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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 22.11.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-11-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191011223
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19101122
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19101122
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1910
- Monat1910-11
- Tag1910-11-22
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, Bezugs-Preis «ftr L»d -Vorort« durch »»irr« lrtaor und bvrdueurr 2m «l ttgltch in» Hao« gebrachl. vv üvnalU, ft.70^ft virrtelithr! vet uinrrn Filialen u. Lu» nahmeslellea abgetzoli, 72 H monatl., >.22 viertrliLbrl. Durch Vtr Poft: «uuerhsld Deuvchland« u»b der deuckchen Xolonieu vlerreliLhr! V.V« momul. l^ift aulichl. Posldeslellgew ferner in Belgien, Dänemark, den Doaauiiaaten, Jkalien. Uuiemdurg, Niederlande, Nor wegen, Oesterreich Ungarn, lstustland, Lchweden, Schweiz n Spanien Ja allen übrigen Staaten au» birelr durch di« S«!chcht»li«lle »e« Blatte« erhältlich. Da« Leipziger kage0>att erlchemi 2 mal '«glich, Sonn» u. Feieriag» nm morgen». Lvonnemeni-Annavm» Augustu-platz 8, der unteren Drägern, ,j0la:en Suebikeuren und Annahmestellen, sowie Postämtern uno Bnesträgern. Sinzeloee kaui »prei« der Morgen- aurgtb« 1t» ->» der Abend tutgade 2 Morgen-Ausgabe. HtWigtr Tagtblalt Handelszeitnng. Amtsblatt des Nates und des Notizeiamtes der Ztadt Leipzig. Anzeigen-Preis tftr Inserate «u« Leipzig und llmgedun^ di« Sgeipalten« SV nun breite Petit,eile 22 ch, di« 74 mm breite Reklamezeile l vmr »»«wärt« M ^z, Steklamcn USt Inserate von Behörden >m amilichen Teil dt« 74 wm brrite Petitzeile 40 »eschäittan,eigen mit Piahvorschristen u»d w der Adendauigabe im Preise erlnibi. Aabaii nach Daris. Beilagegedübr 2 p. Dausen» exkl. Postgebühr. siesterteilt« Auiträge sännen nicht zrrük- gezogen werben. Für das strscheiuen an bestimmten Tagen und Plätzen wird lein« Garantie übernommen. Anzeigen» Annahme: Nugnstutzplatz i-, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoneen- iLxpedliionen de» In» und Au«Iandc«. Nedakkton und Vrschästäftelle Johann,Sgaste 8. Fernsprecher I46SL 1469», I46L4 Haupt-Filiale Dresden: keestraße 4,1. (Delcphon 462i-. Nr. 322. Oss MüMNe. Der sächsische Landeskulturrat spricht sich gegen die Einfuhr französischen Schlachtviehes yus. (S. d. Kes. Art.) * Der Kaiser verlas anläßlich der Ein ¬ weihung der neuen Marineschule in Mürwick eine Kabinettsorder über die Ausbildung der Seeoffiziere. (S. d. bes. Art., * Der P a pst soll nächstens einMotuproprio veröffentlichen, worin er unter Androhung der schwersten kanonischen Strafen dem Klerus ver bietet, sich an Bankgeschäften oder finan ziellen Gesellschaften zu beteiligen. * Der französische Kabinettsrat ver ständigte sich über einen Gesetzentwurf zur Unter drückung der Sabotage. * Zn Zacatecas (Mexiko) erfolgten neue schwere Unruhen, bei denen über 100 Personen getötet wurden. (S. Ausl.) Oie englischen Suffragetten. Der Kampf, der gegenwärtig in England um ein ganzes Bündel staatsrechtlicher und politischer Fragen geführt wird, die alle in der Oberhausfrage darinstecken, ist eine sehr ernste Sache. Zweikammersystem oder — ver schleiertes — Einkammersystem, Erhaltung oder Zerstörung der altaristokratischen Prinzipien des englischen Berfassungslebens, Freihandel oder Schutzzoll, Samtpfötchen oder Eisenhand gegenüber den Iren — um all das und mehr noch geht es. Solche ernste Dinge pflegen in dessen den modernen, durch eine unsachliche Sensationspresse schlecht erzogenen Zeitungsleser nicht sehr zu fesseln. Und so mag der denn den Suffragetten dankbar sein, die zu dem Ernst des großen Kampfes