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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 26.08.1908
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-08-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080826027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908082602
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908082602
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- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1908
- Monat1908-08
- Tag1908-08-26
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BezugS-PreH chr LR»»!» «id Äoevrt« dmch »»ler» »ui Spidireur» VW -«w gebrachtl Lw^w» 4 t»»r morgnw) »iwwljLhrlich 8 «.. mooailtch 1 Ullsasb« » (morgen« und abeody «Intel» jährlich <20 M„ monatlich 1.50 vi. Durch di« Po» ,» de,Irden: <2 «al tLgiich) iunerhald Deutfchlanb« mW der deutschen Kolonien »ierteliLbrlich 2^22 M- monatlich 1,72 M. »ullchl. Poll- bestellgeL, chr Oesterreich i> L V6 k, Ungarn 8 L «ierteljjhrlutz. Ferner in Bei» aieä, DSamnari, den D-nanftaarea. Italien, Lnremburg, «mdrrimw^ Xorwagr», knh» land, Schweden, Schwell an» Spanien, Ja all« tbria« Staat« »ne direkt durch »w «M«d.». «l. «ehLUlich. Li» Angeln» Stummer lostet lv Urda kl ton an» «MedMna» JohamtwgasteL stcherdon Nr. I4SSL «r. 11083, Sir. I4SS< Abend-Ausgabe S. KWMr.TMblaü Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Luzrigeu-Preis stir I»I«rat» mW Leipzig und Umgebung di« OaeiPLltmi« Petitgetl« 22 W., finanzielle Anzeigen SÜVt„ Stella men IS».; von antwtrw 80 Vt., SirNamen 1.20 Mg dmnSkwland 50M., stnang. >n,rigen75Pi.. Reklamen iL) M. Inserate». BehSrd« In amtlichen lest 10Pi. BeilagegebLbr 2 M. p. llaulend exkl. Post gebühr. »elchLlwanzeigen an bevor,ugtrr Stelle im Preis« erhöht. Rabatt nach Parst Fest erteilt, Aufträge können nicht zurück gezogen »erden. Für da» erscheinen an bestimmten Pagen und Plötzen wird kein« Garantie übernommen. Aasigen» Annahme, Uugustutzplatz 8, bei sömtlichen Filialen u. allen Annoncen- itzpeditionno de» Ja» und Autlande». -aupl-Siltal« verlt», Carl Duncker, Herzog!. Bahr. Hofbuch» Handlung, Lützowstrahe 10. (Telephon VI, Nr. IMS). Haupt-Stliale Dreiben: Seestraste 4,1 (Telephon 4621). Nr. 238. Mittwoch 26. August 1908. 182. Jahrgang. Da» wichtigste. * Das Kaiser paar ist zu den Manövern nach Mefi abgereist. sS. Dischs. R.) * Der König von Rumänien wird Kaiser Irawz Josef demnächst einen Besuch abstatten. (S. Ausl.) * Die venezuclaische Regierung hat an Holland eine 2. Note gerichtet, die nicht zum Frieden beitragen wird. (S. Ausl.) Da» Diainantenkastchen. Es wird uns geschrieben: Durch die deutsche und ausländische Presse geht die Meldung, daß Der Staatssekretär Dernburg bei seiner Rückkehr aus Afrika dem Kaiser ein Kästchen überreichen werde. Dieses Kästchen ist mit Diamanten gefüllt, die angeblich in Südwestafrika gefunden worden sind, auch sein Deckel ist mit Diamanten geschmückt. Es war auch der Name der Firma genannt, die mit der Ausführung betraut ist. Wir gestehen, daß wir die Meldung mit ziemlich ungemischten Gefühlen gelesen haben. Aus der Geschichte fremder Kolonien war uns wohl bekannt, daß die heim kehrenden Konquistadoren ihren Herrschern reiche Schätze an Gold und erbeuteten Wertsachen zu Füßen