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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 29.03.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-03-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191403298
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19140329
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19140329
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1914
- Monat1914-03
- Tag1914-03-29
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Sonntags-Ausgabe für Leipzig uns Vorort» Lurch unser« Lrgaer VLAllASPrLI^L» uaSSpeSiteur«rmoltaglta>l»»you»g»deachtr monatlich i rr M.. vierirltiihrtich Z.7S M. Sri Ser OrlchLKsfteU«, unfern Lillalea u»S fluogabesteUen adgeholt: monatlich IM., vierteljährlich SM. durch Li» Poll: Innerhalb veutschlanL» un» Ser Seutfchen Kolonien monatUch l.SS M-, vierteljährlich 4.50 M.. auoschliehllch polldestellgelL. vaoLetpzlgerilageblatt »rfcheint werktags »mal,Sonn»u.Zeiertagstmal. S« Leipzig, Lea Nachbarorten unL Len Orten mit eigenen Zillaiea wlrL Li« fidenLauogade noch am MdenL Le» Orscheinea» in» Haus gellesert. Vrrllner NrSaktion: Sn Sen Zelten 17, Zernfprech-stnschlu-: Moadlt Nr.«7. /lrrrtsblockt des Rates urrd despolizeiarrrtes der Stadt Leipzig NeLaktiou unL OefchSftsstelle: Zohonnlsgaff» Nr.«, s Zernfprech-Mafchlu- Nr. I4»»r, 14L4S unL I4L44. ISS. Jahrgang »»»»<«»- tür Sufrrat« au» Leipzig unL Umgebung Li» /ANAeiAsNpreife. ispaUig»p»tttHett»4Sp,.,LI»N«Nom»e»U«,M., von auswärts SS Pf-, Nekiamen l.2S M., Kirin» stnzrigen »lrpetitzrtl« nur ropf.b wtc»rrhoi.Nod..llnferate von VekorSen im ainttichenLetl Sie Petit zeile SS pf. Oefchofroanzeigen mit pioNvorschrift im Preise erhöht. Nadott noll> Laris. Sriiogenr Oelamtausl.rM. Sa» Laufens ausschl. Postgebühr. Kazetgen-Huaahm«: lohanntsgoste». bei sämtliOen Filialen Le» Leipziger LogedlaUes .unS allen Mnnoaeen-OxpeLitionen Se» Zn» uns fiuslanLes. OeschLstsstell» für oerttn u.Ste pr.Sranüendurg: vtrekttonwalterZliegel. Verll» iv. >», MargarethenstraH» «. Zerufprech-stnschiuH: Lühow >»7>. m. »60 Sonnisg, ürn 2S. Mac;. »Sl< Vas wichtigste. * Neber die Errichtung einer Pflicht- fartbildungsschule für Mädchcn in Leip- zig ist den Stadtverordneten eine Vorlage zugegan gen. ls. Art.) -— ' * Das Direktorium der Zweiten kam - m e r hat einen Antrag aus Aenderung der L a n d t a g s o r d n u n g eingebrocht. (2. Pol. Uebers.) * Nach einer ultrainontanen Zeitungskorrespon denz soll n o ch i n d i e s e m Za h r e das Jesuiten- gesch aufgehoben werden. (2. Dtschs. R.) Die Hauptbestiinmungen des Gesetzentwurfes über die Abänderung des Kaligesetzes vom 25. Mai 1910 werden bckanntgegeben. (2. Letzte Dep.) * Zn der Sitzung des Rochette-Aus- ichusses am Sonnabend vormittag entspann sich eine lebhafte Debatte mit häufigen Zwischenfällen. sS. Ausl.) * Italienische Truppen hatten in Tripolis heftige Kämpfe zu bestehen, (2. Ausland.) * Das chinesische Näuber Unwesen droht einen f r c m d e n fe i n d l i ch e n Charakter an zunehmen. (2. Nachr o. Tage.) Umschau. . Leipzig, 28 März Hr Die deutsche Presse hat sich im allge meinen mit der Wiedergabe der Berichte über dre Reise des Kaisers, die über Wien, Benedig und Triest nach Korfu führte, und die Be gegnungen mit Kaiser Franz Joseph, dem Könige non Italien unk? dem Erzherzog Franz Fer dinand begnügt, ohne daran weitgehende poli tische Betrachtungen zu knüpfen. Der Grund für diese anscheinend etwas gleichgültige Be handlung ist nicht unerfreulicher Art: die pott- tlschen Zusammenhänge sind uns selbstverständ lich geworden. Die Kaiserreise bestätigt nur das, was alle Welt