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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.01.1925
- Erscheinungsdatum
- 1925-01-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192501239
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- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19250123
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- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19250123
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- Parlamentsperiode
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- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1925
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8«tte 2 Herren link» überlassen. Die Sozialdemokratie hat in der Zeit, al» sie den größten Einfluß hatte, die Beseitigung vieler sozialpolitischer Errungenschaften nickt verhindert. Wenn sie die Deutschnationalen dafür verantwortlich machen, so ist das politische Heuchelei. (Beifall.) Die Regierung Srresemann. der auch die Sozialdemokraten anaehörr haben, hat die Grundlocie für die Arbcitezeitverord- nünq geschaffen, die den allgemeinen Achtstunden tag beseitigen soll. (Widerspruch bei den Sozia listen.) Redner kommt nochmals aus die Parma*. Affäre zu sprechen. Der Ab«. Heilmann habe selbst Parmat seinen guten freund genannt. Die Politik der Deutschnationalen wäre einzig un allein auf das Wohl des deutschen Volkes eingestellt. < Beifall rechts.) Abg. v. Kardorss (D. Vpt.) bestreitet entschieden, daß die Deutsche Vollspartei die letzte Regierungs krise verschuldet habe. Er wirft dem Abg. Koch- Weser (Dem.) vor, dieser trage die Schuld daran, tast cs zu keiner aktionsfähigen Regierung gekom men sei. Redner tritt für den konfessionellen Arie- den, besonders in Preussen ein. Die Politik gehöre nicht auf die Kanzel, und der Reichstag sei kein evangelischer Obcrkirchenrat. Di- Ausführungen des Abg. Vreitschcid zur Regierungserklärung hätten dem deutschen Volke einen schweren Schaden zugefugt. , . Es sei für die evangelischen Kreise, tne hinter den Deutschnationalen stehen, auf die Dauer unerträglich, wenn sie vom Zentrum in Preußen von der Re gierung fernqchalten würden. Man könne es den Anhängern der evangelischen Kirche nicht verdenken, wenn sie sich nicht so schnell auf die neuen Verhält nisse einstcllcn wollen. (Lärm links.) Auch der Ab geordnete Koch habe doch manche begeisterte Kaiser- geburtstagsrcde gehalten. (Große Heiterkeit.) Der Redner gedenkt dann der Ausführungen des Abge ordneten Dr. Dreitscheid zur Entwaffnynas- fraae. In welche Lage soll der deutsche Außen minister versetzt werden, wenn er sich vom Auslande muß sagen lasiert, daß in seinem eigenen Parlament diese Dinge als ^ihr unterstellt werden! (stürmische Zustimmung rechts, Lärm bei den Sozialdemokraten.) Der Redner stellt fest, daß auch verschiedene inter alliierte Generäle der Ileberzengung sind, daß die Entwaffnung Deutschlands vollständig ist. Jetzt htmdelk es sich nicht um die Frage „Republik oder Monarchie?' sondern tun die Frage: Republik oder Chaos Den Varmal-Skanoal sollie man vor seiner völligen Aufklärung noch nicht politisch nusschlachten. Zu beanstanden ist die Hergave von Millionenkreditcn »ui zwcifelhusie Unternehmungen, während fest- fundierte, solide Unternehmungen sich nach Krediten von 5000 bis 7000 Mark die Füße ablaufen mußten. Wir werden die jüngsten Finanzskandnle gründlich unt.rsuchcn müssen, Wir werden prüfen müssen, wieviel Kredite gegeben wurden, ob Beamten