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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 27.03.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-03-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191003272
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19100327
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19100327
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1910
- Monat1910-03
- Tag1910-03-27
- Monat1910-03
- Jahr1910
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Bcruq-.Prrii. str Lrip»>a un» tiorort« durch u»(er« lrlger und Svedlieure 2mal tinlich in« Hau» gebrach!: tU) monati., 2.70 »irrteliLdrl Bit untern H'Ualrn u. Un- nahmetzellen ad^rbolk: 7S «Z manall^ 2.2S merrrytbrl. Lurch die »oft: innerhalb Deuilchiand» und der driipchen Solonien »icrteliidrl U.S0 nionail. l^i» autjchl. Poftdeftellaeld. ferner in Belgien, Dänemark, den ronaollaaien, Ilalien. Luxemburg, Niederlande, 'Nor wegen, Oesterreich-Ungarn, Rußland, Schweden, Schweiz u. Spanien In allen übrigen Staaten nur direkt durch dre Vtejchä,»«Kelle de« Blakte« erhältlich. La» Leipziger Tageblatt erschein! 2 wat iäglich. Sonn- ». Fei riag« nur morgen«, itldonn« . eni-Ännaume. Auguüutplatz 8, bei unteren Trägern. Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, tonne Postämtern und Briefträgern ringeloertaussprei« der Morgen. iuLgabe IV der illbendrurgade d sttedaktton und Geschäftsstelle: " Iohanni«gaste v. tzerntprecher: I46S2, t4(W, 14684. Mpziger TMblM Handelszeitung. Amtsblatt des Nates ««d des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Lszrige»-Preis Mr Sn<eraw au« Leipzig und Umgebung bi« stgeivalten« HO mm breite Petitzeil» L di, 74 mm breit« Beklamezeile I da» aubwLrt« liv ÜteNamen i.!L) Inserate v»n Bebbrden n» amtlichen Teil di, 74 mm breit« Petitzeil« 4o 4- «etchättSanzeigen mit PlaAvortchristen und tu der Abentaurgab« im Preite erhäh:. tstadail nach Taris. Beilagegebühr L p. Tautenb exkl. Postgebühr. ssesterteilte Autträge kännen nicht zurück gezogen werden. Für da» Erscheinen ,i, bestimmten Tagen und Plätzen wird leine Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme: Bugustu-pla, 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- itlpediliooen d«» Zn- und AuSlande». Panvt-Sillal« verNn: Carl Luiicker, Ler>ogl. B'hr tzoshuch- handlung, Lützowst-atze 10. (Telephon VT, Nr. 4M3). -aupt-Flliale Dresden: Seestrabe 4,1 (Telephon 462l). Nr. 85. Sonitwg, üen 27. MSN ISIS. 104. IshrgSNg. Vie näckLle i^ummek- cler l-eiprigei" 1'agebiatieL ek-sckie'mt wegen cjei- OSiei-seiei-iage am 29. Näi-r moegenr. Dss Wichtigste. * Die Belohnung für die Ermittlung und Ergreifung des Verbrechers, der den Mordanfchlag In der Liviastraße in Leipzig beging, ist auf 13V0 M erhöht worden. (S. d. bes. Art.) * Der Präsident der Vereinigten Staaten hat eine weitere Proklamation erlassen, durch die den Erzeugnissen aller deutschen Kolonien und Schutzgebiete der amerikanische Minimal tarif eingeräumt wird. * Der vom Negus Menelik zu seinem Thron folger bestimmte Lidf Jeassu hat nach Blätter meldungen aus Addis Abeba die Regierung be reits angetreten und soll am Ostersonntag zum Kaiser proklamiert werden. (S. Ausl.s * Zn Tschinliang (China) ist eine schwere Meuterei unter der dort garnisonierenden In fanterie ausaebrochen. (S. Ausl.s Ostern. Früher als sonst durften wir in diesem Iah«: den milde beglückenden Hauch des Früh lings empfinden. Schon gewahren wir an den meisten Sträuchern und Bäumen die Helle Punk tierung der Knospen oder das wundervoll un berührte junge Grün. „Du junges Grün, du frisches Eras, wie oft mein Herz durch dich genas!" sagen wir mit dem Dichter und wundern uns, daß dieser Zauber, den wir, ach! nun schon so manchesmal erlebten, uns immer aufs Neue selig überwältigt. Es gibt der Freuden manche auf dieser Welt, aber auf dem Grund des Kelches ist meist bittere Hefe. Wenn wir genossen haben, so fühlen wir, daß wir uns verloren, uns erniedrigen, und