weist und womit alle Welt rech net: das gute Einvernehmen der Dreibund mächte. Es wäre schlimm, wenn da noch über „Fragen" geredet werden müßte. Freilich, wem durchaus daran liegt, aus Wenn und Aber aller lei Gedankcnbrückcn hcrzustcllen, der wird es auch in diesem Falle nicht schwer haben, so etwas wie eine Dreibundfrage ans Licht zu fördern. Er wird z. B. einige Aeusterungcn der österreichischen und italienischen Presse aus greifen können, die den Wunsch verraten, die deutsche Politik möge sich bercitfindcn, auch da Bundeshilfe zu leisten, wo, sei es auf dem Bal kan, sei es in Kleinasien, die Kastanien im Feuer liegen. Aber das sind doch Wünsche, wie cs deren viele gibt. Mehrfach hat sich sa gerade bei den Balkanangelegcnheiten — man denke an das herausfordernde Gebühren Montenegros, ferner an Albanien — ein Zusammengehen und Zusammenhalten der Mächte des Dreibundes wie von selbst herausgestellt, und was die Aus schließung Kleinasiens angeht, so kommen zu nächst nur die Hoffnungen Italiens auf den Anschluß seines Eisenbahnunternehmens Ada- lia—Aidni an die deutsche Bagdadbahn in Be tracht. Sollte das Wirklich, wie italienische Blätter andeuten, in Venedig mit besonderer Dringlichkeit vorgetragen worden sein ? Wenn das geschehen sein sollte, so würde das gerade beweisen, daß im übrigen alles in bester Ordnung ist, und das „im übrigen" ist für den Dreibund wie für Europa die Hauptsache. Diese Hauptsache hat der Pariser „Temps" ganz richtig erfaßt, wenn er angesichts der Begegnun gen in Wien und Venedig behauptet, im Drei bund habe sich nichts geändert. To ist es. Bei uns ist die Abreise des Kaisers nach dem Süden als cm Anzeichen für die Beruhigung der innerpolitischcn Lage aufgefaßt worden. Wohl mit Recht, wenngleich es nach früheren Er fahrungen weiter nicht sonderbar wäre, wenn auch einmal von Korfu aus, wo übrigens Herr von Bethmann Gast des Kaisers sein wird, plötz lich eine Entsclieidung cintreffcn würde. Doch es mag schon fein, daß wir für die Zeit der Ostern keine Ueberraschungen zu gewärtigen haben. — Der Reichstag ist gestern von sei nem Präsidenten mit den besten Wünschen zum Feste und zu glücklicher Wiederkehr entlassen worden. Am 28. April soll die Arbeit wieder ausgenommen werden. Leider verlief gerade ver letzte Tag recht unerquicklich: die Vortage über die Konkurrenzklausel mußte, nachdem Ltaatsselretär Lisco den Kommissionsbeschluß betreffs der Gehaltsgrenze für unannehmbar er klärt hatte, eineni etwas ungewissen Schicksal ausgelrefert werden. Dafür hatte der Reichs tag vorher einen Erfolg zu buchen: der soge nannte Duellantrag, wonach die frevent- liche Herausforderung künftig mit Gefängnis be straft werden soll, wurde einstimmig ange nommen. Dieser Vorgang belehrt die Schwarz seher, die für solche klebet wie das Duellweseu immer nur ein Achselzucken übrig hatten und den Reichstag wegen seiner unfruchtbaren Ver- besserungssncht bemitleideten, daß die „öffent liche Meinung" denn doch kein leerer Begriff ist. Daran dachten wir auch, als wir neulich schrieben: Für die Beseitigung des Duells sorgen die Duellanten selbst am besten. Je öfter sich die Fälle ereigneten, die-den „Sinn des Duells" als Unsinn aufwiesen, um so stärker wurde der Widerspruch bei allen denkenden Leu ten und um so schwächer der Widerstand gegen ein gesetzgeberisches Vorgehen. Auch die konser vative Partei stimmte dem Beschlüsse des Reichs tages zu, und wenn ihr Redner allerlei sagte, was au ihre frühere, mit Standesbegriffen und Standesvorrechten zusammenhängende Auf fassung des Duells erinnerte — sie stimmte doch zu, daß die freventliche