bestechungen vorgekommen sind. Wir werden aber auch gründlich prüscn müssen ob parlamentarische Einflüsse dabei mitgesprochen izuben. (Lebhafte Zu stimmung.) Dabei müssen und iverden die Parteien rücksichtslos diejenigen ausmerzen, die sich kompro mittiert haben. (Allgemeine Zustimmung.) Wir werden dann die Vorwürfe nicht gegen di- ganze Partei richten können, denn — seien wir doch ehrlich — räudige Schafe haben wir alle. (Heiterkeit.) Auch die Demokraten werden genug Punkte finden, in denen sie die Regierung unterslüHen können. Herr Fischer wird beispielsweise in Steuerfragen lieber mit Herrn Hergt Zusammenarbeiten als mit den Sozialdemokraten. Uns fehlt im parlamentarischen Tun die Selbstzucht, die dem Parlamentarismus Englands eigen ist. Wir leben in nachreoolutionären Aeiren. Das ist die Erklärung für die Bitterkeit, mir der sich die Parteien hier gegenüberstehen. Wir sollten aber in allen Parteien zu der Selbst- disziplin kommen, die erst eine gute parlamen- u rische Arbeit ermöglicht. Des Deutschen Reiches Würde ist in Eure Hand gegeben, bewahret sie! (Beifall.)" Abg. Schöller (Komm.) verlangt Amnestie,für die politisägn Gefangenen. Alle Parteien seren be müht, den Darmat-Skcurdal zu vertuschen, auch die Deutschnationalen, mit Rücksicht auf Hilgenberg. Die Sozialdemokratie sei die schlimmste Verräterin der Arbeiterklasse. Sic sei Anhängerin des Dawesplanes, niit dem Deutschland dem Weltkapitaiiismus misge- liefcrk wird. Die Lasten dieses Sklavcnvenrags müßtcn die deutschen Arbeiter tragen. Die Regierung Luther sei durch die Schuld der Sozialdemokratie zustande gekommen. Sie könne nicht die Führung in d>n kommenden Kämpfen der Arl>eit-rschaft gegen d: -> Regierung übernehmen. An Stelle der klassen- ve 'menden, die Gegensätze überbrückenden Politik de» Sozialdemokratie wende die deutsche Arbeiter- schcsich dem von der kommunistisckien Partei ge führten rücksichtslosen Kampfe zum Sturze der Bi. . rgeoisie zu (Beifall bei den Kommunisten). >Fortsetzung des Bericht» Seite 8.) Sie arbeiten sich in die Hände! Pari», 22. Januar. Die französische Rechtspresse verolgt weiterhin die Tendenz, die Stellung des Kabinetts Luther als be sonders stark hinzustellcn, um damit die Notwendig keit zu beweisen, daß das Kabinett Herriot durch ein rechtsgerichtetes Kabinett er setzt werden müsse. Auch der Verlauf der gestrigen Debatte im deutschen Reichstag wird in diesem Sinne ausgebeutet- So berichtet der Berliner Korrespondent des „Echo de Paris" über die gestrige Reichstags sitzung: „Die Haltung Luthers enthüllte einen sehr energischen, zeitweilig sehr heftigen Charakter, Luther hat die Opposition vollkommen entwaffnet. Er hat auf alle Kritiken geantwortet und allen alles gegeben. Man hatte das Gefühl, daß der neue Kanzler die Opposition der Sozialisten und der Demokraten geradezu in die Tasche steckte. In Deutschland wird die Opposition für lange Zeit sich nicht mehr rühren. Der Erfolg des neuen Kabinetts wird erleichtert durch die Apathie in den republikanischen Kreisen. Die Rechte wird ihnen in Zukunst sicherlich dankbar sein und zwar dadurch daß sie sie immer energischer bekämpft." Der Korrespondent des „Petit Parisicn" bezeichnet das Kab nett Luther ebenfalls als energisch. Man habe den Eindruck, daß das monarchistische Kabinett Luther, wenn es eine geschickte Wirtschaftspolitik verfolgt und nicht zu offen die Arbeiterklasse heraussordert, eine sichere Mehr heit im Reichstage haben wird. Der Berliner Berichterstatter