ein trost loser Pessimismus überkommt uns. Hier aber ist eine feine und reine Freude, sie ist unselbstisch und gleichsam überirdisch; wir lechzen nicht nach Besitz, wir begnügen uns mit der Augenweide, und wenn wir nach einem Gang durch den Wald oder über Flur — wie er ja auch dem Großstädter bisweilen vergönnt ist — in unser Heim zurückkehren, so fühlen wir uns beruhigt und geläutert. „Vernunft fängt wieder an zu sprechen und Hoffnung wieder an zu blüh'n." Christ ist erstanden! Die Einen — von allen die Glücklichsten — nehmen die Worte dieser frohen Botschaft in kindlich frommem Glauben hin und wissen nun, daß ihnen nach dem Scheiden aus dieser Zeitlichkeit auf alles Fragen erwidert wird. Sie sprechen, tröstlicher Gewißheit voll, von jenem „frühen Schlafengeh'n und von der Eitelkeit der Erde und von dem großen Wieder- seh'n, das Gott uns nicht versagen werde". Unser irdisches Wandeln ist ihnen nur Vor bereitung, und da oben, in den Gefilden jenseits des Aethers, harren Lohn und Strafe, harrt vor allem die göttliche Gnade unser, deren Pfand und Bürge der Heiland war. Andere, dem Glauben an das „Wort" entfremdet, sehen in der Erzählung von der Auferstehung Christi eine mythische Symbolisierung jener Auf erstehung, die die Natur alljährlich, aus dunkeln Tiefen wunderbare Kräfte schöpfend, erlebt. Aber freilich, ihr Grübeln vermag ihnen den letzten Sinn des Lebens nicht zu erschließen. Auch Darwins Hypothese kann das Weltenregi ment nicht ausschalten. Der Lenz aber ruft uns mit jedem Wehen seiner linden Lüfte ein „Gedenke, zu leben!" zu. Laßt uns nur recht verstehen, was „leben" heißt und was es nicht heißt. Leben heißt, sich mit allen seinen Kräften einem Gedanken, einer Pflicht weihen. Leben heißt, um innere Har monie ringen. Leben heißt, sich selber wahr sein. Sich einen eigenen Weg wählen und ihn, ob er auch durch Dickicht und Dorn führe, festen Schrittes und offenen Auges gehen. Stark und edel zu sein, ist das Ideal des Mannes. „Laßt uns immer tapferer und immer milder werden!" Abonnementseinladimg. Das Leipziger Tageblatt ist eine auf unerschütterlicher nationaler Grundlage auf gebaute liberale Zeitung, wie es seinem Charakter als Blatt der Leipziger Bürgerschaft entspricht. Seine redaktionelle und technische Herstellung wird mit Sorgfalt nach den modernen Grundsätzen des Journalismus und der Buchdruckerkunst betrieben. Uebersichtlrche Anordnung des Textes erleichtert die Information über das große Gebiet der täglichen Nachrichten und Erscheinungen des öffentlichen Lebens. Täglich zwei Ausgaben halten den Leser in sicherer Verbindung mit allen bedeutsamen Vorgängen. Das Margenblstt bringt Leitartikel, die in freimütiger, aber besonnener Weise Stellung zu den politischen Tagesereignissen nehmen. Ein Feuilleton auf würdigem Niveau stellt eine der künstlerischen Bedeutung Leipzigs entsprechende Jnformationsauelle dar. Eine Unterhaltungslektüre leichter Art bilden Romane, kurze Erzählungen und Notizen für das Hauswesen. Leipziger und sächsische Angelegenheiten werden in einem ausgedehnten Ressort gebucht und besprochen, wobei auf Zuverlässigkeit größter Wert gelegt wird. Sport und Vermischtes geben eine Uebersicht über alle wichtigen Ereignisse. Die Leipziger Handelszeitung ist für den Kaufmann, den Rentner, den Kapitalisten, den Finanzmann unentbehrlich. Das Abenüblatt ist im wesentlichen ein Nachrichtenblatt, das alle Ereignisse desselben Tages bis in die vierte Nachmittagsstunde hinein kurz skizziert und in seinem Börsenteil eine für den Handel überaus wichtige Nachrichtenquelle darstellt. Das Leipziger Tageblatt kostet in Leipzig so Pfennig monatlich frei ins Haus. Durch die Post bezogen 1.20 monatlich, exkl. Bestellgeld. Sämtliche Träger, Filialen und die Geschäftsstellen Zohannisgasse 8 und Augustusplatz 8 nehmen Abonnements bestellungen gern entgegen. Im Interesse einer pünktlichen Lieferung bitten wir, Bestellungen auf das Leipziger Tageblatt möglichst frühzeitig aufzugeben. Der