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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 26.05.1908
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-05-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080526024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908052602
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908052602
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- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1908
- Monat1908-05
- Tag1908-05-26
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Be^uqS-Preis Abend-Ausgabe 8. Anzeigen-Preir >äe Leipzig und Vorort» durch uns«« Träger und Spediteur« w« Hau« gebracht: «atgab« ä (nur moraenl) vierteljähriiih 8 M., munamch 1 M.; ->u«gade S (morgen» und abend«) viertel, lihrlich 4.S0 M., monatlich l.») M. Dur» btr Post zu dtrieben: (2 mal täglich) innerhalb Deutschland« und der deutschen Kolonien merreljäbrlich b,2b Pt., monatlich 1,7S M. auSIchl. Post bestellgeld, lür Oesterreich 9 L 66 j», Ungarn 8 L vierteljährlich. Fern« in Bel» gien, Dänemark, den Donauslaaten, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Nutz land, Schweden, Schweiz und Spanten. In allen übrigen Staaten nur direkt durch di» LxpS. d. Bl. erhältlich. Abonnement-Annahme: Auguftusplatz 8» bei unseren Drägern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briesträgern. Di« einzelne Nummer kostet Iv Pfg. Nedaktion und Expedition: Johannirgasie 8. relerbon Nr. 14692. Nr. 14683, Nr. 1469». UtMgerTWMM Ha«delszett«»g. Amtsblatt des Aates und des Volizeiamtes der Stadt Leipzig. sstr Inserat, au» Leipzig ua» Umgedunz di» S gespalten» Petitzeit« 2- Ps., stnaaztell Anzeigen 3Ü W., Nrklame» l M.; von aulwärt» 8V Ps., Reklamen l.2ii M.; »om Au«land SV Ps„ ftnanz. Anzeigen 7L Ps., Reklamen 1Ä M. Inserat« ». Behörde» in amtlichen Dell 4VPi Beilagegebübr SM. p. Dausend «xkl. Post gebühr. Geschäst-anzeigen an bevorzugter Stelle im Preis« erhöht. Rabat« nach Darii FestcrteUt« Aulträge können nicht zurück- gezogen werden. Für da« Erscheinen an »«stimmten Dagen und Plätzen wird kein» Paranti» übernommen. Anzeigen-Annahme i August»«pl«tz 8, bei sämUichen Filialen u. alle» Annoncen expeditionen de« In» und Auülaudr«. Haupt-Liltale lverlt»! L»rl Dnnckrr, Herzagl. Bahr. Hisbuch» Handlung, Lützowstratze lO. (D-lephon Vl, Nr. 4603). Haupt-Silial« Dreäden: -> Seeltrabe 4. l lTelephon 4621). Nr. M. Dienstag 26. Mai 1908. 102. Jahrgang. Das wichtigste von* Tage. * Der steckbrieflich verfolgte Rechtsanwalt BurckasI wurde gestern in Wien verhaftet. sS. Lpzg. Ang.) * Das kronprinzliche Paar kehrte gestern abend von Köln nach Bonn zurück. lS. bes. Art.) * Petersburger Blättern zufolge sind 5000 Mann chinesische Truppen von Kirin nach der koreanischen Grenze zum Schutze gegen japanische Uebergriffe abgegangen. * Die französische Botschaft in Konstantinopel erhielt von der türkischen Regierung die schriftliche, mit den französischen Forde- rungen gleichlautende Notifikation über die H e r a k le a - A f f ä r c. Der Konflikt ist damit endgültig bei gelegt. * In Nordindien hat zwischen Mohmands und den indischen Truppen ein Gefecht stattgefunden. lS. Ausl.) Der deutsche VaumwoUbedars und unsere A(olonien. Die Baumwolle ist in allen Kulturländern der unentbehrliche Grundstoff für die Gvwerbelndnstrie geworden. Der Bedarf steigt fort gesetzt. So wurden im Jahre 1882 155 900 To. Baumwolle im Werte von 179,2 Mill. Mark nach Deutschland eingcführt, 1907 dagegen 176400 To. im Werte von 575,4 Mill. Mark. In unserer Einfuhr steht die Baumwolle an erster Stelle, in unserer Ausfuhr an hervorragen der; es wurden nämlich 1907 Baumwollwaren im Werte von 488,4 Mill. Mark