des „Petit Parisien" meldet seinem Blatt ferner, daß in diplomatischen Kreisen das Gerücht umgehe, Deutschland wolle Frankreich einen militärischen Garantie Qelprlger Hgedlntt kreitLA, Sen 22. ävvurrr pakt vorschlagen, lieber den Inkast diese» Ver trage» ist noch nicht» bekannt, doch alaubt da» Vlatt, daß er dem bereit» früher vom Kabinett Cuno vor geschlagenen ähnele, der aller ding» di» Unverletzlich keit der dmtsch-polnischen Grenz» nicht umfaßt«. Wirch ill SMWn Berlin, 22. Januar. In einer Unterredung mit einem Presse vertreter erklärte der früher« Reichskanzler Wirth über seine Stellung zum Kabinett Luther und zu der vom Reichskanzler abgegebenen Regierungserklärung, daß er zu dieser Regierung i n Opposition st ehe und sich nach dieser Richtung von seinen politischen Freunden, di« eine Art wach - sameNeutralitat al» Ausdruck der politischen Meinung des Zentrums bekanntgegeben hätten, unterscheide. Diese wachsame Neutralität ergänze er durch wachsames Mißtrauen. Es sei ganz zweifellos in den Reihen der Zentrumsanhänger im Lande eine starke Beunruhigung vorhanden, die auf eine lebhafte Aussprache geradezu hindränge. Die gestrige Erklärung de» Zentrum» ziehe nach rechts eine so scharfe Grenze, daß man es nur schwer verstehen könne, wie das Zentrum bei einer solchen Erklärung zwei Minister, die ihm naheständen, im Kabinett habe belassen können. Er halte das Der- bleiben von Zentrumsmitgliedern im Kabinett Luther nicht für rich!>. Die Zeutrumsfraktion habe jedoch den anderen Weg vorgezogen. Sie werde allerdings den Mitgliedern, die anderer Auffassung seien, durchaus Gelegenheit geben, ihre abweichende Meinung durch Stimmenthaltung oder durch ein entschiedene» Nein zum Ausdruck zu bringen. Das Zentrum kenne keinen Fraktions zwang. So nehme er sich die Freiheit, als ent- schiedener Republikaner dieser Regierung gegenüber das klare und entschiedene Nein auszusprechen. AiMMUtW ter Demkraltt Berlin, 22. Januar. Die demokratische Fraktion des Reichstages hat sich in einer zweiten Sitzung mit der Haltung be schäftigt, die sie gegenüber dem neuen Kabinett Luther cinzunehmen hat. Während in der ersten Sitzung noch eine sehr starke Minderheit für die Ablehnung des Billigungsantrages war, hatte sich in der heutigen Besprechung die Zahl der Opposition verringert. Beschlossen wurde, daß sich die Fraktion aus taktischen Gründen bei der Abstimmung über den Billigungsantrag der Stimme ent hält. Die Mehrheit der Fraktion war der Meinung,.- daß man erst einmal wichtige Vorlagen der neuen Regierung, also Taren abwartxn müsse. Nachspiel zum Prozeß des Reichspräsidenten Perlst», 22. Januar. Die gemeldet wird, ist der Termin in dem Bc- leidigungsprozeß gegen den Landgerichtsdirektor Kron er, der in einer Berliner Zeitung in außer ordentlich scharfer Weise gegen den Landg-richts- direktor Beversdorff in Magdeburg Stellung genommen hatte, vor dem großen Schöffengericht Berlin Mitte auf den 4. Februar festgesetzi worden. Reickspost und Barmat Berlin, 22. Januar. Die Vernehmung des bisherigen Rrichspost- ministers Dr. Höfte durch die Staatsanwaltschaft ist noch nicht abgeschlossen. Dr. Höfte wird ebenso wie der Abgeordnete Lvng!e-HrPte rmirn n in der kommenden Woche vernommen werden. Auch eine Anzahl hoher Beamter de» Reichspostminifte- rinms ist über die finanziellen Transaktionen der Reichspost gehört worden. Eine Broschüre, „Kutisker und Barmat. die größten Schieber der Weltgeschichte", ist auf Grund de» Gesetzes zum Schutze der Republik