das fügen, was der ästhetische Sinn des Griechen der Tragödiendreiheit im Satyrspiel angliederte. Das Frauenstimmrecht ist ganz gewiß ein sehr gewichtiges Problem«. Wir wollen es nicht vergessen. Dem aber, der das vergessen will, bieten die englischen Suffragetten die allerbesten Handhaben dafür. Die Art und Weise, in der sie für ihre Forderungen kämpfen, ist nicht nur geeignet, dem Menschen von leid lichem Geschmack arg auf die Nerven zu gehen, sie beraubt weiter auch die vertretenen For derungen jedes Kredits beim nachdenklichen Staatsbürger. Das sollten die Anhänger des Frauenstimmrechts eigentlich den Amazonen des Londoner Straßenulks stark verübeln. Die Suffragetten haben die Art, in der in schlechten Humoresken Frauen ihren Gatten eine Seidenrobe oder einen Riesenhut abtrotzen, in die Oeffentlichkeit übertragen. „Seien wir so ungezogen als uns irgend möglich, dann kann es uns auf die Dauer nicht fehlen" — das ist das eine hehre Prinzip, das die Taktik der Damen bestimmt. Es schließt sich sinngemäß mit dem zweiten zu einer Einheit zusammen: „Geben wir der Sensationslust recht reichliches Futter!" Man muß bekennen, daß die be teiligten Damen diesen schönen Grundsätzen mit einer bewundernswerten Kaltblütigkeit treu bleiben. All die Kindereien der ersten Zeit werden noch heute bei paffender Gelegenheit wieder verübt. Nur will es scheinen, als ob mit der Dauer dieser Kindcrtaktik die Sache immer grotesker gehandhabt wird. Prügeleien mit den Konstablern, diesen so höflichen und zurückhaltenden Hütern der öffentlichen Ordnung Londons, sind ja schon früher an der Tages ordnung gewesen. Aber die Vorgänge, die jetzt aus dem Umkreis des Parlamentsgebäudes ge meldet werden, scheinen das Erlebte doch nicht unerheblich zu übertreffen. Unseres Wissens ist es auch ein Rekord, den die kriegerischen Damen damit ausgestellt haben, daß sie zur Verhaftung von 117 aus ihrer Schar zwangen. All das ist sehr leicht erklärlich. Nicht nur, daß der bekannte Satz von der schiefen Ebene auch hier Geltung beansprucht. Es kommt weiter hinzu, daß es in London eine Zeitlang Mode war, die Frauenstimmrechtlerin zu mimen. Es war smart, an den Straßenaufzügen sich zu be teiligen; es war sehr smart, für eine oder ein paar Nächte ins Gefängnis zu wandern. Die Zeiten scheinen vorbei. Allmählich scheint sich die Erkenntnis Bahn gebrochen zu haben, daß Prügeleien mit Schutzmännern, mögen sie mit der robusteren Waffe der Ohrfeige oder mit dem mehr weiblichen Kampfmittel des Kratzens Dienstag, üen 22. November isio. 104. Jahrgang. zur Entscheidung gebracht werden, doch für eine s English Lady aus guter Familie immer noch reichlich shocking sind. Die ewige Wiederholung derselben Scherze bot zudem aus die Dauer nicht mehr den Genuß, den sie zu Anfang zu geben vermochte. So ist es gekommen, daß die Suffragettenbewegung langsam abge flaut ist. Man hat lange nichts Rechtes mehr non den Damen gehört. Und als jetzt die Füh rerinnen zum Kampfe riefen, damit das ernste Schauspiel der Männerauseinandersetzung nicht des scherzreichcn Satyrspieles ermangele, da sind wohl nur die Veteraninnen des alten Heer bannes gekommen. Das fluktuierende Element der Freischärlerinnen scheint so ziemlich ausge blieben zu sein. So erklärt es sich, daß cs in der Feldschlacht an der Themse gar heiß herging. Erprobte Kriegerinnen stritten hier gegen den höflichen Konstabler, der angesichts soviel weiblichen Liebreizes der Versuchung widerstand, vom Gummiknüttel Gebrauch zu machen. Pardon wurde ihm gleichwohl nicht gegeben. Die Schergen finsterer Manncstyrannei empfingen Ohrfeigen und Kratzwunden und hatten sich des öfteren zu bücken, um den herunter geschlagenen Helm wieder von der Erde aufzu