ausgesührt. Die deutsche Baumwollindustrie bleibt heute, wie einem Aufsatze des „Reichsarbeitsblattes" zu entnehmen ist, an Ausdehnung nur noch hinter Großbritannien und den Bereinigten Staaten zurück. Die Zahl oer Baumwollspindcln betrug Mitte 1907 in der ganzen Welt rund 123 Millionen; davon entfielen aus Großbritannien, das uns allerdings noch weit voraus ist, 50,6, aus die Bereinigten Staaten 26 und aus Deutschland 9Z Millionen. Welche Bedeutung das Baumwollgewervc für die deutsche Volkswirtschaft und die Arbeiterschaft hat, ist wohl ohne weiteres einleuchtend. Das in Deutschland in 232 000 Webstühlen und 9,3 Mill. Spindeln angelegte Kapital wird auf 700 Millionen be rechnet. Die Zahl der Betriebe wird für 1906 auf 14 697 mit etwa 875 OM darin beschäftigten sversicherten) Personen angegeben, der jähr liche Lohnbetrag auf 655 Mill. Mark. Nebst den verwandten Gewerbe zweigen dürfte die Baumwollverbreitung etwa 1 Million Arbeiter und Arbeiterinnen in Nahrung letzen. Leider sind wir mit Bezug auf den Rohstoff bisher ganz abhängig vom Ausland, und es entsteht die bange Frage, ob die Erzeugung des Rohstoffs mit dem steigenden Bedarf Schritt halten wird. Amerika ist bei weitem der größte Baumwollicferant der Welt. Bon der Baum Wollernte der Welt im Jahre 1906, die rund 19,9 Millionen Ballen de» trug, entfielen auf die Vereinigten Staaten von Amerika 13,0, auf Britisch-Jndien 3,7, auf Aegypten 1,4 und auf die sonstigen Gebiete 1,8 Millionen Ballen. Deutschland bezog im Jahre 1907 68,1 Proz. der eingesührtcn Rohbaumwolle aus Amerika. Würde in Amerika eine Mißernte eintreten oder aus politischen Gründen oder wegen Wachsens der eigenen, amerikanischen, Baumwollindustrie die Rohbaumwolle ge sperrt werden, so wären die Folgen für die heimische Industrie und die Arbeiterschaft fürchterlich. Als infolge des amerikanischen Bürger krieges s1861—1864) die Baumwollzufuhr nach England aufhörte, mußten die englischen Textilfabriken schließen, und eine halbe Million Textilarbeiter fielen mit ihren Familien jahrelang dem größten Elend anheim; es war das die sogenannte Baumwoll-Hungersnot. Auch der Baumwollpreis wird von Amerika diktiert. Noch 1899 betrug der Preis eines Pfundes amerikanischer Baumwolle 29 Pf. Er ist bedeutend gestiegen. Seit September 1907 ist er von den ame rikanischen Baumwollsyndikaten auf 60 Pf. erhöht worden, obwohl ein Turchschnittspreis von 10 Cents gleich rund 40 Pf. für das Pfund nach sachverständigem Urteil als durchaus befriedigend anzusehen wäre. Eine Verteuerung von 20 Pf. auf das Pfund bedeutet aber für die deutsche Textilindustrie bei einem Jahresbedarf von 1,6 Millionen Ballen eine Mehrausgabe von 160 Millionen Mark oder rund 160 .ll auf den Kops der beschäftigten Arbeiter. Durch diese Umstände wird das Bestreben begreiflich, uns, wenn möglich, unabhängig vom Ausland zu machen. Ten ersten Anstoß hler- zu in Europa gab das Kolonial-Wirtschaftliche Komitee in Berlin, das mit seiner im Jahre 1900 nach Togo entsandten „Baumwollcrpedition" den Grundstein für alle weiteren Bestrebungen legte und dem Baum wollbau in Südafrika die Wege ebnete. Der Baumwollbau hat in Togo seit dieser Zeit als Volkskultur erfreuliche Fortschritte gemacht; die Güte der hier gezogenen Baumwolle überragte im Durchschnitt die Marke amerikanischer middling, die Ernte betrug im Jahre 1905/06 857 Ballen zu 250 Kilogramm und 1906/07 ca. 1200 Ballen. Auch in Teutsch-Ostafrikä, weiter in Kamerun und Südwestafrika hat man den Anbau gefördert. Trotzdem stehen wir erst in den Anfängen. Das unserem Togo benachbarte englische Nigeria hat allein schon das Zehn fache der Ausfuhr von Togo und Deutsch-Ostafrika zusammen aufzu weisen und hofft, sie