beschlag- nahmt worden. Der Reichstagsuntersuchungsausschuß für die Barmat-Kredite beschäftigt sich heute lediglich mit der Feststellung seines Arbeitsplanes. Die nächste Sitzung soll morgen stattfinden. Oer Spritschieber Kopp verhaftet Gestern wurde in Holland der Haupturheber der großen Spritschiebunyen, wegen deren schon der Getzercrldirektor Hermann Weber in Prag ver haftet worden war, der Berliner Kaufmann Fritz Kopp, festgenommen. Er wurde von der holländi schen Polizei in das Derichtsyofänyni» gebracht. Sein Gelddepot wurde gesperrt. Da» Aus liefe rn ng»v«r fahren ist einyeleitet- Schiedsspruch im Bankgewerbe Perlst», 22. Januar. In der Frag« der Bankangest«lltenge- Hölter wurde am Mittwoch von dem vom Reichs- arbe-ie-Ministerium eingesetzten Schlichtungsausschuß ein Schiedsspruch gefällt, der «ine Erhöhung der jetziges Gehälter je nach der Deh»lt»gn»ppe von ö bi» 3d Prozent mit Wirkung ab 1. Januar vorsieht. Danach stellt sich da» tarifliche Höchstgehalt eines Bankangestellten in der untersten Gruppe auf IVO,76 Mark, in der mittleren Grupp« auf 282,06 Dlark und in der höchst«« Gruppe auf 874F2 Mark. Oer Stand der pariser Verhandlungen Berlin, 22. Januar. Die Meldung, daß Staatssekretär Trendel« n- bürg erklären werde, e» sei der deutschen Delega tion nicht möglich, auf die letzten französischen Vor- schlüge einzugehen, ist, wie wir von unterrichteter Seite erfahren. Die französischen Vorschläge werden von der Regierung in Berlin und von der deutschen Delegation in Pari» noch gemeinsam geprüft. Di« Prüfung ist noch nichL abgeschlollen. M Slime m de» Zeiseils (kniest Zudets Buch -„Georges Louis" von Dr. fzttlstaim ^rlackmann. Privatdozent an der Universität Leipzig «Sine Fraze must gehellt werden: Har Frank reich Rubland dazu veranlaht, eine tricgeri'schc Hal rung «irrzunedmen und zu modtttsteren ? Oder Hat «» im Etegenieil Rußland surüclgc-alten? Haben wir zum «riog oder MM Frieden geratend Frank reich wünschte den Frieden, es war nicht bereit «Vernhardi erlöst, daß es noch 3 Jahre der Dor- bcreirung benötigte). Aber die Regierung Frank reichs oder vielmehr sein Präsident und dessen Botschafter t» Petersburg haben manövriert, at» ob Frank reich bereit wäre. Offenbar hat Deutschland den Krieg begonnen (»ie», aber wer ist der Ur heber der Politik, der Deutschland die Gelegenheit und den Anlak geboten hat? Gan., ohne Zweifel ist es Iswolsky üm Verfolg seiner persönlichen Rankünen gegenüber Oesterreich, unter der Leitung Titton . s und mit der Mitwisserschaft Poin - c a r s S." Georges LouiS, Tagebuchnotiz 1S14. Al» im November des vergangenen Jahres die Pariser Zeitschrift „Europe" Auszüge au« den Tagebuchblättern des im Jahre 1913 abbcruse- >.eu französischen Botschafters im Zarenhose, Georges Louis, brachte, wurde man in den Kreisen um PoincarS nervös und unruhig. Man spräth von deutschen Machenschaften, suchte das in den Aufzeichnungen Gesagte durch bestellte Freundesbriefe abzuschwächen, ja man scheute nicht davor zurück, diese Aufzeichnungen als den Ausfluß eines Geisteskranken hinzustellen. Wie auch nicht? Tiefe Aufzeichnungen erschütterten ja eine der Grundlagen der Poincareschen Po litik. Die Schuldfrage wurde aufs neue zur Diskussion gestellt, diesmal nicht zuungunsten Deutschlands. Tie Persönlichkeit des französischen Botschafters, der ungeachtet seiner vorzüglichen Qualifikation in einer unglaublich brüsken Weise abbernfen und durch Delcassö ersetzt wurde, rückte durch die«? Publikation in den