Herausforderung als ein Verbrechen behandelt werden soll. Der Bundes rat wird sich nun mit dem Beschluß des Reichs tages zu befassen haben, und wenn er vielleicht formale Einwände zu erheben hat, so steht er doch unter dem Druck einer nicht mehr abzu weisenden Forderung. Sie ist um so weniger abzuweisen, als sie nur der Ausdruck dessen ist, was als das zunächst Notwendige erkannt wor den ist. Der kategorische Imperativ Kants gilt auch für Staat und Regierung. Der Reichstag bekam noch vor seiner Oster- pause den 111 Sozialdemokraten zugcschickt und er verliert dafür Herrn v. Liebert aus seinen Rechen. Der Sieg der Sozialdemokratie hat cu der Presse lebhafte Auseinandersetzungen ver ursacht, wobei sich wieder zeigte, daß es sich manche Leute mit dem Denken sehr bequem machen, v. Liebert hätte, das ist geivrß richtig, über den Sozialdemokraten siegen müssen, wenn ihm alle die Stimmen, die bei der Hauptwahl für den nationalliberalen Kandidaten Nitzfchkc abgegeben worden waren, zugcfaNen wären. Wer ist denn aber verantwortlich zu machen, . wenn sich soundso viele dieser - Wähler in die Büsche schlugen? Herr n. Liebert beschuldigt in einem Abschicdsschreiben kurzweg die „l iberalen Wäh l c r" den Ausfall der Wahl versciu ldei zu haben. Der Vorwurf liegt nahe, und es ist bedauerlich, daß der Sozial demokratie, die doch wahrhaftig start genug ver treten ist, wieder Vorschub geleistet und ein gro ßer Triumph bereitet worden ist, der ihr gerade jetzt sehr gelegen kommt. Eine rote. Nummer mehr — das ist für die Partei eine Genugtuung; was aber mögen sich die bürgerlichen Wähler, die dieser roten Nummer zur Geltung verhalfen, Gutes gedacht haben? Was versprechen sie sich? Wir vermissen in den zahlreichen Preßstimmen den Versuch, der Psvchologie dieser Wählerschaft näherzukommen. Die „N ordd . All g. Z t g." glaubt alles gesagt zu Haven, wenn sic die Fort schrittliche Volkspartei für den Mangel an nationalem Sinn verantwortlich macht; sre droht ihr, falls sie nicht schärfer abrückc, werde sie damit rechnen müssen, daß Fortschrittler und Sozial demokraten künftig unterschiedslos behandelt wer den. Wie bekannt, bestehen innerhalb der Fort schrittlichen Volkspartei zwei Richtungen, eine radikalere und eine gemäßigte. Es geht in der Tat schwer an, daß bei Wahlen fast regel mäßig die radikalere Richtung — siehe „Berliner Tagebl." — zur Wortführerin wird und ihre Losung nach eigenem Gefallen ausgibt. Die. Parteileitung muß da Ordnung schaffen, auch im Hinblick auf den schweren Schaden, der ihrem politischen Kredit zugesügt wird. Was die „Nordd. Allgem. Ztg." bei ihren Vorhaltungen indes voll ständig vergißt, ist, daß in demselben Wahlkreis im Jahre 1907 Herr v. Liebert mit einer Mehr heit von fast 3500 Stimmen gewählt worden ist. Es ist ganz außer Zweifel, daß ein gut Teil der Wähler, der diesmal versagte, damals für den nationalen Kandidaten cintrat. Ist cs da klug, diese nach Zahl und Neigung schwer zu bestimmende Wählerschaft ein für allemal zur Sozialdemokratie abzustoßen? Ist es nicht viel richtiger, alles daran zu setzen, nm diese gelegent liche Zuläuferschaft der Sozialdemokratie im Bürgertum festzuhalten? Wir müssen heute mit der Tatsache rechnen, daß cs erne Schicht im Bürgertum gibt, die der Sozialdemokratie zwar nicht verschrieben ist, die aber zeitweilig ihrem Einfluß unterliegt. Was hilft es, sich über dic- l sen Zustand immer wieder wegzutäuschen? Mit Menfchen und Menschlichem haben wir es zu tun. Wir müssen uns endlich darüber klar wer den, daß cs aussichtslos ist, die Parteien so ab zutrennen, wie man Figuren getrennt voneinan der