzend Proben, die lustig genug sind, um nicht nur als Dokumente wissenschaftlicher Albernheit und der menschlichen Unwissenheit allein zu gelten. Die Sammlung umsaßt: Moral, Liebe, Philosophie, Mystik, Reli gion, Prophetie. Sozialismus lreliaiösen und sozialen!, Kritik, Aesthetik. Als Stilmuster: Periphrasen, Palinodien, Rokoko. Als Stilarten: den klassischen, wissenschaftlichen, kirchlichen, revolutionären, romanti schen, realistischen, dramatischen Stil, den offiziellen Stil der Herrscher und die offizielle Poesie. Diese Proben nannte Flaubert „Schönheiten". Die erste Schönheit ist dem „Ls.«ni bin- linckicktsr-onos" von Lamennais entnommen: „Dieses so glänzende Volk ldic Griechen) hat nichts Dauerhaftes vollbracht, und es bleibt von ihm nichts übrig als die Erinnerung an Verbrechen und Unglücksfällc, an Bücher und Statuen. Es hat ihm immer an Vernunft gefehlt." Tann eine moralische Schönheit von Descartes: - „Die Oberhäupter der Staaten haben das Recht, einiges an den Sitten ihrer Völker zu ändern." Dieses ist Fenelon: „Das Wasser ist geschaffen, um diese wunderbaren schwimmenden Gebäude zu tragen, die man Schisse nennt." Eine Ansicht von La Horpe: „Ein so grober Mensch Shakespeare auch war, so hatte er doch manches geleien und sich auch einige Kenntnisse angeeignet." Souveräne wie Louis Napoleon sind tiefsinnig: „Der Reichtum csiies Landes hängt vom allgemeinen Wohlstand ab." Der katholische Stil ist mit einem Metapher Pius' IX. und der Wettcrdeutung eines Bischofs von Metz charakterisiert: „Der philosophische Unterricht gibt der Jugend Drachengift aus dem babylonischen Kelch zu trinken" und „An den Ucberschwemmungen der Loire sind die Exzesse der Presse und die Nichtbeachtung des Sonntags schuld." Proudhon zeigt Beschlagenheit in den Naturwissenschaften: .An Aegypten gaben sich die Frauen öffentlich den Krokodilen hin." Von ihm stammt auch das schöne Wort: „Es gehört mehr Genie dazu, um ein Rboneschisfer zu sein, als um die „Orientales" lvon Viktor Hugo) zu schreiben." Ter große Bernardin de Samt - Pierre sagte: „Die Flöhe stürzen sich allerorten aus weiße Farben. Dieser In stinkt ist ihnen verliehen worden, auf daß wir sie leichter fangen können." Seine Teleologie konnte keine Grenzen: „Tie Natur hat die Melone in Scheiben geteilt, damit man sie in der Familie esse. Ten Kürbis, der größer ist, kann man mit den Nach barn verspeisen." Fenelon über Moliere: „Es ist schade, daß Moliere nicht schreiben kann." Bossuet über denselben: „Moliere ist ein infamer Schmierenkomödiant." Chateaubriand s Scharfsinn, wenn er also unterscheidet: „Tatsächlich war Napoleon ein großer Schlachtengewinner. Aber wenn man davon absieht, so ist der geringste General geschickter, als er cs je gewesen ist." * . * Was ist dieser Haß Flauberts, der gegen die Dummheit ficht im Himmel und aut Erden? Eine melancholische Veranlagung, ein Welt schmerz. Aber der Weltschmerz eines Intellektuellen, dessen Einsicht von der Unzulänglichkeit des Menschlichen sich aus seinen titanischen Wande rungen in seelischen Bezirken und durch alle Reiche des Wissens zu einer düsteren Komödie auswächst. Er haßte den Bürger als den Inbegriff alles Gewöhnlichen und Un intellektuellen, als den simpeln, gemeinen Instinkt. Er sah in ihm die verruchte Inkarnation dieses Dings an sich: der Dummheit, d,e ihm die Welt