zu legen pflegten, um sich für ihre weiteren Expeditionen die Gunst der Könige zu sichern. Indessen, wenn auch Bernhard Dernburg manches von einem Konquistador an sich Hai, so fehlen doch alle weiteren Bergleichsmöglichkeiten. Die Stellung des Deutschen Kaisers zur Kolonialpolitil ist von solchen Huldigungen un abhängig. Ferner entsinnen wir uns, daß es früher üblich war, ver dienten oder gefälligen Diplomaten brillantenbesetzte Tabatiercn und ähnliche Schmuckstücke zu überreichen, und im höfischen Verkehr ist diese Sitte noch nicht ganz ausgestorben. Nun ist ja Bernhard Dernburg ein Muster der höfischen Umgangssormen, er hat sich mit bewunderns werter Anpassungsfähigkeit in diese Sphäre ciugelebt und gilt heute schon als intim vertraut mit allen Raffinements der Schloßsittc, aber unmöglich kann cs seinem Scharfblick entgangen sein, daß zwar die Monarchen den Würdenträgern Gunstdosen schenkten, daß aber das umgekehrte Verhalten als ein Unikum dastehen würde. Endlich ist eS ja wohl üblich, reisende Künstlerinnen durch solche Huldigungen auszu zeichnen, bei denen sich das Nützliche mit dem Angenehmen verbindet, indessen auch hier versagt das Tortiurn eoiuimratioiüs. Der Kaiser ist doch kein Akteur. Im Ernst: es drängen sich einige peinliche Fragen auf. Sicher re präsentiert das Kästchen einen nicht unbeträchtlichen Wert, denn sonst würde Herr Dernburg nicht wagen, es dem Kaiser zu überreichen. Monarchen sind in bezug auf solche Darbietungen verwöhnt, und was sie als eine kleine Aufmerksamkeit empfinden, das hat ost ein Vermögen gekostet. Bekanntlich sand sich in den Memoiren des Onkels Chlodwig die Bemerkung, die dem Munde einer Kaiserin entflohen war, Wil helms II. Reise nach Griechenland habe den dortigen Hof „ruiniert". Aehnliches wurde von dem Grafen A. berichtet, der für einen zwei tägigen Kaiserbesuch achtzigtausend Mark ausgcgcben hatte und sehr üebrrascht war, als der Monarch ihm beim Abschied dafür dankte, daß er so wenig Umstände gemacht habe. Es ist also anzunehmen, daß das Präsent auch einigermaßen präsentabel ist. Dann fragt sich: wer schenkt dem Kaiser die Diamanten und das Kästchen? Es wäre zu wünschen, daß aus diese Frage eine glatte, runde Antworr erfolgte. In unseren Kolonien sind bekanntlich Gesellschaften tätig, die ein sehr starkes materielles Interesse daran haben, nach oben hin günstig zu wirken und sich bei der Regierung einen Stein im Brett zu sichern. Unter Um- ständen könnte es schädlich sein, wenn der Monarch aus solchen Händen und noch dazu durch amtliche Vermittelung, ein wertvolles Geschenk akzeptierte. Es könnte zu törichten Gerüchten, zu häßlichen Mißdeutun gen Anlaß geben. Die alte Sitte, die es dem Monarchen verbot, von Untertanen Geschenke anzunehmen, war recht verständig, und wir können nicht verhehlen, daß wir Herrn Dernburgs Neuerung nicht sehr ge schmackvoll finden. Hoffentlich wird wenigstens dafür gesorgt, daß die Diamanten auch wirklich alle aus Südwestafrika stammen. Sonst könn ten die Dernburgschen Diamanten eine ähnliche Berühmtheit erwerben, wie die Potemkinschen Dörfer. Man wolle auch bedenken, wohin es führen müßte, wenn die übrigen Minister und Staatssekretäre dem Bei- spiel Dernburgs folgen wollten. Der Anlaß zur