demnächst noch erheblich zu steigern. Es ist das mit daraus zu erklären, daß Nigeria ichrn' viel früher eine doppelt so lange Eisenbahn wie Togo erhalten hat, daß diese Bahn jetzt um das Dreifache verlängert wird, um noch reichere Baumwollgelände zu er öffnen und durch ähnliche Maßnahmen. Auch stehen hinter den dor tigen Bestrebungen nicht nur die englischen Textilindustriellcn, sondern auch die Textilarbeiter sTextile Trabe Unions Lancashires), die aus der Hungersnot der sechziger Jahre wohl die Lehre gezogen haben, daß die nationale Baumwollerzeugung für sie geradezu eine Daseinsfrage bedeutet. Da der Bau der als notwendig erkannten Kolonialhahnen nunmehr vom Reichstage bewilligt worden ist, auch einige Textilindustrielle sich bereits größere Baumwollgelände in Ostafrika gesichert haben, darf der weiteren Entwicklung mit größerem Vertrauen cntgegengesehen werden. Nach sachverständiger Schätzung würden nach Einführung geeigneter Methoden bis zu 2^ Millionen Ballen Baumwolle in unseren Kolonien erzeugt werden können. Das Aronprinzenpaav in Aoln. Köln, 25. Mai. An der Frühstückstafel beim Regierungspräsidenten Dr. Steinmeister nah- men außer dem kronprinzlichen Paar Prinz Oskar, Oberpräsident v. Schorlemer-Lieser, Oberbürgermeister Wallraf, Kammerherr Graf v. Fürstenberg-Herdringen, Freiherr A. v. Oppenheim und Kammer- zienrat Theodor v. Guilleaume nebst Gemahlinnen teil. Nach dem Frühstück erfolgte die Weiterfahrt über den Käiser-Wilhelmsring zur Villa des Kommerzienrats Theodor v. Guilleaume, wo die Herrschaften abstiegen. Kurz vor 3 Uhr nachmittags fuhren die kronprinzlichen Herr» schäften vom Hause des Kommerzienrats v. Guilleaume nach dem Rennplatz, wo sie mit begeisterten Ovationen des zahlreichen Publikums empfangen wurden. In ihrer Begleitung befanden sich u. a. die schaumburg- lippischen Herrschaften aus Bonn und Prinz Oskar von Preußen. Tas Kronprinzenpaar sowie die Gäste nahmen im Fürstenpavillon Platz, wo sie den Tee nahmen. Aus Anlaß des ersten Besuches der Kron prinzessin fand auf der Rennbahn ein „Kronprinzessin Cecilie-Jagd- rennen" statt, das mit einem Gesamtpreise von 10 000 F und mit einem Ehrenpreise der Kronprinzessin bedacht war. Leutnant Braune, der das siegreiche Pferd geritten, nahm aus der Hand der Kronprinzessin den Ehrenpreis in Gestalt eines silbernen Pokals entgegen. — Hierauf ver ließen die hohen Herrschaften um 514 Uhr den Rennplatz und begaben sich wiederum unter stürmischen Ovationen nach der Villa des Kommer zienrats ».Guilleaume zurück. Während des Rennens siel leichter Regen. Von der Villa des Kommerzienrats Theodor v. Guilleaume fuhren die kronprinzlichen Herrschaften gegen 714 Uhr nach dem Gürzenich zum Bankett, das die Stadt ihnen zu Ehren veranstaltete. Nach dem „Kaisermarsch" von Wagner begann das Festmahl, an dem etwa 280 geladene Gäste teil- nahmen. Der Kronprinz und die Kronprinzessin saßen in der Mitte der Ehrentafel. Ihnen gegenüber saß Oberbürgermeister Wallraf. Nach dem zweiten Gange erhob sich Oberbürgermeister Dr. Wallraf und hielt eine Rede, in der er den kronprinzlichen Herrschaften namens der Stadt ein ehrerbietiges Willkommen entbot. Heute, so führte der Oberbürgermeister auS, grüße der von stolzen Erinnerungen durchwehte Saal froh die Zukunft und Hoffnung des Reiches. Der Kron prinz sei ja längst kein Fremder mehr in Köln, wo er als Student und als Vertreter des Kaisers geweilt und die Liebe der Bürgerschaft er worben habe, vor allem an dem Tage, da er eine Prinzessin aus kern deutschem Stamme heimführte. Der Redner wünschte Gottes Segen auch fürder auf das junge Familienglück herab, das zur Wurzel der Kraft in allen Pflichten werden möge, welche die