auf ein Gesims stellt. Die große Mehrzahl der Wähler steht als lebendige Masse zwischen den Parteien und bewegt sich hin- und her, je nach Umständen und Eindrücken. Wie oft haben wir in Sachsen bei Wahlkämpfen von braven Leu ten die Weisheit vernommen: Wir werden uns den Herrn Kandidaten anhören, und wenn es ein „hibscher Mann" ist, werden wir ihn wählen. ! „Hibsch" im sächsischen Sinne natürlich. Es gibt da viel zu tun, um aus solchen Wählern Staatsbürger mit eigenem Urteil zu machen. Dies tun, heißt der nationalen Ge sinnung erst den festen Untergrund geben und ist sicherlich das beste Mittel, der Sozialdcmokra- I tie cntgcgenzuarbeiten. Diese Ueberzcugung hat sich der national liberalen Partei längst ausgedräugl Aus ihrem Bert re ter tag in Plauen ist die Wahl in Borna der gewissenhaftesten Prüfung unterzogen worden und es hat sich keine Stimme gefunden, die- von einem Fehler gesprochen hätte. Es war namentlich der Londiagsabg. Dr. Kaiser, der in vortrefflicher Weise der Parteipotillt einen festen Rahmen zog. Er wies den Gedanken ent schieden ab, durch das geplante Abkommen mit der Fortschrittlichen Voltspartei für die Land- tägswahlen iin nächsten Jahr sei ein Ab rücken von der Parteilinie beabsichtigt. Wie Ge neralsekretär Dr. Brüß vorher grunckfätzlich anseinandersetzte, ist dieses Abkommen bestimmt, einer unheilvollen Zersplitterung vorzuoeugen. Wie anders soll auch eine Vereinfachung der Kampflinien erzielt werden'? Da ui der sächsischen Politik eine weitgehende Uebereinstiinmung mit der Fortschrittlichen Voltspartei besteht, ist es das Natürliche, sich beizcilen über eine wech selseitige Unterstützung un Wahlkampfe zn ver ständigen. Geschähe das nicht, jo würbe in einer ganzen Reihe voll Wahlkreisen der Sieg der Sozialdemokratie ohne weiteres die gegebene Sache sein. Daß die beiden Parteien zugleich die Wiederkehr einer konservativen Mehrheit ver hüten wollen, bedarf nach allem, was sich im Landtag vollzog, keiner Rechtfertigung, und wie es scheint, findet man auch auf konservativer Seite, daß der Beschluß des Plauener Partei tages aus der Linie liegt, die sich aus den säch sischen Verhältnissen notwendigerweise ergeben mußte. 4 Es ivar nichts Seltenes, daß wir in eng lischen Blättern und Zeitschriften über Deutsch land und seine Fragen — und Fragen sind im politischen Leben Schmerzen — die verfehltesten Urteile zu lesen bekamen. Das stammverwandte England verstand uns nicht. Einer seiner Grvtzcn verstand uns vielleicht ganz — Earlylc. Aber es war vorwiegend unsere geistige Geschichte, die ihn beschäftigte. Umgekehrt aber auch: nur verstanden oft England nicht, und gerade die, die sich am bereitwilligsten den, Zauber des großmächtigen Königreiches unterwarfen, führ ten uns häufig irre, indem sie uns Großbritan nien schlechthin als den vorgeschrittensten und ge- festigsten Kultur- und Nationalstaat und zugleich als den großartigsten Kolonisator der Welt be wundern lehrten. Seit einigen Jahrzehnten ist dieser Bewunderungszauber mehr und mehr von nnS gewichen, und rn diesen Tagen schwindet er vollends. Sogar „unserem Vorwärts", für den doch allemal das Ausland beim Vergleich Mit Deutschland besser abschneidct, dämmert cs zusehends. Er entrüstet sich beträchtlich über die politische Einmischung von Offizieren zu gunsten der ausrüyrerischen Leute von Ulster. Er sicht darin eine Machenschaft der Tories gegen die Regierung der Liberalen. Das wird schon stimmen, aber gehört cs denn nicht zum Ideal der Sozialdemokratie, daß auch das Heer, sofern es überhaupt ein Heer geben muß, in feiner politischen Bewegungs- und Betätigungs