Nachahmung dieser Unsitte wäre leicht gefunden. Also noch einmal: wer ist der gütige Geber? Der Fiskus? eine Terrain- und Minengesellschast? Herr Dernburg selbst? Oder der Juwelier? U. A. w. g. Die Nachgeordneten. Herr von Dolcga-Kozierowski, der Schleswiger Regierungs präsident, der für die schlösse Behandlung der publizistischen Sünden des Husumer Bürgermeisters den Ton angegeben, hat einen längeren Urlaub angctreten, von dem er voraussichtlich nicht wieder zurückkchren wird. Und die Geldstrafe von 50 .kl, die dem Frankfurter Zeitungs redakteur wegen seines verweigerten Zeugnisses zudiktiert war, ist auf gehoben und das Zeugniszwangsvcrfahrcn niedergeschlagen worden. Das, will uns bcdünken, sind doch zwei „Zeichen von oben", die den guten Willen der Zentralregierung bekunden, der Affäre Schücking ihren Stachel zu nehmen. Zwar will der „Berl. Lok.-Anz." von „juristischer Seite" gehört haben: Herr Schücking hätte allen Anlaß, dem Ausgang seines Pro- zesses mit Sorge entgegen.'.uschen: mittelbare Staatsbeamte, die man nicht versetzen könne, fänden am Bezirks- und Oberlandesgericht immer strengere Richter als Regierungsbeamte. Aber das sind doch Läuschen, die man nicht allzu ernsthaft zu bewerten braucht. Unter solchen Umständen ist cs vielleicht ein wenig post t'ektruu, wenn der geschäfts führende Ausschuß des Wahlvcreins der Liberalen, unter dem man die Freisinnige Vereinigung zu begreifen hat, am Montag den Beschluß gefaßt hat: die Regierung müsse baldigst Remedur schaffen, wenn sie mit der Weiterführung der Blockpolitik noch ernsthaft rechne. Uns scheint: das ist nun doch wohl erwiesen — das Rechnen mit dem Block sowohl wie die Absicht, Remedur zu schaffen. Freilich ist zuzugeben, daß der Handel nicht ganz so einfach liegt. Daß das Prinzipielle an ihm auch noch nicht ausgeschöpft ist, wenn — wie anzunehmen ist — der Fall Schücking wohltätig im Sande verrinnt. Es gibt innerhalb unserer Provinzialbehörden noch manchen Herrn, der genau so denkt wie Herr von Dolcga-Kozierowski. Und manchen andern, der gleich- falls Block Block sein läßt und seine und der ihm Unterstellten Dahl politik nach der alten Maxime richtet: die konservative Partei sei die einzige, die für den anstänbigen Menschen im allgemeinen und eine be amtete Person im besonderen in Betracht kommen könne. Gerade derlei Beobachtungen haben uns veranlaßt, den so genannten Fall Schücking hier mit allem Nachdruck zu verfolqen. Der war für uns immer nur ein Symptom kür eine sehr betrübliche und im Preußischen leider recht verbreitete Erscheinung. Dafür nämlich, daß der Wille des Kanzlers und der Ministerialinstanz sich zuweilen an dem Willen der Verwaltungsstellen in Provinz und Kreis zu brechen pflegt. Unter diesem Gesichtswinkel wird man die weitere Entwicklung des Falles zu beobachten haben. Was in Schleswig ge schieht, kann io vielleicht zum warnenden Exempel werden. Kann die an sich sehr schöne Theorie von dem unparteiischen Beamtcnregimcnt nun auch wirklich in die Praxis überzuführen helfen. Marokko. Zu der durch den entscheidenden Sieg Muley Hafids geschaffenen Lage in Marokko liegt folgende Aeußerung der offiziösen „Süddeutschen Reichskorrespondenz" vor, die die Stellungnahme Deutschlands kenn zeichnet. Die