Hoheiten dereinst zu tragen berufen seien. Generationen kämen und gingen, aber auf Fels gebaut, hochragend, ewig wie der Kölner Dam, stehe in den Kölnischen Herzen die Treue zu Kaiser und Reich gegründet. Die Rede schloß mit einem begeistert aufgenommenen Hoch auf das kronprinzliche Paar. Der Kronprinz erhob sich unmittelbar nach den Worten des Oberbürgermeisters und er innerte eingangs an die schönen Jahre, die er in der herrlichen Rhein provinz als Student glücklich und sorglos verleben durfte. Damit kehre Feuilleton. Mache es dir zur Regel, einem zelotischen Menschen niemals Vertrauen zu schenken, auch nicht mit ihm gesellige Verbindungen anzuknüpfen. M irabeau. * Elsässische Wanderung. Von Otto Flake. Wir haben Schl et ist adt weniger darum ausgesucht, um den zur Mode gewordenen Ausflug nach der jetzt von einem ausgcbautcn Kastell gekrönten Hohkönigsburg vor allem anderen vorzunehmen, son dern wir wählen es als Ausgangspunkt für eine lieblichere, an massiven Eindrücken ärmere, aber darum auch clfässischere Wanderung nach dem gesegnetsten Gelände, auf dem der beste einheimische Wein gedeiht. Auch an sich vermag Schlettstadt wohl anzuziehen, und wer sich seinem Geist — welcher Ort im Elsaß hätte nicht seinen eigenen aus geprägten Geist — überlassen will, findet einen Reiz darin, ein paar Tage in der alten Humanistenstadt zu weilen, aus deren ehemals dem St. Georgsmünster gegenüber gelegener berühmter Stadtschule Jakob Wimpfeling, Beatus Rhenanus und Martin Buzer hervorgingen, und die Ludwig XIV, solchen Widerstand leistete, daß er ihre Gesandten nicht empfing und ihre Werke schleifen ließ, die dann freilich von Vauban, dem großen Kriegsbaumeister auch des Elsasses, crneucrr wurden. Die breiten faubourgähnlichen Außenstraßen, auf denen an Markttagen die Bauernfuhrwcrke aus der ganzen Umgegend ausge spannt dastehen, während die Tiere in den Ställen Unterkunft gefunden haben, die inneren engen Gassen, in denen man die ausgedehntesten und solidesten Anwesen findet, die alten Gasthäuser mit den breiten Ein fahrten geben dem alten Borort der zehn elsässischen Reichsstädte Cha- rakter. Doch wir nehmen einen frühen Zug und fahren die paar Kilometer bis zur nächsten Station dem Ooerelsaß zu, St. Pilt. Die Ortschaft liegt, eine halbe Stunde von der Station entfernr, am Fuße des Gebirges. Ueberall im Land, solange die Bahn neben dem Berazug läuft, schreitet man von den Stationen in der Ebene draußen senkrecht auf die recht steil abfallende Ostwand der Vogesen zu, die aber überall von Borbergen umlagert ist. Mit einem graublauen Schimmer lockend, von der Sonne, die drüben über dem Schwarzwald ausgeganaen ist, in seiner Breite getroffen, liegt der Gebirgszug da. Gleichmäßig, massiv und uralt wirkt der ganze Kamm dieser Süd vogesen, und in der Tat verläuft vom Welschen Belchen bis zum Brezonard, der in gerader Linie vor uns liegt, und bis zum Abfall bei Kestenholz, auf unserer äußersten Rechten ein zusammenhängender Granitstock, der die berühmte Vogesenkammwanderung ermöglicht. Die morgendliche Frische, die aus den dampfenden Aeckern steigt, die Heiter- keil des lichtblauen Himmels über den kahlen Berghöhen, in den zier- sich ein gelber Rauch zieht, die Frühglocke, die von einer Kirche in der Nähe läutet, die Wanderung selbst durchdringen uns und machen uns bereit, alles, was sich dem Blick bietet, wie eine junge Schöpfung aus- zunchmen. Das Dorf ist in Rebgelände und in sssärten eingebettet, aus deren Grün die rosa Blüten der Psirsichbäumchen schimmern. Tie Hohkönigsburg, die der von Straßburg kommende Reisende vor Schlctt- nadt als vollkommenen Kegel sieht, formt sich jetzt zu einem Höcker aus breitem Sattel um. Ein kleiner