langen. Trotzdem hielten sie aus und behaup teten das Feld. Der riesigen Weiberschar glückte es nicht, die Konstablerreihen zu durch brechen und im geheiligten Bezirk des Parla mentes selbst weitere erstaunliche und erschreck liche Heldentaten zu vollbringen. Das ist eigentlich schade. Denn dabei wären alle auf ihre Kosten gekommen: die Suffragetten, deren Ehrgeiz doch auf die Dauer durch Prügeleien mit den Konstablern nicht befriedigt werden kann; die Konstabler, denen dann für das nächste Mal sicherlich nicht wieder so freund liche Schonung der Angreiferinnen angesonnen worden wäre; alle, die sich der Sensation freuen: und, schließlich, auch die Minorität der Leute, die gern möchten, daß ernste Dinge ernst traktiert werden und nicht durch das Betätigungsbedürfnis irgendwelcher lächerlicher Damen zur Komödie herab gewürdigt werden. Denn eins ist sicher: Soviel der Engländer auch geneigt ist, sich vom schwachen Geschlechte gefallen zu lassen, hiergegen würde er doch mit aller Entschiedenheit Front ge macht haben. Die fast religiöse Ehrfurcht, die der Engländer den durch die Geschichte ge weihten verfassungsmäßigen Institutionen ent gegenbringt, würde nicht geduldet haben, daß die Damen vom Stamme Pankraz den Kriegs pfad noch einmal in die Wandelgänge des Parlamentsgebäudes verlegt hätten. Was bisher immer noch ausgeblieben ist, wäre dann cingetreten: der Unwille aller Ver ständigen hätte die Suffragetten des mora lischen Rückhalts beraubt. Und damit dürfte es mit ihrer Herrlichkeit zu Ende ge wesen sein. Ser Sailer in Mürwick. In der gestrigen Abendnummer teilten wir bereits kurz mit, daß sich der Kaiser am Montag von Kiel nach Mürwick begeben hat und dort bei der Ein weihung der neuen Marineschule eine Kabinetts order verlas, die sich auf die Ausbildung der See offiziere bezog. Ueber den Mürwicker Kaisertag liegt folgender ausführlicher Bericht vor: Mürwick, 21. November. (Tel.) Gegen 10 Uhr ging die „Deutschland" mit den Begleitschiffen in der Flensburger Förde vor Anlcr. Der Kaiser begab sich an Bord des „Sleipner" nach Mürwick. wo er gegen 11 Uhr eintraf. Nach Begrüßung der zum Empfange Erschienenen, darunter des Staatssekretärs v. Tirpitz, betrat der Kaiser die Marineschule. In der Turn balle ging sodann die Einweihungsfeier vor sich. Hierbei verlas der Kaiser an die Fähnriche folgende Ksdlnettsorüer. „Ich will bei meinem ersten Besuch in der neuen Marineschule an die jetzigen Schüler, aber auch an alle nachfolgenden, einige Worte richten über den Seeoffizierberuf und über die Aufgaben bei der Erziehung des Seeoffiziernach wuchses. Ich brauche nicht zu betonen, wie sehr mir das Seeoffizierkorps, dessen Uniform ich trage, ans Heu gewachsen ist. Ich kenne cs von meiner frühesten Jugend ab. Ich habe es schätzen gelernt in seinen vortrefflichen Leistungen in der Führung meiner Schiffe im Zn- und Aus lands und bei der ganzen Entwicklung der Marine. Ich liebe den Beruf, den Sie, meine jungen Kameraden, sich gewählt haben, und ich habe volles Empfinden für alles dos Schöne und Stolze, was Ihnen der Beruf, namentlich in den frühzeitig er reichten selbständigen Stellungen, bietet. Aber ich weiß auch, wie viel Entsagungen er von den einzelnen fordert, und daß ein ganzer Mann dazu gehört, immer mit Freudigkeit den schweren und verantwortungsvollen Dienst zu tun, der Ihnen zufallen wird. Schon die Marineschulzeit ist keine leichte. Der Seeoffizier muß sehr viel lernen. Er soll ein gebildeter Mann im allge meinen Sinne sein, und er soll sich «in weit gehendes technisches Wissen aneignen. Das erfordert viel ernste Arbeit über den Büchern, und dies ist doppelt schwer nach dem einen Bahr an Bord, welches Sie in vorzugs weise praktischer Ausbildung