Verlag des Leipziger Tageblattes. sagte unser u »vergeßlicher Liliencron. Leben heißt nicht: in atemloser Hetzjagd der fliehen den Fortuna nachhasten, Geld und wieder Geld machen, um es in mehr oder minder tri vialen Genüßen zu vergeuden. Bei so manchem üppigen Diner ist die Freude nicht zu East geladen. Wir Deutschen von heute könnten fast alle etwas leiser sein: unserer Kultur tun die gedämpften Farben des Velasquez not. An Feiertagen darf dies gesagt werden, muß dies gesagt werden: weniger Amüsement und lieber ein Stündchen mit Goethe, Schiller oder Kleist, um aus dem Borne der Erschütterung verjüngte Kraft des Lebens zu trinken; lieber ein rüstiger Marsch durch das dampfende duftende Gelände, die Lektüre eines guten Buches (das auch ein heiteres Buch sein darf) und die Betrachtung eines schönen Bildes. Vor allem aber eine kurze Waffenruhe im Kampf ums Dasein, ein tiefes Aufatmen, ein Gleiten lassen im Strom des Lebens. Die Einsichtigen haben cs längst erkannt: wir amerikanisieren uns allzusehr. Leider haben wir den Amerikanern die dominierende Nuance ihres Eemütslebens nicht abzusehen vermocht. In Deutschland ist fast jeder — sowohl was Staat und Gemeinde, als was seine Privatleben angeht — Pessimist; in Amerika fast jeder Optimist. Der Optimismus gilt drüben als selbstverständlich, gewissermaßen alseine „Anstandssache"; der naive Glaube anden „Fortschritt" ist dieser Nation in Fleisch und Blut übergegangen. Der Amerikaner gibt sich nie geschlagen; verliert er heute sein Vermögen, so beginnt er morgen von neuem das Funda ment künftigen Wohlstandes zu legen. Der moralische Mensch kann sich an dieser, hier nur auf ökonomischem Gebiet sichtbaren Regenera tionsfähigkeit ein Beispiel nehmen. Mit jedem neuen Morgen kann ein neues, schöneres, reicheres Dasein für uns beginnen, wenn wir dessen gedenk find, daß keine Stunde, keine Minute uns wiederkehrt. Denjenigen unter uns, die auf die politische Entwickelung unseres Vater landes einen stärkeren Einfluß üben, erwächst aus solchen Betrachtungen das Gefühl ernster Ver antwortung. Tin jeder von uns muß danach streben, daß möglichst vielen Deutschen ein menschenwürdiges Dasein geschaffen werde, ein reinliches Heim, ausreichende Nahrung und ein paar Stunden täglicher Ruhe, denn „der Mensch lebt nicht von Brot allein". Durchaus falsch ist die Alternative, ob man entweder ein paar „Edelmenschen" züchten oder „möglichst vielen möglichst viel Glück" bereiten wolle. Vermutlich werden die Elite-Exemplare der Menschheit am besten in denjenigem Volke gedeihen, dessen „Glücksniveau" am höchsten liegt. Den Satz, daß hohe Kultur nur möglich sei, wo in düsteren Gründen eine Schar gefesselter Sklaven frohne, können wir nicht gelten laßen. Christus ist allen auferstanden, die Natur duftet und leuchtet allen, und alle ver nehmen, wenn sie nur recht zu lauschen wißen, in ihrer Brust die Mahnerstimme: Excelsior! Hinauf zur Höhe! KsnMlche Gsternpvlitik. (Von unserm Pariser ^-.-Korrespondenten.) * Paris, 25. März. Am 24. April beginnen die Neuwahlen für die Deputiertenkammer — die Herren Abgeordneten geben voll Aufregung in die Osterferien, die nicht der Er holung, sondern Programmreden und Turneen durch den Wahlkreis gewidmet sein werden. Werden die Wähler mit ihren Erkürten von 1906 zufrieden sein? Wird der Radikalismus, der fast die ganze Republik erobert hatte, wiederum zwei Drittel der jetzt auf 597 vermehrten Sitze behaupten? L^on Bourgeois sagt ja. Der frühere radikale Ministerpräsident, der sich in den letzten Jahren etwas im Hintergrund hielt, aber wieder hervortreten zu wollen scheint, hat in Montmirail eine Rede gehalten, in der er zunächst gegen die beabsichtigte Wahländeruna, gegen die Listenwahl, Stellung nahm, für die alle Gegner der Republik einträten; die Darlegungen Bourgeois' sind geeignet, den etwas gesunkenen Mut der Radikalen neu zu beleben ..Die Gefahr der Proportionellen Wahl erschreckt mich nicht", sagte er. „Unsere Gegner