Korrespondenz streikt: „Der Zusammenbruch der Sultansstellung von Abdul Aziz bedeutet an sich nur bas Ende eines mühsam aufrechterhaltenen Scheinwesens. Ein Fortschritt aber wäre es, wenn er auch bas Ende einer Politik be deutete, wir meinen jeder Politik, die den Marokkanern einen von ihnen nicht anerkannten Sultan aufnötigen will. Das Selb st bestim mt! ngsrechtMarok kos in der Wahl seines Herrschers ist keine Phrase. Die Großmächte, die sich in der Türkei gegen über dem nationalen Empfinden der Ottomanen besonnene Zurück haltung zur Pflicht gemacht haben, werden die Stimme des marokkani schen Volkes nicht überhören wollen, die wiederholt, zuletzt bei der Aus rufung von Muley Hafid in Tanger, deutlich gesprochen hat. Wie stehen die Mächte zu Hafid? Wie steht er zu den Mächten? Diese Fragen lassen sich im einzelnen nicht binnen weniger Tage ent scheiden. Im allgemeinen Interesse aber wäre cs, wenn über die Ab sichten der französischen Politik in Marokko die Marokkaner selbst rasch und gründlich beruhigt werden könnten. Europa würde den Rückfall in eine um Marokkos willen schon einmal entstandene, leidlich über wundene Spannung gern vermieden sehen." Mit dieser Auslassung stellt sich Deutschland auf den Standpunkt, wie er bisher von den anderen Großmächten, eum nrrrno salis auch von Frankreich, nach dem endgültigen Sieg Muley Hafids in der mehr oder minder offiziösen Presse betont worden ist. Daß an einer Anerkennung Muley Hafids in kürzerer oder längerer Zeit nicht mehr gezweifelt wer. den kann, bürste sicher sein. Doppelt ernst klingt darum die Mahnung, dem tapferen Volke nicht einen nicht anerkannten Sultan auszunöligen, wie es bisher das Ziel der französischen Politik war. Nicht miß- verstehen wird man in Paris die Mahnung Deutschlands, die Marok kaner über die „Absichten der französischen Politik rasch und gründlich zu beruhigen", d. h. bcn Sultan anzuerkennen und nicht durch über triebene Forderungen Grund zu neuen Schwierigkeiten zu legen. Eine neue Algeciraskonferenz wünscht Deutschland nicht. Wir fügen noch folgende Telegramme an, die ein weiteres Bild von ben gegenwärtigen Umständen in Marokko geben. Es ist natürlich unmöglich, daß ohne Gärung hier und da der lange, unruhige Zu stand im Lande beendigt wirb. Ein Bericht an Muley Hafid. Paris, 25. Auqust. lTel.) Sidris ben Djabul, der Vertrauens mann El Menebbis, verließ heute Tanger mit einer ausführlichen Botschaft an Muley Hafid über die inneren und auswärtigen Angelegenheiten Marokkos; in ben ersten Septcmberdagen kann er zu- rückgckchrt sein. El Mcnebbi hofft, daß seine Vorschläge, die aus Bei behaltung der wichtigsten Beamten abzielen, Muley Hafids Ge nehmigung finden werben. Bezüglich des immer noch vor Marrakesch stehenben Kaids Mtuai hat El Menebbi gewisse Absichten, über die er sich nicht äußern will. Dieser Kaid wollte bisher keinen Vermittler empfangen. Seine Haltung könnte sich aber unter dem Einflüsse an gesehener, religiöser Chefs ändern. Die Reste der Armee des Abdul Aziz. Paris, 25. August. Meldung der „Agence Havas".) Ein Tele gramm des Generals d'Amade vom 23. b. M., 8 Uhr abends meldet: Zerstreute Teile der Mahalla Abdul Aziz' sammeln sich hier und da in kleinen Gruppen. Der Sultan lagert mit