freiheit nicht behindert werden darf? Ver zwickter Fall. In Wirklichkeit liegt die Sache ziemlich einfach. Eine alte Wunde am Körper- Englands bricht auf. Oie Verleihung der Selbst- regternng an Irland, der Homernle, sollte die Wunde schließen, doch der aufgelegte Ver band nützt nichts. Es steht schlecht um den natio nalen Zusammenhalt des Jnselreichs. In dem Augenblick, wo eine liberale Regierung sich an schickt, die seit den Tagen der großen Elisabeth rn bitterster Feindschaft lebenden Iren zu ver söhnen, ihnen das „englische Joch" erträglich zu machen, lehnt sich im Norden Irlands das protestantische Ulster auf. Es will und wird sich der geplanten irischen Parlamentsregicrnng nicht unterwerfen. Wie ein trotziges Kind wehrt cs sich gegen die Stiefmutter, von der es nichts erhofft und alles fürchtet. Der Führer der Ulsterleute erklärt: „Lieber den Bürgerkrieg, als die Herrschaft der Iren, der fremden Rasse, anerkennen; lieber zugrunde gehen als sich katholischer Macht unterwerfen." Und die Asquith, Ehurchill und Seeth stehen rat los vor diesem aufflammcndcn Feuer des Rassen- und Religionshasses. Nur in einer Anwandlung des Machtbewußtseins dachten sic daran, im Not fall den drohenden Aufstand mit militärischer Gewalt nicdcrzuwerfen, um sich beim ersten Widerspruch einer Anzahl Offiziere kläglich auf das Begütigen und Beschwichtigen zu verlegen und ihre Absicht zu verleugnen. Nun kann man ja immer noch zweifeln, ob die auflchnerischen Ulsterlcutc und ihr Führer Earson wirklich zum Aeußerstcn fähig wären; allein wie man ihre kriegerischen Eigenschaften und ihre Waffen spielerei bewerten mag — sic haben durch ihr Auftreten ganz England in Schrecken versetzt, und dieser schrecken hat die Regierung des Herrn Asquith und seine ganze Gefolgschaft lächerlich gemacht. Selbst wenn zunächst wenigstens irgend ein Mittel gefunden wird, ein neues Zwischen stadium zu schaffen, etwa nach dem auch in England bekannten Sprichwort: Kommt Zeit, kommt Rat, so wird cs doch der englische Bür ger- und Nationalstolz den gegenwärtigen Machthabern nicht verzeihen, daß sic die schwächste unter den schwachen Stellen der englischen Zn stände der Welt offenbar werden liehen. Zur Tagung Les nationalliberalen ZentralvorstanLes. D Berlin, 28. März. Es gibt Zeitgenossen, die von dem soge nannten „Zwist im nationallibcralen Lager" ge radezu leben; die, wenn ihnen nichts besseres einfällt (und dieser Zustand pflegt bisweilen bei ihnen chronisch zu sein), sich über die nach ihrer Meinung trostlosen Verhältnisse rn der nationalliberalen Partei aufregen, der sie — unermüdliche Weissager aus Profession und Nei- gung — alsbaldigen völligen Zerfall verkünden. Die Prophezeiungen sind bisher nicht cinge- troffen, und werden aus Gründen, auf die wir noch zu sprechen kommen, auch wohl künftighin nicht eintreffen. Trotzdem wird man vielleicht zugebcn dürfen, daß die Dinge in der Partei besser liegen könnten. Nicht daß ivir es für ein Unglück hielten, daß cs Schattierungen in der nationalliberalen Partei gibt. Wie soll man von gebildeten und denkenden Leuten — und die Angehörigen der nationalliberalen Partei rekrutieren sich nahezu ausschließlich aus die sen Schichten — verlangen, daß sic sich restlos in eine Schablone fügen; daß sie mit der gläu bigen Inbrunst eines oberbayrischen Gebirgs- bauern oder cmeS fanatisierten Großstadtarbei ters auf die Worte des jeweiligen Vorbctcrs schwören! Das widerstreitet zudem dem Lebens prinzip der liberalen Wcltauffassung, und ge rade darum haben wir es als eine an sich durch aus sympathische Wendung begrüßt, daß vor zwei Jahren auf dem