Trupp Schüler kommt uns entgegen. Das sind St. Pieter, die nach Schlettstadt aufs Gymnasium gehen und jeden Morgen früh auf den Beinen sein müssen. Die Gymnasien in den Städten der Ebene ziehen weit und breit die Kmaben an sich, denn auch die Bauernsöhne begnügen sich nicht immer mit den Realschulen, die die kleineren Städte, wie hier das viel nähere NaPPoltsweiler, oder die Hauptortc^ der Vogesentäler besitzen. Zwei Stationen hinter St. Pilt, mit Ostheim beginnt das Bereich des Colmarer Gymnasiums, des „Ivaeo", dessen Diözese von Kaysersberg und Münster dis Rufach und Markolsheim reicht. In allen Gymnasiumstädten ist dadurch na türlich das „Kosthaus"wesen stark entwickelt, wenn nicht die Schule selbst mit einem Internat verbunden ist, wie das bischöfliche Gymnasium in Straßburg, das die Söhne der wohlhabenderen klerikalen Familien aus dem ganzen Lande versammelt und in seinem Geist erzieht. Nachdem wir in St. Pilt unseren Morgenkaffee eingenommen und dabei die runden Kaffeeschüsseln und die „Souwecken" sehr elsässisch ge funden haben, biegen wir nun im rechten Winkel auf die Straße ein, die die Orte am Fuße der Berge miteinander verbindet, und wandern, Nährend die Sonnenlichter durch schattige Baumkronen auf den Weg fallen, aus NaPPoltsweiler zu. Wir haben nun endgültig die Tour nach der Hohkönigsburg aufgegeben, die gewöhnlich von St. Pilt ansgeht oder da endet. Natürlich werden wir, wenn wir länger im Lande bleiben, uns auch das Schloß ansehen, aber wir wollen auch nicht vergessen, daß keine der großen und nur wenige der kleineren Burgen des Elsasses eine gleich reizlose Geschichte haben, und daß der Umfang des Schlosses wenig für den Mangel an spezifisch elsässischer Stimmung entschädigen kann. Es bleibt strittig, ob es nötig war, daß die Stadt Schlettstadt die Ruine dem Kaiser schenkte, sie dann wieder auszubauen und daß der Landesausschuß zu den großen Kosten seinen nicht unbeträchtlichen Teil beisteuerte — ein offizielles Opfer, das im Lande keinen Anklang sand. Jedoch sollen für uns nur Gründe maßgebend sein, die in der Sache selbst liegen: zunächst, man baut überhaupt nicht, grundsätzlich niemals Ruinen in einem vergange nen Stile wieder auf. Das heißt sentimentale Romantik, unbegründete Laune. Die Konsequenzen solcher Spielereien sind so fürchterlich, wie die lateinischen Jnschristtaseln auf der Saalburg. Die Burg, die als Ruine machtvoll gewirkt bat, ist nun trivial geworden. 5siveitens ist der einzige logische Gedanke, der einem Wiederaufbau zugrunde liegen kann, bei der Hohkönigsburg ausgeschaltet: sie ist in ihrer neuen Ge- stalt gar keine Rekonstruktion, kein getreues Abbild des Baues von 1480, ganz einfach, weil die sicheren Grundlagen fehlen. * Die große Zeit für NaPPoltsweiler ist der Herbst. Der September bringt den Pfeifertag, der Oktober den „Herbst" im vor- uehmsten Sinn, die Weinernte. Die Grafen von Rappoltstein, eines der mächtigsten Geschlechter im Lande, erloschen 1673, aber durch einen direkten weiblichen Nach- kommen pflanzte sich seine Geschichte in der der Pfalzgrafen von Birkenfeld und Zweibrücken fort, und der letzte Oberst des Regiments Roval-Alsace in Straßburg, Pfalzgraf Maximilian Josef und aus- drücklicher Herr von Rappoltstein, wurde zuletzt der erste König von Bauern. Tic Straßburger nannten ihn damals vor der Revolution den dicken Mar und seine Grenadiere stopften mit ihren Schnurr bärten das Kissen ans, auf dem sein 1786 in der Brandqasse zu Straß burg geborener Sohn zur Taufe getragen wurde: Ludwig I., der Be- gründer des modernen München. Die alten Grafen nun besaßen von Reicks wegen das Königtum über die Pfeifer. „Im frühen Mittelalter, als bei befestigteren