Mittelpunkt des Interesses. Aber aus ihr tonnte man sich nur ein Teilbild der Vorgänge machen, d e zu der fen sationellen Abberufung geführt batten. Nun veröffentlicht Ernest Jüder, der be kannte Journalist, gegen den Cllmenceau i.u Jahre 1919 einen Hochverratsvrozcß anstrengen ließ, im Verlage von F. N eder, Paris, ein Buch unter dem Titel „George Louis", und die'es Buch gibt eine erschöpfende Darstellung der Er eignisse, die zur Abberufung führten und stellt eine schwerwiegende Anklageschrift gegen das System Poincarö dar. Ter bleibende Pol im Wechsel der Erscheinungen am Quai dOrsay ist der Direktor des politischen De partements. Um sich die Stellung dieses Be amten klarznmachen, genügt es, an" den Namen Perretti della Rocca zu erinnern. Diese Stel lung hatte vom Jahre 1stO3 bis zum Jahre 1999 Georges Louis inne. Als man ihm Jahre 19)9 den Botschafterposten in der russischen Haupt stadt neu zu besehen hatte, den schwierigsten Posten .vielleicht im gesamten französischen, diplo matischen Dienst, da erkannte man in Louis een geeignetsten Mann. Seine Berichte über Peters burg bildeten die Grundlage der französischen Allianzpolitik. Im Mai 1912 erhält Louis plötz lich im Auftrag des Ministers des Musteren die Weisung, sofort aus Gesundheitsrücksichten seine Demission einsureichen. Es wird ib:n zum Vor wurf gemacht, daß er bei der russischen Regierung keinerlei Verbindungen und Sympathien hätte und infolgedessen seine Nachrichten ungenügend wären. Was war geschehen? — Poincare war Minister des Musteren geworden. Und dieser Mann, dec >o starr, so unzugänglich allen Ein flüssen gegenüber zu stehen schien, hatte sich dem unheilvollsten alier Einflüsse gebeugt, er war ein willenloses Werkzeug Jswolsiys, des russi schen Botschafters in Paris, geworden. Iswolsky war cs, der Louis bei dem obersten Chef des aus wärtigen Dienstes angeschwärzt hatte. Georges Louis verweigert dis Einreichung des Tr.uii sionsgesuches. Er kommt nach Paris, hat e.ns Unterredung mit Minears, überzeugt ihn schein bar von der Unhaltbarkeit der Vorwürfe, kehrt wieder nach Petersburg zurück und bleibt dis März 1913 auf seinem Bosten, in welchem Zeit- punit Las Manöver wiederholt wird — d e.mal mit Erfolg. Es ist bezeichnend, daß auf eins direkte Anfrage des französischen BotschairerS beim russischen Ministerpräsidenten Kckorzows, betreffs der von Jswolsiv erhobenen Anscyuloi- gungen, der Dlinister kurzweg erklärt: „Wenn man derartiges über unser Verhältnis zu Ihnen behauptet hat, so ist das glatt erlogen." Das Buch Judets, das sich im wesentlichen an die Aufzeichnungen, Br.efkopien Louis und auf die im russischen Schwarzbuch entbaltenen Briefe Iswolskys stützt, gestattet einen Blick hinter Lis Kulissen der russ i-v-französischen P litik i i d n letzten zwei Jahren vor Ausbruch des Well krieges. Was man schon ahnte, wird hier llar. Iswolsky ist der b ö s e Geist P o i n c arss, ein böser Geist src.lich, dessen Macht in erster Linie darauf beruht, daß Poincar^ e i en frucht baren Boden für den Samen bieter, den dieser unselige Säemann auss.rcut Jswol.ty hat s.'