dem Macksten in den Gärten südlich der Stadt. Er dürfte die Küste zu erreichen suchen. Von der Küste bei Azemur werden Ansammlungen der Tu- kalas gemeldet. Im Scbaujagebiet ist alles ruhig. Die Mahallas unter El Glaui und Si Aissa sollen bei Suk el Arbi, 40 Kilometer von Sochra Djadja, stehen. Ein Widerspenstiger. , London, 26. August. lTel.) „Daily Telegraph" meldet aus Tanger, Bu Auda, der Gouverneur von Ärsila, weigere sich, Muley Hafid als Sultan zu proklamieren oder sich ihm mit seinen Streitkräften zu ergeben. Der hasidische Minister Feuilleton. Es ist leichter, sich vor dem Löwen zu schützen, als vor dem Skorpion. Ebers. * Ma-eira-Vil-er. Von Walter Turszinsky. Wenn das Schiff den breit sich öffnenden Armen der Bai von Junchal entgegenfährt — hinter ihm liegen die braunen Schroffen der nackten Klippen mit ihren spitzen Buckeln, vor ihm sitz: die Stadl in all ihrem Sonncnschmuck, kokett wartend, wie eine geputzte Schöne —, dann bringen kleine Kähne die „Taucher" herüber. Buben aus der Stadt sind das, arme Jungen, die "für ein hartes Kupferstück die Künste ihrer Körperaeschmcidigkeil zur Verfügung hallen und deren wollig- krause Negerhaare, deren ins Schwarzbraune hinüberspielender Teint ten Beweis dafür ergeben, daß sich die madeirensische Rasse nicht immer ganz stubenrein erhalten hat. Nackt, vom Gliedcrbau des jungen Alki- biades, stehen sie im kippenden Boot. Heiser, von seltsam alten, ver- krächzten Stimmen getragen, gellen ihre Zuruse zum Schisfsrand auf wärts. Die Erfahrenen, die bei dieser Reise nicht ihre Madeira- Premiere haben, verstehen sie: und schon platscht das erste Zwanzig- Reisstück in das Wasser. Der Halbmulatte unten im Kahn sieht nur auf den Fleck, an dem bas Meer die geringwertige Beute eingeschluckt hat. Dann ist er kopfwärts hinterher. Die blanken, braunen Glieder bes Tauchers treiben ihr Spiel unterhalb der feuchten Fläche, die sich von dem scharfen Stoß des Körpers für ein paar Sekunden in zwei Abteile spaltet: in einen tiefblauen, mit weißem, zitterndem Schaum bekränzten und in einen lichtgrünen. Die Bronzestatuette des nach seinem Kupferstück tastenden Jungen aber sieht man hinter der blauen und der grünen Flut, wie hinter der Platte eines durchsichtigen Glases. Wie weiter hinten an der Uferstraße Madeiras die mit Seetang be- sponnenen Steine unter dieser kristallklaren Wasserdecke liegen, wie unter einer Glaskuppel, so wird auch hier jede Bewegung des Tauchers, jede Wendung der Schenkel und Hüften, jeder hastige Schwimmgestus deutlich erkennbar. Dir Arme heben sich dann wieder zuerst aus der Flut empor. Ein« Hand krallt ihre Finger am Bootsrand fest; wie eine Schlange gleitet der Körper nach; Silberfunken gleich stieben die Wassertropfen von dem sich Schüttelnden ab. Ausgerichtet steht der Knabe im Kahn. Seine Beute zeigend, verlangt er durch einen Schwall atemlos und raub herausgestoßener Worte mehr. mehr. Auch von den Tiefen anderer Boote empor gellt dieselbe habgierige Melodie. Ein Nebenverdienst, den sich die Proletarierkinder der Insel mit leichter Mühe schaffen. . .. Später haben sie cs schwerer, die bronzcfarbcnen Burschen. Als „Carredos" sKarrenführer) lenken sie die eiligen, behenden Schlitten, sie vom „Mon'e", zwciausend Fuß