verfinsterte. Seine freunde haben cs oft wiederholt: Flaubert war empfindlich wie ein geschundener Marsyas. Die Menschen taten ihm weh, er litt wie ein Tier unter ihrer Berührung. Er kam aus einer Gesellschaft zerschlagen und völlig aufgcrieben nach Hause. Wie es die Art gewisser Melancholiker ist, die eine willkommene Ge selligkeit anregt, war Flaubert lärmend und übersprudelnd im ver trauten Verkehr. Aber das sind Ausschweifungen, die ermüden und solche Naturen mehr als alles andere schwächen. Er brauchte Monate, um sich von der Berührung mit Menschen zu erholen. Schließlich mußte er der Frau entsagen, um stark zu bleiben. Tie Ansicht der tausend kleinen Unzulänglichkeiten, der Dummheit des Lebens hatten ihn er- schöpft. Flaubert wird Mönch. Jede Handlung ist eine Sünde für ihn. Er schreit, wenn er an seine Ausflüge ins äußere Leben denkt: „I-'astion teils qu elle soit, ms ckegvüts äs l'sxistsass . . ." Aber Flaubert batte seinen elfenbeinernen Turm: die Unpersönlich- keit der Kunst. Er schloß sich darin ein. Es ist nicht richtig, zu sagen, er habe sich einer junsinniaens Tkeorie zuliebe zuerst verstümmelt und dann zugrunde gerichtet. Ein willkür liches Kunstvrinzip sei schuld daran gewesen, daß er sich mit den ,,Bür- gern" sdie ihm doch „in die Nase stanken ) abgequält habe, während jein ganzes Temperament nach anderen, heroischen Stossen schrie. Flauoer! schützte sich vor der Welt, indem er sich aus seinem Werk zurück^vg. Hätte er ungewöhnliche Menschen gezeichnet, wäre er nicht mehr der Meister ihres Schicksals gewesen. Wo wäre die unnahbare Haltung ge blieben? Er hätte an ihrem Leben teilgehabt, vielleicht hätte er sich in ihnen verloren . . . und die fremde Reinheit des Werkes wäre befleckt gewesen. Wie seltsam ist diese Gebärde der Abwehr, wenn er als Träger seiner konfessionärcn Ideologien die kleinen, beschränkten Bür- ger Bouvard und Pecuchet erwählt. Er hat größere Siege, größere Akte der Selbstbehauptung im Auge' der Stil und nichts als der Stil war der Gesang seiner Seele. Er war cs ganz und grenzenlos. Er malte die Gewöhnlichkeit der Gesellschaft, der er nicht angchörte, die traurige Unzulänglichkeit der Menschen, die er teilte, und durch den Stil erhob er sich über sie in jener Einsamkeit, in der allein Marsyas bestehen kann. Die Vollkommenheit! Er klam merte sich an diese Sphinx, er vergrub sich in ihre Waffen, er warf fick in ihre Abgründe, um dann in der Stille der Nackt in der unendlichen Wüste eines ausgebrannten Gehirns und einer erschöpften Seele seine ^>ätze vor sich hin zu singen. Sätze, deren vollkommene Linien, deren Farbe und Klang ein berauschender Genuß waren. Es war die Un- Persönlichkeit des Kunstwerkes, die die grausige Einsamkeit schuf, in der ine Musik des Stils gegenstandslos in reiner Vollkommenheit sich er beben sollte. . Sein Lyrismus erhob sich wie jeder große Lyrismus zur Ideologie. Bei Menschen wie Flaubert werden Gefühle zu Ideen, und die Ideen sind Leidenschaften. Sie sind ihr wild bewegtes Leben. Schließlich war es Flauberts letztes Wort, daß er sich in der „Versuchung des heiligen Antonius", dem Hexensabbat der Religionen, in „kviivnnl st. ?« ousket, , der Maskerade der wissenschaftlichen Erkenntnisse, das Schon, spiel seiner größten, ideologischen Enttäuschungen gab ... Gefühlen
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