Per- häl.'nisscn ein jeder für sich oder mit anderen seine Rechte und Pflichten abgrenzte und in Formeln faßte, blieben außerhalb der festen Berbände des Lehens, der Hörigkeit, der Zunft und der Hierarchie die nicht seß haften Leute. An der alten Völkerstraße des Rheins fanden sich wohl besonders viele dieser fahrenden Leute zusammen. Auch sie fühlten das Bedürfnis der zunftmätzigen Vereinigung und des Schutzes eines Mächtigen." Einmal im Jahr, an Mariä Geburt, kamen die Pfeifer in NaPPoltsweiler feierlich zusammen, und der gleiche Tag wird auch heute noch als Kilbctag gefeiert. Der Freund alter Volkstrachten wird nicht verfehlen, ihn zu besuchen, denn hier wird er die leider so unaufhaltsam schwindende Tracht der elsässischen Mädchen noch sehen können. Sie ist über das Land hinaus bekannt. Es wird oft viel sentimentale Begeisterung für Trachten aufgewandt, die im Grunde nur steif und entstellend sind — die Elsässerin mit der großen Schleife auf dem Kopf, dem kurzen grünen oder roten Rock, dem mit Silber plättchen behängten „Vorstecker", den weißen Hemdärmeln, dem Scidcnbrusttuch, der Seidenschürze und den weißen gestickten Strümpfen gehört zum Schönsten, was man sich denken kann. Tas ganze Kostüm ist keineswegs billig, und ein reiches Mädchen kann wohl zeigen, was es besitzt. Wir verfehlen nicht, den Herren von Rappoltstein selbst unsere Aufwartung zu machen. Schon lange haben wir auf dem schroffen Kegel über der Stadt die drei Burgen gesehen, die uns an das alte Sprichwort denken ließen: Drey Schlösser aufs einem Berg, Trey Kirchen auff einem Kirchhosfe, Drey Stätt in einem Tal Ist das ganze Elsaß überall. Die unterste und besterhaltene ist die St. Ulrichsburg, das Stamm schloß des Geschlechts. Durch Kastanienwäldchen und auf strauch besetzten felsigen Pfaden steigen wir in einer halben Stunde gemächlich hinauf, und dann bietet sich oben der erste weite Rückblick aus die Ebene, über die kleine abgeschlossene Wälder verstreut sind, als wären sic über einem Geheimnis zusammengewachsen. Dor uns liegt ein System von Parallelen, die von Süden nach Norden verlausen. Do- pesen und Schwarzwald als äußerste Grenzen und dazwischen in der Tiefebene Rhein, Rhein-Rhonekanal, Jll und die Hauptlinie der Eisen- bahn — man sieht da unten im Laus der vielen Jahrhunderte alle Völker seit den Römern die alte Völkerstraße nach Norden ziehen: hier betraten sie nach dem Alpenübergang zuerst den „freundlichen Garten" der Rheinebene. Zur Mittagszeit stellen wir uns in einem der historischen, ansehnlichen Gasthäuser ein, die es in jedem Ort des Elsaß gibt und die wir schon in Straßburg am liebsten besucht haben, wenn sie auch ein wenig abseits in den alten Straßen liegen. Ter Elsässer ist ein ausgesprochener Esser und Trinker und vielleicht ebenso sehr ein Gourmand als ein Gourmet, aus deutsch ein Freund des Reichlichen wie des Guten. Bei keiner Gelegenheit läßt er mehr darauf geben, weil er sich panz einfach unterhalb eines gewissen Mini mums nicht wohl fühlt. Dafür weiß er seinen Aufwand sich selber gegenüber auch in Szene zu setzen: mit viel Würde und Ernsthaftigkeit nimmt er am weißqedeckten Tisch, aus dem die Weinkarasse und reich, liches Weißbrot nicht fehlen dürfen, Platz und heginnt als Oberhaupt die ihm ebenso wie dem Franzosen unentbehrliche Suppe aufzugcben. Es liegt viel realistische, gesunde Stimmung in dieser Art, die den Essässer so sehr von den anderen Deutschen unterscheidet und so eng mit dem Gallier verbindet. Nnd die wahre Demokratie dcS Elsässers sängt mit dem weißen Tischtuch an, das beim Kleinbürger ebenso auf gelegt wirb wie beim Notabeln in der Fabrikantenvilla.
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