und unter den erfrischenden Eindrücken der Auslandsreise zuge bracht haben. Denken Sie bei der Arbeit daran, daß sic nicht nur ein Ansammeln von Wissen be deutet, sondern daß sie auch ein Ausdruck von Pflichtgefühl und Energie ist und damit für die Bewertung der ganzen Persönlichkeit ins Ge wicht fällt. Unsere Zeit braucht ganze, sogar eisenharte Männer, daher kommt es auf die Persönlichkeit.denCharatter in ersterLiniean. Diese Charakterbildung zu fördern ist die wichtigste Ausgabe Ihrer Vorgesetzten, aber es ist vor allen Dingen auch die Aufgabe jedes einzelnen von Ihnen. Arbeiten Sie sich durch zu einer streng sittlichen, auf religiöser Grundlage ruhenden Lebens anschauung. zu einer der gegenseitigen Verant wortung sich bewußten Kameradschaft, zu ritter lichem Denken und Handeln, und umschiffen Sie so die Klippen, an welchen leider immer noch so viele junge Offiziere scheitern. Begeistern Sie sich an den großen Vorbildern der Ge schichte, die ihnen lehren, daß es geistige Kräfte sind, welche den Sieg erfechten und nicht zuletzt die Seelenstärke, welche dem Gottesglauben entspringt. Dann werden Sie, mit hohen Zielen vor Augen, alle Härten und Schwierigkeiten des Berufes leicht überwinden und so Offiziere werden, wie ich sic mir wünsche und wie das Vaterland sie braucht: stolze und wetterfeste Männer im Sturme des Lebens. Im Anschluß an die Kaiserworte dankte der Direktor der Marineschule und schloß mit einem dreifachen Hurra auf den Kaiser. Hierauf wandte sich der Kaiser nochmals an die Fähnriche mit einer Ansprache, in der er sich gegen die Trink unsitte aussprach, die die Nerven untergrabe. Der Chef des Marinekabinetts gab eine Reihe von Aus zeichnungen bekannt, die der Kaiser den betreffen den Herren selbst aushändigte. Nach einein Rund gang verließ der Kaiser um 1'F Uhr die Schule und ging bei Holnis wiederum an Bord der „Deutsch land", wo ein Frühstück stattfand. Während des Frühstücks wurde die Rückfahrt nach Kiel an getreten. Gin neues Memoiren-Luck. Der Freundlichkeit des Verlages von Karl Lurtius, Berlin, verdanken wir Aushängebogen des soeben im Erscheinen begriffenen, für die politische Zeitgeschichte möglicherweise nicht unwichtigen Buches „Politische Erinnerungen 1806—1910" von W. Kulemann. Der Verfasser, ein Land gerichtsrat, vertrat in den Jahren 1887—1890 den Wahlkreis Eantersheim im Reichstage und war Mit glied der nationalliberalen Fraktion. Aua, außer halb des Parlaments hat er sich am politischen Leben außerordentlich rege beteiligt und dabei als ein Mann von gesunden liberalen Anschauungen und oon festem Willen, diese Anschauungen in die Tat um- zusetzen, erwiesen. Wir wollen nur einige kleine Proben geben, um bei den politisch interessierten Staatsbürgern Interesse für das Buch zu erwecken. Ein Urteil müssen wir uns Vorbehalten, da aus den Aushängebogen infolge ihres fragmentartigen Charakters unbedingte Schlüsse auf das Ganze mit Sicherheit noch nicht gezogen werden können. Zu nächst sei yerausgegrissen, wie Kulemann das Ver hältnis der beiden Führer der natio- nalliberalcn Partei während seiner parla mentarischen Tätigkeit angesehen hat: „Bennigsen war der Staatsmann, der stets von großen Gesichtspunkten ausgehend, die einzelnen Fragen nach dem Maßstabe seiner politischen Grund anschauung beurteilte. Ihm fehlte gewiß nicht die gemütliche Anteilnahme an den Ereignissen, aber sie trat äußerlich selten hervor, so daß die Zuhörer das Gefühl haben konnten, als ob bei ihm die kühle, ver standesgemäße Erwägung durchaus im Vordergründe stände. Miguel war demgegenüber ein Mann des Temperamentes, dem die Sorge, ob seine Stellung nahme zu den einzelnen Fragen stets als Ausfluß einer einheitlichen Grundanschauung