Berliner Parteitage das nie sonderlich würdige Versteckspiel aufgegebcn und offen eingeräumt wurde: ja, wir sind keine unterschiedslose Masse; wir machen auch als Politiker von dem selbstverständlichen Recht differenzierter Naturen Gebrauch Solche Differenzierung könnte, möchten wer glauben, für eine Partei sogar zu einer Quelle besonderer Kraft werden. Wenn man gezwungen ist- die Gcgen-fätzr, die schließlich jedes politische Problem beut, zunächst in der eigenen Mitte auszutragen, so bringt man,' wenn cs an die Entscheidung per Mitjnr» geht, von vornherein ein reiferes Urteil mit. Man hat die Sache von zwei Seiten zn sehen gelernt, und ist des halb um so leichter bereit (und auch wohl ge eignet), an der endlichen Entschließung, die ja immer nur auf einer mittleren Linie erfolgen kann, gestaltend mitzuwirken. Also nicht die Gegensätze ats solche sind das Unbehagliche an der gegenwärtigen Lage. Das ist vielmehr die mangelnde Neigung, sich mit diesen Gegensätzen abzüfistden, sie als etwas Ge gebenes hiuzunehmen, das, weil es bis zu einem gewissen Grade in der Natur des Liberalismus begründet ist, nun einmal wohl oder übel zn trägen sei. In diesem deutschen Liberalismus hat es nämlich immer viele Wohnungen gegeben Vor ein paar Jahren hat in Sybels „Histo rischer Zeitschrift" in einer Studie, die für jeden, der die Politik nicht lediglich als Klopffechter handwerk zu betreiben wünscht, zu lesen lohnt, Adalbert Wahl aufgcwiesen, wie in dem Libe ralismus deutscher Prägung von seinen Anfän gen her verschiedene Richtungen nebeneinander laufen und wie zu allen Zeiten neben deut Programmatischen die davon unabhängigen Ucberzeugungen und Stimmungen vornehmlich der Parteiführer auf seine Hantierungen und seine Entschließungen voll Einfluß gewesen sind Daran sollte man denken — auch daran viel leicht, daß schließlich auch die Erzählung vom rechten Mng, der verloren ging, zu den Vor läufcrn eben dieses Liberalismus zählt —, und daraus den Willen schöpfen, den iir dem einen oder anderen Stück Andcrsmcincuden mit etwas mehr Verständnis und mit dem Wunsche nach friedlicher Auseinandersetzung zu begegnen Statt dessen stoßen wir vielfach aus eine starre Unduldsamkeit, die bisweilen geradezu in Ketzer riecherer ausartet. Da wird der eine Abtrünnige in gewissenhaft cingehaltenen Abständen auj'däs Rad geflochten, dort der andere zielbewußt bei langsamem Feuer geröstet. Und was dos Schlimmste ist und den Fall nicht gerade sym pathisch kompliziert: zuguterletzt wird das Sach liche dabei völlig außer Acht gelassen und der ganze Grimm tobt sich nur noch in dem Kampf gegen mißttebige Personen aus. Freilich ohne diesen Kampf gegen die Personen, dre hüben oder drüben aus irgendwelchen Gründen un beliebten Männer, würde man bald finden, daß ihm zumeist das Gegenständliche fehlt. Es sind wirklich zu gut zwei Dritteln nur Stimmun gen, uni derentwillen man raust; man wünscht, was allerdings eine alte deutsclp! Eigenart ist, wieder einmal den Ton vor Gericht zu stellen. Wenn man, was so in Vorwürfen hinüber- und hcrübcrschwirrt, von allem Beiwerk reinigt, wenn man vor allem die Schlagworte ausscheidet, die hier die Bestimmung haben, Begriffe vorru- täuschen, bleibt herzlich wenig übria In der Hauptsache wird nur bekräftigt, was Bassermann vor einiger Zeit sehr hübsch ausführte, daß am letzten Ende nur Fragen der Taktik die Partei scheiden. Darin liegt, möchte uns scheinen, auch die Gewähr, daß die Unbehaglichkeiten von heute, dies gelegentliche Auseinandergleiten von Reichs- und LandtagSsraktion überwunden wer
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