.ne Niederlage anläßlich der Konferenz m.t dem Grafen Äehrenthal in Buchlau niemals vergessen und niemals verichmerzt. Er sucht seine Re vanche: die Schmach, die ihm seiner Meinung nach von den österreichischen Diplomaten ange tan worden war, sollte mit drin Blute von z.hn Millionen Menschen abgewascheu werden. Er findet zunächst einen Bundesgenossen in dem italienischen Botschafter bei der französischen Re gierung, Derrn Ttttoni. Und dieser Bundes genosse ist zahlungsfähig, denn Derr Iswolsky, der Günstling des Zaren, dem Nikolaus 1l. wie derholt die Schulden bezahlt bat, ist immer geld bedürftig und findet bei Titloni eine oifene Kasse. Sein Plan besteht nun darin, d s russisch französische Defensivbündn s in ein unter allen Umstünden in Kraft tretendes Bündnis -n re> wandeln. Der Lothringer PoincarS wün,cht im Grunde genommen das g eiche. Aber gegen diese Pläne erbebt sich der Widerstand von Georges Louis. Er siebt klar, daß die Politik der russi schen Regierung »nd ihres Paris«c Vertret«.-» darauf hinaus will, d e Lrientlomvlikarionen der Jahre 19l2 und 1913 li.alienisch türtischcr Kri.g und Balkankrieg) zu einem aktiven E ngreifen zu benützen. George» Laut» wehrt sich mit allen Waffen «ine- scharfen Geistes und einer routinierten TiplomatenpersönIickkZt gegen das Ansinnen, Frankreich um der Balkanprobleme willen in ein kriegerisches Abenteuer zu ver wickeln. Georges Louis ist, wie Judet bervorhebt, nicht Pazifist um jeden Preis, sondern ein Mann, der friedlich gesinnt ist (ant. pgeikigus, und eine Kriegführung nur dann in Betracht zieht, wenn die Lebensinteressen des e'genen Landes gefä r det find. Judet umschreibt den Gedankengang Louis' folgendermaßen: „Wenn die Diplomatie nur eine nebensächliche Filiale des Kriegsministe riumS ist, wenn s e nicht eingreift, ehe die Modi lisierungscrder an den Mauern v.anat, ehe die Waffen zu sprechen beginnen, dann leugnet sie sich selbst, hört sie auf, zu existieren. Wenn sie zu schnell den Bajonetten das Wort abtritt, dann unterläßt sie es, die Hilfsguellen, die Kräfte zu erschöpfen, die bis zur letzten Minute die obersten. sein müssen." Georges Louis war nie mals bereit zur Fahnenflucht gegenüber seinem Diplomatenideal. Er arbeitete am Frieden und nicht am Krieg. Seine Diplomatie wachte über der Ruhe des Volkes. Er war verantwortlich, er wußte, daß eine übereilte Geste, ein Sich- binreißenlassen, ein deklamatorisches und oft hohles Wort zu Blutvergießen führen könnte. Louis selbst umschrieb die Rolle des Diplomaten mit den Worten, daß sich in dir Seele dec Men schen, die die Geschicke ihres Landes in der Hand haben, tiefere Dramen abspielten als es galante Intrigen und Nichtigkeiten des diplomatischen Zeremoniells wären. Während so der französische Botscoastec für den Frieden arbeitete, ruhten die Kräfte nicht, die in Paris am Werk lvaren. Jswolsly, Tittoni und Poincarö bestachen in Paris die wichtigsten Preß organe in: Sinne der antiüsterreichischen-russi- schen Balkanpolitik. Das russische Schwarzbuch läßt diesbezüglich keinerlei Zweifel übrig. „Ruß land hat", sagte Poincar» zu Jswolsty, „die Initiative in einer Frage zu ergreifen, in der es der Dauvtbeteiligre ist. Tie Rolle Frank reichs besteht darin, es in wirksamster Weise zu unterstützen. Alles in allem", meint Poincars, „läuft das darauf hinaus, daß, wenn Ruß land den Krieg führt, Frankreich ibn gleichfalls führen wird: denn wir wissen, daß in dieser Frage hinter Oesterreich Deutschland sieht." Ter Bericht über dieses Gespräch ist vom 17. Nooeinber 1912 dadiert. Man rann Georges Louis gewiß nicht Mangel an Pa triotismus vorwerfen. Im August 1910 schreibt er in sein Tagebuch: „Im Bündnisvertrags sind Konstantinopel und die Meerengen das t^genstück zu Elsaß-Lotbringen. Tas steht in teinem Vertrag, ist aber Lee letzte Zweck, an Len man denkt, ohne davon zu sprechen. Wenn Vie Russe» diese Frage in