erscheine, oder den Eindruck der Inkonsequenz hervorriefe, erst in zweiter Linie stand. Ja, ein allzu logisches Vor gehen war seiner Anlage, die Dinge gewissermaßen intuitiv zu erfassen, geradezu entgegen. Ich erinnere mich, daß er über den Fraktionsgenossen Struckmann sich einmal mit einem leisen Spott dahin äußerte: „Der Kollege Struckmann ist ein prächtiger Mensch, ein gewissenhafter und fleißiger Arbeiter, aber er schenkt uns keinen einzigen Zwischcngedanken" .... Beide waren allgemein anerkannte politische Koryphäe». Sprachen sic, so füllte sich der Saal, und jeder hörte gespannt zu, denn, was sie sagten, war immer geistvoll und interessant. Auch in der äußeren Form waren beide Meister: ihre Reden konnten ohne jede Korrektur gedruckt werden. Aber damit war auch die Gemeinsamkeit zu Ende, und es begann die Ver schiedenheit. Was Bennigsen sprach, war groß angelegt, klar, durchsichtig, aber etwas nüchtern; er überzeugte, aber er riß nicht fort. Miquel um gekehrt wirkte suggestiv auf die Zuhörer; er regte die Phantasie an und konnte geradezu in eine begeisterte Stimmung versetzen. Aber man hatte das Gefühl, daß man einer augenblicklichen llcberredung Raum gäbe und daß man vielleicht am folgenden Tage einsehen wurde, daß in den Ausführungen verhängnisvolle Fehler und Trugschlüffe steckten." In ähnlicher Weise gibt Kulemann Porträts vom Fürsten Bismarck, von Liebknecht. Bebel, Singer und anderen im politischen Leben des letzten Menschen alters hervorgetretenen Persönlichkeiten. Natürlich sind diese Urteile nur als persönliche Impressionen einzuschätzen, die hier und da der Korrektur bedürfen und zweifellos, soweit dabei sachliche Mitteilungen gemacht werden, auch torrigiert oder wenigstens kommentiert werden. Ueber das Periönlichc hinaus weist ein gerade für die Gegenwart aktueller Passus des Buches, der die Frage der staatsbürger lichen Erziehung streift und vor allen Dingen der Notwendigkeit einer politische» Bildung der Studenten das Wort redet. Es heißt da: „Der Jurist sollte ja eigentlich auch Volkswirt schaftliche Kollegien besuche», und ich persönlich hatte das auch wirklich getan. Aber was helfen denn theoretische Vorträge einem jungen Menschen, der soeben aus der Welt des Griechen- und Römertums kommt und oon den Fragen der Gegenwart, insbc sondere aber von volkswirtschaftlichen Dingen, nicht die leiseste Ahnung hat? Es ist ganz zweifellos eine berechtigte Forderung, daß die studen tische» Kreise, aus denen doch schließlich die Männer hervorgehen, die im öffentlichen Leben in erster Linie wirken sollen, in die dabei in Bc tracht kommenden Gebiete in einer Weise eingeführt werden, daß, auch wenn sie aut tun. sich bei Bildung eines eigenen Urteils möglichster Bescheidenheit zu befleißigen, sie doch die Vorkenntnisse besitzen, die erforderlich sind, um demnächst im Kampfe der Geister Stellung zu nehmen. Wenn man einwendet, den Studenten fehle cs für diesen Zweck an der nötigen Reife, so ist zu erwidern, daß ein völliges Fernhalten von den Strömungen, die heute das ganze Volk bis in seine Tiefe aufwühlen, doch nicht erreicht werden kann, und daß es deshalb bester ist, wenn sie mit ihnen ver traut werden unter Anleitung von bewährten Fach Guten, als wenn sie lediglich sich selbst und de» Ein flössen ihrer zufälligen Umgebung überlasten werden " Wir begnügen uns mit diesen paar Proben und glauben sagen zu können, daß das Buch in politischen Kreisen jedenfalls viel gelesen und viel besprochen werden wird. Ob es für die politische Geschichte einen Wert besitzt, ist eine Frage, die erst nach dem Erscheinen des Buches beantwortet werden kann. Das Buch kostet brosch. 