über oem Meeresspiegel, steil bergab nach Funchal sausen, lieber die aus kleinen, gewölbten Kieselsteinhüaeln kombinierte Straße, die oben zwischen den Villen des Bergrückens ein setzt, und durch schräg abfallende Winkeigassen niederwärts steigt. Beim ersten Versuch klettert man nur etwas beklommen in den weich gepolster ten, zweisitzigen, auf glatten Holzleisten stehenden Korbwagen, der, ab fahrbereit, das von den Schlittenkufen längst blankgewälzte Pflaster beschwert. Tann springen die „Carredos" — icder Transport wirb zwei Führern anvertraut — hinten auf das kleine Brett, das dem Schlitten angeheftet ist, packen die oberen Enden der Stricke, deren untere Ausläufer eijcnsest um die Schlittenkufen verknotet sind und stoßen ob. Ter Wagen schnellt ein Endchen gerade vorwärts, nimmt einen Hügel, einen zweiten, steigert sein Tempo und fliegt nun in rasender Galvppade zu Tal. Vorbei an den weißgctiinchtcn Grenz- mauern der Ouinicn lVillcu) mit den fest verschlossenen Holdtoren, vor. bei an den grünen Dächern der Weinlaubcn: an Kindern, die beim Ge räusch des näherrasselndcn Schlittens lachend zur Seite springen: an den Ochienschlitten, die in Säcken die schwarze Erde bergauf schleppen, und bereu rothäutigen Zugtiere tückisch zielende Schielblickc oen Men schen nachwerfen, vor deren Schnclligkeitsbedürfnis ihr Lenker sie an- halten läßt. Das alles scheint zunächst ein Sport von kindischer Ver wegenheit. Aber wenn die „Carredos" nicht gerade ihre Augen von dem Odem des scharf-süßen Zuckerrohrschnapscs haben verdüstern lassen, ist keine Gefahr dabei. Bald steht der Karrensührer hinten aus dem Trittbrett, stemmt das linke Bein in: rohlederneu Halbsticfel fest gegen das Holz, stößt den rechten Fuß fast rhythmisch gleichmäßig gegen den gewellten Steinboden. Eine Biegung kommt .... das Fahrzeug scheint sich verfänglich der Bordschwelle eines Hauses zuzuwcnden .... und ichon hat ein Griff am Strick die Richtung reguliert. Ein Hindernis steht im Wege, eine Karawane von Menschen oder Vieh .... und nach oben im Gäßchen kreischt der „Carredo" iein „Olke" lHolla), wirft einen schrillen Pfiff hinicnnach und bremst trotzdem die Pace, damit ein Un glück nicht geschehen kann. Wenigstens den der Hui des „Carredo" An vertrauten nicht. Er selbst ahnt wohl das Los, das ihn trifft, wenn er jahrelang für 500 Ress pro Person den Karrengaul macht, mit Deut schen, Amerikanern, Engländern und Franzosen bis zum Bahnhof der Zahnradbahn täglich mehrmals hinabrutscht, und dann, um keinen Ver- dienst zu verlieren, möglichst schnell mit dem Wagen beladen wieder nach oben, zum „Monte" empor, keucht. Hinter einer Zeit solcher müh seligen Arbeit steht sicher das Gespenst mit dem verfallenen Antlitz, den spitzen Backenknochen, dem dampfenden, pfeifenden Atem: das Gespenst der Schwindsucht! Aber was tut's? Heut' bat „unsere Frau" oben in der Bergkirchc eines ihrer zahllosen Feste, und ganz Funchal feiert mit. Schon in der Frühe schleppt die Zahnradbahn das Musikkorps der Garnison von Junchal hinauf, lustige Bläser, die mit schiefgcriickten Käppis, gräß lichen Radaumärschcn und nach allen Seiten purzelnden hohen Trom- peientönen die Fröhlichen locken sollen und sich später aus einer Estrade mitten in ben Wipfeln