haben es nacheinander mit den verschiedendsten Kriegs maschinen versucht, wir kannten den 16. Mai, den Boulangismus, den Nationalismus; wir werden auch mit den Proportionalisten fertig werden. Der Zorn unserer Gegner richtet sich hauptsächlich gegen die Laienschule, die das Herz, die Zitadelle der republikanischen Festung ist und wo man das Heer für morgen vorbereitet, das für die Demokratie kämpfen wird. Es ist bekannt, daß der Lehrer, Sohn der Republik, der Jugend die Liebe für die Republik in Fleisch und Blut übergehen läßt. Was tut man nicht darum, um diese Schule zu ver leumden? Die Summe der von der republikanischen und radikalen Majorität durchgeführten Reformen ist zu bezeichnend, daß man die Republik nicht mehr in ihren Handlungen und Werken anzugreifen wagt. Die radikale Partei wird unentwegt in ihrer Arbeit fortsahren. Noch sind die Reformen ungenügend, noch gibt es oben zu viele Privilegien, unten zu viele Entbehrungen. Die radikale Partei verschließt sich nicht rn eine enge Parteiformel; wie die Demokratie selbst erweitert sie sich unaufhörlich und macht Fortschritte nach der Formel eines immer größeren, stärkeren, friedlichen und ruhigen Frankreichs. Daraus erklärt es sich, daß die radikale Partei seit 1898 unausgesetzt am Ruder war, bald mit ihren eigenen Führern, bald mit den Führern benachbarter Parteien. Haben wir also Vertrauen in die Zukunft. — In den häufigen Unterredungen, die ich mit ausländischen Partei führern und Staatsmännern hatte, bemerkte ich zu meiner großen Zufriedenheit, daß man nur in Frank reich schlechtes über Frankreich sagt. Im Ausland höre ich immer wiedersagen: „Wie Frankreich doch groß und schön ist! Wie stolz es sich wieder auf gerichtet hat!" Wir dürfen diese Bezeugungen ehr licher und überlegter Bewunderung für das Wachsen der französischen Demokratie schon hinnehmen; denn man ist erstaunt, daß die Demokratie in vollster Unabhänigkeit so klug und vernünftig geblieben ist. Draußen bestreitet niemand, daß die republika nische Partei über den häßlichen Geschichten steht, die ein wenig überall das öffentliche Leben stören; man muß zu unterscheiden wißen, was den Parteiführern aufzubürden und was menschlichem Elend zuzu schreiben ist." Mit dieser letzten Anspielung auf das kleine Panama der Kloster-Liquidation berührt Bourgeois den wunden Punkt — die radikalen Wahlkandidaten vermögen sich nicht zu verheimlichen, daß die Unter schlagung des Liquidators Duez und die Machen schaften der andern Liquidatoren im Lande einen bösen Eindruck gemacht haben. Es fehlt auch diesmal an einer zündenden Wahlparole gegen die Reaktion: 1898 war es noch der Dreyfusismus; 1902 und 1906 ging es gegen Nationalismus und gegen Klerika- lismus. Mit all' dem ist es vorbei. Die Geistlich keit sammelt zwar ihre «charen mit ihrem Streitruf gegen die kirchenfeindliche Staatsschule, aber alle rein politischen Reaktionäre haben, gewitzigt von ihren früherenNiederlagen, sowohl den Patriotismus wie die Frömmigkeit aus ihrem Programm ausgeschaltet. Sie tummeln sich auf dem Schlachtfeld der Wahlreform, die auch den parlamentarisch nur schwach vertretenenSozia- listen angenehm wäre, weil damit den machtlosen Minoritäten neue Aussichten erwüchsen. Selbst der Herzog von Orleans hat in seinen Wahlempfehlungen an die royalistischen Kandidaten auf all' seine früheren Schlagworte verzichtet; er ruft nicht die Hilfe Gottes an und redet nicht vom glorreichen Frankreich; zur allgemeinen Ueberraschung empfiehlt er Mäßigung und Gehorsam sogar den Offizieren. Es soll im Dunkeln gegen die Republik gekämpft werden; man will so tun, als könne man es hinfort der Republik selbst überlaßen, sich zu selbstmorden, da das Land bald von diesem Regime politischer Ausbeutung und Unordnung genug haben werde. Ein geheimer Bund, wenigstens ein Zntereßenbund, besteht mit der äußersten Linken, deren der Radikalismus heute nicht mehr bedarf und die sich nicht minder in die Ecke gedrückt sieht wie die alte