ihrem Gespräch mit uns anschneiden, so müssen wir antworten: Ja, an- dem Tage, wo ihr uns zu Elsaß-Lothringen ver helft." Mer mutwillig den Krieg von: Zaum brechen, wie es das Pariser Treigestirn wollte, dafür war Georges Louis eben nicht zu haben. Was Poincare als Minister dos Auswärtigen nicht durchsetzen tonnte, die Abberufung Georges Louis' auf Wunsch von Iswolsky, der in Louis seinen gefährlichsten Gegenspieler erkannte, das setzte Poincarö als einen der erste:: Negie rungsatte seiner P rä si de n tssch a f c durch. Aber der Gegner war noch immer zu sürchten. Georges Louis hätte, in den definitiven Ruhestand versetzt, sprechen können. Poincars zog es vor ihn zur Disposition zu stellen. Dadurch war der Le bende unschädlich gemacht. Man verstand es, sei nen Wunsch nach Pensionierung bis zu de n Augenblick unerfüllt zu lassen, in dem die kriri- Autzenblick unerfüllt zu lassen, in dem die kritische Lage des Vaterlandes unmittelbar vor Ausbruch des Krieges den großen Patrioten Louis weiterhin zum schweigen verurteilen würde. Juoet erinnert an eine seiner eigenen Musterungen vom Juni 1914, in der er sagte: „Ich glaube an den Krieg, weil Herr PoincarS der kriegerischste M a n n vo n E ur ov a ist." Und stellt diese seine Meinung einem kurz zuvor gesprochenen Worte Pichons gegenüber. „Iswolsky ist der gefähr lichste Mann von Europa." Als im Jahre 1917 Georges Louis starb, mochte der Präsident der Republik erleichtert aufatmen Louis batte nicht gesprochen. Als im Jahre 19-22 die Kommunisten eine Interpellation einbrachten und Marcel Cachin in der Schuldfrage sich auf Musterungen von Georges Louis beziehen wollte, erwiderte ihm Poincarö, damals wieder Minister präsident: „Zitieren sie doch ein einziges Wort von Georges Louis!" Marcel Cachin konnte das in authentischer Form nicht tun und der Beifall der Kammer erdröhnte nach den Worten des Füh rers. Poincars kannte das russische Schwarzbuch, das Iswolsky die Maske vom Gesichte riß, als eine bolschewistische Fälschung bezeichnen und das Bekanntwerden der Wahrheit verzögern. Er hatte nicht damit gerechnet, daß Georges Louis Auf zeichnungen hinterlassen hat, aus denen zum min desten klar hervorgeht, daß der Weltkrieg unvermeidlich war. Er batte vergessen, das Georges Louis eine Frau hinterlassen hatte, die alles daran setzen würde, die historische Persön lichkeit ihres Gatten zu rekonstruieren und in hell stem Lichte erstrahlen zu lassen. Er batte nicht damit gerechnet, daß einer seiner Gegner Ernest Judet sein würde, der schon einmal in der Dreh- fuS-Affäre der Wahrheit, die die Regierungen verschleiern wollten, zum Siege verholten hatte, daß Ernest Judet der aufrichtigste Freund George- Louis' war. Iswolsky ist tot, aber Poincarö lebt und der Verfasser de» Buches über Georges Louis spart nicht mit Behauptungen. Borwürfen und Belei digungen, derentwegen er zur Verantwortung ge zogen werden kann. Ja das Buch erweckt geradezu den Eindruck, als ob Judet Herrn Poincars zurKlagezwingen wollte. Tie ganze Vor geschichte des Kriege- würde dann aufgerollt und vielleicht geklärt werden. Der Wahrheit wäre da mit mindestens ebenso gedient, wie mit der Er öffnung der diplomatischen Archive von Pari» und London, auf die die Welt noch immer wartet. Tenn man wird das französische Gelbbuch solange mit Mißtrauen betrachten, als nicht der Nachweis für die Authentizität und Vollständigkeit der darin entbaltenen Schriftstücke erbracht ist.
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