eines Baumes nieberlasscn. Unten kribbclt's und wimmelt's. Die kleinen Häuschen, die an den steilsten Hängen ihre Plätze gesunden haben, schulten ihren Mcnschcnvorrat aus. Die Buben haben ihre verfilzten Locken geordnet, lauern nicht auf die Frem den wie die Räuber am Wege, sondern paradieren als kleine Gerne große in schwarzen Anzügen, die — qncr über die rechte Schuller hin weg, gleich einem Bandelier — ein weißseidenes Band kreuzt. Gleich Hellen Schmcllerlingen flattern die kleinen Mädchen über Wege und Siege. Breit schiebt sich die Stirnrüsche des weißen Schleiers, dessen lustiges Gewebe über den Rücken bis zu den Kniekehlen nicdcrwallt, über die dunklen Locken, dämmt sic und läßt gerade nur die braunen Edelsteine der frühreifen Blicke sichtbar werden. Aber auch diese sind heule züchtig gesenkt: denn der ehrwürdige Herr wird Knaben und Mädchen am Altar für das Leben reif machen, „konfirmieren". „Ein stolzer Tag", sag« glückstrahlend eine alle Frau, die zwei solcher kleinen, weißen Gottesbräutc bei sich hat. Sic stärkt sich in derselben Venda, in der auch wir weichlich-warmen „Whisky and Soda" nehmen. Der alte Bergführer mit der grauweißen Seemannsfräse ums Kinn herum nickt ihr beistimmend zu, und die Jungen, die an der Wand der 'Taverne ihre Mandolinen zupfen, blicken mit großen Augen bewundernd zu den Spielgefährtinnen. ... Tic Kirche mit dem alten Kreuz stützt sich auf eine imposant und viclstusig ansteigende Freitreppe. Unten, der Platz vor ihr, von Holz- balustraden gegen einen schmalen Hügclwcg abae'chlosscn, ist von der Sonne überflutet, gleißt von den Kopftüchern der Frauen, von ihren weiten, vielfarbigen Pluderröcken. Ein ewiges Kommen und Gehen ist das über die Stufen, auf denen sich bie Beter die Hände schütteln, oevor sic zu kurzem Aufenthalt das Gotteshaus betreten. Wir freilich klettern durch einen Seitcngang aufwärts, über eine halbgeborstcne Holzsticgc, an feuchtem, glitscherigem, dumpfriechendem Mauerwerk vorbei. Eine Galerie öffnet sich: hölzern, lichtlos. Unten sieht man den Kirchen raum, auch er von der Sonne fast vermieden, ein dämmeriger Schacht, dessen Schatten nur von den bewegungslos stehenden Goldpunkten der Kerzen und dem verschlissenen Prunk der Altargeräte gestört wird. Dann gewöhnt sich das Äuge, deutlicher zu sehen. Man nimmt wahr, daß auch die Landschaft Madeiras dem Feste hat ihren Tribut zollen müssen; daß manche der schweren, üppigen Blumenlasten, die sich hier mit klammernden Rankenketten sogar über die Mauern des Friedhofs hängen, abgetragen sind und nun ihren schwülen Duft mit dem dcS in dünnen, grauen Fluten emporschwcbcnden Weihrauchs mischen. Im Hinteren Teile der Kirche drängt sich Kopf an Kopf aus den schwarzen Scbattcnlinien heraus. Die plärrende, halblaute, nach kurzen Satz stücken immer pausierende Stimme des Priesters schwebt über dem allen. Man siebt sein Antlitz nicht, nur dem Umriß keines Kopfes über dem goldbordiertcn Mcßgewandc. Aber man siebt die kleine Truppe der Kinder, rechts vom Altäre den schwarzen Streif der Knaben, links die weiße Wolke der Mädchen, über die er die milden Hände seiner Segensspriichc breitet. Dann siebe ich unter der Luke des Gemäuers,
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