Opposition rechts. Ohne bonapartistische, royalistische oder klerikale Fahne sucht man die Sammlung einer großen Partei zu ermöglichen, der Partei aller Unzufriedenen, die zu nächst mit dem Herrn des Tages, dem Radikalismus, ausräumen soll; das weitere wird sich finden. Auch eine andere Drohung wird gegen die Radi kalen laut: Die Beamtenschaft ist unzufrieden, weil man ihr das versprochene Äereinigungsstatut noch nicht gegeben hat. Eine von 2000 Postbeamten be suchte Versammlung erklärte vorgestern einstimmig, daß die Beamten sich wegen des von Clemenceau verübten Verrats rächen und gegen alle Mitglieder seiner Majorität im Wahlkampf agitieren müßten. Die radikalen Kandidaten haben noch andere Be sorgnisse: Werden die Wähler der Ansicht sein, daß die geieistete Arbeit während der vergangenen Legis latur genügte? Die Arbeiterpensionen wurden zwar endlich vom Senat votiert und werden von der Kammer, bevor sie sich auflöst, in der lange nicht völlig befriedigenden Faßung angenommen werden. Aber das ist auch alles; die Einkommensteuer, mit der so viel Zeit verloren wurde, ist begraben wor den. Nur eine scharfe Zollrevision ist die Ostergabe, die in Belgien, Deutschland und anderen Ländern Repressalien zur Folge haben wird. Freilich nach außen hin hat sich Frankreichs Macht unter der Herrschaft des Radikalismus so gemehrt, daß der Optimismus des Herrn Bourgeois gerecht fertigt ist. Der Bund mit Rußland besteht fort, die Freundschaft mit England, Italien, Spanien und Portugal festigt sich; Marokko wird sichtbar von Tag zu Tag mehr dem großen afrikanischen Kolonialreich einverleibt. Deutschland sucht sich der Republik zu nähern — wenn die republikanischen Kandidaten ihren Wählern von der äußeren Politik Frankreichs reden, werden sie gern angehört werden. In dieser äußeren Politik herrscht allein frohe, ungetrübte Osterstimmung. Deutsches Reich. Leipzig, 27. März. * Gegen den Entwurf zur Entlastung des Reichs gerichts wendet sich in der „Köln. Ztg." der bekannte Münchner Nechtsgelehrie v. Seuffert in längeren Ausführungen. Er weist zunächst darauf hin, daß oie Einführung des sog. Disformitätsprinzrps berercs von der berühmten Zustizkommisnon des Reichstags im Jahre 1875, abgelehnt worden sei, und giriert dafür Aussprüche des nationalliberalcn Abgeordneten Lasker und des Zentrumsabgeordneten Neicäen- spergcr. Er erklärt dann die Kombination der beiden Voraussetzungen des Entwurfs für den Zugang zur dritten Instanz (Rcoifionssumme und Difrormi'äi» für äußerst bedenklich. Eine solche Sperrung der dritten Instanz gebe es in keinem Gesetz irgend eines Landes. Endlich hegt er auch gegen die >og. kleineren Mittel zur Entlastung des Reichsgerichts sehr schwere Bedenken. Als bessere Maßregln, zu dem angestrebten Ziele zu gelangen, erscheinen ihr,, die Reduktion der Senatsbesetzung auf fünf Richter und die Errichtung eines preußisch.'« oberstenLandesgerichts. — Die Nettesten der Kaufmannschaft von Berlin haben, w c wir weiter mitteilen, befchlossen, den Korporations mitgliedern über die in jenem Gesetzentwurf ent haltenen Vorschläge einen Vortrag hatten zu lcrfiec. Es ist ihnen gelungen, eine Autorität auf dem Ge biete der Rechtswissenfchaft, Wirk!. Geh Rat Pwf. Dr. Wach (Leipzig) zu gewinnen. Der Vortrag wird in der zweiten Hälfte des April in der Aula der Handelshochschule zu Berlin stattfind'n. Gesuche um Eintrittskarten sind an die Registratur der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin, Berlin 6 2, Neue Friedrichstraße 51, zu richten. * Die Reform des höheren Mädchenbildungswejens im Königreich Sachsen ist dem Abschluß ein Stück näher gekommen. Die „Korr. des Dtsch. Lehrervereins' schreibt aus diesem Anlaß: „Das Gesetz hat die Erste Kammer passiert und harrt nun noch der Beratung durch die Zweite Kammer. Der Vorschlag der Regie rung, für die öffentliche höhere Mädchenschule auch die weibliche Leitung zuznlaßen, kam zu Fall; die
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