2,50 »tt, geb. 3,50 -K. Sachsen und Rom. Am Donnerstag der vorigen Woche erklärte der Papst in einem Handschreiben an den Bischof Schäfer, daß er über die schwere Ungercchtigkeir, die dem König durch den Baron Mathies zugefkigt worden, tief betrübt sei. und daß er sobald als möglich öffentlich widerrufe und eine Entschuldigung des Baron Mathies herbeiführen werde. Jetzr bringt das „Berl. Tagebl." eine Meldung aus Rom, die, wenn sie der Wahrheit entspricht, das Handschreiben des Papstes in einem recht eigenartigen Lichte erscheinen läßt. Ter erwähnte Bericht lautet: „Im Gegensätze zu den deutschen Meldungen hat die Affäre Matthies in Rom keinerlei besonderen Eindruck gemacht. Zwischen dem Vatikan und dem König von Sachsen bestehen andauernd freundliche Beziehungen und Briefverkehr, denn im Vatikan war man diplomatisch genug, um zu ver stehen, daß der bekannte Protest des Königs gegen die Enzyklika unter dem Drucke der öffentlichen Meinung entstand, und daß der König wohl nicht anders handeln konnte. Dieser Zwischenfall wiro also dem Könige hier nicht weiter nachgctragen. Was die Schrift des sogenannten Baron Mathies betrifft, so ward und wird diese im Vatikan völlig ignoriert. Immerhin dürfte, wie verlautet, aus Rücksicht auf den König von Sachsen Herrn Baron Mathies der Titel eines „Hausprälatcn" entzogen werden." Also: weil es nach Ansicht der Kurie dem König gar nicht recht ernst um seinen Protest gewesen sein kann, will man ihm seinen Schritt nicht weiter „nachtragen d Ultramontanc Keckheit übertrifft sich selbst. Wir meinen, daß diese römische Auffassung der Dinge für unseren König noch eine größere Beleidigung ist. als der Geifer des Baron de Mathies, dem man nunmehr den Titel eines „Hans prälatcn" entziehen wird. Wann kommt übrigens der Widerruf? Der ^andrslmliurrat gegen die Einfuhr französischen SchlschNnrhes. Wie schon mitgetcilt, ist die sächsische Staatsregierung schon seit längerer Zeit in Erörterungen darüber eingetreten, ob es an gezeigt sei, zur Linderung der Fleischnot für Sachsen ähnliche Einfnhrcrleichtcrungen für Schlachtvieh zu gestatten, wie sie jetzt in Baden und Elsaß- Loth ringen bestehen und in Bayern geplant sind. Bevor das Ministerium hierüber Beschluß faßte, sollte erst noch der Landeskulturrat über die Sache gehört werden. Der Landeskulturrat nimmt nun zu der wichtigen Angelegenheit das Wort und erläßt soeben in seinem Amtsblatt, der „Sächsische» Landwirtschaft lichen Zeitung", folgende Kundgebung: „Im Einverständnis mit der Reichsregicrung hat die badische Regierung gestattet, daß nach d"n Schlachthösen von Mannheim. Karlsruhe und Heidelberg französisches Schlachtvieh cingefühn werde. Nach Karlsruhe und Mannheim dürfen wöchentlich 400 Rinder und 400 Schweine, nach Heidelberg 50 Rinder und 100 «chwcinc zugeführt werden. Diese Maßnahme ist um so u n v e r st ä n d- kicher, als Frankreich selbst hohe Fleischpreise aufweist. Auch ist der dortige Viehbestand durchaus nicht so groß, daß von einer nennenswerten Einfuhr die Rede sein tann. In Deutschland kommen auf 1000 Einwohner 335 Stück Rindvieh und 360 Schweine, in Frantrcich aller dings 360 Rinder, aber nur 180 Schweine. Eine Verbilligung des Fleisches in den Groß städten wird demnach kaum zu erwarten lein. Anderseits aber sind die einheimischen Viehbestände einer vermehrten Seuchengefahr ausgesetzr. In Sachsen kann ein derartiges Vorgehen überhaupt nicht mehr in Frage kommen, da das Angebot oon Schlachtvieh bereits im Oktober dieses Jahres auf allen vier Schlachtviehmärkten sowohl im Vergleich mit dem September 1910 als auch mii dem Oktober 1909 an den meisten Markttagen st a r k gestiegen ist. Daß Schlachtvieh in genügender « Zahl vorhanden sein muß, geht auch ans der Tat»
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